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Obamas Politik im Nahen und Mittleren Osten: Kolonialismus Light

Sabah Alnasseri

„A time comes when silence is betrayal“ (Martin Luther King, April 1967, „Beyond Vietnam. A time to break silence“)

Es gibt genug Gründe, Obama zu mögen: er hat den Machtambitionen des Clinton-Clans innerhalb der demokratische Partei einen Dämpfer verpasst; er verjagte Bush aus dem Amt und verhinderte die Präsidentschaft McCains. Obama ist ein charismatischer, rhetorisch starker und brillanter Redner. Dies ist in Zeiten der globalen Krise ein Wert an sich, manche mögen es blumig! Aber das war bisher so ziemlich alles, was Obama an „change“ mitgebracht hat. Wie sein Vorgänger ist er ein konservativer Politiker, zugegebenermaßen ein aufgeklärter. Er huldigt der Religion und der Kultur immer dann, wenn es um Machtpolitik geht, und er setzt vor allem die außenpolitischen Konstanten der US-Interessenpolitik wie alle seine Vorgänger fort. Vor lauter Charme und Personenkult tritt dies in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings in den Hintergrund. Die Differenz, die Obama verkörpert, liegt in der Form und in den Mitteln der Durchsetzung, nicht in der Substanz der Sache. Mir geht es hier um die Sache, und wenn es stellenweise zynisch klingt, dann liegt das nicht am Stil: Der „Zynismus liegt in der Sache und nicht in den Worten, welche die Sache bezeichnen“ (Marx).

1. Eine neue diplomatische Taktik: Obamas Schön-Reden in Kairo und Akkra

Das Weltbild in den Reden Obamas in Kairo (4. Juni 2009) und Akkra (11.Juli 09) ist von prinzipieller Bedeutung. Bei ihm besteht die Welt aus Konstanten und homogenen Größen: Religionen, Kulturen, Kontinenten oder aber Demokratie, good governance und freie Marktwirtschaft. Menschen außerhalb der Metropolen werden primär als religiöse, kulturelle, tribablistische Spezies angerufen, so sehr, dass das Bild stellenweise archaische Züge annimmt: „I have the blood of Africa within me“. Seine Reden sind selbstgefällig, feiern das freiheitlich-demokratische, friedlich-zivilisatorische Amerika und den Westen und prangern das tribalistisch-gewaltsame, korrupt-nepotische Andere an. Das sind Werte und Zuschreibungen, die in Amerika und im Westen gut ankommen. Doch es gibt zwei „positive“ Verschiebungen im Vergleich zu seinem Vorgänger, Verschiebungen, die, wie erwähnt, nicht die Substanz der Sache, sondern die Form und die Mittel ihrer Verwirklichung betreffen. Von seinen Afrika- und NahostberaterInnen lernte Obama, dass die Menschen in diesen Weltteilen auf die Anerkennung ihrer kulturell-authentischen, sprich fundamentalistischen Werte seitens der Mächtigen warten. Dieser Identitätsdiskurs hat eine moralisch-therapeutische Funktion in Bezug auf seine Adressaten und ist der Schlüssel zu ihrer Einbeziehung in das neue machtpolitische Projekt der Obama-Administration. Der neue Diskurs kam tatsächlich gut an bei den erniedrigten „Massen“, bei den Intellektuellen und den politischen Machthabern. Applaus und standing ovations!

