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Regieren im imperialen Zeitalter: Präzedenzfall(e) Irak IV

Sabah Alnasseri

Die Iraker sind froh, dass das Saddam Hussein-Regime gestürzt wurde. Aber sie lehnen die Besatzung ab. Die Iraker wären von Beginn an in der Lage gewesen, ihre Verhältnisse in die eigene Hand zu nehmen, Sicherheit zu gewährleisten und für politische Institutionen zu sorgen. Aber das wurde ihnen verwehrt, und die Vorraussetzungen dafür wurden verschlechtert durch die Auflösung der staatlichen Institutionen. Dies und die dilettantische Sicherheitspolitik der Besatzungsmächte haben erst dazu geführt, dass die Gesellschaft zerfällt und dass der Irak in verschiedene umkämpfte Gebiete und kämpfende Gruppen fraktioniert wurde.

Die USA täuschen sich in ihrer Ansicht darüber, was den Irak ausmacht und auch darüber, was die sogenannte schiitische Mehrheit bestrebt. Aufgrund falscher Beratung, falscher Information und ihrer eigenen Arroganz war das Bild der Besatzungskräfte vom Irak von Beginn an falsch. Als Beispiel dafür fungiert die irrtümliche Annahme, dass die Baath-Partei die Gesellschaft politisch, ökonomisch und kulturell im Sinne eines nationalsozialistischen Regimes völlig beherrschte. Als sie dann in den Irak einmarschierten, stellten sie fest, dass es diese Baath-Partei so gar nicht gibt, sondern einen Komplex von Cliquen und Clans, von Tribalmächten und technokratischen Eliten. Nachdem sie die Staatsapparate aufgelöst hatten – in der Vorstellung, dass diese 100%ig von den Baathisten bestimmt und besetzt sind – stellten sie fest, dass sie einen verheerenderen Fehler begangen haben, und fingen an, die alten Kräfte „einzubinden“ (siehe die aktuelle Sicherheitsvereinbarung für die Stadt Fallauja).

Wenn die USA jetzt fürchten, dass der Irak als schiitischer Staat mit dem Iran, Syrien oder Libanon eine Achse aufbaut, wirft das wieder ein bezeichnendes Licht auf ihre falschen Vorstellungen. Diese führen deshalb zu einer auch für sie selbst problematischen Politik, weil sie auch marginale Ereignisse als grundlegende Konflikte wahrnehmen und gewaltförmig dagegen vorgehen. Die falsche Wahrnehmung der Konflikte im Irak ein Teil des Problems, das letztendlich durch die Wahrnehmung politischer Konflikte durch die imperiale Brille des Terrors bedingt ist.

Zensur

Es ist naheliegend, dass die imperialen Medien, jetzt wo sie feststellen, dass verschiedene Kräfte im Irak zusammenarbeiten, sagen: Das sind die Schiiten und die Sunniten. Denn sie haben in ihrer Darstellung den Irak nach Schiiten, Sunniten, Arabern und Kurden fraktioniert – und diese Darstellung war von Anfang an ideologisch. Es ist eine Inszenierung, dass es so etwas wie eine beherrschende theokratische Tendenz im Irak gäbe. Diese Inszenierung wirkt wie eine Zensur insofern, als sie die tatsächlichen Konflikte, politisch wirksame Kräfte etc. aus der Wahrnehmung verdrängt, und sie ist imperialistisch, weil die Verhältnisse dort als unzivilisiert – gewaltförmig und apolitisch dargestellt und wahrgenommen werden, was wie eine Rechtfertigung für weitere imperiale Kriege und Besatzungen wirkt. Die Vorstellung, dass eine islamische Republik nach dem Muster des Iran entstehen könnte, ist absolut verkehrt und die Kräfte, die etwas derartiges anstreben, sind im Grunde marginal.

