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Krieg und Frieden Übersicht

 

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Was wird aus dem Zwei-Strom-Land? Präzedenzfall(e) Irak II

7 Thesen zur Nachkriegsordnung

Sabah Alnasseri

Camera obscura

Das Materielle ist im Zeitalter der humanitären Kriege irgendwie verwerflich: Noch nie wurden in kriegerischen Auseinandersetzungen konkrete Interessen so verleugnet, wie in diesem Krieg, noch nie waren sie so konkret, so offensichtlich.

Die einzigen gut geschützten Zonen im Irak sind die Ölfelder und das einzige gut abgeschirmte Ministerium ist das Ölministerium. Darüber hinaus herrscht organisiertes Chaos, systematische Plünderung, programmatische Erniedrigung/Entrechtlichung und beauftragter Raub von Kulturschätzen. Das ganze Gefüge der irakischen Gesellschaft ist zerfallen und ein neues ist in absehbarer Zeit nicht in Sichtweite.

Normen werden in diesem Krieg höher bewertet als die Mittel (materielle Gewalt) und die konkret- definierten Ziele. Ein gerechter, weil ideeller, normativer Wertekrieg? Es ist so eine Sache mit diesen Werten, deren Verfallsdatum nur so lange hält wie die Geschichte von den Massenvernichtungsmitteln: seit dem Ausbruch des Krieges sucht man nicht nur vergeblich nach deren Existenz – was die angeblich handfesten Beweise der amerikanischen Geheimdienstarbeit ad absurdem führt und die Show von Außenminister Powell vor dem Sicherheitsrat als mutmaßlichen Betrug entlarvt –, sie haben legitimatorisch einfach ausgedient.

Bizarrer wirkt noch, wenn die Kriegstreiber nicht beim Wort genommen werden, sondern wenn man ihrem Krieg und ihrer Strategie noch höhere zivilisatorische Zumutbarkeiten unterstellt, als jene von sich jemals propagierten.

Und die UNO? Diese konnte den Krieg nicht verhindern, wie konnte sie?, will aber im Nachkriegsirak mitmischen und weiß nicht so ganz genau, wie, wo und was sie zu spielen hat: legitimiert sie nicht dadurch den Krieg ex post oder will sie aus Überlebensgründen Präsenz zeigen? Die Frage ist so nicht lösbar, weil falsch gestellt: die Gegenüberstellung von Kriegstreibern vs. UNO ist metaphorisch. Nicht die UNO, sondern Frankreich, Russland und Deutschland sind die Gegenspieler des angelsächsischen Lagers. Die UNO, das ist ein prähistorisches, nach der jetzigen Zeitrechnung, fordistisches Fossil, ein absterbender Dinosaurier. Nur aufgrund ihrer Konkurrenzschwäche der USA gegenüber halten die Kriegsgegner den absterbenden Riesen künstlich am Leben, wollen ihn in ein trojanisches, Nato-geschmücktes Pferd verwandeln und in den Nachkriegsirak einmarschieren lassen, humanitär, versteht sich.

Und da gibt es noch die Kriegsanhänger/Gegner quer zu diesen Lagern in ihren Heimatstädten sowie Interessenkonflikte zwischen Kapital-, Staats- und Gesellschaftsfraktionen, von den USA, über Europa bis hin zum Irak. Wie soll man sich, vor allem wie sollen sich die IrakerInnen in dieser Gemengelage zurecht finden?

Der von den USA und England angezettelte Krieg hat die Büchse der Pandora für die Folgezeit geöffnet. Horrorszenario? Ach, wenn nicht da der Herr der Ringe wäre! Zynisch genug, aber der Zynismus liegt in der Sache selbst begründet und in all den politischen Mystifikationen der Kriegsdemokratie.

Planet Utopia

Ein reicher, in den USA akademisch gebildeter und von neokonservativen Profs. und Politmachern kulturell gezüchteter Mann ist der Chef der INC, Ahmed Chalabi. Sehr beliebt in den neokonservativen Think-tanks und bei den Politmachern im Pentagon ist der angeblich zukünftige, erste Mann im Staat. Er soll den Aufbau dieses neuen irakischen Staates meistern.

Ein amerikanischer General namens Franks als Militärverwalter und ein Pensionierter namens Garner als Zivil- und Wiederaufbauverwalter sind die anderen Gladiatoren dieses Projektes. Gestützt auf konservativ-liberale Teile der irakischen Exilopposition, auf lokale Stammesführer, Familienclans, bürokratische Eliten und Militärjunta, humanitär unterfüttert und international eingebettet soll dieses demokratische Staatsszenario materialisiert werden. Die IrakerInnen regieren demnach sich selbst, das Öl gehört ihnen, der Wohlstand, die Demokratie und der demokratische Dominoeffekt in der Region werden ihr Handwerk sein.

Nur so viel zu menschlicher Geschichtsschreiberei, mehr politische Zumutung verträgt die dramatische Situation nicht.