Zum Zweiten kritisiert Obama den klassischen Kolonialismus und die Machenschaften westlichen Mächte in den Ex-Kolonien. Aber das war gestern, und heute? Hier offenbart Obama eine protestantische Ethik und einen calvinistischen Geist, was dazu führt, dass die Schuld, die schwere Last und die Verantwortung den Schwächeren in die Schuhe geschoben werden: schlechte Regierungen, korrupte Beamte, vergeudete Ressourcen, ideologische Borniertheiten und nicht zuletzt mangels Eigeninitiative der Menschen der Untergang. Im selben Atemzug werden die US-amerikanischen Prinzipien oder, weniger euphemistisch, die Konstanten der knallharten realen Interessen gepriesen, die der US-amerikanischen Außenpolitik zugrunde liegen: Demokratie, good governance, Sicherheit und freie Marktwirtschaft. Doch die Zeiten sind dieses Mal anders und das Management der US/globalen Krise müssen alle, und nicht nur Amerika und der Westen anpacken. D.h. die Last und die Kosten müssen auf mehrere Schultern aufgeteilt werden. Die skrupellos-abenteuerliche, gewaltsam-fundamentalistische Politik seines Vorgängers ist gnadenlos gescheitert und nicht nur das Image, sondern auch die geostrategische Position der USA war in diesen Regionen noch nie so geschwächt worden wie unter Bush. Und dies bei gleichzeitigem Einstieg Chinas bei der Balgerei um (West)Afrika und Nahost.

Die beiden „positiven“ Verschiebungen im Diskurs Obamas verraten eine ökonomische und machtpolitische Realität. Demnach liegt entsprechend der neuen politischen Arbeitsteilung die Erlösung Afrikas und des Nahen Ostens in den eigenen Initiativen und in der Selbstverantwortung der Menschen dort, denn „Africa's future is up to the Africans“ und „Iraq's future is up to the Iraqis“. Doch „mutual responsibility“ and „cooperation“ zwischen Amerika und diesen Regionen bedarf der Anerkennung einer „fundamental truth“: „development depends on good governance“, Demokratie, und „peaceful resolution of conflicts“. Bei diesem Projekt will Amerika „support those who resolve conflicts peacefully“. Damit aber kein Missverständnis aufkommt: „each nation gives life to democracy in its own way and in line with its own traditions“, und deshalb will „America ...not seek to impose any system of government on any other nation“. Aber „what America will do is increase assistance for responsible individuals and responsible institutions“ und „isolate those who don't [act responsibly]“. Was „isolate“ neben sanktioneren und eindämmen u. a. heißen kann, offenbart uns Admiral Mullen, der höchste Militäroffizier unter Bush und jetzt Obamas in Afghanistan: eliminieren, töten.

In diesem Kontext spricht Obama über das „genocide“ in Darfur und den „terror“ in Somalia, also nur zum „islamischem“ Terror, ein Zufall? Dass seit Anfang der 90er Jahre westliche Fischkonzerne die Fischbestände der somalischen Küste illegal leer gefischt haben und dass der illegal deponierte nukleare Müll, vor allem seitens der Ex-Kolonialmacht Italien, die Küste Somalias verseucht hat und dass infolge dessen Fischerfamilien sich durch Piraterie zu Wehr gesetzt haben, dass solcher Ökoterror Obama nicht in den Sinn kommt, ist erstaunlich. Dies auch angesichts der destruktiven Rolle, die die USA in den 90ern in Somalia bei der Eskalation des Konflikts („peace making“) dort durch die einseitige Unterstützung einer Konfliktpartei und somit das Anstacheln des Bürgerkrieges gespielt haben. Dies hat wesentlich zum „failing“ des somalischen Staates geführt. In seinen Reden kritisiert Obama weder die von den USA subventionierten Lebensmittel, vor allem Reis, die den Markt zu Preisen überschwemmen, die weit unter den Produktionskosten der kleinen Farmer in Ghana liegen und systematisch zu deren Ruin beitragen, noch spricht er über den heutigen Terror, die Massaker und die Gewalt, die seitens Amerika und des Westens in Afghanistan, Pakistan und Irak seit Jahren tagtäglich verübt werden. Dazu schweigt er genauso wie er im Dezember 2008/Januar 2009 zum israelischen Massaker in Gaza geschwiegen hat, obwohl er zur selben Zeit als erster den „islamischen“ Terror in Mumbai scharf verurteilt hatte. Der Begriff Islamischer Terror bezeichnet den kulturellen Rassismus von heute. Damit die diskursiv-demokratische Rede in Akkra ihren materialen Gehalt erhält, soll nur auf eine nebensächlich erscheinende Tatsache hingewiesen werden: Unter dem demokratischen Deckmantel initiierte Bush eine Strategie, die die amerikanische Militärpräsenz in Ghana und anderen wertsafrikanischen Ländern ermöglicht, um die Ölversorgung abzusichern, da die USA bis zu 25% ihres Ölbedarfs aus Afrika decken. Dazu soll in Ghana eine US-Militärbasis aufgebaut werden. Es gibt keine demokratischen Zufälle im neoimperialistischen Zeitalter. Schauen wir uns die Sache näher an.

