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Imperialismus in der internationalen Diskussion

Über die internationale Konferenz „Das Werk von Karl Marx und die Herausforderungen des XXI Jahrhunderts“, vom 4. bis 8. Mai 2004 in Havanna/Kuba

von Sabah Alnasseri

Inmitten der elftägigen Maifeierlichkeiten (vom 1. bis 11. Mai, Arbeitertag bis zum Muttertag) fand die internationale Konferenz in den Räumen des Palacio de las Convenciones statt. Mit einer so großen Teilnahme (etwa 450 Delegierte aus 33 Ländern aller Kontinente nahmen an der Konferenz teil), einer reichlichen Produktion von Texten und einem breiten Angebot an Diskussionsbeiträgen haben die Organisatoren wahrlich nicht gerechnet, was nicht nur kleine organisatorische Pannen erklärt, sondern auch die Tatsache, dass bei einem solchen Überangebot an Beiträgen manches kaum wahrgenommen werden konnte und/oder unbearbeitet blieb.

Dennoch, muss man die Organisatoren der Konferenz zu diesem erfolgreichen Ereignis beglückwünschen, ein Erfolg, der die Entscheidung der überwältigenden Mehrheit der TeilnehmerInnen der ersten Karl-Marx-Konferenz von 2003 für die Institutionalisierung dieses Ereignisses bestätigte. Die Aktualisierung und die Weiterentwicklung des Marxschen Denkens im Zeitalter des globalisierten Chaos, oder wenig emphatisch, im imperial(istisch)en Zeitalter sollte programmatisch angestoßen und durch internationale Synergieeffekte popularisiert werden, eine gigantische Aufgabe, der man freilich nicht immer gerecht werden konnte. Die Unterrepräsentanz der ökologischen und Geschlechterfragen mögen ein Beispiel dafür sein.

Zum Programm der Konferenz

Thematisch war die Konferenz in vier Plenarsitzungen mit sieben Panels zu den folgenden Themen untergliedert: 1) „Imperialismus und Klassenkampf“ („Imperialismus: Der Kapitalismus von heute“; „Soziale und Klassenkämpfe im Kontext des aktuellen Imperialismus“); 2) „Imperialismus. Faschismus im 21Jht?“ („Neofaschistische Tendenzen: Erscheinungen und Bedingungen“; „Imperialismus und die faschistische Ideologie“); 3) „Die neue Gesellschaft“ („Notwendig und möglich: Probleme der sozialistischen Konstruktion“; „Staat und revolutionäre Macht“) sowie 4) „Klassenkampf, soziale Bewegungen und politische Repräsentation in Lateinamerika“. Eine spezielle Plenarsitzung zu „Die Originalität der Revolution in Venezuela“ wurde am letzten Tag veranstaltet. Daneben gab es drei Workshops zu den Themen: „Informationsgesellschaft“, „Neue Generationen und die Herausforderungen der neuen Welt“ sowie „Lateinamerika und die Karibik angesichts der Herausforderungen des Sozialismus“. Zudem fanden drei Arbeitsgruppen („Kapitalismus, Imperialismus und Globalisierung: Aktuelle Grenzen und Widersprüche“, „Klassen und revolutionäre Macht: Erfahrungen, aktuelle Herausforderungen und Ansätze“ und „Sozialismus, Kommunismus in der heutigen Welt“) an drei Vormittagen statt. Der Austausch in der zweisprachig (Englisch und Spanisch) abgehaltenen Konferenz wurde durch Simultanübersetzung ermöglicht. Die in den Panels und in den Workshops gehaltenen Beiträge sollen in Kuba entweder in Form von Sammelbänden herausgegeben oder in Fachzeitschriften veröffentlicht werden.

Imperialismus, US-Empire, Empire...

