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Die Populismuskeule

Andreas Böhm und Joachim Hirsch

„Populismus“ ist inzwischen zu einem der gängigsten Schlagworte in der politischen Auseinandersetzung geworden. Und er dient immer stärker als Kampfbegriff. Hintergrund dafür ist der Wandel, den die liberaldemokratischen Systeme im Gefolge der Krise des fordistischen Nachkriegskapitalismus und der darauf folgenden neoliberalen Offensive seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts durchgemacht haben. Mit der Deregulierung des grenzüberschreiten Waren- und Kapitalverkehrs und dem Aufstieg international operierender Konzerne zu maßgebenden Akteuren haben sich die Staaten einem verstärkten Konkurrenzdruck ausgesetzt. Als „Wettbewerbsstaaten“ sehen sie sich gezwungen, dem global flexiblen Kapital möglichst günstige Verwertungsbedingungen anzubieten. Dies umfasst vielfältige Manöver zur Senkung der Löhne, eine damit verbundene Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, den Abbau der sozialen Sicherungssysteme, die Lockerung des Umweltschutzes und vieles andere mehr. Das Ziel war eine massive Erhöhung der Kapitalprofite und dieses wurde auch erreicht. Eine Folge davon sind starke Verschiebungen der Einkommens- und Vermögensverteilung von unten nach oben. Die Abhängigkeit der Regierungen vom internationalisierten Kapital hat dazu geführt, dass sich die staatliche Politik vielfach gegen die Interessen breiter Bevölkerungsschichten richtet und diese sich von einer mehr oder weniger formell existierenden großen Koalition der herrschenden Parteien kaum mehr vertreten fühlen können. Die Folgen dieser Krise der Repräsentation sind bekannt: massive gesellschaftliche Spaltungs- und Ausgrenzungsprozesse, eine um sich greifende „Politikverdrossenheit“ und wachsendes Misstrauen gegen „die da oben“. Diese Entwicklung macht sich bis tief in die so genannten Mittelschichten hinein bemerkbar. Statusängste, ökonomische Verunsicherung und die Bedrohung traditioneller Lebensweisen durch immer schnellere gesellschaftliche und technische Umwälzungen machen sich auch hier bemerkbar.

Vor diesem Hintergrund sind der Aufstieg und die Ausbreitung rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen zu sehen, wodurch das ehemalige, die fordistische Nachkriegsphase kennzeichnenden System der „Volksparteien“ erodiert ist. Die AnhängerInnen der rechten Parteien rekrutieren sich allerdings nicht, wie oft behauptet wird, nur aus Marginalisierten und sozial Abgehängten, sondern sehr wesentlich auch aus dem Feld der traditionell orientierten Mittelklassen. „Rechtspopulismus“ ist dadurch charakterisiert, dass systematisch auf einen Gegensatz zwischen dem einfachen „Volk“ und den herrschenden „Eliten“ gesetzt, mit der Konstruktion von rassistisch-fremdenfeindlichen Feindbildern und nationalistischen Parolen mobilisiert und ein rückwärtsgewandtes, teilweise vorbürgerliches Gesellschaftsbild propagiert wird. Dabei wird mit einem Wahrheitsanspruch operiert, der nicht wissenschaftlich oder demokratisch begründet ist, sondern sich auf einen imaginierten „Volkswillen“ bezieht (Stegemann). Der Front National in Frankreich, US-Präsident Trump, Wilders in den Niederlanden, die FPÖ in Österreich sowie AfD und Pegida hierzulande sind die bekanntesten Beispiele dafür.

