Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

  Text in eigenem Fenster anzeigen    rtf-Datei herunterladen 

Die Geister der Vergangenheit

Anti-WEF-Treffen in Salzburg, September 2002

Sonja Buckel

Smash WEF „Neu“ an der Neuen Globalen Bewegung ist nicht nur, dass sie global ausgerichtet ist, dass es ihr gelingt 10.000e von DemonstrantInnen von Barcelona bis Johannesburg zu mobilisieren, sondern vor allem ihre Vielfältigkeit und ihr Vernetzungscharakter. Beides ist Voraussetzung für ein eigenes Projekt namens „Selbstregierung“ oder „absolute Demokratie“ (Negri), welches sich „schöpferisch in die Architektur des Empire einschreibt“, indem es etwas Neues erschafft (Adolphs/Hörbe/Rau 2002), oder in den Worten Hans-Jürgen Krahls: die andere Gesellschaft bereits in der Organisationsform antizipiert. Pink-Silver, reclaim-the-streets und die Tute Bianche sind solche Versuche, im weitesten Sinne auch attac! und PGA: radikaldemokratisch, global (nicht international), queer, ungehorsam und kommunikationsguerillianisch. Aus ihnen kann keine Partei, keine fordistische Massen-Organisierung hervorgehen, sondern nur ein „Patchwork der Minderheiten“, in welchem sich jedeR an den jeweiligen „Rändern mit den dort lebenden Nachbarn vernähen“ lassen kann (Diedrich Diederichsen).

Lässt man seinen Blick allerdings jenseits von Italien oder Südamerika umherschweifen, so wird man den Eindruck nicht los, dass die Überbauten doch etwas sehr hinterherhinken. Oder in anderen Worten: der neue Aktionismus steckt realiter noch in den Kinderschuhen.

Ein Beispiel: der Anti-Wef-Gipfel in Salzburg im September 2002.

Zunächst das Globale: es ging um die Kritik am Europatreffen des World Economic Forums, welches vom 16. – 17.09.2002 sein jährliches Regionaltreffen in Salzburg abhielt. Das WEF ist formalrechtlich eine Stiftung nach schweizerischem Recht, die die 1000 größten Transnationalen Unternehmen vereint. Von ABB und Coca-Cola über Nestlé bis VW ist alles versammelt (Salzburger Nachrichten v. 09.09.2002), was die transnationalen Kapitalfraktionen zu bieten haben. Die Funktion besteht offenkundig darin, Geschäfte anzubahnen, Absprachen zu treffen, Lobbypolitik bei den vielen anwesenden PolitikerInnen zu betreiben, vor allem aber hegemoniale Projekte über Elitendiskurse zu initiieren oder zu stabilisieren. So wurde etwa eine Studie präsentiert, die das WEF gemeinsam mit dem Zentrum für Integrationsforschung an der Universität Bonn erstellt hatte, in welcher untersucht werden sollte, ob es der EU gelingt, in Sachen Wettbewerbsfähigkeit an die USA anzuschließen. Dabei wurden wenig überraschend „signifikante Unzulänglichkeiten“ (Handelsblatt vom 17.09.2002) angeprangert, die selbstredend nach neoliberalem Design in der Arbeitsmarktpolitik oder der zu langsamen „Liberalisierung“ ausgemacht wurden.

RobocopsGlobal war auch die Reaktionsweise des „Empire“ auf den angekündigten Widerstand, die zunächst in einer Aufhebung des Schengener Abkommens bestand, also in der Einschränkung der Reisefreiheit an den Grenzen zu Österreich, sodann in der Einrichtung von „roten Zonen“ in Salzburg, in welche nur noch die transnationale Managerklasse und unter Mühen auch die AnwohnerInnen eindringen durften. Außerdem hatte pünktlich zum Gipfel der Österreichische Gesetzgeber das Vermummungsverbot eingeführt. Schließlich wurde die Stadt militärisch aufgerüstet mit 3166 Polizisten, darunter die mittlerweile zur Normalität gehörenden „Robocops“ und die Wiener Sondereinheit WEGA (Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung), die bereits 2001 durch ihr brutales Vorgehen für Aufsehen gesorgt hatte und wegen ihres Aussehens eher den Namen „schwarzer Block“ verdient hätte. Die Kosten für diesen Einsatz beliefen sich auf 7,2 Mio. Euro, von denen das WEF gerade 800.000 Euro selbst tragen muss (SN v. 19.09.02). Global ist diese Reaktion deswegen, weil sie die Mittel des Nationalstaats im Kontext des globalen Standorthoppings einsetzt (Genua, Kathar etc.).