Ich werde mich im Folgenden auf die Beiträge beschränken, die den Imperialismus zum Gegenstand ihrer Analyse machen. Nach Carlos Alzugaray Treto, La Tesis acerca del sobredimensionamienta imperial y el Nuevo Imperialismo Norteamericano1 ist im 21Jht eine neue Form des US-amerikanischen Imperialismus am Entstehen, ein aggressiver Imperialismus, der eine Weltdominanz durch Gewalt etablieren will und deren Basis die polit-militärische Vormachstellung der USA darstellt. Wie unterscheidet sich nun dieser neue, US-amerikanische Imperialismus von seinen Vorgängern und wie überlebensfähig ist er bzw. welche sind seine Existenzbedingungen? Seine Zentralthese ist, dass die Vereinigten Staaten in einem circulus viciousus verwickelt seien, in dem es für sie nicht mehr möglich sei, eine ökonomische Hegemonie ohne Kriegsführung aufrechterhalten zu können und dass gleichzeitig eine militärisch basierte Weltdominanz sowohl ökonomisch als auch politisch nicht aufrechtzuerhalten sei.

Die hier zugrunde gelegte Annahme ist die der ungleichmäßigen Entwicklung kapitalistischer, präziser, imperialistischer Staaten. Drei wichtige Fragen wurden von ihm aufgeworfen, nämlich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dem Scheitern der neoliberalen Globalisierung und dem neuen US-amerikanischen Imperialismus; die Frage nach der Transnationalisierung bürgerlicher Klassen/Fraktionen und deren Verhältnis zur US-Oligarchie, vor allem zur Finanzoligarchie; und ob unter der US-Oligarchie mehrere, widersprüchliche Projekte der Ausübung von Dominanz existieren. Letzte Frage hat ihre globale politische Bedeutung darin, dass die Aufmerksamkeit von der amtierenden Bush-Administration abkoppelt und auf die Widersprüche innerhalb der polit-militärischen und ökonomischen Klassen in den USA gelenkt wird.

In diesem Sinne fragte Sunny Isaac (Canada), Hegemony or Adventurism: The Bush Regime and US-Imperialism, ob die Bush-Administration ausschließlich den aggressivsten Teil der US-amerikanischen, herrschenden Kreise repräsentiert, mit einer kurzfristigen Strategie, die lediglich die Interessen und Ziele eines kleinen Teils des amerikanischen Kapitals vertritt? Oder ob die Bush-Regierung ein imperiales Projekt verfolgt, worüber ein breiter Konsens nicht nur innerhalb der dominanten Finanzfraktion herrscht, sondern auch innerhalb der US-amerikanischen, regierenden Klasse überhaupt? Seine These lautet, dass das Abenteurertum des Bush-Regimes als eine direkte Reaktion auf das Ende einer bipolaren Weltordnung und die Verstärkung der innerimperialistischen Widersprüche zu verstehen sei. Das Ziel der herrschenden Klassen der USA sei demnach die Etablierung einer Weltordnung unter der US-Hegemonie. Insofern gewinne der Kampf und die Konkurrenz unter den Imperialmächten um strategische Güter und geostrategische Zonen mittel- und langfristig an Bedeutung, was auf einen Zusammenprall (latent oder manifest) der Imperialmächte hindeute (anders dagegen Panitsch und Gindin, s. u.).

Ernesto Molina Molina, El Imperialismo y el papel de la bolsa en las actuales condiciones de competencia financiera global, kritisiert den keynesianischen Versuch, qua Tobin-Steuer das spekulative Kapital regulieren zu wollen. Dies sei schon deswegen zum Scheitern verurteilt, weil die Spekulation, das charakteristische Moment des dominanten Finanzkapitals, schon seit langem keinen nationalen, sondern globalen Charakter habe. Dem Gegensatz von einer kleinen, global-spekulativen Finanzoligarchie auf der einen Seite und der globalen Armut, Arbeitslosigkeit, Exklusion von Bevölkerungsmehrheiten im Weltmaßstab etc. auf der anderen ist durch eine Steuer nicht beizukommen: Das Empire (Hardt/Negri) ist nicht mehr steuerbar. Der einzige Ausweg aus der vorprogrammierten Katastrophe ist seiner Meinung nach in einem revolutionären Bruch zu suchen.