Denn die Konflikte im Irak sind nicht primär ethnisch oder religiös, sondern politisch. Wenn jetzt zunehmend bestimmte Geistliche als Institutionen der sogenannten Zivilgesellschaft eine gewisse Rolle spielen und als Akteure in Vermittlungsprozessen und Kooperationen auftreten, dann stecken dahinter politische Kräfte, die durch diese konservativen Intellektuellen – als die man diese Geistlichen sehen muss – in der Gesellschaft populär gemacht werden, sprich: die öffentliche Präsenz dieser Geistlichen ist nichts anderes als eine kulturelle Artikulation konkreter politischer, konservativer Interessen im Irak. Dazu gehört auch, wie der konservativ-liberale Teil des provisorischen Regierungsrates durch die Aufwertung konservativer schiitischer und sunnitischer Institutionen versucht, die von ihm gewünschte politische Kultur zu verankern.

Die konservativ-liberalen Kräfte forcieren also entsprechende Erscheinungen, um ihre eigenen Vorstellungen von einer irakischen Gesellschaft unter dem Etikett des Sunnitischen und des Schiitischen zu popularisieren. Dies ist eine politische Strategie konservativer Kräfte gegen die Linke und linke Vorstellungen von einer irakischen Gesellschaft. So ist zum Beispiel die UUI , die Gewerkschaft der Arbeitslosen im Irak, politisch wirksam und wichtig. Weil die Mehrheit der Iraker arbeitslos ist und mittelfristig auch bleiben wird, gewinnt diese Richtung stärker an politischer Bedeutung und wird deshalb von den Konservativen gefürchtet. Die Bush-Administration ihrerseits stellt mit Hilfe der „American Federation of Labor“ (AFL-CIO) 15 Millionen Dollar zur Verfügung, um eine dem „Staat“ nahe stehende Gewerkschaft im Irak zu gründen, eben gegen autonome und unabhängige Formen der Vertretung der Arbeiter und der Arbeitslosen.

Und so zielen diese Praxen darauf ab, die linken und säkularen Bewegungen zu marginalisieren und zu diskreditieren, sie als unislamisch, unschiitisch, unsunnitisch zu brandmarken. Die wirklichen Kämpfe spielen sich also auf anderen Ebenen ab.

Die Simulation von Demokratie

Die Besatzungsmächte wollen kurz- und mittelfristig die Kontrolle über das Land und deren Bevölkerung innehaben. Wie wird dies bewerkstelligt?

„Demokratie“ bedeutet hier eine operative Mission, d.h. die Installierung eines Kontrollregimes, das durch die Anwesenheit der Besatzungsmächte physische Gestalt annimmt und durch die politische und institutionelle Einflussnahme verrechtlicht wird. Politisch bedeutet dies die Integration der Scherben der zerfallenen Gesellschaften im Süden in die imperiale Weltordnung mittels lokaler „demokratischer“ Eliten.

„Demokratie“ beinhaltet also in den Ländern des Südens und im Kontext der imperialen Kriegsführung eine Unterwerfungs-, Enteignung- und Kontrollstrategie. In diesem Sinne stellt die Fraktionierung und Kantonisierung des Iraks einen ersten Schritt in Richtung der Privatisierung von Macht und gesellschaftlichem Eigentum dar, der einen Mechanismus der Schwächung und der Kontrolle des peripheren Staates sowie des Entzugs seiner ökonomischen Basis darstellt und der letztlich den Weg für neoliberale Akkumulationsstrategien ebnet.

Diese Tendenz bedeutet ein Werttransfer aus dem Süden in den Norden, eine Marginalisierung der enteigneten Bevölkerungsmehrheit und führt zur Bildung von Wohlstandsoasen, lokalen und regionalen korrupten Eliten, was wiederum zu weiterer Instabilität, zur Schürung von neuen Konflikten und gewaltsamen Auseinandersetzungen führen muss.

Diese Situation erfordert zwangsläufig die physische Anwesenheit der Besatzungsmächte: Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung!

Der Zeitraum also, den die Imperialmächte brauchen, um ihr Kontrollregime zu zementieren, markiert die Grenze von „Demokratie“ im Zeitalter der imperialen Kriege.

Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen. Die am 8.3.04 vom provisorischen Regierungsrat im Irak unterschriebene, provisorische Verfassung, die so genannte „Law of Administration for the State of Iraq“ macht in ihrem liberalen Tenor deutlich, welchen gigantischen Zeitraum eine solche Umstrukturierung des Staates beanspruchen wird und welche Konfliktstoffe darin enthalten und vorprogrammiert sein werden.

