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Globales Umweltmanagement als verlorene Hoffnung

Rio plus 20 – mögliche Neuorientierungen und falsche Versprechen

Ulrich Brand

Vor genau 20 Jahren, im Juni 1992, fand in Rio de Janeiro die UNO-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung statt, bei der der Begriff sustainable development (nachhaltige Entwicklung) zu einer wichtigen politischen Orientierung ausgerufen wurde. Es ging damals um nicht weniger als um die Versöhnung von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Rio 1992 brachte neben einer allgemein gehaltenen „Erklärung von Rio“ an konkreten Ergebnissen die Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention sowie des globalen Abkommens zum Schutz und zur nachhaltigen wie auch gerechten Nutzung der biologischen Vielfalt; die über 350 Seiten dicke Agenda 21 formulierte umfassende Ziele und Strategien.

Der 20. Jahrestag der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung ist Anlass, wie schon bei „Rio plus 5“ in New York und „Rio plus 10“ in Johannesburg über Erfolge und Misserfolge zu beraten. Im kommenden Juni wird die „Rio plus 20“-Konferenz stattfinden. Allerdings scheint sich die Einsicht über die Grenzen des „Rio-Typus“ internationaler Politik durchzusetzen. Allzu naives Hoffen ist dieses Mal nicht zu erwarten. Aber wer weiß? Die internationale Diplomatie ist immer wieder zu ungeahnten Schönfärbereien in der Lage.

Klar ist: Irgendwie geht es seit damals mit nachhaltiger Entwicklung nicht voran: Die CO2-Emissionen steigen, der Klimawandel wird nicht bekämpft, der Verlust an biologischer Vielfalt nimmt zu. Das Soziale entwickelt sich auch nicht nachhaltig, sondern Hunger und Verarmung, soziale Polarisierung und Ausschluss wachsen in vielen Ländern. Der vielbeschworene „Geist von Rio“ ist erloschen.

Ob das konkrete Ereignis es Mitte Juni 2012 prominent in die globale Öffentlichkeit schafft, ist angesichts der Unwägbarkeiten der Weltgeschichte und des medialen Betriebs eine offene Frage. In Europa haben wir ein medial ungleich wichtigeres Ereignis, nämlich die Fußball-Europameisterschaft. Nicht auszudenken, wenn um die Rio-Konferenz herum die deutsche Nationalmannschaft in der Vorrunde oder im Viertelfinale scheitert. Dann ist Krise.

Doch zunächst ein kurzer Blick zurück: 1992 sollte kurz nach dem Mauerfall die internationale Politik neu ausgerichtet werden. Die vielbeschworene „Doppelkrise von Umwelt und Entwicklung“ sollte angegangen werden, nachdem das bis dato überragende Handlungsdispositiv – der Ost-West-Konflikt – sich aufgelöst hatte. Der seit Mitte der 1980er Jahre in Fachkreisen zunehmend verwendete Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ wurde mit Rio zum neuen Leitstern internationaler, nationaler und lokaler Politik. JedeR weiß heute etwas von den „drei Säulen der Nachhaltigkeit“ und dass „wir“ da irgendwas versöhnen müssen – vor allem „Wirtschaft“ und „Umwelt“.

Der Modus der Weltkonferenzen, von denen Rio 1992 den Anfang bildete, sollte die globalen Probleme auf der Höhe der Zeit diskutieren und Formen der kooperativen Bearbeitung anregen oder gar völkerrechtlich festschreiben. Auf Rio 1992 folgte UN-Konferenzen 1993 in Wien zu Menschenrechten, 1994 in Kairo zu Bevölkerungsentwicklung, 1995 fanden in Kopenhagen der „Weltsozialgipfel“ und in Beijing die Weltfrauenkonferenz statt. 1996 traf man sich in Istanbul zum Thema Wohnen. 2.400 VertreterInnen von zivilgesellschaftlichen Organisationen nahmen am offiziellen Treffen teil und über 15.000 TeilnehmerInnen am parallel stattfindenden NGO-Forum.