Anders verortet Hiroshi Setooka (Japan), Social and economic backgrounds of Neo-Liberalism and U.S. Unilateralism, das gegenwärtige Subjekt des kapitalistischen Weltsystems: Nicht nur eine kleine Finanzoligarchie, vielleicht weniger diese, als viel mehr die „middle citizens“ der westlichen Welt seinen die Profiteure und die Träger dieser neuen Phase der Akkumulation. Die staatsbürgerliche Kategorie deutet auf eine klassenübergreifende Konstellation hin, der auch Teile der Arbeiterklassen der kapitalistischen Zentren angehören, sowohl ideologisch – sich als freies, neoliberales Individuum begreifend – als auch ökonomisch – als Shareholder. Insofern würde die Konstruktion einer Terrorbedrohung von diversen Klassen in den Metropolen getragen, als sie dadurch ihre materielle Privilegierung in Gefahr sehen und sich von der ausgeschlossenen, verarmten Bevölkerungsmehrheit bedroht fühlen. In diesem Sinne könnte man sagen, dass Huntington in seiner „clash of civilisations“ die Ängste dieser metropolitanen Spießbürger wissenschaftspopulistisch artikuliert. Insofern erwartet Setooka mehr Nationalismus, Rassismus und neofaschistische Tendenzen in den Metropolen.

Lida Yumiko (Japan), Technological Panopticon and Totalitarian Imaginaries: The „war on terrorism“ as a national myth in the age of real-time culture, begreift die globale Kriegsführung gegen den Terror als ein tief greifendes, langfristig-strukturelles Phänomen der globalen Transformation. Dies sei nicht lediglich eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11.9., sondern es sei eine Konsequenz von gravierenden sozioökonomischen, politischen, kulturellen und subjektiven Krisen, die symptomatisch für Gesellschaften sind, die absolut technologisch – vor allem seit der sogenannten Revolution in den I&K- Technologien – vermittelt sind. In einem solchen, technologisch dominierten kulturellen Raum seien die Ansichten tendenziell zeit-gefroren, abstrahiert vom dialektischen Prozess der Wahrnehmung, der imaginativen Assoziationen und der kritischen Reflexion, was dazu führt, dass das historische Gedächtnis und ethische Urteile verdrängt werden. Die Folge aus diesem zeitlosen, kognitiven Raum sei das total objektiviert- kontrollierte Subjekt, das sich in Transzendenz flüchte, in der Regel in Form einer nationalistischen Mythologie, um eine Einheit in einer fragmentierten und geteilten Gesellschaft herzustellen. Der Missionarismus sei in diesem Sinne der nordamerikanischen Gesellschaft strukturell inhärent.

Leo Panitsch und Sam Gindin (Kanada), Global Capitalism and American Empire, bestimmen die Phase seit dem zweiten Weltkrieg als ein unter der US-Hegemonie fundiertes, informelles Empire in den Metropolen und ein formelles Empire bzw. Imperialismus im Süden. Die Globalisierung sei ein Prozess, der seit dem 19Jht. im Gange sei, dessen Grundlage in der expansiven Logik des Kapitals liege und der stets unter einer Hegemonie eines imperialen Staates reguliert werde. Die Autoren unterscheiden so zwischen Kapitalismus und Imperialismus, deren Vermittlung nur durch den Staat zu begreifen sei. In den Imperialismus gehen neben dem ökonomischen noch andere, politische, militärische, kulturelle etc. Momente konstitutiv mit ein, so dass keine Entsprechung zwischen bzw. Ableitung von Politik und Ökonomie möglich sei. In diesem Sinne bestimmen sie den Imperialismus als seit dem 19Jht vorherrschende kapitalistische Globalisierung unter der Hegemonie eines imperialen Staates. Es sei dabei stets von einer Artikulation von den beiden Formen des Imperialismus auszugehen und nicht von Abfolgestadien, wie dies in den ökonomistischen Verkürzungen der klassischen Imperialismustheorien (Lenin, Kautsky, Bucharin u.a.) vorherrschte. Der Begriff des informellen Empires charakterisiert dabei das Verhältnis unter den Imperialstaaten selbst: Die ökonomische und kulturelle Penetration der Imperialstaaten durch den Welthegemon wird durch politische und militärische Koordination abgesichert. Die Penetration stellt den Mechanismus dar, wodurch sich die globale Stellung des Welthegemons vollzieht. Das informelle Empire sei stets universalistisch (freie Marktwirtschaft, freier Handel etc.) und multilateralistisch ausgerichtet. Dagegen bezeichnet das formelle Empire das gewaltförmige, partikularistisch-unilaterale Verhältnis zu den Ländern des Südens: territoriale Okkupation und Kolonialisierung.

