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Syrien: Das Scheitern ist vorprogrammiert

Sabah Alnasseri

Der Nahost-Experte in der links-netz-Redaktion Sabah Alnasseri lehrt am Departement of Political Science an der York University in Toronto. Er hat im links-netz zahlreiche Beiträge insbesondere zu den Entwicklungen im Irak seit dem amerikanischen Einmarsch veröffentlicht. Für seine aktuellen Kommentare zur Nahost-Politik hat er ein Blog eingerichtet, in dem er regelmäßig kurze Beiträge publiziert: alnasseri.blog.de. Ausgewählte Beiträge publizieren wir - nachdem sie in der Redaktion diskutiert wurden - weiterhin im links-netz. In seinem ersten Kommentar setzt sich der Autor kritisch mit den auf internationaler Ebene diskutierten Lösungsstrategien im Syrien-Konflikt auseinander.

Am 10. November 2012, ein Jahr nach der Gründung des SNC (Syrischer Nationalrat) in Istanbul, der von den westlichen Mächten und den Golf -Monarchien als legitime Vertretung der syrischen Opposition inszeniert wurde, ist dieser in Doha und auf Wunsch der USA praktisch demontiert worden. An seiner Stelle wurde für ein paar Stunden die so genannte SNI (Syrische National Initiative) gegründet. Die Vertretung des SNC innerhalb der Initiative wurde auf ein Drittel reduziert. Der neue Vorsitzende des SNC, George Sabra, sollte dem Rat ein neues, freundliches Gesicht verleihen – Sabra ist „säkular“ und „christlich“! Er wurde mit Hilfe einer islamistischen Gruppe (!) an die Spitze katapultiert. Kurz danach wurde die sogenannte SNC (Syrische Nationalkoalition) aus heterogenen Gruppen und Individuen zusammengebastelt. Diese sollte die eine möglichen "Regierung im Exil "einschließend" und "repräsentativ" darstellen. Ein „sunnitischer“ Imam wurde zum Vorsitzenden der Initiative/Koalition nominiert und somit wird das Sektierertum in das Kriegsszenario eingebaut wie zuvor im Irak.

Die Initiatoren, vor allem Katar und die Türkei, erhofften sich damit eine internationale Anerkennung der Koalition als Regierung im Exil, die all die vorangegangenen Fehlinitiativen wieder gut machen sollte.

Größere Teile der internen Opposition in Syrien hatten die Sitzung und die Initiative boykottiert. Bei diesen Vorgänge ist dreierlei wichtig:

1.Die Muslimbruderschaft, die das SNC mit der Unterstützung von Katar Saudi-Arabien und der Türkei dominierte, hat diese Stellung verloren.

2.Die Einsetzung eines säkularen und christlichen Vorsitzenden der SNC zielte darauf, die Bedürfnisse der amerikanischen und europäischen Geldgeber zu befriedigen.

3.Es gab und gibt eine oppositionelle Herausforderung für diejenigen, die von den Golf- Monarchien und dem Westen unterstützt werden. Die Initiative stellt einen diplomatischen Schritt gegen die Teile der syrischen Opposition dar, die von Iran, Russland, den arabischen Republiken und der Arabische Liga/UN-Gesandter aL-Ibrahimi anerkannt werden.

Was ergibt sich aus all dem? Die SNC wurde 2011 in Istanbul eingesetzt unter der Annahme, dass die Türkei die Voraussetzungen für das Ende der Herrschaft von al-Assad schafft. Die SNI wurde 2012 in Doha gegründet, weil die Türkei als mögliche Initiatorin eines regime change aufgegeben wurde. Ich werde auf die Rolle dieses Landes in Syrien und seine Fehlkalkulationen noch eingehen.

Die Initiative des ägyptischen Präsidenten Mursi, der feststellte, Russland und Iran seien Teil der Lösung und nicht des Problems, also die so genannte Syrien-Kontaktgruppe – Ägypten, Iran, die Türkei und Saudi Arabien – wird von den USA geschwächt.