Bemerkenswert war, dass es als Ergebnis nicht nur eine umfassende „Erklärung von Rio“ und ein anregendes, über 350 Seiten starkes Kompendium der „Agenda 21“ gab. Letztere war Vorlage für viele „Lokale Agenda 21“-Prozesse. Es lagen auch zwei Verträge zur Unterschrift aus, die seit Ende der 1980er Jahre verhandelt wurden, in und nach Rio von Regierungen unterzeichnet wurden und dann in der Tat Ende 1993 bzw. im März 1994 völkerrechtlich verbindlich in Kraft traten: Die Konvention über biologische Vielfalt und die Klimarahmenkonvention. Beide sind heute jene UN-Verträge mit den meisten Unterschriften durch Regierungen und mit Ratifizierungen durch die nationalen Parlamente. Und beide wurden zwar von der US-Regierung nach langem Zögern unterschrieben, dann aber nicht ratifiziert. Die USA sind damit bei beiden Vertragswerken Verhandlungspartner, aber sie selbst sind an die Beschlüsse nicht gebunden.

Das Kyoto-Protokoll der Klimarahmenkonvention wurde 1997 abgeschlossen und trat nach endlosen diplomatischen Mätzchen 2005 in Kraft (um 2012 schon wieder auszulaufen). In Rahmen der Biodiversitätskonvention gibt es zwei Protokolle: Das Cartagena-Protokoll zum grenzüberschreitenden Umgang mit gentechnisch veränderten Lebewesen, das im Jahr 2000 beschlossen wurde und seit 2003 in Kraft ist; und das Nagoya-Protokoll mit Regelungen vom Zugang zu genetischen Ressourcen und dem sog Vorteilsausgleich aus ihrer Nutzung wurde im Jahr 2010 vereinbart.

Kaum eingestandene strukturelle Probleme des Rio-Prozesses

Um die Wirkungen von Nachhaltigkeitspolitiken, der beiden Konventionen wie auch der Agenda 21 einzuschätzen, gab es lange Zeit in diplomatischen Kreisen das Spielchen „das (optimistische) Glas ist schon halbvoll!; nein, das (realistische) Glas ist noch halb leer!“. Die optimistischen Stimmen wiesen darauf hin, dass es sich eben um langfristige Prozesse handle und man die komplizierten Aushandlungsprozesse nicht überfordern dürfe. Den realistischen Stimmen ging es nicht schnell genug. Seit etwa 2005 und der Publikation des Millennium Ecosystem Assessment dämmert es immer mehr ProtagonistInnen und BeobachterInnen der Prozesse, dass die Implementierung der international verabredeten Politiken nicht voran kommt. Die Hoffnung löst sich auf. Die Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen war ein Vorgeschmack; mit dem jüngsten Ausstieg Kanadas aus dem Kyoto-Protokoll hat ein Land, das mit einer liberalen Regierung immer zu den Antreibern der Prozesse zählte, unter konservativer Ägide nun den nationalen Interessen ganz ausdrücklich Vorrang eingeräumt – dem nationalen Interesse nämlich, nicht für die Versäumnisse in der Klimapolitik auch wirklich einstehen, d.h. einige Milliarden Dollar bezahlen zu müssen.