Die so genannten „Eliten“, d.h. die Führungen der etablierten Parteien, große Teile der Managerklasse, Medien und liberale Intellektuelle sind sich einig im Kampf gegen die vom Rechtspopulismus ausgehende Bedrohung der bestehenden politischen, sozialen und kulturellen Ordnung. Dabei ist allerdings eine bemerkenswerte Diskursverschiebung feststellbar. Möglich macht dies die Schwammigkeit des Begriffs „Populismus“. Er ist schon deshalb analytisch wenig tauglich, weil darunter in der Regel außerordentlich unterschiedliche Phänomene zusammengefasst werden. Denen soll gemein sein, dass sie einfache, populären Ansprüchen entgegenkommende Antworten auf komplizierte Fragen geben. Genauer betrachtet sagt das aber wenig. Sind einfache Antworten nicht oft richtig? Und ist der immer wiederkehrende Verweis der herrschenden Eliten auf unhinterfragbare Marktzwänge nicht auch eine Vereinfachung auf der Grundlage unbeweisbarer Prämissen? Bernd Stegemann spricht daher von einem „liberalen Populismus“. Dies ist in jedem Fall eine kluge Polemik – aber auch ein tragfähiger Begriff? Eine antiinstitutionalistische Politik „von unten“ verfolgen die (Neo-) Liberalen sicher nicht. Was die populären Ansprüche angeht, gehört es ja eigentlich zu den Aufgaben der politischen Repräsentanten, solche zu vertreten. Ganz zutreffend hat daher Ralf Dahrendorf darauf hingewiesen, dass was für die einen Populismus für die anderen Demokratie sei. Im Hinblick auf die rechten Parteien und Bewegungen wird „Populismus“ wohl auch deshalb verwendet, um irgendwie die Differenz zum überkommenen Rechtsextremismus a la NPD zu markieren. Ob sich diese neuen Rechten selbst als populistisch verstehen oder nicht, scheint dabei nicht wichtig zu sein. Im Hinblick auf die Linke werden mit „Populismus“ durchaus auch Parteien und Positionen bezeichnet, die populistische Strategien ausdrücklich für sich in Anspruch nehmen („Podemos“ – zumindest in ihren Anfängen, „La France insoumise“ um den französischen Präsidentschaftskandidaten Mélenchon, die Populismustheoretiker Ernesto Laclau und Chantal Mouffe). Diese verstehen darunter allerdings ein radikaldemokratisches Projekt, das mit den liberal-demokratischen Freiheiten verträglich ist. Als „populistisch“ werden aber auch Linke bezeichnet, die populistische Ausrichtungen dezidiert ablehnen (wie überwiegend die Partei „Die Linke“). Man sieht: In der Regel wird das selbst recht unbestimmte Wort „Populismus“ verwendet, um eine Reihe von Positionen miteinander zu verketten, die man ablehnt. Damit wird es den „leeren Signifikanten“ ähnlich, die Laclau/Mouffe zufolge dazu dienen, Populismen affirmativ als Ganzheiten zu repräsentieren („Peronismus“, „Chavismus“). Wir gegen sie – vernünftige liberale Demokraten gegen die primitiven Populisten von rechts und links.

