Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben einer Diplomarbeit
Annette K.
Wir befinden uns im Jahr 2008 in Europa. Im kafkaesken Bologna-Prozess müssen sich die Hochschulen im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe bewähren. Die Mobilität der Studierenden sowie die erleichterten Übergänge von einer Hochschule zu anderen dienen hierbei als Grundlage für die optimale Ausschöpfung des „enormen Potenzials an und in den europäischen Hochschulen“. Dabei gilt es vor allem „die Beteiligung der Studierenden an der Gestaltung des europäischen Hochschulraums“ zu fördern.1
In dieser Zeit ergibt es sich nun, dass sich Annette K., Studentin der Universität Mannheim, dazu entschließt, nicht die Hochschule zu wechseln, sondern lediglich – weil inhaltlich passender – ihre Diplomarbeit an der Universität Frankfurt betreuen zu lassen. Dabei stellt sich heraus, dass der Exzellenzwettbewerb um die dauerhafte Spitzenplatzierung in Hochschulrankings mitunter dadurch ausgetragen wird, dass Studierende gegen ihren Willen, aber zu ihrem eigenen Schutz, nach außen abgeschirmt werden. Wir dokumentieren den Brief von Frau K. an die Universität Mannheim:
Sehr geehrtes Hochschulmanagement,
als Kundin Ihres Unternehmens erlaube ich mir, das
bei Ihnen erworbene und mal mehr oder weniger geschätzte Wissen als
Werkzeug anzuwenden, um bei Ihnen eine Evaluation durchzuführen.
Anbei finden Sie die Ergebnisse, der von mir zu
diesem Zweck durchgeführten „autonomieorientierten
Arbeitsanalyse“. Diese weisen einen verstärkten Handlungsbedarf
bei der Gestaltung der Arbeitsabläufe Ihres Unternehmens sowie einen mehr
als zu erhöhenden Trainingsbedarf beim Personal auf. Im Folgenden
möchte ich Ihnen durch die Darstellung meiner Erfahrungen mit Ihrem
Unternehmen Möglichkeiten, ja sogar Notwendigkeiten, zur Bewältigung
der Anforderungen und zur Kompetenzentwicklung aufzeigen.
Zum Zweck einer objektiven wissenschaftlichen
Analyse dieser Erfahrungen halte ich mich an das Verfahren der soziotechnischen
Systemanalyse nach Emery (1959):
1. Beschreibung des Produktionssystems und
seiner Umwelt
Das Bildungsunternehmen Universität Mannheim
bietet für 1198 EUR jährlich seinen Kunden und Kundinnen die
erforderliche Infrastruktur, Betreuung und Beratung für den Erwerb und die
Produktion der Ware Wissen. Es herrschen schwierige Zeiten, in denen es vor
allem darum geht, in die Zukunft der deutschen Wissensgesellschaft zu
investieren, denn es gilt den Standort Deutschland zu sichern.
Die langjährige Kundin Annette K. ist daher
stets darum bemüht, ihr Humankapital zu vermehren, weshalb sie
zusätzlich die Einrichtungen des Bildungsunternehmens Universität
Frankfurt nutzt.
Als zielstrebige Arbeitskraftunternehmerin
möchte Annette K. nun ihre Berater und Betreuer im Unternehmen
Universität Mannheim aufsuchen, um ihnen folgendes Angebot zu unterbreiten:
Sie nimmt weniger der angebotenen Dienstleistungen in Anspruch, zahlt dem
Unternehmen aber weiterhin den vollen Preis. Dieses innovative Angebot
verspricht dem Unternehmen Universität Mannheim eine Gewinnmaximierung
durch Rationalisierung des Arbeitsprozesses und Reduzierung der
Prozesskomplexität.
Die Rationalisierungsvorschläge von Annette
K. versprechen dem Unternehmen Universität Mannheim Kostenersparnisse durch
Outsourcing der gesamten Betreuung und eines Teils der Infrastruktur und
Zertifizierung an das Unternehmen Universität Frankfurt.
