Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

  Text in eigenem Fenster anzeigen    rtf-Datei herunterladen 

Sich in den Kämpfen anderer erkennen

Interview mit Ana Esther Ceceña (Mexiko) über das Weltsozialforum und den Kampf gegen die Logik der Militarisierung

Die zunehmende Militarisierung in Lateinamerika ist eines der zentralen Themen hier in Porto Alegre. Was sind die Kennzeichen?

Es gibt hier keinen offenen Krieg wie vielleicht demnächst gegen den Irak, aber andere Kriege. Jene „niederer Intensität“, als Aufstandsbekämpfung gegen die bewaffneten Organisationen und die Zivilbevölkerung. Es werden Strategien wie der „Plan Colombia“ entwickelt, bei dem finanzielle, personelle und logistische Mittel von den USA nach Kolumbien fließen. Da agieren zum einen US-Militärs selbst, zum anderen werden kolumbianische Militärs ausgebildet. Das geht damit einher, dass eine „Kultur der Denunziation“ geschaffen wird. Die Nachbarn, KollegInnen sollen beobachtet werden, wenn sie etwas Verdächtiges machen. In den lateinamerikanischen Gesellschaften wird eine Art Polizei-Kultur geschaffen. Seit den Militärdiktaturen gab es das nicht mehr. Die zunehmende Militarisierung seitens der USA in Lateinamerika begann bereits vor dem 11. September 2001. Das hat sehr viel mit der Strategie der USA zu tun, sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten, indem sie sich den ungehinderten Zugang zu natürlichen Ressourcen in Lateinamerika sichern, insbesondere zum Erdöl. Im Falle Mexikos oder Ecuadors kann man beobachten, dass die Länder immer mehr Erdöl in die USA exportieren. Damit unterlaufen die USA auch die OPEC. Heute wird in Lateinamerika dieselbe Menge gefördert wie im Mittleren Osten.

Welche Bedeutung spielt der 11. September?

Eine doppelte. Der 11. September schafft eine Konjunktur, um die Aufstandbekämpfung zu legitimieren. Seitdem gibt es mehr Militärposten und -übungen. Wenn man von diesen Posten eine Karte zeichnet erhält man ein geometrischen Netz mit diesen Posten, die die gesamte Region abdecken. Vor dem 11. September war in Asien das Kontrollnetz viel offener. Die Strategie der USA ist hier, sich ein dichteres Netz zu schaffen und mit der Intervention in Afghanistan wurde das auch erreicht. Der 11. September hat auch verdeutlicht, dass die vielen Kämpfe gegen die Militarisierung zwar sehr konkret sind, aber in einem Zusammenhang stehen. Die Menschen sind nicht nur wegen des Krieges in Afghanistan oder jetzt Irak in Sorge, sondern wegen eines globalen Krieges. Es gibt eine große Opposition gegen den Krieg. Dabei wurden weder die Taliban, noch aktuell Hussein verteidigt. Es geht vor allem gegen die Intervention und darum, dass die Menschen in diesen Ländern frei über ihr Schicksal entscheiden können. Kriege sind keine Mittel, um Konflikte zu lösen.

Welche Bedeutung hat das Weltsozialforum aus Deiner Sicht?

Das Forum begann ja als Alternative zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Dort werden von den Mächtigen Strategien abgesprochen und hier versuchte man, dem etwas entgegen zu setzen. Interessant ist nun, dass diese Perspektive schon auf dem ersten Forum deutlich ausgeweitet wurde. Die Leute haben gesagt: „Uns interessieren nicht nur Fragen der Weltwirtschaft, sondern viel mehr. Fragen der Kultur, der Sprache, alles, was unsere Gesellschaften und Menschen betrifft.“ Es muss also nicht nur eine starke Infragestellung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Entwicklungen geben, sondern es geht auch darum, konkrete Alternativen aufzubauen. „Wir diskutieren nicht ein Programm, um damit anzufangen, Alternativen zu schaffen. Vielmehr geht es darum, was wir heute andere machen können oder was wir heute sinnvoll machen und als Erfahrung für andere dienen kann.“ Porto Alegre hat sich sehr schnell zu diesem Raum entwickelt. Denn zur selben Zeit nahmen an vielen Orten in Lateinamerika die Widerstände zu und hier haben sich die verschiedenen Wege gekreuzt. Du erkennst dich im Kampf der anderen wieder, du unterscheidest dich gleichzeitig vom Kampf der anderen in deinem eigenen, aber es gibt Respekt. Zwischen den verschiedenen Kämpfen gibt es kein Kriterium dafür, welcher wichtiger ist.