Doch die Kritik am „Rio-Typus“ von Politik ist wesentlich älter und lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

  • Es dominiert eine falsche Vorstellung, dass die Regierungen im Modus der internationalen Kooperation wirkungsvolle politische Instrumente entwickeln könnten – eben als eine Art globales Umwelt- und Ressourcenmanagement. Die vielfältigen Konflikte um die Aneignung der Natur und die politische Ökonomie von Umwelt- und Ressourcenpolitik in Form eines tief verankerten industriell-fossilistischen Kapitalismus werden damit unterschlagen;
  • internationale Politik basiert auf der vermeintlichen Homogenisierung pluraler Bevölkerungen und ihrer unterschiedlichen Erfahrungen in „nationaler Interessen“, die von Regierungen repräsentiert werden und durch harte Verhandlungen mit „Menschheitsinteressen“ kompatibel gemacht werden. Auch wenn von gesellschaftlich breit verankerten (hegemonialen) Orientierungen und Praktiken ausgegangen werden kann -Orientierungen an Wirtschaftswachstum, Praktiken der Automobilität, des Fleischkonsums-, so schottet sich dieser Politiktypus gegen mannigfaltige Anliegen und Erfahrungen wie etwa gegen feministische Kritik und Politik ab;
  • die Problemdeutungen („Menschheitsprobleme“ wie Umweltzerstörung, Ressourcenknappheit, Armut) und die davon ausgehenden Politiken sind einer westlich-rationalistischen, naturwissenschaftlichen und männlich-bürokratischen Perspektive verhaftet. Auch wenn es etwa in der Biodiversitätskonvention zur Anerkennung des Wissens lokaler Bevölkerung und indigener Gemeinschaften kam, war dieses Wissen nie relevant für die politischen Prozesse als solche;
  • es kam im Rio-Prozess insgesamt zu einer zunehmenden Engführung in den Verhandlungsprozessen auf Umweltfragen zu Lasten entwicklungs- und wirtschaftspolitischer Fragen. In der Biodiversitätspolitik lässt sich jedoch eine Verknüpfung zwischen Ressourcen- und Wirtschaftspolitik feststellen – nämliche der Konsens, dass die ökonomische Inwertsetzung der Natur in Form der genetischen Ressourcen allen etwas bringe- Damit wurden die diplomatischen Konflikte auf jene der Verteilung der Rente aus dem „grünen Gold der Gene“ enggeführt („Schutz durch nachhaltige Nutzung“).
  • Die wirkungsmächtigen Prozesse der neoliberalen Globalisierung – die sich politisch-institutionell in der Gründung der WTO 1995 äußerten – spielten keine Rolle in den Post-Rio-Prozessen. Der diplomatische Optimismus wurde vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan 2002 zur „Rio+10“-Konferenz in Johannesburg auf die Spitze getrieben – „wir müssen die Globalisierung für nachhaltige Entwicklung nutzen“.
  • die neoliberale Globalisierung bedeutete nicht nur eine Schwächung von Staaten in sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen, sondern eine Intensivierung der ökonomischen und teilweise imperialen Konkurrenz, welche die kooperative Bearbeitung von Umweltfragen in den Schatten stellte;
  • die Militarisierung der Weltpolitik: Eineinhalb Jahre vor Rio fand der Golfkrieg statt und in den 1990er Jahren kam es zu mehreren weiteren Kriegen. Das spielte in den internationalen Verhandlungen keine Rolle;
  • und schließlich kommen die Formen des globalen Umweltmanagements an die imperiale Produktions- und Lebensweise nicht heran, die es im Kern ja grundlegend zu verändern gilt.

Die „Strukturblindheit“ des Rio-Prozesses verlängerte sich ins nächste Jahrhundert. So wie in den 1990er Jahren neoliberale Globalisierung und Militarisierung politisch irrelevant für den Rio-Prozesse blieben und der Globalisierungsprozess wenig später sogar positiv umgedeutet wurde (vgl. Kofi Annan), so war es ab 2000 der Aufstieg der Schwellenländer, der im letzten Jahrzehnt zu einer neuen geopolitischen und geoökonomischen Konstellation führte – und der den Modus von Einsicht und Kooperation immer stärker ad absurdum führte. Er ist ein Grund dafür, warum Regierungen wie die indische auf ihre Verschmutzungsrechte in Sachen CO2-Emissionen pochen, da es sich um das vermeintliche Recht auf Entwicklung handelt. Die internationalen umweltpolitischen Institutionen wurden zu Terrains, auf denen zunehmend geopolitische und geoökonomische Konflikte ausgetragen wurden (Wissen 2010). Die wachsende Konkurrenz führt auch dazu, dass die EU stärker Ressourcenpolitik betreibt, damit die materiellen Grundlagen der europäischen Industrie gesichert bleiben – aber nicht unbedingt Ressourcenschutzpolitik.