„Das outsourcende Unternehmen kann so seine
Aktivitäten auf bestimmte Stufen der Wertschöpfungskette
konzentrieren. Damit kann das Unternehmen die Komplexität
reduzieren und die Handlungsfähigkeit und Flexibilität
in den zentralen Geschäftsfeldern
erhöhen.“ 2 Daraus
ergeben sich Kostenvorteile für das Unternehmen:
„ Kosteneinsparungen durch externe Leistungsbeziehung in Höhe
von bis zu 20% sind ein attraktiver Grund für das
Outsourcing.“ 3
2. Analyse des Produktionsablaufs
Um die von Annette K. vorgeschlagenen
Rationalisierungsmaßnahmen umsetzen zu können, muss das Unternehmen
Universität Mannheim seiner Kundin die Erlaubnis erteilen, die Betreuung
und die Erstellung eines der beiden Gutachten für ihre Diplomarbeit im
Unternehmen Universität Frankfurt durchführen zu lassen. Hierfür
muss Annette K. sich bei dem Prüfungsausschussvorsitzenden eine Genehmigung
einholen und einen Gutachter im Bildungsunternehmen Universität Mannheim
finden. Falls sie Schwierigkeiten haben sollte, einen solchen Gutachter zu
finden, ist der Prüfungsausschussvorsitzende dazu verpflichtet, ihr einen
solchen zu stellen.
Der § 7 der Prüfungsordnung des
Unternehmens regelt diese Art des Selective Outsourcings wie folgt:
„(2) Prüfer sind grundsätzlich die
Professoren der Universität M, die als solche Beamte auf Lebenszeit sind,
für das Prüfungsfach, das sie in der Lehre zu vertreten haben. Der
Prüfungsausschuss kann darüber hinaus andere nach dem
Universitätsgesetz prüfungsberechtigte Personen zu Prüfern
bestellen.“
Die offizielle Regelung sieht außerdem eine
sechswöchige Frist für die Anmeldung einer Diplomarbeit vor.
3. Ermittlungen der Hauptschwankungen im
Produktionsprozess
Als Hauptschwankung ließ sich ein
unnötig hoher Einsatz von Humanressourcen ermitteln. Der optimale
Produktionsprozess für die Annahme einer Diplomarbeit sieht die Beteiligung
von fünf Mitarbeitern vor: den Prüfungsausschussvorsitzenden und seine
Sekretärin, einen Professor und seine Sekretärin sowie eine/n
Berater/in.
Annette K. musste jedoch für die erfolgreiche
Bestellung ihres Angebots in einem Zeitraum vom 11.09.2008 bis zum 04.11.2008 (8
½ Wochen), mit einer 17-tägigen Unterbrechung wegen Krankheit
(01.10.08 – 17.10.08), mit neun Sekretärinnen, neun Beratern und elf
Betreuern Kontakt aufnehmen, davon ein Berater und zwei Betreuer aus dem
Unternehmen Universität Frankfurt.
Statt fünf war also der Einsatz von 26
Humanressourcen des Unternehmens Universität Mannheim für die Annahme
der Diplomarbeit notwendig.
Die Ermittlung dieser Prozessschwankungen sollten
Sie als Chance nutzen, durch effiziente und vergleichsweise kostengünstige
Maßnahmen des Human Ressource Management, Kosten zu sparen und
Bürokratie abzubauen. Der sich daraus ergebende Beratungsbedarf kann durch
Experten auf dem Gebiet der Personalentwicklung abgedeckt werden. Diese
können effizient und kostengünstig, den für Ihre international
aufstrebende Exzellenzuniversität effektivsten Produktionsablauf und die
dafür notwendigen personalen Begabungsressourcen ermitteln.
4. Analyse des Sozialen Systems
Führungskräfte
Der Dekan ist für das Personal- und
Qualitätsmanagement der Abteilung/Fakultät zuständig. „Er
[trägt] u.a. dafür die Verantwortung, dass die ProfessorInnen ihren
Lehr- und Prüfungsverpflichtungen nachkommen (...). Gemäß §
24 Abs. 2 des Landeshochschulgesetzes (LHG) steht ihm insoweit ein Aufsichts-
und Weisungsrecht zu, das insbesondere sicherstellt, dass die vom
Fakultätsrat beschlossenen Empfehlungen der Studienkommission umgesetzt
werden.“
Der Vorsitzende des
Prüfungsausschusses
(2) achtet darauf, dass die
Bestimmungen der Prüfungsordnung eingehalten werden. (...). Er gibt
Anregungen zur Fortentwicklung des Studienplans und der
Prüfungsordnung.“
Die autonomieorientierte Arbeitsanalyse weist
daraufhin, dass Arbeitszufriedenheit einen entscheidenden Einfluss auf
Abwesenheit, Fluktuation und Arbeitsleistung hat. Der Führungsstil verlangt
daher eine zielstrebige „Hands-on-Mentalität“, die ein
kreatives und innovatives Arbeiten erst ermöglicht.
