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Simples Freund-Feind-Denken

Wer linke Kritik am Ressourcenextraktivismus in Lateinamerika ablehnt, macht es sich zu einfach

Ulrich Brand und Kristina Dietz

Mitte August entschied Ecuadors Präsident Rafael Correa, das Öl im Yasuní-Nationalpark im amazonischen Tiefland zu fördern – trotz aller Proteste und einer beachtlichen gesellschaftlichen Mehrheit, die die Ausbeutung der Ölreserven in diesem Regenwaldgebiet ablehnt. Damit endet vorerst ein viel beachteter Gegenentwurf zum fossilen Kapitalismus. Dieser bestand darin, gegen Zahlungen aus dem Norden die im Nationalpark Yasuní vorhandenen Erdölvorkommen nicht zu fördern. Ziel war der Schutz eines biologisch hochsensiblen Ökosystems und der dort lebenden indigenen Menschen sowie die Formulierung und Umsetzung einer Praxis »nach dem Öl«. (Siehe ak 572)

Mit dieser Entscheidung werden die Widersprüche des aktuellen, vornehmlich auf Ressourcenextraktion beruhenden Entwicklungsmodells in Lateinamerika auf eine neue Stufe gehoben. Seit der Ankündigung Correas, das Öl im Yasuní zu fördern, wird in unterschiedlichen Orten Ecuadors dagegen protestiert. Die Antwort der Regierung hierauf sind Repression, gesellschaftlicher Ausschluss und massive Einschränkungen politischer Rechte. Jugendlichen wird gedroht, bei Beteiligung an Demonstrationen nicht an den Universitäten zugelassen zu werden, und jüngst wurden die Vorstellung und der Verkauf eines Buchs gerichtlich gestoppt, in dem über die Ermordung von Mitgliedern einer indigenen Gruppe im März dieses Jahres im Yasuní berichtet wird.

Diese Ereignisse lassen sich als Teil einer »lateinamerikanischen Paradoxie« interpretieren. Zwar stehen die progressiven Regierungen nach jahrzehntelanger neoliberaler Strukturanpassung für die Rückkehr des in die Wirtschaft intervenierenden und umverteilenden Staates und ausgeweitete Sozialpolitik. Gleichzeitig vertiefen sie jedoch die Abhängigkeit von Rohstoffexporten, die in den Ländern Lebenswelten zerstören und immer größere Teile der Bevölkerung in die Abhängigkeit von staatlichen Sozialprogrammen treiben. Die wachsenden innergesellschaftlichen Debatten und Proteste drehen sich genau darum, wie Sozialleistungen nachhaltiger aus anderen Quellen finanziert werden können als aus Bergbau und Ölförderung. Damit soll unter anderem statt der Abhängigkeit von den weltmarktdiktierten Rohstoffpreisen wirkliche nationale oder regionale Souveränität erreicht werden. Darüber hinaus geht es um die Umverteilung von Reichtum, Landbesitz und Produktionsmitteln, um statt Abhängigkeit von staatlichen Sozialhilfeprogrammen Emanzipation zu ermöglichen.

Diese Paradoxie hat viel mit Kapitalismus zu tun, nämlich mit relativ hohen Weltmarktpreisen für Rohstoffe, mit der starken Nachfrage in den Industrie- und Schwellenländern. Und es hat viel mit progressiven Regierungen zu tun, welche die Umverteilungsspielräume nutzen. Doch bislang verhindert dieser als Neo-Extraktivismus bezeichnete Entwicklungsweg den Umbau zu einer Wirtschaftsstruktur, die weniger vom kapitalistischen Weltmarkt abhängt, sondern in der Binnenmarkt und solidarische Ökonomie eine zentrale Rolle spielen und in der sozial-ökologische Fragen ernst genommen werden. Letztere sind nicht der Spleen von Öko-Freaks aus dem Norden, wie jüngst Benjamin Beutler in einem Artikel für die junge Welt formulierte,1 sondern Überlebensfragen. Wo Gold abgebaut wird, sind Flüsse kontaminiert, ganze Landstriche kaputt, ist ein gutes Leben kaum mehr möglich. Und die Welt benötigt kein Gold: Der Großteil verschwindet in irgendwelchen Tresoren, für High-Tech-Produkte ist längst genug vorhanden.

Denunziation der Arbeit des RLS-Andenbüros

Wie gehen wir als europäische Linke politisch mit dieser Paradoxie um? Wie positionieren wir uns gegenüber den sich zuspitzenden Kontroversen vor allem in jenen Ländern, deren Regierungen mit emanzipatorischen Transformationsversprechen angetreten sind und nun bisweilen Autoritarismus verkörpern?

Im linken politischen Spektrum ist hierzu eine Haltung weit verbreitet (die wir nicht für links im Sinne von emanzipatorisch halten), nach der eine scharfe wie solidarische Kritik an politischen Entscheidungen und Handlungen progressiver Regierungen in der Region, insbesondere jener in Venezuela, Bolivien und Ecuador, als konterrevolutionär eingestuft wird. Das Motto ist einfach: wenn du nicht mein Freund bist, bist du mein Feind. Politische GegnerInnen werden so zu Feinden, KritikerInnen zu Werkzeugen des Imperialismus oder der rechten Eliten.

