Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Krieg und Frieden Übersicht

 

  Nur Text    rtf-Datei    pdf-Datei 

Der Eine-Billion-Dollar-Krieg

Von der „Operation Iraqi Freedom“ zur „Operation New Dawn“

Sabah Alnasseri

Am 31. August 2010 hat Präsident Obama in einer Fernsehansprache den Abzug der US-Truppen aus dem Irak angekündigt. Das sei möglich, weil das Land nun einigermaßen befriedet und stabilisiert sei, das irakische Volk jetzt über sich selbst entscheiden könne. Das war alles andere als die Wahrheit, wie Sabah Alnasseri in seinem Beitrag nachweist, sondern eher der erneute Legitimationsversuch für eine gescheiterte Politik. Es ist inzwischen klar geworden, dass die USA und die von ihr angeführte Staatenkoalition es nicht geschafft haben, ihren Anspruch auf Beherrschung der Welt mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Allerdings würde es zu kurz greifen, Obama persönlich dafür verantwortlich zu machen, dass eine falsche Politik unter anderem Namen und mit anderen Mitteln fortgesetzt wird. Was er macht und was er legitimiert, ist ein Ausdruck und das Ergebnis der in den USA und nicht nur dort herrschenden realen Machtverhältnisse. Insofern ist der US-Präsident keinesfalls der mächtigste Mann der Welt, wie öfters gesagt wird. Er repräsentiert eine militärische, wirtschaftliche und politische Kräftekonstellation, die das Land zunehmend in eine Sackgasse steuert. Darin unterscheidet er sich überhaupt nicht von Angela Merkel und von vielen ihrer Kollegen.

Fast sieben Jahre nach dem berüchtigten „Mission erfüllt“ seines Vorgängers George W. Bush erklärte US-Präsident Obama ein weiteres Mal das Ende des Irak-Kriegs. Das war am 31. August dieses Jahres, als er aus seinem Oval Office im Weißen Haus zum amerikanischen Volk sprach. Seiner Aussage nach würden alle Kampftruppen aus dem Irak abgezogen. Damit suggerierte er das Ende aller Kriegshandlungen. Doch ein Ende der Besatzung ist nicht in Sicht. Auch wenn Obama wie sein Vorgänger diesen Eindruck erweckt, ging es bei dem Krieg nie um die „Freiheit des Irak“ (so der Name der alten Operation). Was das „neue Morgenrot“ (New Dawn) bringen wird, ist so gut wie ausgemacht.

Vom Präsidenten der USA kann man nicht erwarten, dass er die Fakten auf den Tisch legt, selbst wenn er das wollte. In seiner Rede, in der er das Ende des Krieges proklamierte, lobte Obama vor allem das „Heldentum“ und die „Opferbereitschaft“ der 1,5 Mio. US-SoldatInnen, die im Irak dienten. Die Kriegsverbrechen der USA unter Bush und Co. sollen dagegen unter den Teppich gekehrt werden. Die IrakerInnen müssten den US-SoldatInnen dankbar sein, weil sie ihnen die Chance zu Freiheit, Neuanfang und Demokratie geschenkt hätten. Man kann sich kaum vorstellen, dass die über eine Million IrakerInnen, die infolge des Krieges ihr Leben oder ihre Angehörigen verloren haben, dass die rund vier Millionen, die mit Gewalt vertrieben, ins Exil oder innerhalb des vom Krieg zerrissenen Landes zur Flucht gezwungen wurden, dass die Hundertausende verletzten und traumatisierten Menschen sich über die Rede des Präsidenten gefreut haben.

Die Verwüstung durch den US-Militarismus erzeugte eine zersplitterte Gesellschaft von Flüchtlingen, Witwen, Obdachlosen, Arbeits- und Mittellosen sowie Verwundeten und nicht zuletzt die totale Zerstörung der Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, der sozialen und technischen Infrastruktur des Landes. Die Ethnifizierung, Vermauerung, Verkabelung sowie „Verstahldrahtung“, „Verkontrollpostung“ und Zerstückelung des Landes ist keine Befreiung!

Der Irak ist so souverän wie ein Schweizer Käse

Trotz Obamas Rede bleiben 50.000 SoldatInnen bis Ende 2011 im Irak. Sie werden zwar als Ausbildungs- und Unterstützungsbrigaden bezeichnet, sind aber Kampftruppen. Dazu kommt das 3. Armored Cavalry Regiment aus Fort Hood in Texas mit weiteren 3.000 SoldatInnen. Von den 50.000 SoldatInnen sind 4.500 „Spezialkräfte“, die mit zwei Kriegsaufträgen ausgestattet sind: Zum Einen arbeiten sie eine so genannte Capture-or-Kill List ab, d.h. sie suchen im ganzen Land nach „Verdächtigen“, die sie „fangen oder töten“ sollen. JedeR, deren/dessen Name sich auf dieser Liste findet, ist von Tod oder Einkerkerung bedroht – unabhängig davon, wie die Informationen zustande kamen. Die zweite Aufgabe der US-Militärs ist, die irakischen „Special Operations Forces“ auszubilden. Bisher ist geplant, dass diese Kräfte nur dem Ministerpräsidenten Al Maliki rechenschaftspflichtig sind. Weder das Verteidigungs- und das Innenministerium, noch das irakische Parlament sollen sie kontrollieren können. Diese Einheiten sind nach dem Muster der Todesschwadronen in El Salvador und Kolumbien ausgebildet.