Die herrschende Argumentation in Ländern wie Deutschland ist weiterhin, dass zum einen Umwelt- und Ressourcenpolitik zu ökologischen Innovationen und Modernisierung führen müssen, um die Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden – oder im besten Fall diese gar zu erhöhen. Zum anderen sei ein Land wie Deutschland ohnehin global gesehen zu unbedeutend und hinsichtlich der Energie- und Ressourceneffizienz in einer führenden Rolle. Es gehe um Umwelt- und Ressourcenschonung in jenen (ökonomisch weniger entwickelten) Ländern und Regionen, in denen der „Grenznutzen“ höher sei. Dass die Senkung der CO2-Emissionen vor allem darüber erreicht wurde, indem schmutzige Produktion verstärkt in anderen Ländern stattfindet, wird häufig ausgeblendet.

Rio plus 20 und neue Konstellationen

Inwiefern „Rio 2012“ mehr als eine gigantische Roadshow der vor politischem und wirtschaftlichem Selbstbewusstsein strotzenden brasilianischen Regierung werden wird, muss sich zeigen. Der geringe diplomatische Stellenwert wird daran deutlich, dass am brasilianischen Zuckerhut die Delegationen und wahrscheinlich einige Staatschefs sich gerade mal drei Tage treffen. Das reicht dann meist nur für Schaufensterreden. Auf vielen UNO-Konferenzen stehen die zwei oder drei Tage des „Ministersegments“ der Schaufensterreden am Ende von über einer Woche diplomatischer Verhandlungen. Das wäre an sich nicht schlimm – sieht man von der schwerwiegenden Tatsache ab, dass in einem Land wie Brasilien der herrschende nicht-nachhaltige Entwicklungskonsens abgesichert wird -wenn zumindest im Vorfeld intensive Debatten darüber geführt werden, warum der Rio-Prozess, trotz aller Erfolge im Einzelnen, weitgehend gescheitert ist – und was Alternativen dazu sind.

Dies wird kaum geschehen. Und doch gibt es zwei wichtige Entwicklungen, die Rio 2012 Bedeutung geben könnten: Das Scheitern des Kyoto-Protokolls und die enorme Dynamik, mit der die Strategie einer grünen Ökonomie gefördert wird.

Relativ harmlos dürfte hingegen ein Tagesordnungspunkt in Rio bleiben, der neben der grünen Ökonomie zentral sein soll: Die sozial-ökologische Reform der internationalen politischen Institutionen. In den Deutungen des politischen und wissenschaftlichen Establishments sind die institutionellen Fragmentierungen ein Hauptproblem unzureichender Umweltpolitik. Seit einigen Jahren wird diskutiert, ob die vielfältigen Umweltinstitutionen in einer „Weltumweltorganisation“ zentralisiert werden sollten, damit diese umweltpolitischen Anliegen mehr Durchsetzungsfähigkeit verleihen könnte.

Es bleibt unverstanden, dass Politik – sei es auf nationaler, sei es auf internationaler Ebene – notwendig fragmentiert ist, da sie sehr unterschiedliche gesellschaftliche Interessen und Kräfteverhältnisse verdichtet und auf Dauer stellt. Umweltpolitik im Sinne von Schutzpolitik oder einer drastischen Absenkung des Ressourcenverbrauchs wird so lange ein „schwaches“ Politikfeld bleiben, so lange bürgerlich-kapitalistische Umgangsweisen mit Natur auf deren Beherrschung und Inwertsetzung zielen. Ressourcenpolitik ist Wirtschaftspolitik, Außenpolitik und zunehmend Finanz- bzw. Finanzialisierungspolitik. Das macht Politiken gegen steigende Emissionen und Klimawandel oder gegen die Erosion der biologischen Vielfalt nicht unwichtig, aber sie finden im Schatten mächtigerer Politiken und Interessen statt.

