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Krieg und Frieden Übersicht

 

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Weltordnungskriege

Sonja Buckel

Die Neue Globale Bewegung war und ist auf den Beinen gegen den vierten globalen Krieg, der seit 1991 ausgefochten wird. So einig man sich allerdings in der Ablehnung des Krieges ist, so unklar bleibt es, worum es sich bei dem, was man im Westen nur medial als "Rummy-Show" (Tom Holert) erfährt, eigentlich handelt. Um so ausführlicher darüber berichtet wird, um so schwerer scheint die Antwort zu fallen. Weit entfernt davon, dies auflösen zu wollen oder gar zu können, setze ich mich im folgenden mit einigen Erklärungsansätzen auseinander. Dabei tauchen immer wieder drei m.E. fragwürdige Reduktionismen auf: der Subjektivismus, der Ökonomismus sowie der Imperialismus. Alle drei Linien, sind nicht einfach „falsch“ oder „unwahr“, sie artikulieren durchaus wesentliche Momente des aktuellen Kriegsgeschehens, allerdings eben auf einseitige Weise. Dies zu diskutieren ist notwendig, da von der Einschätzung der gegebenen Verhältnisse immer auch die politische Strategie abhängt.

(1) Subjektivismus

Alex Demirovic hat in anderem Zusammenhang völlig zu Recht auf die Gefahr eines verkürzten Hegemoniebegriffs hingewiesen. So wichtig die Rolle von Intellektuellen ist, so wenig darf Hegemonie auf wirtschaftspolitische Konzepte und konspirative Tätigkeiten reduziert werden, da damit das konservative Geschichtskonstrukt wiederbelebt wird, wonach die Geschichte von leitenden Ideen und Personen bestimmt wird (Demirovic 2001, 61). Das trifft gerade auch für die Erklärungsversuche des 3. Irakkrieges zu. Die „Falken“ um Wolfowitz, Perle, Cheney und Rumsfeld, quasi die Synthese aus Ölmaffia und Verschwörungs-Think-Tank sind es, so die Erzählung, der man den Krieg zu verdanken habe. Das sei der „Schoß, aus dem das Ungeheuer des jüngsten Krieges gekrochen sei“ (Rupp 2003). Ausgerüstet mit den Informationen aus Michael Moores „Stupid White Men“ und diversen Inner-Circle-Strategiepapieren, wird eine erstaunlich subjektivistische Strippenziehertheorie gebastelt, die ungefähr so geht: Ein Zirkel neokonservativer Intellektueller, der eine regelrechte philosophische Schule bilde (Misik 2003), habe sich unter der Regierung Bush – vor allem gegen den moderaten konservativen Diplomatenflügel um Colin Powell – durchgesetzt. Der theoretische Hintergrund der „Neocons“ liege in der auf Leo Strauss zurückgehenden Elitenphilosophie, nach welcher der moderne Gleichheitskult die elitären Qualitäten wie Heroismus, Tugend, Kreativität zu zerstören drohe (ebd.). Hauptgegner sei der Liberalismus, der vorrangig den „Werteverfall“ zu verantworten habe. Die auf einem klaren Freund/Feind-Schema aufgebaute „realistische“ Theorie lehnt demgemäss eine auf internationalem Recht aufbauende Weltordnung ab (ebd.) und baut auf die USA als alleiniger Supermacht für den Rest des Jahrhunderts. Die Praxis dieses hochvernetzten Zirkels begann bereits 1992, also relativ schnell nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, noch unter der ersten Bush-Regierung. Doch mit dem Wahlsieg Clintons sei das Projekt zunächst gestoppt worden. Die multilaterale Politik der Clinton-Administration sei daher auch auf den erbitterten Widerstand der Neokonservativen gestoßen, die mit ihrem 1997 gegründeten Think Tank „Project For A New American Century“ (PNAC) die zu lasche Haltung in Verteidigungsfragen geißelten. Mit der zweiten Bush-Administration wieder an die Regierung gekommen, so die These, war nunmehr die Möglichkeit geschaffen, die Theorie des „amerikanischen Jahrhunderts“, des „New American Empire“ umzusetzen (Rupp 2003). So hätten bereits zwei Tage vor dem 11/9 die Angriffspläne der USA gegen das Taliban-Regime in Afghanistan zur Unterschrift auf dem Schreibtisch des illegal an die Regierung gekommenen US-Präsidenten gelegen und bereits sechs Tage nach den Anschlägen habe Rumsfeld bereits den Befehl zur Planung des Irakkrieges gegeben (Washington Post v. 12.01.2003). Die Strategiepapiere des Zirkels hätten von Anfang an die Präventivschlagstrategie der neuen „Sicherheitsdoktrin“ geplant. Ziel sei es, zu verhindern, dass nach dem Niedergang der Sowjetunion wieder ein Staat in der Lage sein sollte, zu einer ähnlichen Bedrohung für die Vereinigten Staaten zu werden (Rupp 2003). Bereits 1998 hätten 18 Unterzeichner aus dem neokonservativen Umfeld in einem Brief an Clinton die Beseitigung des Irakischen Regimes mit militärischer Gewalt gefordert, von denen heute 10 in Schlüsselpositionen der Bush-Regierung säßen (ebd.).