2. Indien und „AF-PAK“: Afghanistan und Pakistan als Kriegsschauplatz im Kampf gegen den „Terror“

Terror ist heute anders definiert und hat einen eindeutigen Namen, nämlich „islamisch“, und so soll Indien in die neue Regionalstrategie (AF-PAK) Obamas gegen den „islamischen“ Terror eingebunden werden. Es wundert nicht, dass just in dem Moment, als die Administration Obamas dem Iran wenig Zeit lässt („Iran hat nicht so viel Zeit“ sagte Clinton) und dem Land jegliche Legitimität beim Aufbau seiner Nuklearanlagen abspricht, obwohl es im Gegensatz zu Indien, Pakistan und Israel internationale Abkommen und Protokolle unterschrieben hat, und just in dem Moment als Indien eine, nach dem Vorbild Israels in der Westbank und der USA in Bagdad eine 2000 Meilen lange Mauer rund um das „islamische“ Land Bangladesh baut – 1000 Meilen sind bis jetzt fertig gestellt – und deretwegen bis heute hunderte von Zivilisten (Bauern und Viehzüchter) von der Mauerwache erschossen wurden – aus Sicherheitsgründen versteht sich -, dass also genau in diesem Moment Clinton in ihrer Reise am 21. Juli Indien amerikanische Waffen und zwei Nuklearparks samt Nuklearmaterial in Milliardenhöhe verspricht. Das war ganz im Sinne des Vorgängers Bush, der 2004 Indien Nuklearmaterial versprochen hatte und damit mit einem seit Jahrzehnten geltenden amerikanischen Grundsatz brach, wonach kein Nuklearmaterial dahin geliefert werden sollte. Um die Drohungen an den Iran weiter zu verschärfen, will Clinton die Golfstaaten mit amerikanischen Waffen aufrüsten. Ein dickes Geschäft für die angeschlagene US-Wirtschaft. Und Biden, der amerikanische Vizepräsident, versprach am 20. und 22. Juli bei seinen Reisen in die Ukraine und nach Georgien die NATO-Mitgliedschaft dieser Länder zu unterstützen. Eine Fortsetzung der provokativen Bushpolitik gegen Russland einerseits. Und andererseits versteht es sich, dass die Modernisierung der Armeen dieser Länder nach NATO-Standards mit amerikanischer Militärtechnologie erfolgen wird. Auch ein dickes Geschäft. So versteht man, warum das Pentagon-Budget unter Obama das höchste in der US-Geschichte ist. Aber Indien ist auch aus einem anderen Grund wichtig: das Land soll eine wichtige Rolle beim Bau der alternativen Gaspipeline aus dem kaspischen Meer, über Pakistan, Iran, Irak und die Türkei nach Europa spielen. Dies ist auch im Hinblick auf die Kontrolle des chinesischen Energiebedarfs von Interesse.