Zum Zweiten gibt es in der Verfassung, in den so genannten „Fundamental Principles“, im Artikel 2 einen „annex“, die genauso verbindlich sein wird wie die Verfassung, und die aus gutem Grund dort nicht explizit verankert werden darf. Es handelt sich dabei um ein Abkommen, das zwischen dem irakischen Provisorischen Regierungsrat und den Besatzungsmächten vor der „Wahl“ einer Übergangsregierung unterschrieben werden wird; dort wird die Stationierung der Besatzungstruppen institutionell. Sie werden lediglich aus den Großstädten zurückgezogen und in militärisch wie ökonomisch strategischen Zonen stationiert.

Das Machtvakuum in den Großstädten wird dann womöglich durch die Stationierung der NATO-Truppen gefüllt.

Die sogenannte Sicherheitskonferenz der NATO im Januar 2004 in München stand unter diesem Zeichen. Die USA streben die Einbeziehung der NATO im Irak an, um sich aus den großen Städten in strategisch wichtige Zonen zurückzuziehen und um Kräften das Feld zu überlassen, die nicht so sehr belastet sind. Die ehemaligen diplomatischen Kriegsgegner in Europa werden dadurch „eingebunden“. Die Hoffnung ist, dass dadurch eine Entschärfung der Lage stattfindet. Aber das ist eine absurde Vorstellung. Denn wenn die Iraker die Besatzungsmächte ablehnen, dann erst recht die NATO.

Man könnte in diesem Sinne die Anwesenheit der Sicherheitskräfte der bis dato als diplomatische Kriegsgegner geltenden Staaten als eine Art Vorfühltaktik bezeichnen. Schon im Vorfeld sollen bestimmte Kenntnisse im Rahmen sogenannter „facts finding missions“ gesammelt werden, falls man sich doch entscheidet, im Irak auch militärisch mitzumachen. Es sind mehrere Länder in den Irak klandestin „einmarschiert“, es gibt verschiedene Geheimdienste, die dort operieren und experimentieren, nicht nur aus der BRD, sondern auch aus Russland, Frankreich, Israel, der Türkei, dem Iran etc.

Alle sind dort anwesend, und übrigens nicht nur staatliche Akteure, sondern auch private Sicherheitskräfte, vor allem aus den USA. Der Irak ist zu einem Experimentierfeld für das Sicherheitsgeschäft und zum „training camp“ für imperiale Söldner geworden.

Um der Erfolgsstory ein happy end zu geben, soll die UNO, die seit Januar 2004 schrittweise in das kriegerische Abenteuer eingebunden wird, ihren völkerrechtlichen Segen aussprechen.

Die Stationierung der Imperialarmeen und die gewaltsame „Öffnung“ des Iraks für „Demokratie“ ermöglicht so auf der Dauer die Öffnung des Landes für neoliberale Akkumulations-, Verwertungs- und Enteignungsstrategien.

Strategien der Regierungsbildung

Durch „Wahlen“ streben die USA jetzt eine Restrukturierung der politischen Verhältnisse im Irak an. Sie erhofften sich durch eine Übertragung der „Macht“, dass eine Regierung, die angeblich von der Mehrheit gewählt wäre, mehr Legitimität hätte und dafür sorgen könnte, dass so etwas wie Ruhe und Frieden im Land einkehrt. Gravierend ist, dass die USA feststellen mussten, dass die provisorische Regierung von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird – nicht zuletzt aufgrund dieser ethnisch-religiösen und tribalistischen Teilung. Aber auch, weil es in der letzten Zeit zu Korruptionsaffären und zur Verteilung von Ressourcen nach Partikularinteressen kam. Daher soll der Mehrheit der Iraker, die – wie gesagt – bis dato neutral waren, vermittelt werden, es gehe wirklich vor allem darum, eine Regierung zu bilden, die von der Mehrheit der irakischen Bevölkerung legitimiert und gewählt ist.