Die zwei Hauptthesen von Panitsch und Gindin lauten demnach, dass die Verschiebung des ehemaligen Britischen Empires zum US-Amerikanischen – erstens – eine Verlagerung des imperialen Verhältnisses von Nord-Süd zu Nord-Nord und – zweitens – ein Obsoletwerden der Rivalitäten unter den Imperialmächten mit sich gebracht hat. Die nach dem zweiten Weltkrieg durch die USA in Gang gesetzte Umstrukturierung der Ökonomien und der Politik der Staaten in Westeuropa zielte nicht nur auf einen nationalen „Wiederaufbau“, sondern vor allem darauf, dass diese Staaten gleichzeitig zur Internationalisierung des Kapitals und dessen globaler Regulation beitragen sollten: die nationale Bourgeoisie machte den Platz frei für eine neue, innere Bourgeoisie (Poulantzas). Insofern haben sich diese Staaten qua „Befreiungsimperialismus“ bzw. „imperialism by invitation“ internationalisiert. Die Penetration europäischer Staaten und deren Verwandlung im Sinne der US-Hegemonie in „effektive Staaten“ charakterisieren die Autoren im Anschluss an Poulantzas als „Kanadisierung“.

Der nichtrivalisierende Zustand unter den Imperialmächten schließe jedoch interne Konflikte, d.h. im Kontext des immer noch relevanten Nationalstaates, nicht aus. Die ehemalige Rivalität verschiebe sich zu einem imperialistischen Verhältnis zwischen den nördlichen und den südlichen Ländern. Vor allem jene „rogue states“, die sich nicht freiwillig dieser imperialen Weltordnung unterwerfen bzw. deren Penetration durch äußere, ökonomisch- wie politisch-institutionelle Kräfte nicht möglich ist, werden gewaltförmig diszipliniert: Krieg. Die Krise der 70er Jahre und die darauffolgende neoliberale Globalisierung führe indes nicht zu Rivalität, sondern zu weiterer Vertiefung und Ausweitung der Globalisierung unter der US-Hegemonie. Was wir gegenwärtig erleben – und dies behaupten die Autoren wiederum im Anschluss an Poulantzas -, sei nicht die Krise der Hegemonie des US-Imperialismus, sondern die Krise des gesamten Imperialismus unter ihrer Hegemonie. Die gegenwärtige turbulente Situation sei kein Zeichen für den Rückfall in die Rivalität, sondern bringe ein Problem zum Ausdruck, das in der Abhängigkeit der atlantischen Staaten als Vasallen des Empires begründet liegt: Delegitimität.