Zwei Sachverhalte könnten im Vorfeld, auf der Konferenz und darüber hinaus eventuell für Kontroversen sorgen:

Neuorientierungen – das Ende des globalen Umwelt- und Ressourcenmanagements

Mit dem Ausstieg Kanadas aus dem Kyoto-Protokoll ist nun auch den größten Optimisten deutlich geworden, dass der „Rio-Typus von Politik“ an seinen eigenen Schranken scheitert. Die Gründe dafür mögen recht unterschiedlich gesehen werden, aber es dämmert nun, dass der kapitalistische Weltmarkt und die imperiale Produktions- und Lebensweise zuvorderst Konkurrenz um Ressourcen und Verschmutzungsrechte bedeuten und weniger Kooperation. Die Hoffnung auf ein globales Umweltmanagement, das in kritischen Analysen schon vor zehn Jahren als Mythos dechiffriert wurde (Görg/Brand 2002; zu Kopenhagen BUKO 2008), gerät nun auch im Establishment ins Wanken. Es wird deutlich, dass der Rio-Prozess sich immer um die zentrale Frage gedrückt hat, wie nämlich die westliche Produktions- und Lebensweise wirklich verändert werden kann. Die vermeintlichen Zauberformeln „Effizienzrevolution“ und „Innovation“ verstetigten lediglich die Hofferei: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.“ Die Orientierung an Lebensstilen und Leitbildern wie etwa attraktiver Mobilität oder Ernährung blendete die Frage aus, wer eigentlich die Produktions- und damit Konsumnormen setzt – nämlich sehr stark sich in Konkurrenz befindende privatkapitalistische Unternehmen.

Es dürfte im Verlauf des Jahres 2012 interessant werden, wie sich die globalen Umwelt-Intellektuellen auf die neue Situation, d.h. dem immer stärker anerkennten Scheitern des „Rio-Typus“ der Politik eines globalen Umwelt- und Ressourcenmanagements einstellen. Wird nun noch stärker auf die Funktion von technologischen „Vorreitern“ und umfassende Innovationen gesetzt? Könnten regionale Kooperationen eine stärkere Rolle spielen? Oder wird ein öko-autoritärer Diskurs gestärkt, in dem innergesellschaftlich Verzicht (der Massen) und international offene Gewalt sprechfähig werden? Falls die Zerstörung des Kyoto-Protokolls als zentralem Baustein der Klimarahmenkonvention in den kommenden Monaten weitergeht, dann dürfte „Rio 2012“ mehr noch als ohnehin geplant zu einem Terrain werden, auf dem um Neuorientierungen gerungen wird.

Versprechen – Grüne Ökonomie

Eine weitere Neuorientierung ist seit etwa drei Jahren angelegt. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP startete eine Green Economy Initiative, auf die inzwischen zahlreiche Akteure ansprangen: Die OECD, ILO, Weltbank, viele nationale Regierungen, Thinks Tanks, Stiftungen und einige grüne und sozialdemokratische Parteien. Die grundlegende und gar nicht so neue Idee besteht darin, geeignete politische Rahmenbedingungen zu schaffen, um Märkte und Wirtschaft „grüner“ zu machen und „grüne“ Arbeitsplätze zu schaffen. Durch entsprechende Politiken sollen „richtigen Preise“ erreichen, die bislang externalisierten Umweltbelastungen zu internalisieren und damit das „Marktversagen“ zu korrigieren. Ökologische Steuerreformen sollen vorangetrieben werden, öffentliche Beschaffungen, strategische Investitionen und nachhaltige Infrastrukturen gefördert werden. Mitunter werden entsprechende Verteilungs- und Sozialpolitiken genannt, um eine grüne Ökonomie zu fördern (Brand 2012).

