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Versammlungsverbot am Flughafen - Demonstrationsfreiheit im Internet

Abschiebegegner unterliegen und gewinnen vor Gericht*

Rainer Deppe und Christa Sonnenfeld

In zwei Prozessen zwischen der Fraport AG als Betreiberin des Frankfurter Flughafens und der Lufthansa einerseits sowie Aktivist/inn/en aus der Anti-Abschiebebewegung andererseits geht es um die Wahrnehmung politischer Grundrechte. Die bisherige Prozessbilanz ist zwiespältig. Beim Prozess um die Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit auf dem Flughafengelände haben alle fachgerichtlichen Instanzen für das Hausrecht der Flughafenbetreiberin und gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit votiert. Dagegen hat inzwischen die vom Hausverbot betroffene Klägerin Verfassungsbeschwerde eingelegt. Beim Prozess um die Wahrnehmung entsprechender Grundrechte im Internet wurde juristisches Neuland betreten. Im Fall dieser ersten Online-Demonstration hat das Oberlandesgericht das grundrechtsfeindliche Urteil des Frankfurter Amtsgerichts aufgehoben. Das ist ein großer Erfolg und ein wichtiger Schritt in der Frage der Demonstrationsfreiheit im virtuellen Raum.

Keine Grundrechtsbindung für Flughafenbetreiber

Mit Urteil vom 20.05.2005 wies das Frankfurter Landgericht die Berufung einer Abschiebegegnerin zurück, die gegen das von der Fraport AG gegen sie verhängte Hausverbot geklagt hatte. Das Landgericht bestätigte die Begründung des vorausgegangenen Amtsgerichtsurteils vom 20.12.2004. Im März 2003 hatte die Klägerin, zusammen mit anderen, am Schalter der Lufthansa versucht, Kontakt mit der Crew eines Flugzeuges aufzunehmen, um in letzter Minute eine gewaltsame Abschiebung zu verhindern. Daraufhin verhängte Fraport gegen sie ein Hausverbot, dem weitere gegen andere Personen folgten.

Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, Fraport dürfe die grundrechtlich geschützte Meinungs- und Versammlungsfreiheit innerhalb ihrer Räumlichkeiten untersagen, da sie als juristische Person des Privatrechts (AG) keiner direkten Grundrechtsbindung unterliege und bei Abschiebungen keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehme. Nach § 62 Abs. 2 Bundesgrenzschutzgesetz seien die im grenzüberschreitenden Reiseverkehr tätigen Verkehrsunternehmen verpflichtet, den BGS-Beamten Zutritt zu gestatten und die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Meinungs- und Versammlungsfreiheit seien Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat, nicht hingegen gegenüber dem privaten Eigentümer. Jenseits der öffentlich-rechtlichen Zweckbindung von Luftverkehrsunternehmen (Reisetätigkeit) könne die Beklagte, wie sonstige private Hausrechtsinhaber, deshalb frei darüber disponieren, wem sie den Zutritt zu ihren Anlagen gestatten oder versagen wolle.

Damit wies das Gericht die Begründungen der Klägerin zur Aufhebung des Hausverbots zurück. Diese hatte sich einerseits auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel bezogen, demzufolge eine „Grundrechtsbindung“ in Institutionen mit Mehrheitsbeteiligung der Öffentlichen Hand anzunehmen sei. Unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht hatte sie andererseits argumentiert, die Inkorporierung von staatlichen Behörden in Privaträume dürfe zu keiner „staatlichen Flucht ins Privatrecht“ führen. Dies hätte sonst zur Konsequenz, dass Bürger und Bürgerinnen ihre Grundrechte nicht mehr wahrnehmen könnten.

In der Revisionsverhandlung am 20. Januar 2006 wurden die vorinstanzlichen Urteile vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe weitgehend bestätigt. Danach muss die Betreiberin des Flughafens, auch unter der Berücksichtigung der Grundrechte, keine Versammlungen oder Aktionen hinnehmen, die den Flughafenbetrieb stören könnten. Somit wäre es dem Flughafenbetreiber erlaubt, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nachhaltig einzuschränken, – obgleich doch die Fraport AG überwiegend in öffentlicher Hand ist und sich auf dem Frankfurter Flughafen jährlich über 50 Millionen Menschen bewegen und fast 9.000 Abschiebungen durchgeführt werden, also hoheitliche Maßnahmen, wie Rolf Gössner in seiner Kritik des Urteils hervorhob (Freitag, 27.01.2006). Mit den Prinzipien einer rechtsstaatlich verfassten Demokratie ist es deshalb unvereinbar, dass öffentlicher Raum in Privatbesitz umdefiniert wird, wo dann elementare Grundrechte drastisch eingeschränkt bzw. suspendiert werden. Öffentliche Räume und Staatsunternehmen werden zunehmend teilweise oder ganz privater Nutzung zugeführt und deren Eigner entscheiden, ob das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrgenommen werden kann.