Dieser Zustand kann nur durch eine radikale Verschiebung der „lokalen“ Kräfteverhältnisse und der Umstrukturierung der abhängigen Staates zu einer „Disartikulation“ vom Empire führen (Herauslösen aus dem amerikanischen Empire). Diese Angst kommt in dem Appell der Vasallen an das Empire zum Ausdruck, es möge sich bitteschön multilateral verhalten, und sei es nur symbolisch. Andererseits instrumentalisieren die Imperialstaaten den so genannten Kampf gegen den Terror, um den Raum für kritische, öffentliche Interventionen und Dissens in ihren Gesellschaften einzuengen. Doch die gewaltförmig-aggressive Innen- und Außenpolitik des US-Empires – und nicht nur dieses – fördert geradezu grenzübergreifende, antiimperialistische Kämpfe und Widerstand innerhalb des informellen Empires wie weltweit. Die Autoren thematisieren jedoch die Heterogenität und die Widersprüche dieser Kämpfe nicht weiter und stellen auch keine strategischen Fragen zur Diskussion.

Anders thematisiert Peter Bohmer (USA), Maxism and the Global Justice Movement, die Antiglobalisierungskräfte in den USA und kritisiert ihren „anarchistischen“, „white-middle class“ Charakter und ihre strategische Unfähigkeit, Verknüpfungen sowohl zu den Lohnabhängigen als auch zu anderen, nichtweißen MigrantInnen herzustellen.

Sabah Alnasseri, Liberation Imperialism? Imperial wars and the precedency of Iraq, stellte den widersprüchlichen, diplomatisch-konflikthaften Verlauf unter den Imperialmächten vor dem Irakkrieg sowie die krisenhafte Entwicklung während und nach dem formellen Ende des Krieges am 1.Mai 2003 dar. Der Fall Irak schien sowohl die Thesen des klassischen Imperialismus, vor allem vor- und während des Krieges, als auch die des Empires, hier exemplarisch anhand des Alleingangs und der Sackgasse der US-Strategie im Irak, zu verifizieren. Der Fall Irak wurde insofern als wichtig erachtet, als der Erfolg hier zu einem Schub der Imperialkriege in anderen Gegenden der Welt hätte führen können.

Aus lateinamerikanischer Sicht, vor allem in Kuba und Venezuela, ist der Krieg im Irak insofern wichtig, als die lange Verwicklung der USA dort zu Entspannung der Situation im Hinterhof des „Empires“ beitragen könnte. Insofern wird in diesem Sinne jede Form des Widerstands, von welcher Seite auch immer, unterstützt. Dagegen wehrte sich der Autor, da unter Widerstand sich nicht nur Kräfte verbergen, die gegen die Besatzung sind, sondern auch welche, die ihr eigenes politisches Projekt verfolgen, Kräfte, die alles andere als progressiv einzustufen sind. Vom Autor wird nicht der Widerstand per se abgelehnt, sondern dieser muss sich vor allem politisch und international im Hinblick auf eine antiimperial(istisch)e und emanzipative Perspektive artikulieren, was die Suche nach neuen politischen und Organisationsformen impliziert. Vor allem müssen die Kräfte identifiziert werden, die ein solches Projekt verfolgen.

An anderer Stelle wurde die global-strategische Frage (Widerstand und Organisationsformen) im Sinne von Samir Amin und Francois Houtart diskutiert, die ihre Vorstellungen schon auf der Konferenz im letzten Jahr zur Diskussion gestellt hatten. Damals stellte Houtart (Belgien: Anàlisis de las convergencias de los movimientos sociales) die Frage nach der Konvergenz der divergierenden sozialen Bewegungen im Hinblick auf strategische Zielsetzungen, die auf die Delegitimierung des Systems abzielten und nicht nur auf seine Bekämpfung. Als Beispiel diente ihm dabei das Weltsozialforum. Dieses dezentralisierte und heterogene Protestforum, das auf die Skandalisierung des Systems hinarbeite, setze zwar Synergieeffekte in Gang, sorge für die Öffnung der politischen Räume und artikuliere unterschiedliche Organisationsformen von Politik. Es fehle ihm jedoch eine global-strategische Zielsetzung.