Die Daten und Fakten der zitierten Papiere und Willensbekundungen, die Existenz des PNAC und die offensichtliche unilaterale Vorgehensweise sollen nicht bestritten werden. Die theoretische Bewertung dieser Vorgänge hingegen schon. Denn ausgeblendet werden in diesem Zusammenhang Unmengen weiterer „Strategiepapiere“, Wunschphantasien und absurder Philosophien, die zeitgleich von anderen AkteurInnen propagiert wurden. Nicht ein Bruchteil dessen, was an haarsträubenden Omnipotenzphantasien jemals geäußert wurde, ist Realität geworden. Dass nun plötzlich aufgrund der scheinbaren Kongruenz von Theorie und Praxis fundierte gesellschaftstheoretische Annahmen über den Haufen geworfen werden, ist bedenklich. Auf die US-„Junta“, wie Gore Vidal die Führungsclique nennt (Vidal 2002, 7), mögen alle die genannten Beschreibungen zutreffen – doch vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund? Welche Sozialstruktur ermöglichte „einer mittelmäßigen und grotesken Personage das Spiel der Heldenrolle?" sollten wir mit dem analytischen Rüstzeug von Marx’ „18. Brumaire“ fragen (Marx 1989 [1869], 263), statt uns auf eine zu simple Herrschaftsvorstellung einzulassen. Es ist unerlässlich, diese Frage zu beantworten, wenn man nicht in einer mainstreamanalogen Art und Weise zu dem Ergebnis gelangen will, dass die Politik in derart unmittelbarer Weise von Menschen gemacht wird, die wahrscheinlich auch noch von „Ideen“ vorangetrieben sein sollen.

(2) Ökonomismus

Die zweite Linie der Erklärungsversuche zeichnet sich in der Auseinandersetzung darüber ab, ob es nun bei der ganzen Angelegenheit irgendwie ums Öl geht – oder nicht. Die ökonomistische Variante erklärt die Tatsache zur Kriegsursache, dass vor allem französische, russische und chinesische Ölfirmen vertragliche Rechte über zukünftige Ölförderungen hätten und der Krieg quasi im Dienste der us-amerikanischen Ölmultis geführt werde, die ihre zentralen Marionetten ja bereits in der Regierung sitzen hätten. Denn immerhin liegen im Irak die weltweit zweitgrößten bisher bekannten Ölressourcen. Das Problem mit dieser Argumentation, jenseits des prinzipiellen Einwands, dass dies ein viel zu unmittelbares Verständnis von "ökonomischen Interessen" ist, besteht darin, dass die These vom gravierenden Interessenkonflikt zwischen amerikanischen und europäischen Ölfirmen nicht funktioniert. Die Konzessionen, die Total, Lukoil und andere mit dem Irakischen Regime ausgehandelt hatten, sind weit weniger wert, als es den Anschein hat. Der Ausübung ihrer Rechte stehen die Sanktionen im Weg. Sie verhindern den Aufbau moderner Förderanlagen ebenso wie den Ölexport. Hinzu kommt, dass die Praxis der Öl-Förderung, etwa in den zentralasiatischen Republiken zeigt, dass riesige Ölfelder ohnehin meist von multinationalen Konsortien erschlossen werden, nicht von Einzelunternehmen (Streitz 2002).