Gegen dieses letztinstanzliche fachgerichtliche Urteil hat die Klägerin am 15. März 2006 Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Wenn Computer demonstrieren

Am 20. Juni 2001 organisierte „Libertad!“ – aufgeschreckt vom Tod des Sudanesen A. Ageeb bei seiner Abschiebung am 28. Mai 1999 – eine Online-Demonstration gegen die Beteiligung der Deutschen Lufthansa AG an der bundesrepublikanischen Abschiebepraxis. Dem Demonstrationsaufruf im Internet schlossen sich 250 Gruppen und etwa 13.000 Einzelpersonen an. Es gelang ihnen für etwa zehn Minuten die Datenbanken der Buchungsserver der Lufthansa zu blockieren bzw. Buchungsvorgänge eine Weile zu verzögern. Die öffentlich angekündigte Aktion wurde bei den Kölner Ordnungsbehörden angemeldet, die nichts damit anzufangen wussten und den Vorgang an die Frankfurter Kriminalpolizei weiterleiteten. Strafantrag wurde im Vorfeld weder von den genannten Stellen noch von der Lufthansa gestellt. Das geschah erst nach der Online-Blockade mit der Begründung des öffentlichen Aufrufs zur Nötigung. Daraufhin beschlagnahmte die Kriminalpolizei im Oktober 2001 Computer und Festplatten, die erst im März 2005 zurückgegeben wurden. Vier Jahre nach der Demonstration im virtuellen Raum fand vor dem Frankfurter Amtsgericht der Prozess gegen den Domaininhaber der website „Libertad.de.“ statt, der nach zwei Verhandlungstagen am 14.06. und 01.07. mit einem haarsträubenden Urteil wider die Versammlungsfreiheit endete.

Versammlungsfreiheit im Internet? Nein!

Versammlungsfreiheit ist gemäß Grundgesetz (Art. 8 GG) zunächst für die physische Anwesenheit im realen öffentlichen Raum garantiert. Analog muss sie jedoch im virtuellen Raum gelten, in dem ja auch reale Geschäfte getätigt werden. Eine Demonstration zum Zeitpunkt der Aktionärsversammlung auf dem virtuellen Markplatz der Lufthansa entspricht dem Protest für ein gemeinsames politisches Ziel im realen Raum, mit dem ebenfalls Beeinträchtigungen anderer verbunden sein können.

Dass dagegen das Amtsgericht Frankfurt dazu neigt, den Begriff der Gewalt rechtswidrig auszudehnen, hat es bereits in den Prozessen gegen Irak-Kriegsgegner deutlich gemacht.

Entgegen dem so genannten Sitzblockadebeschluss des Bundesverfassungsgerichts (1995) wurden Teilnehmer an einer Sitzblockade wegen nötigender Gewalt (§ 240 StGB) verurteilt.

In absurder Weise wurde mit demselben Paragraphen nun der Vorwurf der Gewaltanwendung für die Online-Demonstration konstruiert. Die Anwendung elektrischer Energie zur Leitungsblockade sei als Gewalt gegen Sachen zu qualifizieren. Mittelbar sei dadurch der Wille der Lufthansakunden zwangsweise gebeugt worden, indem sie an der Nutzung der website gehindert wurden. Gleichzeitig sei der Lufthansa selbst im Sinn des § 240 StGB ein empfindliches Übel angedroht worden, insofern sie mit einer Fortsetzung der Aktion im virtuellen Raum habe rechnen müssen, auch wenn eine solche nicht geplant gewesen sei. Die Blockade sei zudem verwerflich gewesen, weil die Kunden nichts mit der Abschiebepraxis zu tun hätten und die Lufthansa nur mittelbar daran beteiligt sei. Als grundrechtliche Quintessenz kam die Amtsrichterin zu dem Schluss, dass die Online-Demonstration nicht unter dem Schutz des Versammlungsrechts stünde, da es sich wegen der fehlenden inneren Verbundenheit der Teilnehmer lediglich um eine Ansammlung elektrischer Signale im Internet gehandelt habe. Der Angeklagte wurde wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.

Versammlunsgfreiheit im Internet? Ja!

Dieses Urteil wurde am 22.05.2006 durch Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt aufgehoben. Der Angeklagte wurde freigesprochen. In der ausführlichen Urteilsbegründung werden die Vorwürfe der Gewaltanwendung, der Nötigung sowie der „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ unzweideutig zurückgewiesen.