Allein dieser Rahmen spricht für sich. Die Verhältnisse haben sich selten so wenig „verschleiert“ wie in den Zeiten des autoritären Neoliberalismus. Ein gefundenes Fressen also für die Neue Globale Bewegung. So haben nach „einem umfassenden Meinungsbildungsprozess [...] zahlreiche Persönlichkeiten aus unterschiedlichen politischen und kulturellen Zusammenhängen“ im März 2002 das salzburgsocialforum als Plattform in Anlehnung an Porto Allegre und Italien gegründet, welches von kirchlichen, entwicklungspolitischen und gewerkschaftlichen Gruppen unterstützt wurde (www.salzburgsocialforum.org). Eine Demonstration am Vortag des WEF-Treffens sowie ein „Global Village“ im Volksgarten wurden geplant. Man hoffte, in diesem Sommer den Globalisierungsevent zu produzieren und bis zu 20.000 DemonstrantInnen aus aller Welt anzuziehen. Soweit die Vernetzung und die versuchte Übernahme von Politikkonzepten, die global kommuniziert werden.

Doch wie überall sonst kommt auch hier dem Lokalen und Regionalen in der sog. „Globalisierung“ eine zentrale Bedeutung zu. So war es eben kein Zufall, dass in der Tourismus-und-Mozartstadt Salzburg mit ihren malerischen Gassen und Häusern eine Demonstrationskultur nicht existiert. Das primäre Ziel der Stadtpolitik ist es, das einzige Kapital, nämlich die gemütliche Attraktivität zwischen Festspielen und First-class-Restaurants aufrecht zu erhalten. Demgemäss betrachteten die StadtpolitikerInnen die WEF-Tagung auch als weitere Imageförderung, durch die „unsere Stadt“ jeden Tag in den internationalen Medien sein würde (SN v. 15.09.2002). Der eigens für 45 Millionen Euro gebaute Kongresscenter in der Stadtmitte sollte als Tagungsort dienen.

Das ist eine andere Ausgangslage für eine soziale Protestbewegung, als jene in den norditalienischen Städten oder den global cities. Postmoderne Aktions- und Politikformen waren demgemäss nur in Keimform anzutreffen. Es dominierten traditionelle, an Partei- oder Gewerkschaftsfeste erinnernde Zusammenkünfte. Auf der Demonstration selbst waren vor allem Sprechchöre zu hören von Gruppierungen wie der SPÖ-Jugendorganisation „Sozialistische Jugend“, die ein ums andere Mal die „internationale“ Solidarität beschwor und sich auch ansonsten für die Vertretung der Arbeiterklasse hielt. Nur einzelne ProtagonistInnen von „Kein-Mensch-ist-illegal“ riefen dagegen an „wir sind nicht national – daher gibt`s auch keine inter-nationale Solidarität“. Die Arbeiterklasse des 19. Jahrhunderts war es also, die hier heraufbeschworen wurde – nicht Hardt und Negris Multitude des biopolitischen Proletariats.

pinksilverAuch die unvermeidliche „Linkswende“ (Ersatz in Österreich für den ebenso unvermeidlichen „Linksruck“) ließ eineN daran zweifeln, ob man nicht eventuell eine Zeitmaschine betreten und in die 90er Jahre zurückgebeamt worden sein könnte. So standen die Einzelnen wie bei den „Sozialisten“ und dem „Funken“ zunächst aufgereiht hinter einem Transparent, davor die Frau, die einen am Vortag schon mit ihrem „Die Zeitung hier musst Du unbedingt kaufen“ genervt hatte, die nun per (schlechtfunktionierendem) Megaphon die Direktiven ausgab, etwa „U – S – A , internationale Völkermordzentrale“. Dass dieser Antiamerikanismus den militärisch-industriellen Komplex mit einer ganzen Bevölkerung identifiziert, dabei übersieht, dass ersterer eher die westliche Lebensweise insgesamt als Quasi-Weltgewaltmonopol durchsetzt, als lediglich die der „Amerikaner“, hätte man noch übersehen können, schließlich ist es das Wesen der kapitalistischen Verhältnisse, nicht für jedeN sofort transparent zu sein. Dass sich aber genug Menschen fanden, die einfach in steriler Monotonie nachbrüllten, was die Person am Megaphon vorgab und dabei Schilder in die Höhe hielten, die als Massenware in England gedruckt werden, war schon erstaunlich und ziemlich old-school-mäßig. Im Gegensatz dazu hatte Pink-Silver an zwei Tagen zuvor gemeinsam die Slogans ausgewählt, die vor allem gegen die Nation, Grenzen sowie „Law and Order“ oder direkt gegen die „Elite“ des WEF gerichtet waren. Diese wurden mit Trommeln und Rasseln, Tänzen und rosa-pinkenen Kostümen sowie rosa Pappmaché-Elefanten untermalt. Gemeinsam mit ihnen versuchten Autonome aus Wien, die sich bewusst nicht an das Vermummungsverbot hielten, die Polizeikette zu durchbrechen, die rechts, links, hinten und vorne die Demonstration von ca. 3000 Leuten nahtlos umrahmte. Doch die Machtverhältnisse waren eindeutig, die Polizei nicht nur zahlenmäßig überlegen. Zugleich hatte das Socialforum einen eigenen Ordnerdienst eingerichtet, der dafür sorgen sollte, dass alles so ablaufen würde, wie vorher mit der Polizei abgesprochen. Dabei blieb es dann auch. Während des abschließenden Festes waren die Vertreter der KPÖ ebenso stolz darauf, dass alles ordentlich verlaufen war, wie Polizei und Bürgermeister. Bereits im Vorfeld hatten sich die radikalen Gruppierungen vom Sozialforum abgespalten und warfen jenem (insbesondere attac, die sich auf eine Diskussionsveranstaltung mit dem WEF eingelassen hatten) anpasslerischen Reformismus vor. Schon die abgesprochene Demonstrationsroute, die das Kongresshaus weitmöglichst umrundete, war Stein des Anstoßes. Die Distanzierung von angeblich „Gewaltbereiten“ bildete dann der Endpunkt der gemeinsamen Planung (www.antiwef.org, zu den Auseinandersetzungen: www.indymedia.at).