Das Problem ist nun, dass eine Kritik am Ökonomismus zumeist in der Weise ausfällt, dass jedwede Erklärung, die auf ökonomische Interessen hinweist, prinzipiell als veraltete, orthodoxe, antiamerikanische, verkürzte Erklärung diffamiert wird. Dies ist Teil des Mainstreamdiskurses, der materialistische Theorien aus dem Bereich des Theoretisierbaren aussortieren will - also Ausdruck des aktuellen Kräfteverhältnisses im Postfordismus. Unter diesen Bedingungen haben Theorien wie die der Internationalen Beziehungen Hochkonjunktur, die harmonisch-politizistisch die Welt aus rein politischen Prinzipien ableiten jenseits der bösen Ökonomie. Die Thematisierung der Ölquellen wird so - exemplarisch bei Münkler - als bloßer „ideologiekritischer Reflex“ diffamiert. Statt dessen müsse der Krieg aus der Funktionsweise von Imperien erklärt werden (Münkler 2003). Als einziges verbliebenes Imperium bliebe den USA gar nichts anderes übrig, als das unzuverlässige irakische Regime zu beseitigen, um endlich den seit fast zwanzig Jahren dort stationierten nicht unerheblichen Teil ihres Militärapparates abziehen zu können. Die Selbsterhaltungsimperative imperialer Macht verlangten es, dass diese nicht dauerhaft mit starken Kräften in dieser Region gebunden ist (ebd.). Dazu müsse im Irak ein „Prosperitätsregime“ errichten werden, das die Ressourcen des Landes der Bevölkerung zugute kommen lasse und langfristig die Demokratie befördere (nach Ullrich 2003). Erstaunlich nur, dass die US-Junta sich dann ausgerecht den Irak ausgesucht hat, und nicht das Regime Saudi-Arabiens, also eines „der anachronistischsten der Welt“, das sich nicht zuletzt durch die „aggressive internationale Verbreitung seiner fundamentalistischen Version des Islam“ auszeichnet (Ehrke 2002, 17). Die Dauerkoalition der USA mit dem Königreich war ganz im Gegenteil jahrzehntelang Kern der amerikanischen Nahostpolitik (ebd.). Wenig überzeugend ist auch die Vermutung, der Hauptkriegsgrund, sei der Wunsch nach Abzug des Militärapparates, der doch so präzise seit Jahrzehnten aufgebaut wurde und durch den aktuellen Krieg nun nicht gerade schrumpfen dürfte. Kurzum: „Eine schöne Vision, wie aus einer Hochglanzbroschüre des Weißen Hauses abgeschrieben“ (Ullrich 2003).

Wie also könnte eine Erklärung der „ökonomischen“ Bedingungen des Krieges aussehen? Sie müsste – so viel steht fest - eine politisch-ökonomische sein, eine, die nicht wie heutzutage im Zeitalter der sog. Globalisierung üblich, von einer „entbetteten“ Ökonomie faselt, die wieder politisch eingehegt werden müsse. Spätestens in dem Moment, da selbst die Propaganda zugibt, dass z.B. die Medienökonomie „eingebettet“ ist, ist dies obsolet geworden. Die für mich bisher plausibelste Erklärung hat Michael Ehrke vorgebracht, indem er vor allem drei Momente betont, die Importabhängigkeit des petro-industriellen Komplexes, die Rolle Saudi-Arabiens als instabilem Regulator der Ölökonomie, sowie die Ressourcen des Iraks.

