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Schwestern, zur Familie, zur Arbeit!*

Kendra Briken

Die Bundesministerin für beruflich erfolgreiche Frauen mit Kindern, Ursula von der Leyen, dürfte sich insgeheim gefreut haben über die Intervention von Eva ‚das neue Weibchen’ Herman. Neben deren reaktionärer, auf unerträglich verquasten Religio-Biologismen basierenden Forderung ‚Frauen heim zu Mann, Herd und Kind’ erstrahlt die von der Leyensche bürgerlich-elitäre Familienpolitik in unerhört progressivem Glanz. Dabei sind die Positionen der beiden „Karrieremütter“ durchaus vergleichbar. Beiden gilt die Familie als naturgegebener Ort von Solidarität und Fürsorge, beide sehen Kinder als Quell’ der Liebe und Erfüllung. Der entscheidende Unterschied: Für von der Leyen ist dieses Modell von Familie zumindest für hochqualifizierte Frauen unmittelbar verbunden mit Berufstätigkeit als Mittel zur Selbstverwirklichung. Wer sie in Interviews erlebt hat, kennt ihren beinah missionarischen Eifer, mit dem sie für dieses – ihr eigenes – Lebenskonzept wirbt.

Einen ähnlichen Duktus verbreitet auch das Buch „Die Unmöglichen – Mütter, die Karriere machen“. Im Vorwort (verfasst von Liz Mohn, der stellvertretenden Vorsitzenden der Bertelsmann Stiftung, sowie der Familienministerin) heißt es: „Wir wollen (...) jungen Frauen Mut machen, beide Lebensziele – beruflichen Erfolg und ein Leben mit Kindern – zu verwirklichen.“ Portraits von elf Karrieremüttern – verfasst von Journalistinnen, die zumeist „selbst Mütter sind“ – sollen veranschaulichen, wie Vergnügen und Anstrengung ineinander greifen, damit am Happy-End das Familien-Glück überwiegt.

Ausgesucht wurden durchweg „Ausnahmefrauen mit Ausnahmenkarrieren“, die „eine Art gesellschaftliche Avantgarde“ bilden, etwa Katrin Göring-Eckardt (Vizepräsidentin des Bundestag), Nina Öger (Geschäftsführerin von Öger Tours) oder Margot Käsmann (Landesbischöfin von Hannover). Das Problem, das sie sich mit ihrer Karrieremütter-Avantgarde-Empirie eingefangen haben, scheint den Autorinnen durchaus bewusst, wenn sie zugeben: „Nicht zuletzt ihre finanzielle Flexibilität macht es ihnen möglich, sich über Konventionen hinweg zu setzen und ihre Alltagsstrukturen auf ganz neue Art zu gestalten.“ Übersetzt heißt dies: Die materielle Basis, sei es der (ver-)sorgende Ehemann, die (Schwieger-)Mutter oder schlicht Geld, ist in der Mehrzahl der Biographien gegeben, bevor das erste Kind auf die Welt kommt. Der „Mut“, der durch diese als erfolgreich konnotierten Lebenswege gemacht werden soll, ist von daher zu hinterfragen.

Alle Biographien bestechen durch eine Verzicht-Rhetorik. Familienzeit wird aufgerechnet gegen eine an sich nicht mehr existierende Selbst-Zeit. Freundschaften, Freizeit oder gar Müßiggang – Fehlanzeige. Das von den Journalistinnen gezeichnete Bild der sich selbst verwirklichenden Frauen zeichnet schnell den gegenteiligen Effekt: Ich ist eine andere, freiwillig fremdbestimmt durch Arbeit und Familie. Gebäre, sei eine liebevolle Mutter und stelle dich der Konkurrenz lautet das Credo der Neuen Familienpolitik. Fraglich bleibt, ob diese Form der Anrufung, die Erfolg pur präsentiert, wahrlich ermutigend ist.

Der französische Soziologe Alain Ehrenberg hat in seiner Studie „Das erschöpfte Selbst“ zurecht darauf verwiesen, dass Eigenverantwortung, Selbstverwirklichung, Erfolg und Glück Ansprüche sind, die in modernen kapitalistischen Gesellschaften bereits wie selbstverständlich übernommen werden. Menschen werden zunehmend depressiv, weil sie die Illusion ertragen müssen, dass ihnen alles möglich ist – und Scheitern in dieser Perspektive immer ein individuelles Versagen bedeutet. Für eine auf Eliten(re)produktion zielende Politik ist diese per se überfordernde Form der Anrufung der Neuen Frau als homo oeconomia konsequent. Die kuschelige Familienromantik enttarnt sich als Fortsetzung der Hartz IV-Logik auf Führungskräfte-Ebene: Du kannst dabei sein, du musst es nur wollen, dich disziplinieren, an dir arbeiten. Wo Erfolg durch rationale Lebensführung gepredigt wird, ist dieser seiner strukturellen Bedingungen enthoben.

Während diese Stoßrichtung bei einem staatlich und von der Bertelsmann Stiftung geförderten Buch wenig erstaunt, überrascht, wie stark auch die als Krimi- und Theaterautorin bekannt gewordene Thea Dorn auf die individuelle Selbstverwirklichungs-Trumpfkarte setzt. Ihre „neue F-Klasse“ ist ebenfalls eine Avantgarde, da die von Dorn interviewten Personen Frauen sind, die „vor dreißig Jahren noch eine absolute Ausnahmeerscheinung gewesen wären“. Ihr Ziel ist es herauszufinden, „wie Frauen denken, die ich für ihre Lebensmodelle bewundere, die den Mut haben, Führung zu übernehmen, die ihre Projekte trotz Anfechtungen durchziehen und dennoch keine schmallippigen Karrieremaschinen geworden sind“. Auserkoren sind etwa die Fernseh-Moderatorinnen Maybrit Illner und Charlotte Roche, die Expertin für Kampfmittelbeseitigung Vera Bohle und die Leiterin des Westfälischen Zentrums für Forensische Psychiatrie, Nahlah Saimeh.