Die Aufteilung wird jedoch beibehalten. Die USA möchten lediglich, dass diese, von ihnen bestimmte politische Form mehr Legitimität durch die irakische Bevölkerung erhält. Aber wenn, wie vorgesehen, bis Juni 2004 eine Übergangsregierung gewählt wird und diese Übergangsregierung dieselbe ist wie der jetzige provisorische Regierungsrat, wäre das eine Katastrophe, auch für die Besatzungsmächte. Man wird deshalb darauf achten, dass auch neue Gesichter auftauchen, die mehr Neutralität vermitteln und dieser Regierung stärkere Legitimität verleihen sollen.

Die Rolle der USA ist in dieser Hinsicht ambivalent: Das Timing der Wahl der provisorischen Regierung ist an den Wahlkampf in den USA in den nächsten Monaten gekoppelt. Die Bush-Administration muss während der heißen Wahlperiode von Juli bis Oktober gewisse Erfolgsgeschichten verkaufen, etwa: „Ja, der Irak befindet sich in einem demokratischen Prozess, wir haben unsere Versprechen eingelöst“.

Allerdings – und nicht erst durch den Konflikt mit al-Sadr – wird deutlich, dass es für die Interessen der Besatzungsmächte kontraproduktiv sein könnte, käme es tatsächlich Ende Juni zu einer mehrheitlich gewählten Regierung. Deswegen zeichnete sich bereits seit Februar ab, dass der jetzige provisorische Regierungsrat in erweiterter Form die Übergangsregierung bilden soll. Denn dies gilt nun als die beste Vorraussetzung, um einerseits die Interessen der USA und der Besatzungsmächte festzuklopfen, sprich: die Militärbasen im Irak zu stationieren und die Ölfelder zu kontrollieren. Andererseits aber wird durch die technokratische Erweiterung die Einbindung der UNO und damit die Einbettung von Gegnern dieses Krieges innerhalb der NATO bewerkstelligt.

Die für Ende Juni 2004 vorgesehenen Wahlen einer Übergangsregierung werden wahrscheinlich nicht stattfinden, d.h. es wird keine allgemeine, unabhängige oder „nationale“ Versammlung geben, die als ein provisorisches Parlament fungieren und aus ihrer Mitte eine Übergangsregierung wählen könnte. Sondern es wird, wie es beim ersten Verwaltungs- und später dem provisorischen Regierungsrat der Fall war, eine Nominierung geben, die vom provisorischen Regierungsrat, der USA und der UNO veranstaltet wird.

Auf der Ebene des provisorischen Regierungsrats besteht ein Kräfteverhältnis zugunsten der konservativ-liberalen Gruppierungen. Auf der Ebene der Zivilgesellschaft haben sich neue Gruppen gebildet, alte Gruppen und Infrastrukturen wurden ansatzweise reaktiviert, die Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis im Regierungsrat haben werden. Er war und kann nie homogen sein, außer in den Phantasmagorien von Nahostexperten, die mittels ihres neo-orientalistischen Wahrnehmungsmusters politische Verhältnisse dort als quasi Stammesangelegenheiten interpretieren.

Es gab immer Meinungsunterschiede, unterschiedliche Positionen und Regierungskonzepte innerhalb des Rates, in dem die konservativ-liberale Mehrheit die Dinge bestimmt hat. Und da jetzt innerhalb des provisorischen Regierungsrats verschiedene Vorstellungen der Konfliktlösung und der Entwicklung des Irak existieren, entfalten sich in ihm nun auch immer stärker die Widersprüche.