Ehrke stellt zunächst fest, dass der Ölmarkt als ein politisch-regulierter Markt das Ergebnis des Verteilungskampfes zwischen den Eliten der Ölländer einerseits und dem petro-industriellen Komplex der westlich-kapitalistischen Welt andererseits ist (Ehrke 2002, 12 f.). Die Energieressource Öl kommt also nicht aus der Sicht der Einzelkapitale und ihrer Marionetten in Washington ins Spiel, sondern als „allgemeine Produktionsbedingung“, die die Produktion und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen sowie die gesamte Lebensweise der metropolitanen Gesellschaften, die nach wie vor maßgeblich auf nicht erneuerbare Energien setzen, bestimmt. Die Importabhängigkeit der Metropolen von Teilen der Peripherie – die USA muss allein heute bereits die Hälfte des benötigten Erdöls importieren (14) – ist ein struktureller Widerspruch der globalisierten kapitalistischen Ökonomie, die jene Regionen jenseits der Triade tendenziell exkludiert. Dieser Widerspruch wird zum sicherheitspolitischen Problem in dem Moment, da der bisherige Garant westlicher Versorgungssicherheit, Saudi-Arabien, die innenpolitische Stabilität immer weniger sicherstellen kann. Saudi-Arabien konnte nach Ehrke seine Schlüsselstellung nicht nur deswegen einnehmen, weil es die größten bisher bekannten Erdölvorkommen aufwies, sondern auch gerade weil es innenpolitisch durch die Möglichkeiten materieller Zugeständnisse aufgrund der geringen Bevölkerungszahl relativ stabil war (17). Spätestens die Anschläge des 11/9 dürften das Ende dieser Ära jedoch deutlich vor Augen geführt haben. Nicht nur, dass die Mehrzahl der Attentäter inkl. Bin Ladin aus Saudi-Arabien stammte, auch die innenpolitische Situation hat sich verändert und die Bevölkerung gegen das mit den USA kooperierende Regime aufgebracht. Saudi-Arabien wurde zum Sicherheitsrisiko (18) und mit ihm ein Politikansatz, "[...] der vornehmlich die indirekte Kontrolle der Förderregionen des Nahen Ostens vorgesehen und sich damit begnügt hatte, ‚freundschaftliche Beziehungen’ zum saudischen Regime aufrechtzuerhalten, es diesem aber selbst überlassen hatte, wie es seine Herrschaft ausübte und politische Stabilität wahrte“ (18). Der Regimewechsel im Irak zielt also "[...] aller Voraussicht nach auch [auf] eine stärkere direkte Kontrolle des Nachfolgeregimes“ (ebd.). Der Irak verfügt nicht nur über das zweitgrößte Erdölvorkommen, sondern vor allem auch über weitaus größere vermutete Reserven. Seit 1970 wurden jedoch keine systematischen geologischen Studien mehr vorgenommen, und 55 der 70 irakischen Ölfelder sind nicht voll erschlossen. Von einem Regimewechsel profitierten nicht alleine us-amerikanische Firmen, sondern neben den Konkurrenten vor allem auch die restlichen Metropolen, trotz aller Differenzen. Ob allerdings ein Regimewechsel Stabilität bewirken kann oder nicht viel eher das Gegenteil eintreten könnte, ist nicht mit der Logik des Weltgeistes zu beantworten. Der Widerspruch globaler kapitalistischer Vergesellschaftung muss ja keineswegs „aufgehoben“ werden.