Obama ordnete indessen den Abzug von Teilen der Kampftruppen im Irak an, um sie in Afghanistan einzusetzen. Der „Erfolg“ der so genannten „surge“ im Irak soll in Afghanistan wiederholt werden und zwar mit der Strategie des „guten“ Terrors, mit Hilfe der lokalen Machthaber und unter dem Kommando derselben Offiziere (s. Irak u.). In Afghanistan wird im Gegensatz zum Irak ein „guter“ Krieg geführt! Ärgerlich ist nur, dass sowohl dem einen als auch dem anderen Krieg jegliche Legitimität im Sinne internationalen Rechts und internationaler Konventionen fehlt. Die terroristisch geschaffenen vollendeten Tatsachen der Bush-Ära sollen post factum die Aura des „gerechten Krieges“ erhalten. Die Eskalation des Konflikts und die Intensivierung des Kriegs in Afghanistan ist mit einer Ausweitung des Krieges in Pakistan verknüpft, deren Folge in den letzten Monaten der Tod von hunderten von Zivilisten ist. Es gab die terroristischen Bombardierungen der US-drones ( von Piloten in der Wüste Nevadas in den USA ferngesteuerte Flugzeuge), die Angriffe auf „feindliche“ Stellungen in Pakistan und im Irak vornehmen. Diese und die F-35 (ein Mehrzweckkampfjet, welcher von der Luftwaffe, der Marine und dem Marine Corps benutzt werden kann), also ein Erdkampfflugzeug schweben Obama vor und nicht die F-22, ein Luft-Luftkampfjet, der nur von der Luftwaffe benutzt wird, seit Jahrzehnten mit hohen Kosten gebaut wird und nirgendwo Einsatz findet. Entsprechend will er gegen dessen Finanzierung sein Veto einlegen. In der Provinz Farah (Pakistan) wurden am 13. Mai 2009 mehr als 140 Menschen getötet, darunter 93 Kinder und 25 Frauen.

3. Öl, Dollarbestände und Militärbasen

Die Kriege und die Sanktionen seit den 80ern gegen den Irak und den Iran haben die regionale Machtposition dieser Staaten geschwächt. Der von den USA angezettelte zweite Golfkrieg 1990/91 hatte das Ziel, zum ersten Mal in verschieden Golfstaaten (Saudi Arabien, Katar, Kuwait etc.) Militärbasen aufzubauen und damit den Energieraum von innen her zu kontrollieren. Der Besatzungskrieg im Jahre 2003 zielte auch auf den Aufbau von US-Militärbasen im Irak ab. Diese Verschiebung und die Anwesenheit amerikanische Truppen in der Region verstärkte die Machtposition der pro US „friendly regimes“ Ägypten und Saudi Arabien.

Der Secretary der US-Treasury (zu deutsch Finanzminister) Geithner stattete Mitte Juli dieses Jahres der ölreichen Region einen Besuch ab. Diese besitzt US-Schuldverschreibungen im Wert von vielen Milliarden Dollar. Länder wie Saudi-Arabien, die die US-Staatsanleihen (treasury bonds) kaufen, haben zur Finanzierung des US-Defizits beigetragen, aber dessen Steigen hat die Inhaber der Treasury Bonds bezüglich des Werts ihrer Investitionen nervös gemacht. Der Besuch unterstreicht die Bedeutung von Saudi-Arabien als weltweit führender Öl-Exporteur wie auch als Inhaber von etwa 400 Milliarden $ Währungsreserven, die meisten in Dollar-Anlagen. Die Öl- und Gas-Exporte werden ebenfalls in US-Dollar berechnet. Die USA wollen nicht, dass Saudi Arabien und andere Golfstaaten radikale Veränderungen bei ihren Dollar-Beständen erwägen, vor allem nachdem die saudischen ausländischen Vermögenswerte von $ 443.2 Milliarden im November letzten Jahres auf $ 395.2 Milliarden Ende Mai 2009 gesunken sind.

