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Angriff auf Afrin

Errol Babacan

Einen so verwickelten Krieg wie in Syrien, mit solch häufigen Wechseln in den Bündniskonstellationen und Frontenbildungen hat es wohl selten gegeben. Jüngst erschien der Überfall der türkischen Armee auf das von der kurdischen YPG kontrollierte Afrin als weiterer Wendepunkt. Von ihren westlichen Verbündeten erhielt die Türkei grünes Licht für die „Operation Olivenzweig“: Die Türkei agiere aufgrund legitimer Sicherheitsinteressen, hieß es aus Kreisen der NATO. Sie wurde lediglich zu „Augenmaß“ gemahnt. Ein überzeugender Grund, warum eine Bedrohung ausgerechnet von Afrin ausgehen sollte, wurde nicht genannt. Doch war das Verständnis für das Vorgehen der Türkei auch ein Zeichen, dass die USA ihre Verbündete auf syrischem Boden – die YPG – gänzlich fallen lassen würden? Die Türkei kündigte jedenfalls eine Ausweitung des Feldzugs auf weitere Gebiete unter der Kontrolle der YPG an.

Durchführbar wurde der Überfall indes, weil Syrien seinen Luftraum für die türkische Luftwaffe öffnete. Ob dies wiederum auf Druck Russlands geschehen ist, um der Türkei, mit der es an einem Verhandlungstisch sitzt, ein Zugeständnis zu machen, ist ungeklärt. Anschließend hieß es, die YPG verhandele mit der syrischen Regierung, um Afrin zum Schutz vor der Türkei der syrischen Armee zu übergeben. Nach mehreren Dementis folgte die Entsendung von Milizen, die der syrischen Regierung nahe stehen, nicht jedoch von Armeeeinheiten. Währenddessen ließ die syrische Regierung den Luftraum offen, so dass ihre eigenen Milizen von der türkischen Luftwaffe angegriffen werden konnten.

Afrin ist nur einer von vielen Schauplätzen, an dem ein kaum durchschaubares Taktieren stattfindet. Der zeitweilige Wirrwarr entspricht einem Mehrfrontenkrieg, bei dem kein Akteur das gesamte Feld beherrscht, der Ausgang auch nach sieben Jahren nicht entschieden ist. Die Mindestanforderung zum Verständnis der Geschehnisse um Afrin wie auch an anderen Schauplätzen dieses Krieges ist eine räumliche Dimensionierung auf die Nahostregion und eine zeitliche Einbettung in einen mehrjährigen Kriegsverlauf.

Nach dem bis heute nicht zweifelsfrei geklärten Giftgaseinsatz in Gutha hatten die USA einen direkten Angriff auf Damaskus angekündigt, dann jedoch kurzfristig abgeblasen. Ein Jahr später trat Russlands Luftwaffe in den Krieg ein. Sich ursprünglich im Schlepptau der USA befindend unterstützte die Türkei in den ersten fünf Jahren des Krieges alle möglichen islamistischen Milizen, mit der einzigen Vorgabe, dass sie die syrische Regierung bekämpften. 2015 degradierten die USA die Türkei und koordinierten ihr Vorgehen fortan an erster Stelle mit Saudi Arabien. Kurz darauf konzentrierten sie ihren Einsatz auf die Bekämpfung des IS und setzten dabei auf die YPG, die sie ausrüsteten, Rakka und Syriens Erdölfelder erobern ließen, und mit der sie der syrischen Armee den Landweg zum Irak beziehungsweise die Verbindung zum Iran abzuschneiden versuchten. Letzteres ist zwar nicht gelungen, doch haben die USA sich inzwischen auf dem östlich des Euphrat gelegenen Gebiet militärisch festgesetzt.

Auf sich gestellt war die Türkei gezwungen, den Sturz der syrischen Regierung aufzugeben. Die Bekämpfung der YPG, der mit ihr assoziierten PKK und des faktischen Autonomiegebiets Rojava wurde zur absoluten Priorität. Unerwartet geriet sie damit in Konflikt mit den USA. Sie unterstützte weiterhin islamistische Milizen in der Region um Idlip und versuchte im kleineren Maßstab Boden zu gewinnen. Nach der Etablierung des sogenannten Euphrat Schutzschildes ist die Eroberung Afrins der zweite Akt, den die Türkei über Monate vorbereitet hatte.

Sofern die Konstellation es zulässt, ist nicht auszuschließen, dass sie noch weiter vorrücken wird. Schließlich kreuzen sich in Syrien lokale, regionale und globale Strategien, wodurch immer wieder neue Spielräume entstehen. Die YPG beziehungsweise die mit arabischen Einheiten verstärkte SDF sind für die USA ein Fuß, den sie auf bisher unkontrolliertes Territorium setzten. Dass sie an der YPG trotz erheblicher Spannungen mit der Türkei festhalten, lässt sich nach der Zerschlagung des IS damit erklären, dass die Eindämmung oder Schwächung des Iran weiterhin oder wieder ihr wichtigstes Ziel in der Region ist. Dass der YPG beziehungsweise der mit ihr assoziierten PKK hierin eine langfristige Rolle beigemessen wird, steht zu vermuten.

Was bedeutet vor diesem Hintergrund der Angriff auf Afrin? Falls die Türkei Afrin erobert, möglicherweise weiter vorrückt, schwächt sie in erster Linie die YPG. Damit vertieft sie am ehesten die Abhängigkeit der YPG von den USA und erhöht deren Distanz zu Russland. So gesehen steht der Vorstoß der Türkei nicht unbedingt im Widerspruch zu den Zielen der USA: Solange die Türkei „mit Augenmaß“ vorgeht und am Ufer des Euphrat halt macht.

Errol Babacan ist Politikwissenschaftler und Mitherausgeber von Infobrief Türkei.

© links-netz März 2018