(3) Imperialismus

Die bisherigen Erklärungsversuche, die in ihrer Weise, zur Erklärung des Krieges beitragen konnten, bleiben jedoch unvollkommen, wenn sie nicht in einen theoretischen Zusammenhang gestellt werden können. Und eben dabei kommen wir zum dritten vorherrschenden Paradigma kritischer Erklärungen: der Imperialismustheorie. Dass Leute wie Hardt und Negri Unrecht hatten, so triumphiert man jetzt, zeige sich nun endlich an diesem Krieg. Die „real existierende Welt“ funktioniere nicht, wie die „schicken, aber voreiligen Thesen“ der „Apologeten“ sich das vorgestellt hätten (ak v. 21.03.2003). Globalisierung hin, internationale Verrechtlichung und „Global Governance“ her: der momentane Ausnahmezustand enthülle das wirkliche Gesicht des Kapitalismus. Jener beruhe eben auf nationalstaatlicher Regulation und jene schlage mit ihrem Gewaltmonopol, in dem Fall dem us-amerikanischen, gerade offensichtlich zu. Da mag ja viel über das Empire spekuliert werden, wir leben nach wie vor im imperialistischen Zeitalter – e basta!

Die Empire-Theorie, die scheinbar als narzisstische Kränkung erlebt wird („Diskurs-Geschwurbel, Ideologiekritik und ähnliche Parapsychologie“ [Elsässer 2003]), versuchte das über moderne Nationalstaatlichkeit hinausschießende Moment des Postfordismus begrifflich zu fassen. Dies will die momentan artikulierte Imperialismustheorie nicht akzeptieren. Die Hardcore-Variante meint, Lenin habe bereits alles dazu gesagt (ebd.): Vor dem Hintergrund der Konzentration der Produktion und des Kapitals, der Kapitalexporte und der internationalen Monopole sei der imperialistische Krieg vor allem der Kampf um die territoriale Neuaufteilung der Erde (Lenin 1960 [1917], 270). So schön scheint also alles ineinander zu passen: Die USA verfolgen ihre imperialistische Politik im Interesse ihres globalisierten Kapitals, Staatsapparat und Kapitalfraktionen sind verschmolzen. Die moderatere Variante hingegen kritisiert diese „seltsam altertümliche“ Vorstellung (ak v. 21.03.2003) und führt ins Feld, dass eine moderne Imperialismustheorie längst nicht mehr auf die Eroberung und Besetzung von Territorien abstellt, sondern auf die Sicherung von Einflusszonen und die „Existenz von Brüchen und unterschiedlichen Dynamiken im Kapitalverhältnis“, die sich in unterschiedlichen Interessen und nationalstaatlichen Politikoptionen artikulieren (ak v. 21.03.2003). Was beiden jedoch gemeinsam bleibt, ist die Überbetonung des Nationalstaates, die nur das Hegemoniebestreben der „letzten Supermacht USA“ in den Blick bekommen kann. Sie missversteht daher notwendig die Motivation der Empireautoren, unterstellt ihnen gar, dass sie gerne „PolitikberaterInnen im Weißen Haus“ wären (ebd.). Dass der Theorievorschlag hingegen eine Möglichkeit wäre, die Gefahr der linken Nationalisierung in Zeiten des Krieges zu begegnen, wird vor lauter Ereiferung glatt überlesen.

Denn aus der nationalstaatlichen Perspektive folgt unter Umständen eine politische Strategie, die den Aufbau eines Gegen-Imperiums namens Europa herbeiwünscht. So schreibt bereits der Kriegstheoretiker Münkler, dass sich Europa entscheiden muss, ob es marginalisiert bleiben soll oder sich emanzipieren will. Dann allerdings müsse es zu einer Militärmacht aufgebaut werden, die es mit den USA aufnehmen kann: "Diejenigen, die hier nicht mitmachen wollen, müsste man auch abstoßen. Dann ist wahrscheinlich eine Perspektive auf Kerneuropa angezeigt, und müsste entsprechend verfolgt werden" (zit. nach FR v 9.4.2003).