Auch in den anderen Golfstaaten ist der Wert der ausländischen Aktienanteile um $ 300 Milliarden zurückgegangen. Aufgrund dessen wurden in kurzer Zeit massenhaft Wertpapiere verkauft, was zur Schwächung des Dollars beigetragen hat. Mehr als 50% der börsennotierten Aktienanlagen in Kairo stammen aus dem Golf, vor allem aus Saudi Arabien. Vor seiner Rede in Kairo besuchte Obama Saudi Arabien. Der saudische König wurde in seiner Kairo-Rede als Held gepriesen. Dies ganz abgesehen davon, dass Saudi Arabien alles andere als demokratisch ist. Seit dem 11.9. sind dort tausende Männer inhaftiert und grausam gefoltert worden, und zwar ohne jegliche rechtliche Grundlage und nur auf Verdacht des „Terrors“ (nach dem Vorbild Guantanamos und Abu-Ghrebs). Und der seit 28 Jahren regierende Gastgeber der Rede Obamas, Präsident Mubarak, sehr bekannt für seine demokratische Gesinnung, arbeitet seit Jahren an der Veränderung der Verfassung derart, dass seinem Sohn als Nachfolger der Weg geebnet wird. Nein, nicht wegen ihrer demokratischen Traditionen und „peacful resolution of conflicts“ wird beiden von Obama der Hof gemacht, sondern weil beide Regime dem Iran, der Hisbollah und der Hamas „unfreundlich“ gegenüber stehen. Während des israelischen Kriegs in Gaza standen beide Staaten eindeutig auf der Seite Israels gegen die Hamas, als ginge es bei dem Krieg um diese. Das Problem mit Iran sind nicht seine Nuklearanlagen, seine Unterstützung des „Terrors“ etc. – dieses Gerede, das zum Besatzungskrieg im Irak führte, haben wir schon einmal vor 2003 gehört. Das Problem ist vielmehr, dass der Iran keine US-Militärbasen haben will und sein Öl den Ölkonzernen weiterhin verschlossen bleibt. Wenn das Land diese „democracy“ akzeptieren würde, dann wäre es „demokratisch“. Und noch etwas: Die Rede in Kairo, die indirekte Bezüge zum Konflikt mit dem iranischen Regime enthielt, fand 3 Tage bevor die Wahlen in Iran statt, ein Zufall?

Zwei Wochen davor entsandte Obama seinen Vizepräsidenten Biden in den Libanon, der erste Besuch eines hochrangigen amerikanischen Politikers seit 25 Jahren. Zufälligerweise fand der Besuch kurz vor den Wahlen dort statt. Was Obama in blumigen Phrasen ausdrückt, spricht Biden simpler aus: wenn die Libanesen nicht die richtige Liste – die so genannte 14-März-Liste des pro saudischen al-Hariri-Clans – wählen, dann gibt es keine amerikanische Hilfe mehr, eben „Amerika will not seek to impose any system of government on any other nation“.

4. Korrelation von Interessen und Klassenterror: Irak

Nach dem so genannten SOFA (status of forces agreement) sollen sich die amerikanischen Truppen bis 30. Juni 2009 aus den großen Städten im Irak auf ihre Militärbasen zurückziehen. Bis Juli 2010 sollen die Kampftruppen und bis zum 31. Dezember 2011 alle amerikanischen Truppen aus dem Land abgezogen werden. Der 30. Juni wurde im Irak zum Feiertag erklärt und die Menschen haben ihn als Sieg gefeiert. Es gab aber noch etwas anders an diesem Tag, dazu später noch.

De facto wurden die amerikanischen Kampftruppen aber nicht aus den Städten zurückgezogen, wie in dem Abkommen vereinbart wurde, sondern sie wurden einfach in 'Berater', 'Trainer', 'Experten' etc. umdefiniert. Die Grenzen der Städte wie die der Hauptstadt Bagdad wurden außerdem technisch neu gezogen, so das die amerikanischen Militärbasen als außerhalb der Städte liegend erscheinen, de facto aber sind sie mitten drin.

Abgesehen von den zwei getrennten Rechtssystemen (irakisch und US-amerikanisch) haben die US-Truppen im Irak eine getrennte Infrastruktur: Verschiedene Straßen und Wege sind für die exklusive Nutzung durch die US-Truppen reserviert, nach dem Vorbild der israelischen 40-jährigen Besatzung im Westjordanland und in Gaza. Diese Straßennetze dienen der amerikanischen Botschaft, privaten Sicherheitsfirmen, Unternehmen und militärischen Personal, aber auch der inneren Kontrolle der politisch-ökonomischen Realität im Irak. Der Luftraum bleibt ein exklusives Recht Amerikas. So viel zu irakischer Souveränität.