Ausgehend von der Auffassung, dass Gewalt nicht mit Zwang zusammenfalle, sondern über diesen hinausgehen müsse, wird abgewogen, ob Gewalt nicht nur bei „körperlicher Kraftentfaltung“ vorliege, sondern bereits dann, wenn der Andere durch die Anwesenheit des Täters psychisch gehemmt werde, seinen Willen durchzusetzen. Damit aber, so das Gericht werde der Gewaltbegriff unscharf, weil nicht klar sei, welches körperliche Verhalten, das andere psychisch hemmt, ihren Willen durchzusetzen, verboten sein solle und welches nicht.

Im Fall der online-Demo fehlte es nach Auffassung des OLG bereits an der körperlichen Kraftentfaltung. Nicht jede aktive Handlung erfüllt die Voraussetzungen der Gewalt, „die bloße Muskelinervation genügt nicht“. Der Tastendruck beschränkt sich auf den Bereich des Internets und ist nicht gegen den Körper der User gerichtet. Es kann deshalb nicht die Rede davon sein, dass die User den Zwang als körperlich empfunden hätten, wie das Amtsgericht argumentiert hatte. Des weiteren wirkte sich „die Einwirkung auf das Leitungsnetz“ u.a. deshalb nicht als physischer Zwang aus, weil sie nicht primär gegen eine Person gerichtet war.

Selbst unter dem Gesichtspunkt der „Gewalt gegen Sachen, liege hier keine Gewalt vor, da sich die Einwirkung auf die Sache nicht körperlich auswirke. Die Wirkung beim User erschöpfte sich in dem Umstand, dass er die Website der Lufthansa nicht aufrufen konnte, von physischer Beeinträchtigung könne deshalb keine Rede sein. Der Angeklagte habe lediglich die Meinung der Lufthansa-Kunden beeinflussen wollen. Anders als bei einer Sitzblockade seien die „Opfer“ nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden, konnten sich „die Internetuser weiterhin uneingeschränkt bewegen und fortbewegen“.

Das OLG kommt deshalb zu dem Schluss: „Da Gewalt im Sinne vom § 240 StGB zu verneinen ist, bedarf es keiner Erörterung, ob – wie vom Amtsgericht angenommen – Gewalt gegen Dritte, die Internetuser, ausreichend ist, um die Lufthansa zu nötigen.“

Indes erfüllt der festgestellte Sachverhalt nach Auffassung des OLG auch nicht den vom Amtsgericht unterstellten Tatbestand der versuchten Nötigung in Form der Drohung mit einem empfindlichen Übel. Der Angeklagte habe nicht gedroht, denn dann hätte er ein „Übel“ in Aussicht stellen müssen, falls der Bedrohte nicht auf seinen Willen reagiert. Eindeutig sei hingegen, dass der Demo- Aufruf vom 14.05.2001 nicht mit Bedingungen versehen war. Die Aktion war zeitlich begrenzt, Anhaltspunkte zu ihrer Fortsetzung gab es nicht. Die Argumentation des Amtsgerichts, dass der Lufthansa ein Imageschaden zugefügt werden sollte, beschreibe „lediglich die beabsichtigten Wirkungen und nicht eine konkludente Drohung des Angeklagten“. Deshalb liegt auch keine Nötigung vor.

Auch eine Strafbarkeit wegen Aufforderung zur Datenveränderung kann nach Auffassung des OLG ausgeschlossen werden, da es sich nicht, wie vom Amtsgericht unterstellt, um „Datenunterdrückung“ gehandelt habe. Die Daten sollten lediglich für ca. zwei Stunden und nicht auf Dauer entzogen werden. Eine Datenunterdrückung liege aber nur dann vor, „wenn diese dem Zugriff des Berechtigten entzogen und deshalb nicht mehr verwendet werden können“.

Diese Bilanz ist in der Tat eine Ohrfeige für das Frankfurter Amtsgericht. Der Angeklagte hat sich unter keinem Gesichtspunkt strafbar gemacht. Das Urteil des OLG kann, so ist zu hoffen, als rechtliches Signal zugunsten der Demonstrationsfreiheit im Internet gewertet werden.

Anmerkung

* Der Text zu den Urteilen der Frankfurter Amtsgerichte wurde aus dem „Grundrechtereport 2006“, Frankfurt 2006 entnommen: Deppe, Rainer/Sonnenfeld, Christa, Keine Rechte für Abschiebegegner. Er wurde für „links-netz“ überarbeitet und mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt ergänzt.Zurück zur Textstelle

© links-netz August 2006