Vom Mainstream erwartet man nichts anderes. Wenn aber selbst aus der Perspektive eines „Europas von unten“ die gleiche Forderung gestellt wird, zeigt sich die Problematik des nationalen Fetischs. So schlägt Rudolf Walther in seinem aktuellen links-netz-Artikel, und damit steht er nicht alleine, ein europäisches Alternativprojekt zum amerikanischen Unilateralismus vor. „Den ‚Willigen’ unter den europäischen Regierungen wäre klar zu machen, dass sie sich entscheiden müssen zwischen US-Gefolgschaft und einem autonomen Europa, das nicht länger am Schlepptau der USA hängen will“ (Walther 2003).

Bei aller Sympathie, man wünscht sich in solchen Momenten die Auferstehung Rosa Luxemburgs - dass sie noch einmal fragen möge: ."[...] was tut das internationale Proletariat? Völlig blind vor den Lehren der russischen Revolution, vergessend auch das Abc des Sozialismus, jagt es demselben Friedensprogramm der Bourgeoisie nach, erhebt es zum eignen Programm!“ (Luxemburg 1987 [1918], 572).

Das nationale „Friedensprogramm der Bourgeoisie“, das selbstverständlich klassen-, geschlechter- oder rassistische Spaltungen dethematisiert, und statt dessen auf Nationen oder regionale Wirtschaftsblöcke setzt, ist die Gefahr in Zeiten des Krieges gerade für eine emanzipatorische Bewegung, das zumindest hätte man doch aus dem imperialistischen Zeitalter lernen können. Der „Kampf“ ist bereits verloren, wenn sie sich in die Reihen der europäischen Bourgeoisie begibt und gemeinsam im Burgfrieden mit jener gegen Amerika wettert, so als gäbe es dort nicht die größte Anti-Kriegsbewegung seit dem Vietnam-Krieg, als wären nicht 75% der Afroamericans gegen den Krieg, als säße nicht jeder 142. US-Amerikaner im Gefängnis aufgrund der Strategie „Gefängnis statt Sozialhilfe“, als hätten nicht 40 Millionen US-BürgerInnen keine Krankenversicherung und als könnte ausgerechnet die Junta die Vielfalt der amerikanischen Bevölkerung repräsentieren.

Die Nationalisierung progressiver Kräfte ist also demgemäss eine wiederkehrende Problematik kapitalistischer Vergesellschaftung. Unter den aktuellen Bedingungen ist sie zudem anachronistischer denn je, da sie die Vernetztheit der kapitalistischen Gesellschaften ausblendet. Deutlich wird dies an den Boykottversuchen auf beiden Seiten: man boykottiert Evian, und ahnt nicht, dass der Hauptvertreiber in den USA Coca Cola ist, man boykottiert McDonalds und vergisst, dass dies höchstens Arbeitsplätze des Franchiseunternehmens in Deutschland trifft. Auch der Gedanke der "Übermacht Amerika" ist ein Mythos (Klönne/Biermann 2003), der suggeriert, die Vereinigten Staaten könnten sich tatsächlich langfristig eine unilaterale Politik leisten. "Bei einer Nettoverschuldung gegenüber dem Ausland in einer Größenordnung von fast drei Billionen Dollar und einer jährlichen Neuverschuldung von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind die USA auf ausländische Gelder angewiesen" (ebd.). Hinzu kommt, dass amerikanisches Kapital auf die Kooperation mit ausländischen Behörden angewiesen ist: bei Fusionen, beim Wettbewerbsrecht vor der EU-Kommission, vor den weltweiten Gerichten, für Landeerlaubnisse, internationale Copyright-Abkommen etc.