Auch was das Öl angeht, übt die US-freundliche irakische Regierung wenig Kontrolle über die „irakischen“ Öl-Einnahmen aus. Der Entwicklungsfonds für den Irak, dessen Öleinahmen bei der Federal Reserve Bank of New York deponiert werden, wurde unter die Aufsicht des International Advisory and Monitoring Board, einer US-Expertengruppe gestellt, die vor allem aus Vertretern der Öl- und Finanzindustrie zusammengesetzt ist. Die Übertragung der Aufsicht auf den Irak, die in Januar 2009 erfolgen sollte, hat sich verzögert, da die Obama-Administration die irakische Regierung als noch nicht für geeignet ansieht, diese Verantwortung zu übernehmen!

Am 30. Juni, also am Tag des „Abzuges“ der Truppen aus den Städten verhandelte das Ölministerium im Irak mit internationalen Ölkonzernen über neue Formen der Ölverträge, da das Öl- und Gas- Gesetz, das auf die Privatisierung des Öls und den Abschluss von Production Sharing Agreements abzielte, trotz britischen und amerikanischen Druck nicht zustande kam. Diese Veranstaltung des Ölministerium erhielt, wenn man vom Abschluss eines Servicevertrags mit BP und Chinesischen Ölgesellschaften absieht, ebenso einen Dämpfer. Die Ölgewerkschaften im Süden des Landes kündigten Widerstand gegen den Vertrag an, woraufhin die al-Mailik Regierung den ArbeiterInnen mit rechtlichen – und nicht rechtlichen – Repressalien drohte. Eigenartig ist nur, dass das Gewerkschaftsgesetz, das die Gewerkschaften im öffentlichen Sektor verbietet ebenso wie die Privatisierungsgesetze aus der Zeit Saddam Husseins stammen: so viel zu amerikanischer Demokratie im Irak.

Das Öl bedarf des Militärs. Obama kündigte an, restliche Truppen bis zu 50.000 Einheiten im Irak zu lassen, als Experten und Berater, versteht sich. In diesem Kontext ist es nützlich, etwas über die US-Botschaft in Bagdad zu sagen. Der Bau dieser Botschaft, die der Größe des Vatikans entspricht und die sich über große Teile der so genannten Grünen Zone erstreckt, kostete den amerikanischen Steuerzahler $ 740 Millionen. Die Botschaft hat eine Mitarbeiterzahl, die über 2000 liegt – Diplomaten, Experten, Berater, Militärpersonal, Intelligenzpersonal (CIA, FBI), Vertreter von amerikanischen Sicherheitsfirmen etc. Letztere, deren Mitarbeiterzahl im Irak sich mittlerweile auf fast 250 000 beläuft, sind neben den „residualen“ Truppen und der ISOF (s. u.) von größerer Bedeutung, da sie zusammen die Funktion einer inneren Kontrolle erfüllen. Selbst die Sicherheitsfirma Blackwater, die für das Massaker von 2007 in Bagdad verantwortlich ist, operiert unter Obama unter einem anderen Namen – „Xe“ – weiter, und zwar zusammen mit zwei anderen amerikanischen Sicherheitsfirmen, „Triple Canopy“ und „DynCorp.“.

Das Projekt der Todesschwadronen „Irak-Special Operations Forces“ (ISOF) wurde im April 2003 in der Wüste von Jordanien unter der Aufsicht der US Army Special Forces oder der Green Berets begonnen und wird unter Obama fortgesetzt. Diese verdeckt operierenden Einheiten sind dem US-Kommando unterstellt und nicht den irakischen Verteidigungs- und/oder Innenministerien. Die ISOF hat sich in neun Bataillone aufgegliedert, die sich auf vier regionale „Commando Bases“ im Irak erstrecken. Jede von ihnen wird mit eigenen „Intelligenz Infusion Zellen“ ausgestattet, die unabhängig von den anderen Intelligenz- Netzen im Irak operieren und es gibt Pläne, die ISOF im Laufe der nächsten Jahren zu verdoppeln.

Es findet eine langsame Übertragung der ISOF an die irakische Regierung, vor allem an das neue, so genannte „Counter-Terrorism Bureau“ statt, das al-Maliki unterstellt ist. Das Büro gibt seine Befehle unabhängig von der Polizei, und der Armee und das irakische Parlament hat keinen Einfluss darauf und weiß auch wenig über ihre Missionen.