Acht Monate nach der letzten Wahl konnte im Irak jetzt so etwas wie eine Regierung gebildet werden. Sicher wird diese Ende 2011 von den USA gebeten werden, das Abkommen neu zu verhandeln, damit die US-amerikanischen Truppen und Basen weiterhin im Lande bleiben können.

Momentan gibt es 94 Militärbasen im Irak, und einige werden so ausgebaut und erweitert, dass sie auf Dauer die Stellung als souveräne Staaten im Staat erhalten. Wie Iraks Souveränität aussieht, lässt sich anhand eines einfachen Beispiels verdeutlichen: der Wasser- und Lufthoheit, die von den USA als eine „Lücke“ bezeichnet wird. Laut US-Militär erfordert die allgemeine Sicherheit die Fähigkeit, den Luftraum über dem Irak zu kontrollieren, weshalb die US-amerikanische Luftwaffe plant, für viele weitere Jahre im Land zu bleiben – voraussichtlich bis 2020, wenn es nicht zu Verzögerungen bei der Rüstungslieferung oder bei der Ausbildung kommt. Der Irak wird mit US-amerikanischem Material und Technologie aufgerüstet und somit die Sicherheitsabhängigkeit für Jahrzehnte institutionalisiert. De facto kontrollieren die USA seit 1991 die Lufthoheit – woran sich auch so schnell nichts ändern wird. Der Irak ist so souverän wie ein Schweizer Käse!

Nur folgerichtig ist es, dass die Nachbarländer des Iraks sich durch die USA bedroht fühlen und alles daran setzen, um sich in die Angelegenheit des Iraks einzumischen. Dies nicht, wie die USA behaupten, um die Demokratie zu sabotieren, sondern als präventive Maßnahme gegen eine permanente US-Drohung.

In seiner Rede zum Abzug aus dem Irak kam Obama auch auf Afghanistan zu sprechen. Hier handelt es sich ihm zufolge um einen guten Krieg, der vom gesamten politischen Spektrum der USA unterstützt wird – schließlich kämpfe man dort gegen Al Quaida. Mit dem Abzug der Kampftruppen aus dem Irak werden hierfür Ressourcen freigestellt.

Der privatisierteste Krieg der US-Geschichte

Wie ist aber eine Verdreifachung der US-Truppen in Afghanistan zu erklären, wenn es dort nach Angaben des US-Militärs und der Geheimdienste weniger als 100 Mitglieder von Al Quaida gibt? Diese werden jetzt von fast 100.000 US- und weiteren 40.000 NATO-SoldatInnen gejagt. Da diese irrwitzige Proportion nicht gerechtfertigt werden kann, behauptete Obama, dass diese bombastische militärische Präsenz im Land sei, um die „Dynamik“ der Taliban zu brechen. Der „Kampf gegen den Terror“ ist nichts anderes als der Operationscode für die Dominanz der USA und der NATO in Zentralasien und im Nahen Osten. Dabei geht es vor allem um die enormen Energieressourcen und die geostrategische Bedeutung dieser Region.

Währenddessen schicken private Militär-Vertragspartner und Sicherheitsfirmen Tausende neue Leute in das Land. In den kommenden Monaten bedeutet dies eine Verdoppelung ihrer Zahl. Die Kriege im Irak und in Afghanistan stellen die am meisten outgesourcten und privatisierten Kriege in der Geschichte der USA dar.

Außenministerin Clinton hat vor Kurzem beim Pentagon eigene militärische Kräfte beantragt. Dazu kommen weitere private Söldner für die Sicherung der US-Botschaft in Baghdad. Diese Kräfte sollen mit gepanzerten Fahrzeugen und Black-Hawk-Hubschraubern ausgestattet werden. Darüber hinaus gibt es Pläne des State Departments, einige US-Basen als sogenannte „Dauerhafte Präsenzposten“ über das Land zu verteilen. Das folgt dem Muster der vielen Task Forces nicht nur im Irak und in Afghanistan, sondern auch in Pakistan, am Horn von Afrika, in Äthiopien, Eritrea und in Somalia.

Die USA führen zwei Kriege: der eine ist ein öffentlicher, „sauberer“, medial präsentierbarer. Der andere ist der Krieg der Task Forces und der Todesschwadronen.

In seiner Rede behauptete Präsident Obama noch, dass die Gewalt im Irak in einem „Allzeittief“ wäre. Dabei wurden allein im Juli dieses Jahres mehr als 500 Menschen getötet und Hunderte verletzt – ein Spitzenwert seit 2008. Und die Gewalt hat seither nicht abgenommen. Dies alles wirft ein Licht auf Mary Kaldors, Michael Ignatieffs und Herfried Münklers Gerede von den „Neuen Kriegen“ und charakterisiert den Zynismus, der dabei zum Ausdruck kommt. Wenn es neue Kriege gibt, dann sind es die der zügellosen Todesschwadrone und der privaten Sicherheitssöldner. Der Übergang von der Operation Freiheit zur Operation Morgenrot lässt nichts Gutes für den Irak und die gesamte Region ahnen.

© links-netz November 2010