In diesem Sinne schlug er dann zusammen mit Samir Amin perspektivisch eine positive Alternative zum System („eine andere, bessere Welt ist möglich“) vor. Angedacht war die Organisierung von Debatten und Diskussionen mit langfristigen Perspektiven (unterschiedliche Zukunftsvisionen) im Rahmen eines neuen Forums. Dieses ziele auf die Konvergenz der unterschiedlichen Protestformen ab und seine Aufgabe liege darin, systematische Organisierung und Strategievorschläge zu unterbreiten. Im Unterschied zum Weltsozialforum besitze es eine Charta und stelle Regeln auf. Es blieb jedoch unklar, ob dieses Forum eine konkrete, politikberatende Funktion hat oder aber ob dieser Vorschlag einem Systemdenken entspricht, das auf die Bestimmung eines neuralgischen Punkts der Macht hinarbeitet und „strategisch“ die „Explosion“ dieses globalen Machtzentrums herbeibeschwöre. M. a. W.: Es scheint hier eine Zusammenbruchstheorie im Spiel zu sein, die allerdings einen Schuss an Aktionismus zulässt, einen Rest an Handlungsoptionen, die gegen den Verdacht des Verschwörungsdenkens immunisieren soll.

Die gegenwärtige Aufgabe, so könnte man anders argumentieren, besteht darin, wenn man immer noch internationalistisch denkt und handelt und wenn der Internationalismus stets an eine sozialistische oder kommunistische Perspektive gekoppelt ist, nicht nur Formen der politischen Praxis und deren Subjekte zu konkretisieren, sondern gleichzeitig auch die entsprechende Form des demokratischen Sozialismus oder Kommunismus. Denn diese stellen keine fixen Konstruktionen dar, sondern sie artikulieren sich schon seit Marx konkret im Verhältnis zu der historisch-dominanten Form des Kapitalismus. In diesem Sinne sollte man auch die Perspektive des Empires (Hardt/Negri) kritisch diskutieren.

Atmosphärisches

Einige atomsphärische Anmerkungen sind zuletzt angebracht. Zunächst einmal vermisste man die Spontaneität in der Diskussion, sowohl bei den Rednern wie beim teilweise parteipolitisch geschulten und dirigierten Publikum. So wurde die Imperialismusdebatte zu sehr im Hinblick auf die USA geführt. Dies ist überaus verständlich, betrachten doch die USA den mittel- und südamerikanischen Raum als ihren eigenen Hinterhof und verfolgen dort seit dem 19Jht. imperiale Politik, die meist jenseits aller völkerrechtlichen und diplomatischen Spielregeln unzählige Gesellschaften und Regierungsformen in die Krise getrieben hat und immer noch treibt (aktuell Kuba, Venezuela, Haiti u.a.). Doch um so mehr hätte man sich mehr Offenheit und Aufgeschlossenheit gewünscht, um die imperial(istisch)en Abenteuer - nicht nur die der USA, sondern gleichzeitig die der europäischen Imperialismen - analytisch wie politisch entsprechend einzuschätzen, Positionen zu entwickeln und den Raum für strategische Überlegungen im Hinblick auf effektivere Formen des Widerstands zu erweitern.

Die Einengung auf den US-amerikanischen Imperialismus war auch durch die Kopplung der Konferenz an die gegenwärtige Entwicklung in Venezuela bedingt, sollte diese doch ein positives Licht auf das Modell Kuba und auf das kubanische Engagement für Chaves werfen: die Präsenz der „Bolivarischen Republik“ war nicht zu übersehen. Zur atomsphärischen Trägheit trugen auch das straffe Programm – mit im Durchschnitt fünf PodiumsteilnehmerInnen gab es nur Zeit, um die Beiträge durchzuziehen – und das starre organisatorische Korsett bei, das wenig Raum für spontane, intensive und gewagte Gedankenabstecher ließ. Aber vielleicht ist dies bei solchen gigantischen Veranstaltungen kaum zu vermeiden, bedenkt man die Dimensionen und den organisatorischen Aufwand der Konferenz und die – auch finanziell – begrenzten Möglichkeiten des Landes.