Ob es sich um eine Konkretisierung des Begriffs nachhaltige Entwicklung handelt oder ob er diesen ersetzen wird, kann derzeit nicht entschieden werden. Der Begriff der grünen Ökonomie ist bislang gar nicht eindeutig definiert. Es handelt sich, wie vor zwanzig Jahren bei „nachhaltiger Entwicklung“, um einen recht offenen Container-Begriff, der sehr vielfältige Perspektiven und Strategien zulässt (vgl. auch Brunnengräber/Haas 2011). Es macht gar keinen Sinn, mangelnde Definitionen einer grünen Ökonomie zu kritisieren oder gar solche einzufordern. Von der Tatsache abgesehen, dass so etwas nicht autoritativ festgelegt werden kann, würde es dem anhebenden Diskurs die potentielle Strahlkraft nehmen.

Welche Funktionen haben Begriff und Diskurs im Sinne sich verschiebender und neu sich sedimentierender Selbstverständlichkeiten? Aus meiner Sicht ist eine Lesart produktiv, die den Begriff nicht nur als Folge der Frustration mit den bisherigen Politiken nachhaltiger Entwicklung zu sehen. Es handelt sich wahrscheinlich auch nicht um einen UNO-politischen P.R.-Gag – etwa in der Form: „angesichts der Misserfolge platzieren wir einen neuen Begriff, damit die politische, wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Szene beschäftigt ist“. Den aktuellen ProtagonistInnen des Begriffs ist Ernsthaftigkeit zuzugestehen.

Zentral ist aus meiner Sicht: Die grüne Ökonomie ist zuvorderst ein Versprechen. Nämlich ein solches, in der multiplen Krise über die geeigneten politischen Rahmenbedingungen das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln (die OECD spricht von „grünem Wachstum“), Verteilungsspielräume zu erhöhen, „grüne“ Arbeitsplätze zu schaffen und über Effizienzgewinne und Innovationen die ökologische Krise zu bearbeiten.

Die ökonomistische Semantik der verschiedenen Strategien der grünen Ökonomie – das Soziale des Drei-Säulen-Modells von nachhaltiger Entwicklung wird abgewertet – deutet darauf hin, dass die bisherige Spannung zwischen „Ökologie“ und „Ökonomie“ endgültig aufgelöst werden soll. Der aktuelle UNO-Chef Ban Ki-moon behauptet etwa, es handle sich um einen „Mythos, dass Wirtschaft und Umwelt Gegensätze“ seien.

Wenn wir das Versprechen der grünen Ökonomie nicht nur ideologiekritisch konstatieren, dann kann ein materieller Kern freigelegt werden, der heute deutlicher ist als in den 1990er Jahren.

Die beiden aus meiner Sicht entscheidenden Unterschiede zwischen „nachhaltiger Entwicklung“ und „grüner Ökonomie“ liegen nicht darin, dass die ökologische Krise heute deutlicher ist oder dass das globale Umweltmanagement sich blamiert hat. Neu ist zum einen die intensive Suche nach Krisenlösungen in der schwersten Krise des Kapitalismus seit sechzig Jahren. Und zum anderen sind die Produktivkräfte deutlich weiter entwickelt als zu Beginn der 1990er Jahre. Wirtschaftspolitische Strategien einer grünen Ökonomie haben eine materielle Grundlage. Das zeigt sich besondere deutlich in der Energieerzeugung und –verwendung, aber auch bei Antriebsmotoren. Manche rechnen gar die Digitalisierung der Produktion insgesamt zu einer Kernvoraussetzung der grünen Ökonomie.