Ein aussichtsreicher Kandidat für den Präsidentenposten in diesem Szenario ist der jetzige Planungs- und Entwicklungsminister (sic!) des Rates Mahdi Al-Hafidh, selbst ein frührer Mitarbeiter der UNO und ein Mitglied der sogenannten „unabhängigen Demokraten“ des damaligen Außenministers und dem jetzigen Mitglieds des Regierungsrates Adnan Al-Pachachi. Hafez genießt als „aufgeklärter“ Neoliberaler gegenüber dem Mann des Pentagons und dem Vorsitzenden der INC, Ahmed Chalabi, sowohl die Unterstützung der Weltbank, des internationalen Währungsfonds, der WTO als auch der Außen- und Wirtschaftsministerien der USA. Dieser Mann sorgte in den letzten Monaten und Wochen durch sein „Ausverkaufsmodell“ des Iraks auf den „freien“ Märkten für heftige Debatten und Kritik, und er strebt im Gegensatz zu den Forderungen der Iraker und unzähliger internationaler Organisationen, die aus guten politischen und ökonomischen Gründen die komplette Streichung der Schulden des Iraks fordern, eine Mitgliedschaft im Pariser Club an und somit lediglich einen Schuldenerlass. Er favorisiert also eine Praxis, die in den letzten Jahrzehnten als erprobtes Mittel des Werttransfers aus dem Süden in den Norden und einer absoluten Kontrolle der peripheren Staaten gewesen ist, die jede mögliche Form von Entwicklung im Sinne von gesamtgesellschaftlicher Wiederaneignung ad absurdum führt.

Somit wird der jetzige Regierungsrat die Übergangsregierung darstellen – erweitert selbstverständlich durch einige Technokraten, um den Schein der Neutralität vorzugaukeln und ein demokratisches Wahlverfahren zu simulieren.

Widerstand

Es sieht so aus, als habe sich eine antiamerikanische Kraft entwickelt, die alles tut, um die Pläne der USA für eine Übergangsregierung ad absurdum zu führen. Genau da, wo bisher Ruhe war – in Nasseriya, in Kurdistan und in Basrah – wird angegriffen. Auch andere Besatzungskräfte, die Engländer, die Italiener, die Polen, die eigentlich zurückhaltender arbeiten und in den Städten nicht so viel Präsenz zeigen wie die Amerikaner in Bagdad, sind jetzt Ziel der Angriffe. Die Alliierten wissen nicht, wer hinter den Anschlägen steckt. Ihnen fehlen die Informationen und sie haben einen Riesenfehler gemacht, als sie die Sicherheitsapparate im Irak auflösten, so dass ein Sicherheitsvakuum entstand. Sie wissen, dass sie handlungsunfähig sind, vor allem was sicherheitspolitische Fragen angeht. Sie befürchten mittlerweile, dass aufgrund der ständigen Verschiebung der Machtübergabe ihre Glaubwürdigkeit auch in den Augen derer, die bis dato neutral waren – und das ist die Mehrheit der irakischen Bevölkerung – dahin ist. So stehen sie unter Druck und greifen um so mehr zu diesen Inszenierungen bzw. Ablenkungstaktiken, um Handlungsfähigkeit vorzutäuschen.

Die Radikalisierung und die gewaltsamen Kämpfe im Irak sind also nicht irgendwelchen Fanatikern oder politischen Amokläufern zu zuschreiben, sondern vielmehr schuf die Okkupation eine Situation, die einen Nährboden für solche Untaten bereitstellt: nicht der Rückzug der Besatzungstruppen würde also eine solche schreckliche Situation hervorrufen – als gäbe es momentan keine Unsicherheit, kein Chaos und keine Gewalt –, sondern umgekehrt.

Insofern gilt: Je früher sich die Besatzungsmächte zurückziehen bzw. dazu gezwungen werden, desto wahrscheinlicher wird es zu einer Befriedung der Situation im Irak kommen.

Angesichts der Kräfteverhältnisse muss man also erst politische, organisatorische und soziale Infrastrukturen schaffen, damit überhaupt eine Wiederaneignung des politischen Raums gelingen kann.

Man muss sich klarmachen, dass die politischen Kräfte im Irak durch die Besatzungsmächte fraktioniert wurden und ein breiter, landesweiter Widerstand fast unmöglich ist.

Von daher muss man jetzt andere politische Formen und Konzepte entwickeln, die es den Menschen ermöglicht, überhaupt gemeinsame Interessen zu artikulieren. In einem zweiten Schritt könnte man landesweit Generalstreiks, Demonstrationen etc. in Gang setzen. Und erst, wenn dies wenig Wirkung zeigt, sollte man zu anderen Formen des Widerstands übergehen, Formen, die von Beginn an international sein müssen.

© links-netz Mai 2004