Die US-Special Forces sind mit allen Ebenen des ISOF eng verbunden, von der Planung und Durchführung von Missionen bis hin zur Taktik der kollektiven Bestrafung und Einschüchterung der Zivilbevölkerung. Der Leiter der amerikanischen ISOF ist General Trombitás. Dieser hat enorme Erfahrung in militärischer Ausbildung, vor allem der so genannten Anti-Terror Kampfeinheiten, die in den 80ern in Kolumbien, El Salvador und anderen lateinamerikanischen Ländern aufgestellt wurden. Damals wurden faschistische Todesschwadronen aufgebaut, die Tausende von Zivilisten umgebracht haben. Nach Trombitás sind die Erfahrungen in Lateinamerika „extrem übertragbar“ auf den Irak. Es wundert daher nicht, dass auch Salvadorianischen Special Forces bei der Ausbildung der ISOF mitarbeiten.

Al-Maliki versucht nun, diese Einheiten als private Milizen für das Amt des Premierministers zu instrumentalisieren, da ihm im Gegensatz zu anderen politischen Kräften im Irak eigene Milizen fehlen. Er baute auch ein paar spezielle operative Einheiten auf, die „Bagdad-Brigade“ und die „Counterterrorism Task Force“, die ihm direkt unterstehen. Diese gelten als „responisble individuals and institutions“.

Das Pentagon wird seine Militärbasen im Irak nicht aufgeben, einschließlich Balad und Al-Assad, mit 4.400-Meter-Start-und Landebahnen für schwere Bomber und Transporte. Diese sind wichtige Knotenpunkte für die Luftbrücke der amerikanischen Air Force, die sich von Deutschland nach Bulgarien und Rumänien, dem Irak und den Golfstaaten, dann weiter nach Afghanistan und Zentralasien erstreckt. Und nicht nur die Militärbasen, sondern auch die totale Kontrolle von Luft- und Raumfahrt haben Immunität vom irakischen Recht.

5. Soft Power

Obama's Politik zielt darauf ab, dass die USA hinter den Kulissen weiterhin Einfluss auf wichtige Entscheidungen im Irak ausüben, um sicherzustellen, dass dieser nach wie vor ein US-Satellitenstaat bleibt, ohne aber als solcher zu erscheinen. Gesetze, Dekrete, Erlasse, Entscheidungsfindung- und Implementierung, bis hin zu ökonomischer Restrukturierung sind weiterhin dem amerikanischen Einfluss unterworfen und dienen den Interessen der Besatzungsmacht. Also vom klassischen Kolonialismus á la Bush zum neuen Kolonialismus á la Obama.

Die US-Botschaft im Irak ist, wie erwähnt, die größte in der Welt mit über 2000 Mitarbeitern, die als „Diplomaten“ etikettiert wurden. Bedenkt man, dass der Irak 26 Millionen Einwohner hat, so wird klar, welches Ausmaß der inneren Kontrolle und der Interventionsmöglichkeiten dieser Moloch hat. Diese Kommandozentrale stellt sicher, dass die amerikanischen Berater nach wie vor bei politischen Entscheidungsfindungen, im militärischen Bereich und in den wichtigsten Ministerien der (Öl) Wirtschaft die Oberhand behalten.

US-Diplomaten und Botschaftsexperten drängten al-Maliki dazu, das landesweite Referendum über den Status der SOFA, das Ende Juli abgehalten werden sollte, zu verschieben. Entsprechend will er das bis Ende des Jahres bzw. bis zu den Wahlen im Januar 2010 tun. Und: am 23. Juli, während seines Besuchs in Washington, erklärte al-Maliki, dass die US-Truppen auch nach dem Dezember 2011 im Land bleiben können, falls „die Iraker“ sie brauchen. Sagte ich doch: Demokratie, Militärbasen und Öl á la Obama oder noch einmal: Kolonialismus Light.

© links-netz August 2009