Wie schade also, dass man sich so schnell vom Empire-Ansatz verabschiedet hatte1, nicht versuchte, ihn trotz all seiner Macken2, ernst zu nehmen. Was er nämlich bietet, ist schlicht ein Perspektivenwechsel, der den nationalstaatlichen Fokus aufgibt und die sich globalisierende Welt aus dieser Innenperspektive betrachtet. Die Hypothese wäre, dass dies angesichts der Vernetzung von Kapital und Kulturindustrie möglich und u.U. geboten ist. Das heißt nicht, dass Nation und Staat in ihrer historischen Verdichtung aufgehoben sind, sondern, dass Nationalstaatlichkeit eingebaut wird in ein überdeterminierendes Netzwerk politischer Regulation (Wissel 2002). “Empire“ legt nahe, die innerimperiale Konkurrenz der nationalen Wettbewerbsstaaten und die strukturell bedingten Gemeinsamkeiten der westlichen „Führungscliquen“ in den Blick zu nehmen. Durch die Konkurrenz hindurch etabliert sich eine „globale Kontrollgesellschaft“, die – wie Atzert und Müller schreiben – das Leben der Bevölkerungen vollständig zu durchdringen und zu formieren strebt (Atzert/Müller 2003). „Der Krieg zielt auf die Etablierung globaler Kontrollmechanismen, die die Verfügung über die Mobilität, die Produktion und die Ressourcen regeln sollen. [...] Es geht um die Durchsetzung einer Kontrollgesellschaft, in die sich die einzelnen politischen Regimes eingliedern, um den Prozess der kapitalistischen Globalisierung, die Formen der internationalen Vergesellschaftung von Kapital, Arbeitsteilung Wissensproduktion [...] gegen die Risiken und Krisen abzusichern, die dieser Prozess fortlaufend produziert“ (ebd.). Weltweite Sicherheitsgesetzgebung und Entrechtlichungsprozesse sozialer Errungenschaften, von der Folterdiskussion über Hartz/Rürup bis zu Guantanamo – die sozialen Veränderungen des neoliberalen Globalisierungsprojektes lassen sich nicht in nationalstaatlichen Grenzen einfangen, selbst wenn sie innerhalb dieser „implementiert“ werden. Das zeigt sich auch daran, worauf Derrida hingewiesen hat, dass mit dem 11/9 sichtbar das gesamte „(logische, semantische, rhetorische, juridisch und politische) Dispositiv eingestürzt" ist, wonach "die absolute Bedrohung" noch in staatlicher Gestalt auftritt (Derrida 2003).

Aus dieser Weltinnenperspektive können die neuen globalen Kriege seit dem zweiten Golfkrieg über die „Menschenrechts“Kriege in Jugoslawien und Afghanistan bis hin zum aktuellen Krieg als die Etablierungsversuche einer neuen Ordnung interpretiert werden. Dabei wäre das US-Militär durch die imperialistische Motivation hindurch eine Art Quasi-Gewaltmonopol dieser neuen Ordnung, das deren Regulation abzusichern strebt. Diese Interpretation schien bis vor wenigen Tagen in bezug auf den 3. Golfkrieg wenig erhellend, da ihm das entscheidende Moment fehlte, die nach Max Weber notwendige Legitimation. Legitimation erhalten nach Hardt und Negri die Kriege, die im Empire zu Polizeiaktionen banalisiert werden, angesichts einer fehlenden Durchsetzbarkeit rationaler Rechtsnormen, durch eine moralische Anerkennung – wir erinnern uns: Menschenrechte, Frauenrechte, Verfolgung von Kriegsverbrechern, Terroristen etc. Dieser letzte Krieg schien aber nun genau dies von der metropolitanen Öffentlichkeit in keiner Weise zu erlangen, er war sozusagen die erste Polizeiaktion ohne Legitimation – und insofern vielleicht tatsächlich eine Art reiner Imperialismus3. Es könnte jedoch sein, dass wir gerade erleben, wie sich eine Ex-Post-Legitimation des „Befreiungsimperialismus“ (Alnasseri) herausbildet. So ist der kriegskritische Diskurs, in dem man sich plötzlich Seite an Seite mit dem Papst und der Bundesregierung wiederfand, bereits am Kippen. Über die Kriegsverbrechen wird dank der „Effektivität“ des Krieges und der Bilder jubelnder Menschen nicht mehr gesprochen, man beeilt sich lieber, an der Regulation des Iraks beteiligt zu werden. Die eingebetteten Medien fangen auch schon wieder an, die positiven Nebenaspekte der „Befreiung“ zu thematisieren.