Wirkungsmacht – auf dem Weg in einen grünen Kapitalismus

Wenn sie nicht ganz blind sind gegen die strukturellen Implementierungsprobleme von Nachhaltigkeit in den letzten zwei Jahrzehnten, dann dürfte wahrscheinlich auch den ProtagonistInnen der grün-ökonomischen Strategien klar sein, dass die formulierten Ansprüche nicht erreichbar sind. Das ist wahrscheinlich auch nicht die Absicht.

Aus meiner Sicht wird Rio+20 dennoch politisch wichtig werden. Die Konferenz wird den globalen Eliten ein neues Konzept an die Hand geben, das auf der Höhe der Zeitläufte Orientierung stiften kann. Großprojekte wie Desertec oder offshore-Windkraftanlagen werden damit in einen größeren Kontext gestellt, umstritten Projekte wie Geo-Engineering oder CO2-Abscheidung und Speicherung möglicherweise als Beitrag zu Nachhaltigkeit und grüner Ökonomie gerechtfertigt.

Damit könnten die Strategien hin zu einer grünen Ökonomie, obwohl sie wie schon die Strategien hin zu „nachhaltiger Entwicklung“ am eigenen Anspruch eines grundlegenden Umbaus wahrscheinlich scheitern, wirkungsmächtig werden. Denn hier werden Elemente formuliert, die de facto zur Herausbildung eines grünen Kapitalismus beitragen können. Dieser würde eine neue Phase der Regulation der Naturverhältnisse einleiten, die nicht grundlegend die Degradation stoppen wird. Er wird, wie alle gesellschaftlichen Verhältnisse unter Bedingungen der Dominanz der kapitalistischen Produktionsweise, selektiv sein, vielen Menschen zu mehr Einkommen und einem höheren materiellen Lebensstandard verhelfen, andere Menschen und Regionen ausschließen oder gar ihre materiellen Lebensgrundlagen zerstören.

Eine grün-kapitalistische Entwicklungsweise wird ein notwendig exklusives Entwicklungsmodell für einige Regionen sein. Konkurrenz- und Ausschlussmechanismen, Dynamiken der Inwertsetzung und Landnahme werden damit nicht aufgehoben. Die „oligarchische Lebensweise“ in den Ländern des globalen Nordens wird sich zwar ausweiten, sie ist aber nicht verallgemeinerbar. Auch innerhalb der wohlhabenden Gesellschaften finden weiterhin Ausschlüsse statt, die in den Strategien der grünen Ökonomie kaum erwähnt werden (Wichterich 2011).

Und dennoch könnten sich in Ländern wie Deutschland oder Österreich mittelfristig grün-kapitalistische Entwicklungsmodelle durchsetzen, wenn sich unterschiedliche Kräfte um dieses Projekt gruppieren. In den USA und China deuten staatliche Krisenpolitiken darauf hin, dass auch hier Interessen an ökologischer Modernisierung wichtiger werden. In Großbritannien wiederum ist eine Diskussion um eine grüne Ökonomie eng mit dem Finanzsektor und der Frage von Finanzdienstleistungen – etwa im Bereich des Emissionshandels – verbunden. Diese Strategien und die sie tragenden Kräftekonstellationen könnten dahingehend „Staat werden“, dass die verdichteten Kräfteverhältnisse unter Führung bestimmter ökonomischer und politischer Machtgruppen zuvorderst ein solches Projekt vorantreiben und staatlich absichern.

Die langfristigen wie auch die konkreten Strategien werden umstritten bleiben. Von linksliberaler Seite wird das Argument vorgebracht, dass unter den gegebenen Bedingungen realpolitisch nicht viel anderes übrig bleibt, als grüne Kapitalfraktionen zu stärken. Das ist aber kein Argument gegen Versuche, die Gesamtkonstellation genauer zu begreifen.