Spielt das Forum eine Rolle in den Auseinandersetzungen gegen die zunehmende Militarisierung?

Oh ja. Die Offensive, die von den USA gegen unseren Kontinent gestarten wurde, ist ein zentrales Thema. Es geht um eine Perspektive, die uns nicht in einen Krieg zwingt, um Alternativen zu entwickeln. Die Logik des Krieges hat etwas Perverses. Es geht nicht nur um die direkten Auswirkungen: Tod, Verletzungen, Vertreibungen, Verschlechterung der Lebensbedingungen, etc. Sondern man wird selbst in die Logik gezwungen, dass man mit denselben Mittels jene zurückweisen muss, die deine eigene Gegenwart beschädigen. Mit dieser Logik zu brechen ist wohl einer der interessantesten Aspekte von Porto Alegre. Das ist kein einfacher Prozess.

Es wird immer wieder Kritik daran geäußert, dass bewaffnete Organisationen nicht eingeladen sind.

Auf dem Forum gibt es jenseits dieses Konsenses unterschiedliche Positionen. Einige sagen, dass sie als friedliche Kraft keinen Kontakt mit bewaffneten Organisationen wollen. Damit werden aber die Formen der Kriege in unseren Ländern nicht verstanden. Ich will nicht abstrakt bewaffnete Organisationen verteidigen. Aber wir haben viele Fälle in Lateinamerika, in denen sich die Bevölkerung in Waffen erheben musste, um überhaupt gehört zu werden. Das prominenteste Beispiel sind wohl die Zapatistas in Mexiko. Sie wollen einen friedlichen Weg gesellschaftlicher Transformation, dennoch mussten sie mit einer bewaffneten Auseinandersetzung anfangen. Einige hier sagen, deshalb sollen die Zapatistas nicht teilnehmen. Im Forum gibt es durchaus einige Kräfte, vertreten durch NGOs, die entpolitisieren und nicht politisieren. Glücklicherweise wird das durch die vielen sozialen AktivistInnen kompensiert.

Wo siehst Du Grenzen des Forums?

Das Forum hat sich exzellent entwickelt. Es sind im Vergleich zum ersten Jahr drei Mal so viele Leute hier. Die Artikulation der verschiedenen Spektren und Gruppen hat sich deutlich verdichtet. Es gibt eine deutlich größere Vielfalt. Das Forum steht aber vor einer großen Herausforderung. Bis wohin kann man in diesem organisatorischen Stil weiter machen? Es wächst, aber man muss die Form überdenken.

Welche Perspektive gibt es von hier, sehr allgemein gesprochen, auf Europa?

Europa ist für uns ja etwas weiter weg. Aber eine verbreitete Perspektive ist durchaus, dass „wir“ in Lateinamerika uns mit Europa gegen die USA verbinden müssen. Diese Sichtweise wird von den sozialen Bewegungen sehr infrage gestellt. Als wenn es dort keine transnationale Konzerne, neoliberale und kolonialistische Politiken gäbe. Es geht eher um die Frage, welche mächtigen Kräfte bekämpft werden müssen, seien es Staaten, Unternehmen. Die politischen Systeme sind ja nicht sehr offen für die Anliegen der sozialen Bewegungen. In Europa ist das genauso der Fall wie in Lateinamerika.


Ana Esther Ceceña ist Professorin am Institut für Wirtschaftsforschung der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM) und Herausgeberin der Zeitschrift „Chiapas“. Das Interviwe führte Ulrich Brand in Porto Alegre.

© links-netz Februar 2003