Auf jeden Fall ist bei diesen Machtverhältnissen von Glück zu reden, dass die martialische Polizeiübermacht nicht die Strategie der Gewalt ausgewählt hatte. Zugleich jedoch war es weder den VeranstalterInnen noch der kleinen radikalen Minderheit gelungen, den Verhältnissen ihre Melodie vorzuspielen. Auch die globalen Massen waren ausgeblieben und kümmerten sich um ihre Politik vor Ort. So demonstrierten in Italien eine halbe Millionen Menschen gegen Berlusconi und für eine Bewegung jenseits der Parteien, in Deutschland protestierte man lieber in Köln anlässlich der Bundestagswahl. Lediglich in Bern fand eine Solidaritätskundgebung für Salzburg statt. Selbst die nationalen Medien, von den internationalen ganz zu schweigen, nahmen kaum Notiz davon. Übrig bleibt einzig eine Stadt Salzburg, die ihren Gästen eine ruhige und anheimelnde Tourismusatmosphäre mit etwas Polit-Lokalkolorid bieten kann. So wurde die Gegendemonstration als unumgängliches Begleitspekakel bei globalen Anlässen schlichtweg mit eingebaut. Lediglich die Politfraktionen von gestern, die schon seit Ewigkeiten keine „jungen Leute“ mehr hatten mobilisieren können, mussten diese Veranstaltung positiv bewerten. So verkündete der KPÖ-Vorsitzende Walter Baier in einer Pressemeldung: "Diese tolle Demo hier in Salzburg ist ein Meilenstein für die globalisierungskritische Bewegung in Österreich“ (http://www.kpoenet.at).

Diese Situation hätte sich so ähnlich auch andernorts abspielen können. Dennoch sind die nationalen kulturellen, ökonomischen und politischen Besonderheiten – so die Schlussfolgerung – der globalen Bewegung wesentlich. Die kompakte, extrem korporatistische österreichische Gesellschaft mit ihrer relativ hohen Integration linker Milieus produziert andere Bedingungen als z.B. die italienische.

Außerdem wird deutlich, dass die Spaltungen der Multitude in Ich-AGs Realität und das Aushandeln von Differenzen nach wie vor schwierig ist. In manchen Momenten mag es gelingen, und vielleicht ereignen sich jene sogar zunehmend häufiger, das Scheitern zeigt sich jedoch genau dann, wenn Vielfältigkeit und Vernetzung, neue Aktionsformen und Selbstregierung nicht funktionieren. Aber seien wir nicht ungeduldig, schließlich sind wir als Neue Globale Bewegung AnfängerInnen, über die gilt, was Marx bereits 1851/52 über revolutionäre Epochen, schrieb, die als solche zunächst ängstlich die Geister der Vergangenheit beschwören: „So übersetzt der Anfänger, der eine neue Sprache erlernt hat, sie immer zurück in seine Muttersprache, aber den Geist der neuen Sprache hat er sich nur angeeignet, und frei in ihr zu produzieren vermag er nur, sobald er sich ohne Rückerinnerung in ihr bewegt und die ihm angestammte Sprache in ihr vergisst“ (Marx 1989, 268).

Literatur:

Adolphs, Stefan/Hörbe, Wolfgang/Rau, Alexandra (2002), Der Begriff des politischen Subjekts hat seinen Gehalt verändert, in: Subtropen, # 16 v. 08.08.2002, Online-Version

Marx, Karl (1989), Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. in: Engels, Ders./Friedrich (Hg.). Ausgewählte Schriften I, Berlin.

© links-netz Dezember 2001