Sonst gehen wir dem erfahrungsresistenten renovierten Steuerungsoptimismus der Strategien einer grünen Ökonomie („die politischen Rahmenbedingungen müssen stimmen“) auf den Leim. Gesellschaftliche Veränderungen, darauf ist analytisch zu bestehen, finden eben nicht nur statt, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Ganz abgesehen davon, dass Politik nicht voluntaristisch gegen herrschende Interessen und eine tief verankerte Produktions- und Lebensweise vorgehen kann. Grundlegende Alternativen entstehen auf Kritik und politisch häufig von den Rändern her – das behagt einer aufgeklärten Management-Perspektive überhaupt nicht. In Bezug auf viele politisch grünen BefürworterInnen etwa in der Heinrich-Böll-Stiftung ist das etwas kurios: sie imaginieren sich als bessere Steuermänner der Welt, obwohl gerade ihnen doch aufgrund ihrer eigenen Geschichte klar sein müsste, dass gesamtgesellschaftliche Veränderungen der Kritik, Pluralität und randständiger Perspektiven bedürfen.

Diese gesteuerten wie ungesteuerten Veränderungen sollten aber nicht als grüne Ökonomie bezeichnet werden – das ist eben eher ein Containerbegriff, in dem sich unterschiedliche Strategien versammeln -, sondern als Elemente eines möglichen grünen Kapitalismus.

Aus einer kritischen Perspektive wird der kapitalistische Widerspruch zwischen Inwertsetzung, damit verbundenem möglichen Wirtschaftswachstum und Chancen auf wachsende Verteilungsspielräume einerseits und Naturzerstörung andererseits auf eine neue Stufe gehoben. Die Politisierung der damit einhergehenden ökologischen Probleme wird über das Versprechen von grüner Ökonomie und Wachstum, Innovation und Effizienzrevolution genutzt. Das mag nicht der Degradation von Ökosystemen und Landstrichen, der Erosion von biologischer Vielfalt oder dem Treibhauseffekt, der damit einhergehenden Verarmung von Menschen und Regionen Einhalt gebieten. Es eröffnet bzw. verlängert die kapitalistische Form des Umgangs mit der ökologischen Krise.

Literatur:

Brand, Ulrich (2012): After Sustainable Development: Green Economy as the Next Oxymoron? In: GAIA 21(1).

Brand, Ulrich (2012): Schöne Grüne Welt. Mythen der Green Economy. luxemburg argumente; www.rosalux.de

Brand, Ulrich/Lösch, Bettina/Opratko, Benjamin/Thimmel, Stefen (Hrsg., 2012): ABC der Alternativen. Hamburg.

Brand, Ulrich/Wissen, Markus (2011): Sozial-ökologische Krise und imperiale Lebensweise. Zu Krise und Kontinuität kapitalistischer Naturverhältnisse. In: Demirović, Alex/Dück, Julia/Becker, Florian/Bader, Pauline (Hg.): VielfachKrise. Im finanzmarktdominierten Kapitalismus. Hamburg: VSA. 78–93.

Brunnengräber, Achim/Haas, Tobias (2011): Green Economy – Green New Deal – Green Growth: Occupy Rio plus 20. In: Wirtschaft&Entwicklung-Hintergrund, November: 1-3; www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org

BUKO – Bundeskoordination Internationalismus (2008): Vergesst Kyoto! Die Katastrophe ist schon da. In: Widerspruch 54.

Görg, Christoph/Brand, Ulrich (Hg., 2002): Mythen globalen Umweltmanagements. „Rio + 10“ und die Sackgassen nachhaltiger Entwicklung. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Wichterich, Christa (2011): Kapitalismus mit Wärmedämmung. Feministische Kritik und Gegenentwürfe zur Green Economy. In: informationen für die frau, Oktober. Berlin: 5-7.

Wissen, Markus (2010): Klimawandel, Geopolitik und „imperiale Lebensweise“: Das Scheitern von „Kopenhagen“ und die strukturelle Überforderung internationaler Umweltpolitik. In: Kurswechsel 2: 30-38.

Eine gekürzte Version des Textes erschien in der Zeitschrift „LuXemburg“, 1/2012.

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