Vor lauter US-Empire vermisste man so von mehreren Seiten die Thematisierung der politischen und ökonomischen Rolle sowohl europäischer Staaten wie Multinationaler Konzerne in Lateinamerika, die ihre eigenen imperialen Ziele in der Konkurrenz zum Big Brother verfolgen. Beispiele hierfür mögen aus der Sicht der BRD die Konzerne REW, VW u.a. darstellen. Ein anders Beispiel war der Fall China und die Problematik des chinesischen Weges zum neun Imperialismus, pardon, Neoliberalismus. Bestimmte, gewichtige Kräfte innerhalb der Staatsapparate, vor allem des ökonomischen Apparats, in Kuba favorisieren diesen Weg als möglichen Übergang Kubas zu einer demokratisch-sozialistischen Gesellschaft. So gab es kaum Möglichkeiten für die Diskussion über zwei, ökonomisch wie kulturkritisch hervorragende, den chinesischen Weg zum Neoliberalismus kritisierende Beiträge von Lau Kin Chi (Rural reconstruction in China as resistance to imperialism) und Hang Deqiang (Chinese Cultural Revolution: Failure and theoretical originality), die genau den ungeheuren Preis und die brutalen Aus-, Neben- und Nachwirkungen dieses Weges zum Gegenstand hatten und überzeugend darstellen konnten.

Anregendere Beiträge und Diskussionen kamen eher aus den Reihen der Gäste, wurde doch stets versucht, die Diskussion durch technische (Diskussionsleitung und Dirigieren der Publikumsintervention) und moralische Disziplinierung in Richtung jener thematischen wie politischen Einengung zu lenken.

Doch genug des schlechten Redens. So war es zeitweise doch möglich, auch von Seiten lateinamerikanischer GenossInnen, über die politischen Maxime der Konferenz und den organisatorischen Durchmarsch hinauszugehen und stellenweise hoch spannende, kontroverse Debatten in Gang zu setzen, die von strategischer Bedeutung sind. So wurde z.B. über die Frage der Gründung, der Form, der Zielsetzung und der globalen Bedeutung – im Sinne eines alternativen, nicht nur europäischen, zivilisatorischen Projektes – einer europäischen linken Partei (EL) im Mai dieses Jahres heftig und offen diskutiert. Problematisiert wurden die unterschiedlichen, sich oft widersprechenden Programme sowie die politischen Konzepte der europäischen Linksparteien (Sozialisten und Kommunisten). Fraglich erschien die strategische Ausrichtung bzw. ob es aufgrund der gravierenden Differenzen eine solche geben könnte, die nicht nur ein europäisches, sondern auch ein globales Projekt verfolgt.

Der Diskussionsstil war zwar auf gemeinsame Problemlagen gerichtet, doch gingen die TeilnehmerInnen selten aufeinander ein. Es gab Übereinstimmung in einigen, kaum kontroversen Punkten (z.B. Kritik an US-Empire, Unterstützung für Venezuela, Ablehnung der Besatzung in Irak, Palästina etc. Bei den letzteren stand Solidarität mit dem Widerstand im Vordergrund). Streitpunkt war dagegen die Frage der Rivalität unter und zwischen den Imperialmächten, die stellenweise eher einen Glaubenscharakter hatte, als dass sie der Selbstverständigung diente. So war es am Ende kaum möglich, Erfahrungen und programmatische Überlegungen auszutauschen, die im Hinblick auf gemeinsame Positionen verallgemeinerungsfähig gewesen wären. Es blieb am Ende bei der Ankündigung einer internationalen (Solidaritäts)Konferenz für nächstes Jahr in Caracas.

Anmerkungen

  1. All die hier dargestellten, kursiv erwähnten und nicht weiter thematisierten Beiträge können unter der Konferenzseite, www.nodo50.org/cubasigloXXI nachgelesen und heruntergeladen werden.Zurück zur Textstelle
© links-netz Oktober 2004