Dieses Vorgehen zielt darauf ab, die Initiative von al-Ibrahimi, Oppositionsgruppen und Mitglieder der Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen, zu unterminieren, da es im US-Szenario keinen Platz für die eine solche Regelung gibt. Die USA wollen diese Initiative ebenso unterminieren wie zuvor die von Kofi Annan. Das ist es, was ich als die diplomatische Taktik bezeichne: Initiativen sind nicht dazu da, um den Konflikt zu lösen, sondern um Gegen- Initiativen zum Scheitern zu bringen. Mittlerweile verschlechtert sich die Situation im Land – eine Situation, die die Oppositionsmacher mit verursacht haben und gleichzeitig als Druckmittel einsetzen.

Eine militärische Lösung des Konflikts ist nicht möglich. Welchen Stellenwert hat also die Initiative neben der der Ausgrenzung?: Die Absicht, keine Verhandlungen mit Russland, keine Gespräche mit der al-Assad Regierung und keine Gespräche mit relevanten Oppositionsgruppen in Syrien zu führen zeigt nur das Desinteresse an einer diplomatischer Lösung. Und da die Militärintervention keine Option darstellt, bleibt nur Gewalttätigkeit übrig. Warum? Weil es die Position der konservativen Verbündeten (die Golf-Monarchien) stärkt, den Iran schwächt, und die Waffengeschäfte und die Aufrüstung fördert. Damit kommt es zu einer Militarisierung in der Region, also genau zu dem was die USA, die Golf Monarchien und Israel als Heilmittel gegen die arabischen Revolutionen ansehen. Man will damit zurück zum Status quo ante der ständigen Spannungen und Kriegsdrohungen. Das entspricht der Agenda sowohl der Konservativen als auch der Neokonservativen.

Wird es funktionieren? Nein.

Syrien ist nicht Irak und nicht Libyen. Die Situation in Syrien ist viel komplexer als in den beiden anderen Staaten. Dies aufgrund der Verankerung der russischen und iranischen geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen in diesem Raum. Der Slogan des „regime change“ des militarisierten Teils der syrischen ‘Opposition‘ (und die eingeschmuggelten Söldnertruppen) war von Beginn an unrealistisch und suggerierte Hoffnungen, die nicht erfüllbar sind. Ganz im Gegenteil: eine derartige Forderung schleudert die Opposition in eine Sackgasse und manövrierte die Regierung in eine kompromisslose Position. Eine politische Lösung für den Konflikt wurde dadurch erschwert.

Die Erwartungen der imperialen und regionalen Mächte (USA, Frankreich, Großbritannien, Katar, Saudi Arabien und die Türkei), das ‚Regime‘ werde binnen dreier Monate zusammenbrechen, entpuppten sich als Wunschdenken. Sie zeigen ein unglaubliches Missverständnis im Sinne einer Unterschätzung der Fähigkeiten des syrischen Staates (militärisch, sozial, institutionell), einer Überschätzung der Möglichkeiten der eingesetzten Opposition (auf militärischer, diplomatischer und politischer Ebene) und einer Überschätzung des Willens der regionalen und internationalen Mächte, in Syrien einen offenen Krieg zu veranstalten.

Kurz: Das Scheitern ist vorprogrammiert, weil die Initiative anti-russisch und anti-iranisch eingestellt und nicht als eine Lösung für den Konflikt beabsichtigt ist. Und sie ist aus zwei Gründen nicht realisierbar:

1.Sie basiert auf der Annahme des Krieges, was im Fall Syrien unwahrscheinlich ist,

2.die international Anerkennung der SNC als Regierung im Exil, die die Oppositionsmacher sich daraus erhoffen, wird nicht eintreten.

Indes eröffnet die Initiative zwei möglichen Szenarien:

1.Militarisierung: Schaffung von „Pufferzonen“ ,„humanitären Korridoren“ oder „no-fly-Zonen“ mit Hilfe der Türkei, die dies zugleich als Interventionsmittel gegen die Kurden instrumentalisiert,

2.Schaffung einer permanenten Krisensituation, um die Alliierten (Golf- Monarchien und Israel) zu stabilisieren.

Weil der Konflikt militärisch nicht gelöst werden kann, muss er politisch gelöst werden, und er wird politisch gelöst!

© links-netz Februar 2013