Die innerimperiale politische Konkurrenz zwischen dem alten Europa und den USA mag die über ein unterschiedliches Regulationsmodell sein, den jeweiligen Traditionen entsprechend. Darin mag die europäische Variante sozialdemokratisch-sympathischer erscheinen – dabei nicht vergessend, was mittlerweile „Sozialdemokratie“ bedeutet. Vielleicht waren es aber auch nur die diskursiv erzeugten „Sparzwänge“ des Stabilitätspaktes, die die europäischen Regierungen von einer Beteiligung abhielten. Alles in allem aber werden die Gemeinsamkeiten schon bald wieder sichtbar werden. Eine antimilitaristische Opposition, darin ist Atzert/Müller zuzustimmen, darf sich in jene imperialen Konkurrenzbeziehungen nicht eingliedern lassen.

Literatur

Atzert, Thomas/Müller, Jost (2003): „Die Fortsetzung des Krieges“. In: Subtropen 04/2003.

Demirovic, Alex (2001): "Hegemoniale Projekte und die Rolle der Intellektuellen". In: Das Argument 239/2001, 59 ff.

Derrida, Jacques (2003): "Schurkenstaaten, Sorgenstaaten". In: Le Monde diplomatique Nr. 6956 v. 17.01.2003.

Ehrke, Michael. (2002): „Erdöl und Strategie. Zur politischen Ökonomie eines angekündigten Krieges“. In: Internationale Politik und Gesellschaft I/2003, 9-23.

Elsässer, Jürgen (2003): „Roll Over Iljitsch“. In: junge Welt vom 11.01.2003.

Klönne, Arno/Biermann, Werner (2003): "USA - Koloss auf tönernen Füßen?" In: Neues Deutschland v. 19.03.2003

Lenin, W.I. (1960 [1917]). Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In: Werke Band 22, Berlin.

Luxemburg, Rosa (1987 [1918]): „Fragment über Krieg, nationale Frage und Revolution“. In: Dies. Politische Schriften. Hrsg. v. Ossip K. Flechtheim. 572-579.

Marx, Karl (1989 [1869]), Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. in: Ders./Friedrich Engels (Hg.). Ausgewählte Schriften I. Berlin.

Misik, Robert (2003): „Bolschewismus von rechts“. In: taz vom 17.03.2003.

Münkler, Herfried. (2003): „Wie Imperien funktionieren. Die Handlungslogik der USA und das Erstaunen ihrer früheren Bewunderer“. In: Frankfurter Rundschau v. 12.03.2003

Rupp, Rainer (2003): „Absolute Dominanz“. In: junge welt vom 29.03.2003.

Streitz, Matthias (2002): "Worum es Bush im Irak wirklich geht". In: Der Spiegel, zit. nach Spiegel-Online vom 25.10.2002: www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,druck-219504,00.html

Ullrich, Volker (2003): „Ist der Sieger auch der Gewinner?“. In: Die Zeit. Nr. 16/2003.

Vidal, Gore (2002): Perpetual War for perpetual Peace. New York.

Walther, Rudolf (2003): „Antiamerikanismus“: Rettungsring des gemütlichen Konformismus. http://www.links-netz.de/K_texte/K_walther_konformismus.html

Wissel, Jens (2002), Naming the Beast. Nicos Poulantzas und das Empire, in: Das Argument, 2002, Nr. 248. Wiederveröffentlicht: http://www.links-netz.de/K_texte/K_wissel_beast.html

Anmerkungen

  1. www.links-netz.de/K_texte/K_walther_empire.html Zurück zur Textstelle
  2. vgl. www.links-netz.de/K_texte/K_wissel_empire.html Zurück zur Textstelle
  3. Das soll nicht verschweigen, dass imperialistische Interventionen immer auch legitimiert werden mussten. Es wird hierbei auf die Legitimation aus der Perspektive des „Empire“ abgestellt. Zurück zur Textstelle
© links-netz April 2003