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Institut für vergleichende Irrelevanz geräumt*

AK Kritische Geographie Frankfurt

Als im Dezember 2003 durch den Einzug des Instituts für vergleichende Irrelevanz (IvI) das Gebäude im Frankfurter Kettenhofweg 130 besetzt wurde, rechnete wohl niemand damit, dass es bis zur Räumung fast zehn Jahre dauern würde. Was als IvI seit dessen Einzug in das ehemalige Gebäude des Anglistik-Instituts der Uni Frankfurt existierte, wurde gemeinhin unter dem Slogan „Theorie, Praxis, Party“ zusammengefasst. Aus wissenschaftlichen Vorträgen und Konferenzen, Ausstellungen, Konzerten und Lesekreisen, einer kleinen Bibliothek sowie einer wöchentlichen Kantine setzte sich eine schillernde, widersprüchliche und damit auch hübsch konfliktgeladene (Nicht)Identität zusammen, die von auswärtigen Partygästen auch gerne mal als „Ivy-Club“ gelesen wurde.

Zentraler Bezugspunkt des IvI war seit der Besetzung, die aus einer studentischen Vollversammlung heraus erfolgte, die inhaltliche wie formale Kritik am universitären Wissenschaftsbetrieb. Insofern kann die „Irrelevanz“ aus dem Namen des Instituts in doppelter Weise gelesen werden: Zum einen als Schmäh auf das, was nach den autoritären Effizienzreformen von den Gesellschaftswissenschaften noch übrig bleibt, zum anderen als Charakterisierung der Stellung kritischer Theorie im gesellschaftlichen Diskurs. In diesem Sinne hat sich das IvI auch nie als rein studentisches Projekt begriffen. Der Umstand der Uneindeutigkeit hat es bis vor einigen Wochen auch verunmöglicht, einen rechtskräftigen Räumungstitel zu erwirken. Erst mit der richterlichen Abstraktion, die heterogene Nutzung des Gebäudes als das Treiben einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu begreifen, war mit der „IvI GbR“ eine juristische Person geschaffen, der ein Räumungstitel zugestellt werden konnte. Die neue Eigentümerin, die Franconofurt AG, die das Gebäude 2012 von der Goethe Universität kaufte, hat die Räumung am 22. April 2013 polizeilich durchsetzen lassen.

Die Nutzung des ehemaligen Institutsgebäudes – mit seinem Hörsaal, in dem es sich wunderbar diskutieren und tanzen lässt, der Dusche und Küche, die es bewohnbar machen, und dem Ausblick vom Balkon auf den Brutalismus des vor kurzem leer gezogenen Uni-Turms – war bis 2012 dadurch gesichert, dass sich das Gebäude im Eigentum der Universität Frankfurt befand. Der Verkauf war wegen der Besetzung und des Umstands einer denkmalgeschützten Fassade bislang immer wieder gescheitert. Bedingt durch den Umzug der Universität auf das ehemalige IG Farben Gelände sowie die unternehmerische Umstrukturierung der Hochschule und deren Umwandlung in eine Stiftung, stieg die Bereitschaft, auch weit unter Marktwert zu verkaufen – nach späteren Angaben der neuen Eigentümerin Franconofurt AG lag der Verkaufspreis des Gebäudes mit ungefähr einer Millionen Euro bei rund einem Drittel dessen, was am Markt zu erzielen gewesen wäre. Das Geschäftsmodell der Franconofurt AG besteht darin, Wohnimmobilien aufzukaufen, Luxussanierungen durchzuführen und mit deren Verkauf eine maximale Rendite zu realisieren. Es zeigte sich schnell, dass der Geschäftsführer der Franconofurt AG, Christian Wolf, nicht davor zurückschreckt, für die Durchsetzung dieses Konzepts auch in die Trickkiste der Repression zu greifen. So wurde dem IvI in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Tür ausgebaut und Strom und Wasser abgestellt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 08. Juni 2012 wies Wolf darauf hin, dass er Leute kenne, die „das Problem längst mit einem Trupp großer Kerle mit Baseballschlägern gelöst“ hätten. In den letzten Monaten kam es immer wieder zu Besetzungen von leer stehenden Gebäuden in Frankfurt, mit denen auf die Gefährdung des IvI und den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Frankfurt aufmerksam gemacht wurde. Alle wurden nach kürzester Zeit geräumt – nach Aussage der Polizei um einen Häuserkampf wie in den 1970er und 1980er Jahren zu verhindern.

Der Verkauf des Gebäudes durch die Universität Frankfurt an den Immobilieninvestor Franconofurt AG verweist darauf, dass der Verkauf öffentlicher Immobilien den Möglichkeitsraum für selbstorganisierte Räume weiter einengt. Außerdem wird der freie Mietmarkt unhinterfragt zum obersten Maßstab für die Nutzung leer stehender Gebäude im öffentlichen Eigentum. Dieser Umstand wird dadurch verschärft, dass sich die dominierende strategische Ausrichtung staatlichen Handelns in vielen Bereichen gewandelt hat. Während staatliche Interventionen bis in die 1980er Jahre hinein vor allem darauf konzentriert waren, die Rahmenbedingungen der sogenannten sozialen Marktwirtschaft zu sichern, zeigt sich vor allem auf lokalstaatlicher Ebene eine zunehmende ökonomische Rationalisierung staatlichen Handelns selbst. Daneben dienen gegenwärtig gerade Immobilien in Metropolen aufgrund der vielfältigen Krisenmomente des gegenwärtig existierenden Kapitalismus verstärkt der Fixierung bzw. Immobilisierung von Kapital. Konsequenzen dieser unterschiedlichen Entwicklungen sind sich verschärfende Verdrängungs- und Ausgrenzungsprozesse, die sich nicht nur auf die Möglichkeit autonomer Räume auswirken. Dem ist eine Politik entgegenzusetzen, die die Nutzung von Räumen nicht einer marktförmigen Regulierung überlässt und die nur erfolgreich sein kann, wenn sie nicht auf parlamentarische Formen beschränkt bleibt.

Anmerkungen

* Eine frühere Version des Artikels erschien in Analyse und Kritik 582. Zur�ck zur Textstelle

© links-netz Mai 2013