Die Unbestimmtheit des Populismusbegriffes erlaubt mannigfaltige Verwendungen in der politischen Debatte. Weil er höchst undifferenziert und verallgemeinernd gebraucht wird, kann er selbst auf diejenigen zielen, die sich für etwas mehr Demokratie einsetzen. Siehe einsetzen. Siehe Dahrendorf. Sogar der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Schulz hat sich den Populismusvorwurf eingehandelt, als er die Absicht kundtat, minimale Veränderungen an der Hartz IV-Gesetzgebung anzustreben, die immerhin von einer großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird. Ähnliches trifft die Linkspartei, wenn sie etwas grundsätzlichere Veränderungen der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung anstrebt. Oder ein anderes Beispiel: bei der Ankündigung der diesjährigen, mit „Die Ohnmacht der Aufklärung“ betitelten Frankfurter Römerberggespräche ist schlicht nur noch von „Populisten“ und „Radikalisierern“ die Rede. Gegen diese wird gemeinhin eine gesellschaftliche „Mitte“ beschworen, deren materielle Basis dank der bestehenden ökonomischen Ordnung allerdings gerade geschwächt wird und die deshalb rechtspopulistischen Anrufungen zugänglich ist. Von diesen Entwicklungen, überhaupt von Ökonomie ist bei den Vorträgen auf dieser Veranstaltung freilich nicht die Rede. Es ist also gang und gäbe, den Populismusvorwurf unterschiedslos gegen rechts und links zu wenden. Auf diese Weise gilt als „Populismus“ dann auch alles, was Demokratie im Sinne einer wirksamen Beteiligung aller und einer Berücksichtigung virulenter gesellschaftlicher Interessen anstrebt. Er richtet sich damit gerade auch gegen diejenigen, die versuchen, dem entgegenzuwirken, was den Rechtspopulismus befördert. Eine eher seltene Ausnahme ist Heribert Prantl, der in seinem neuesten Buch darauf hinweist, dass „Populismus“ in dem Sinne, dass die Repräsentanten die Interessen derer wahrnehmen und berücksichtigen, die sie vertreten ein notwendiger Bestandteil der liberalen Repräsentativdemokratie ist. Das unterscheide demokratischen Populismus von populistischem Extremismus. Dabei bleibe dahingestellt, ob es gerade wegen der Unbestimmtheit des Begriffs sinnvoll ist, von „demokratischem Populismus“ statt von Interessenvertretung zu reden. Eine Debatte über diesen Zusammenhang, wie sie etwa in Frankreich geführt wird, gibt es hierzulande praktisch nicht. Auf diese Weise wird der Populismusdiskurs zu einem Instrument, das dazu dient, sicherzustellen dass alles so bleibt wie bisher. Demokratische Bestrebungen werden insgesamt bekämpft. Man kann das Populismuskeule nennen. Der herrschende Populismusdiskurs ist somit Bestandteil des autoritären Neoliberalismus. Zugleich dient die schwammige Verwendung Populismusbegriffs dazu, den Rechtsradikalismus zu verharmlosen, der rechtspopulistische Parteien und Bewegungen sehr wesentlich prägt.

Eine Rechtfertigung für diese Verwendung des Populismusbegriffs liefern scheinbar einige Wahlergebnisse in jüngerer Zeit: das BREXIT-Votum der Briten, die Wahl von Donald Trump oder die Erfolge des Front National in Frankreich, ganz abgesehen von den Mehrheiten, die in Ungarn und Polen die Abschaffung demokratisch-rechtsstaatlicher Verhältnisse legitimiert haben. Daraus einen Zweifel an der Vernunft des Wahlvolks abzuleiten, geht allerdings in die Irre. Dabei wird der Zustand der politischen Öffentlichkeit nicht berücksichtigt, der durch mächtige Medienmonopole, durch mit viel Geld finanzierte Kampagnen und die Wirksamkeit herrschaftskonformer Think Tanks gekennzeichnet ist, die ihre eigenen Interessen verfolgen und dabei Entscheidendes zum Ausgang der Abstimmungen beigetragen haben. Wenn also über die Populismusgefahr geredet wird, müsste das ein zentrales Thema sein. Ist es aber bestenfalls am Rande.

Inzwischen hat es sich selbst bei den einschlägigen internationalen Wirtschaftsorganisationen, etwa beim IWF oder der OECD herumgesprochen, dass mit der einst hoch gepriesenen „Globalisierung“ und der dieser zugrunde neoliberalen Strategie einiges schief gelaufen ist. Etwa was die Einkommens- und Vermögensverteilung angeht. Das führt zu einem Appell an die Regierungen, ihre Politik zu modifizieren, also an die, deren Spielräume durch die neoliberale Deregulierung bereits massiv eingeschränkt worden sind. Die Herrschenden sollen ihre Politik etwas modifizieren, damit alles beim Alten bleibt. Vom internationalisierten Kapital, dem global herrschenden Machtblock ist dabei nicht die Rede. Und schon gar nicht von Demokratie. Das wäre schließlich Populismus.

Literatur:

Ralf Dahrendorf, Acht Anmerkungen zum Populismus, in: Transit, Nr.2, 2003

Heribert Prantl, Gebrauchsanweisung für Populisten, Salzburg 2017

Bernd Stegemann, Der liberale Populismus und seine Feinde, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 4, 2017

© links-netz Mai 2017