Das Buch gewinnt durch die Interviewform – Thea Dorn ist vorbereitet, sie provoziert ein bisschen, ihre Gegenüber sind durchweg wortgewandte Personen. Allerdings stellt sich schnell die Frage: Was genau zeichnet die von Dorn als „Germanys Next Rolemodels“ definierten Frauen aus? Dorns Eintrittskarte in den Kreis der Klasse-Frauen ist nicht irgendein, sondern ein ungewöhnlicher Job, entweder im Bereich des politisch-sozialen Engagements oder in einer Männerdomäne. Das „individuell Erreichte und Gelebte“ reduziert sich damit auf das Ausüben einer (bezahlten) Arbeit, die allerdings als Tätigkeit „wert- und sinnvoll“ sein muss, damit ihr frau auch wirklich mit Leidenschaft nachgehen kann. Dorn ist so besoffen von ihrer eigenen Erweckungsrede, dass ihr weder die strukturellen Grenzen ihres avantgardistischen Lebensmodells noch die Verherrlichung der guten alten Arbeitsideologie auffallen.

Wichtiger ist ihr, zu allem und jedem noch schnell eine Plattitüde abzusondern – und vor allem selbst als totale Durchblickerin rüberzukommen. Mit „Was bisher geschah...“ wird in der Einleitung ein biographischer Abriss eingeleitet, der dem „Coming of Age-Geschichte“ Schema ‚Wie ich einmal ganz naiv war und plötzlich den Weltlauf verstand’ folgt. Als Wendepunkt gilt, da staunt die Leserin, ‚nine/eleven’: „Die Attentäter haben mich in die Arme der Aufklärung zurückgebombt.“ Nine/eleven als feministische Erweckung? Logisch: Der Westen toleriert „bis heute“ die Frauenverachtung in den muslimischen Ländern, und der Terror, dem afghanische Frauen „unter den Taliban“ ausgesetzt waren, interessiert erst in dem Moment, in dem „zwei Türme und 3000 Menschenleben eingebüßt“ sind.

Thea Dorn war, schreibt sie selbst, eine akademische Grundsatzarbeit zum Thema Frau und Gesellschaft zu langweilig. Als gelernte Philosophin weiß sie, dass man dafür eventuell genau sein müsste, Ebenen und Kategorien einhalten. Aber flotter schreibt es sich eben befreit vom akademischen Ballast, da können die großen Linien gezogen werden. Oder war irgendwem schon klar, dass „jede Akademikerin, die sich von ihrem Ehemann aushalten lässt, weil ihr die Kämpfe da draußen zu anstrengend sind“ mit ihrem Verhalten die „mutigen Frauen, die in anderen Teilen der Welt unter Lebensgefahr darum kämpfen, sich aus dem Burka-Tschador-Patriarchat zu befreien“ verhöhnt? Am Ende läuft es dann auch auf die unvermeidliche Weltverbesserungsformel hinaus, die jedem Superhelden-Streifen Ehre macht: „Die Welt braucht starke Persönlichkeiten, Individuen, die einen unverwechselbaren, eigenen Charakter ausgebildet haben. Und erst in zweiter Linie Männer oder Frauen sind.“ Genau. With great power comes great responsibility. Wir haben verstanden, Commander Dorn! Wir gehen jetzt mal zurück an unsere Arbeit.

Nach diesem Ritt durch die Untiefen der Gedanken einer selbsternannten angry – nicht mehr ganz so – young woman kann einen die Eindeutigkeit des Buchs „Oben ohne“ von Barbara Bierach und Heiner Thorborg beinah schon erfreuen. Die beiden machen keinen Hehl aus ihren Prämissen: Die deutsche Wirtschaft braucht die deutsche Frau, um konkurrenzfähig zu bleiben. Da die qualifizierte deutsche Frau nicht in die Führungsetagen vordringt, müssen zwei Dinge passieren: Die deutsche Frau muss endlich den Hintern hoch bekommen. Und der deutsche Staat muss endlich für eine arbeitsfreundliche Infrastruktur sorgen. Das ist Beratungsliteratur im Zeitalter postfeministischer Arbeitsverhältnisse. Nicht lang schnacken, einfach machen. Andere Frauen in anderen Ländern bekommen das schließlich auch hin. Munter wird so auf 250 Seiten die „teuer ausgebildete Akademikerin“ ermuntert, ihr Fell nicht nur auf den Markt zu tragen, sondern es bitteschön auch zu einem guten Preis zu verkaufen. Nebenbei werden Stutenbissigkeit, Hausfrauendasein, Teilzeitarbeit sowie weibliche Dämlichkeit, Faulheit und Naivität angeprangert. Bierach und Thorborg geht es nicht um Emanzipation, Feminismus oder gar um alternative Lebensmodelle, hier wird die weibliche Avantgarde als Arbeitskraft für den Standortwettbewerb gebraucht. Erst die Arbeit, dann die Arbeit. Noch Fragen?

Besprochene Bücher:

Barbara Bierach/Heiner Thorborg: Oben ohne. Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt. Econ Verlag. Berlin. 2006

Thea Dorn: Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird. Piper Verlag. München 2006

Anke Dürr/Claudia Voigt: Die Unmöglichen. Mütter, die Karriere machen. Diana Verlag. München. 2006

Anmerkungen

  1. Zuerst erschienen in: konkret literatur Nr. 31 Oktober (2006)Zurück zur Textstelle

© links-netz Mai 2007