Die Mitarbeiter
Die Professoren und ihre Lehrstuhlmitarbeiter
übernehmen die Aufgaben der Betreuung der Kunden und des Erstellens von
Gutachten/Zertifikaten. Entscheidend dabei ist die Einhaltung der
Qualitätsstandards des Unternehmens Universität Mannheim, die das
Centrum für Hochschulentwicklung laut Stern als „ein Paradies
für Soziologen“ bezeichnet: „Auffällig ist der enge
Kontakt der Studierenden untereinander, sowie die intensive Betreuung durch die
Lehrenden.“
Im Paradies ist der Kunde König! Der Kunde
sollte den Eindruck gewinnen aus einem breiten Angebot wählen zu
dürfen, so dass er sich selbstständig für das Richtige
entscheiden kann. Des Weiteren hängen an des Königs Ohr viele Berater,
es gilt also sein Vertrauen zu gewinnen, um ihn so auf die richtige Seite ziehen
zu können.
Die Social Skills Ihrer Mitarbeiter sind
entscheidend für Ihren Unternehmenserfolg!
5. Rollenwahrnehmung der Mitarbeiter und
Führungskräfte
Bei den Mitarbeitern kam es zu die Effizienz
beeinträchtigenden Debatten über die Auslegung des § 7, Absatz 2
der Prüfungsordnung; wobei der konservative Personalstamm die rechtliche
Gültigkeit des vorgeschlagenen Outsourcings anzweifelte, während der
liberale Personalstamm sich an der Umsetzung der
Rationalisierungsmaßnahmen aufgrund von inhaltlichen Bedenken nicht
beteiligen wollte.
Dabei übernahm der
Prüfungsausschussvorsitzende die Rolle „Ich würde Ihnen ja gerne
helfen, aber es geht leider nicht“. Die Professoren, auf ihre
Kernkompetenzen bedacht, wollten an einer für sie irrelevanten
Spezialthematik nicht mitarbeiten. Der Dekan schließlich erwies sich als
Aufklärer: „Es ist eben noch nie vorgekommen, dass jemand zur
Konkurrenz wollte.“. Außerdem „will halt niemand mit der
Konkurrenz zusammenarbeiten“, vor allem weil „die in Frankfurt immer
alles schlecht reden, von wegen Kapitalinteressen und von der WTO
eingefädelt.“
Zu guter Letzt, als sich bei Annette K. bereits
ein nervöses Zucken im rechten Auge bemerkbar machte, genehmigte der Dekan
die externe Betreuung der Diplomarbeit. Vorbildlich zeigte er seiner Kundin die
Problematik der reduzierten Rendite auf und überließ ihr die Freiheit
zu entscheiden. Denn, wenn die Kundin davon überzeugt ist, dass es sich
hierbei um ein lohnendes Re-investment handeln könnte, dann muss sie auch
bereit sein das Risiko zu tragen. Bei selbstständig Studierenden
übernimmt das Unternehmen keine Verantwortung.
Auf Ihrem weiteren Weg zum Erfolg innerhalb des
Bologna-Prozesses empfehle ich Ihnen daher den Besuch des Wochenendseminars
für Hochschulmanager „Professionalisierung durch
Entpolitisierung“ und für das Betreuungspersonal
Weiterbildungsseminare zum Thema „Der Kunde ist
König!“.
Mit freundlichen Grüßen
Dipl. Sozialwissenschaftlerin in spe
Annette K.
Anmerkungen
- Siehe dazu Bundesministerium für Bildung und Forschung
- http://www.4managers.de/themen/outsourcing/
- ebd.
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