Von welcher Demokratie, welchem Öl, welchem Wohlstand, welchem Staat und welcher Region ist hier die Rede?

Da ich hier nicht ausführlich auf diese Fragen eingehen kann, werde ich sie in Thesenform skizzieren und in weiteren Artikeln in die Breite und Tiefe behandeln.

Fangen wir mit der langweiligen Auffälligkeit an, dass von allen Protagonisten dieses Szenarios (USA, England, konservativ-liberalem Teil der irakischen Opposition etc.) der einheitlich-föderalistische Charakter des irakischen Staates bis zum Überdruss wiederholt und überbetont wird. Die Protagonisten wissen nur zu sehr, dass es nach jeder Besatzung zu Fraktionierung, Trennung, Teilung etc. kommt. Indes erfüllt dieses föderalistische Geschwätz gegenwärtig eine taktisch-ideologische Funktion, nämlich einerseits der Türkei zu versichern, dass es zu keinem unabhängigen kurdischen Staat im Norden kommt und andererseits der irakischen Bevölkerung und den arabischen Staaten die Einheit des Staates zu suggerieren.

Damit alles bleibt wie es ist, muss sich alles ändern

Gegen diese diplomatische Taktik der Situation (Löbel) möchte die folgenden Thesen vertreten:

These 0: Der neokonservative Föderalismus bedeutet nicht die Aufrechterhaltung des irakischen Staates, sondern eine Kantonisierung des Iraks, dessen Zusammenhang nur durch ein multiples, imperiales Kontrollregime (militärisch, ökonomisch, politisch etc.) gewährleistet wird.

These 1: Die ökonomische Basis des Staates, das Öl, wird durch die Einführung von privaten Eigentumsverhältnissen und die somit die Umverteilung zugunsten von Kriegsgewinnlern (Iraker wie Briten und Amerikanern) verschoben. Dadurch wird nicht nur das regionale Gewicht des Staates geschwächt, sondern dies wäre ein herber Schlag gegen die OPEC, wodurch womöglich ihr frühzeitiges Ende ankündigt wird.

These 2: Die Kantonisierung bedeutet zugleich die Aufwertung sowohl von neofeudalen Elementen im Inneren als auch der Stellung der Kleinstaaten (Golfmonarchien, Jordanien, Israel etc.) und dadurch wird ein zunehmender Druck auf den Großstaaten (Iran, Syrien und Saudi Arabien) ausgeübt.

These 3: Der kantonsierte Irak als Alternative zu Saudi Arabien bedeutet nicht nur eine militärische und ökonomische Verschiebung im strategischen Kalkül der Kriegsmächte, sondern auch eine kulturell-religiöse: Die Aufwertung der irakisch-schiitischen Pilgerstädte in Najaf und Kerbela gegenüber dem sunnitischen Mekka, was nicht nur ein Schlag ins kulturelle Gesicht Saudi Arabiens ist, der durch einen möglichen Frieden in Palästina und dadurch die Aufwertung des islamischen Teils Jerusalems weiteren Nachdruck erfährt, sondern gegen den sunnitisch dominierten arabischen Raum im allgemeinen. Politisch bedeutet dies einen schweren Rückschlag für arabisch-nationalistische Kräfte, seien sie islamitisch, panarabistisch, sozialistisch etc. geprägt.

These 4: Daraus folgt: Nicht die Demokratisierung der Region durch den Irak wäre zu erwarten, sondern umgekehrt eine konservative Regionalisierung des kantonisierten Staates, will sagen, dass quasi monarchistische und neofeudale Verhältnisse im Inneren dominieren.

These 5: Diese Elemente werden nicht nur durch jene Aufwertung der Kleinstaaten begünstigt, sondern auch durch das sich in den letzten zwei Jahrzehnten im Irak entwickelte tribalistische Regime (s. Teil I), worauf sich die zukünftige politische Organisation der Kantone stützt.

These 6: In diesem Szenario wäre es in der Tat nicht nötig, Kriege gegen den Iran, Saudi Arabien und Syrien anzuzetteln. Diese Staaten werden sich dem durch die Präsenz der Kriegsmächte forcierten Zwang freiwillig unterwerfen: wollen sie politisch überleben, so müssen sie sich in Richtung dieser pan-amerikanischen Einbettung orientieren.

These 7: Indes könnte sich in diesem wichtigsten Energieraum der Erde eine Dollar-Zone herausbilden, ein wichtiger Standortsvorteil im globalen Konkurrenzkampf der „Mujahiddin des Wertes“ (Kurz).

Das ganze Szenario setzt freilich eine Widerstands- und Alternativlosigkeit voraus?

Fortsetzung folgt: III. Das tibalistische Regime, das amerikanische Faustrecht, Widerstandsformen und Chancen alternativer Selbstbestimmung in diesem Raum

© links-netz April 2003