Diese Haltung spiegelt sich in dem oben zitierten Artikel Beutlers. In diesem Artikel beschäftigt sich der Autor mit zwei Interviews, die mit der Leiterin des Andenbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) – Miriam Lang – mehr als drei Monate zuvor in La Paz geführt wurden und in denen sie sich zu den Ambivalenzen eines rohstoffbasierten Entwicklungswegs, äußert.2 Beutler interpretiert Langs Darstellungen so, dass sie den Linksregierungen »per Handstreich den falschen Entwicklungsweg« unterstelle.

Er schätzt die Debatte mit progressiven Regierungen in den Andenländern und die Bezugnahme darauf hierzulande so ein: »Wachstum und Entwicklung werden nicht als Bedrohung abgelehnt, sie sind Überlebensfragen. Statt konstruktiver Solidarität mit der Verstaatlichung von Bodenschätzen und Ermunterung zur Umverteilung der Rohstoff-Rente durch Sozialprogramme an die Ärmsten gibt es von der RLS schlechte Ratschläge.« Von diesen, so deutet er am Ende seines Beitrags an, profitiere letztendlich die Rechte, die sich bereits die Hände reibe.

Was aber motiviert Benjamin Beutler eigentlich zu seinem Beitrag? Die zunehmenden innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Konflikte in den Andenländern um Fragen gesellschaftlicher Entwicklung, Demokratie und Naturausbeutung sowie die teilweise repressiven Antworten der progressiven Regierungen hierauf sind es offenbar nicht, denn die werden den LeserInnen vorenthalten. Uns drängt sich daher der Eindruck auf, dass er seinen Artikel mit der Intention verfasst hat, die Arbeit des Andenbüros der RLS zu denunzieren.

Aus einer emanzipatorischen linken Perspektive halten wir Beutlers Interpretationen sowie die oben erwähnte Position für gefährlich – ohne damit die Gefahren, die von der politischen Rechten innerhalb der genannten Länder ausgehen, negieren zu wollen. Das Schwarz-Weiß-Denken ist funktional für die Rechte und ein Desaster für solidarische Kritik, welche nicht die Errungenschaften der letzten Jahre infrage stellt, aber Auswege aus dem extraktivistischen Modell sucht. Auswege, die einen Umbau der Produktions- und Lebensweise im globalen Norden beinhalten.

Der Neo-Extraktivismus ist auch vor Ort höchst umstritten

Wir formulieren unsere Position auf der Grundlage jahrelanger Forschungen in und zu Lateinamerika. Gleichzeitig bewegen wir uns wissenschaftlich und politisch im Umfeld der RLS. Dadurch wissen wir sehr gut, dass gerade die RLS sich gegen diese falschen Frontlinien stellt. Im Gegenteil, mit ihrer Arbeit schafft sie in der Andenregion ein plurales Forum für Debatten, in denen um die aktuellen und künftigen Dynamiken gesellschaftlicher »Entwicklung« höchst kontrovers gestritten wird. Aus einer linken Perspektive, die es ernst meint mit Demokratie, sozio-ökonomischem Fortschritt, ökologischen Fragen und dem Abbau von Herrschaftsverhältnissen und sozialen Ungleichheiten kann ein solches Öffnen von Räumen gar nicht hoch genug bewertet werden. Diese Räume fehlen nämlich dringend.

Die im Untertitel des Artikels von Benjamin Beutler formulierte Annahme, dass in Bolivien die Ausdehnung der Gas- und Ölförderung sowie des Bergbaus unverzichtbar für Armutsreduzierung, Industrialisierung und Souveränität seien, ist in den Ländern selbst – hierauf verweisen die aktuellen Entwicklungen in Ecuador – extrem umstritten.

Der junge-Welt-Autor ignoriert völlig, dass der neo-extraktivistische Entwicklungsweg gleichzeitig attraktiv und hochgradig umstritten ist – und zwar in Lateinamerika selbst. Sein undifferenzierter und diffamierender Artikel reproduziert einen alten Topos. Die soziale Wirklichkeit wird negiert und – so Klaus Meschkat an anderer Stelle – »man identifiziert sich wieder einmal mit Staatsführungen und staatstragenden Parteien, weil sie den real möglichen Fortschritt erkämpfen wollen«.3

Kritik, linke Bewegungen und Widerstand schaden da nur. Wir benötigen aber das Gegenteil: die Anerkennung der Widersprüche, der linken Kritik in den Ländern, um eben nicht genutzte Spielräume auszuloten und die vielfältigen Probleme auch wirklich anzugehen. Wir benötigen die Öffnung von Diskussionsräumen, nicht deren Schließung.

Dieser Text erschien auch in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 587 (15.10.2013)

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, Kristina Dietz arbeitet zu politisch-ökologischen Fragen in Lateinamerika an der FU Berlin. Beide sind Mitglied einer internationalen Forschungsgruppe zum Thema Ressourcenextraktivismus in Lateinamerika.

Anmerkungen

  1. »Kein guter Rat für La Paz«, junge Welt vom 14.8.2013.Zurück zur Textstelle
  2. Bei dem einen Gespräch handelt es sich um ein Radiointerview, das im Morgenprogramm Mapamundi, einem populären Bildungsradios in La Paz, ausgestrahlt wurde, bei dem anderen um ein Interview mit der bolivianischen Tageszeitung »La Razón«, das am 19. Mai 2013 erschien.Zurück zur Textstelle
  3. Klaus Meschkat: Buen Vivir als partizipativer Gegenentwurf. In: LuXemburg 16, 2/2013.Zurück zur Textstelle
© links-netz November 2013