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Der kleine Mann im global village

Rezension des von Wilhelm Heitmeyer und Dietmar Loch herausgegebenen Bandes "Schattenseiten der Globalisierung",
Februar 2001, Edition Suhrkamp, Paperback, 544 Seiten, 33,90.- DM

von Michael Elm und Jens Wissel

Wenn man im Bekanntenkreis erzählt, dass man gerade ein von Wilhelm Heitmeyer (und Dietmar Loch) herausgegebenes Buch rezensiert, erhält man meist ein irritiertes Stirnrunzeln als Reaktion und eine Nachfrage wie: War das nicht dieser Sozialforscher mit dem ökonomistisch gerechtfertigten Rassismus? Heitmeyer machte sich Anfang der Neunziger mit diversen empirischen Untersuchungen über rechtsradikale Jugendlichen einen Namen. Das Problem dieser Untersuchungen lag dabei in dem unvermittelten Schluss von gesellschaftlichen Desintegrationsprozessen auf rassistische Gewalttaten. Die Argumentation verlief nach dem Muster, dass die neoliberal bedingten sozialstrukturellen Umbrüche wie Massenarbeitslosigkeit, Mangel an Ausbildungsplätzen usw. die deklassierten Deutschen derart verunsicherte, dass sie sich die MigrantInnen als Sündenböcke suchen mussten. Die in Linken Debatten gängige strukturtheoretische Argumentation, die sich gegen Personalisierung und moralisierende Schuldzuweisung richtet, wurde so zur Rechtfertigung rassistischer Handlungen verwandt. Implizit wird den Subjekten rassistischer Handlungen die Verantwortung für ihr Tun abgesprochen. Das Bedürfnis rassistische Übergriffe zu entschuldigen, indem auf das Elend bundesdeutscher Gemütslagen in Hochhaussiedlungen verwiesen wurde, war keineswegs ungewöhnlich. Es fand sich auch in den großen sozial-liberalen Gazetten, hier zumeist in Kombination mit einer Kritik sozialstaatlicher Deregulierung der damaligen Regierungsparteien. Mittlerweile ist Heitmeyer Leiter des interdisziplinären Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung der Uni Bielefeld, auf dessen Initiative der vorliegende Sammelband `Schattenseiten der Globalisierung´ maßgeblich zurück geht.

Die Rede von den `Schattenseiten´ lässt Böses ahnen, wird hier doch ein unmittelbarer Zusammenhang von globalen politisch-ökonomischen Umstrukturierungen und dem Phänomen des Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus angedeutet, so als hätte sich die ökonomistische Rechtfertigung des Rassismus nun auf eine transnationale Ebene verlagert. Die Autoren des ersten Blocks des Buches, der sich thematisch mit diesem Verhältnis beschäftigt, zeichnen denn auch ein düsteres Bild der weiteren Entwicklung, wenn der neoliberalen Globalisierung nicht Einhalt geboten wird. Nun ist es zwar richtig, die Sachzwanglogik der Globalisierungsbefürworter und die vermeintliche Handlungsunfähigkeit der Politik zu kritisieren, aber aus zunehmenden sozialen Ungleichheiten als Folge einer neoliberalen Globalisierung kann nicht einfach eine autoritäre Entwicklung abgeleitet werden. Letztere ist selbst Ausdruck einer kulturellen Globalisierung, die ein ethnisches und nationalistisches Interpretationsmuster vorgibt, was in den Aufsätzen aber nur am Rande thematisiert wird und angehängt wirkt. Am spürbarsten wird das analytische Defizit, wenn der Begriff der kulturellen Globalisierung im Einleitungstext von Heitmeyer und Loch vor allem durch Migrationsbewegungen charakterisiert wird und nicht etwa durch TV oder andere Spielarten der Kulturindustrie.

In einigen Aufsätzen des Bandes taucht der alte Fehlschluss auf, die rassistische Diskriminierung könne in irgendeiner Weise auf die Diskriminierten zurückgeführt werden. Die rassistische Mobilisierung hätte also einen rationalen Kern und wäre auch als Reaktion auf das Verhalten der Diskriminierten, bzw. deren Existenz zu verstehen. So beispielsweise Detlef Oesterreich, der von dem "Asylbewerberproblem” spricht, ohne zu merken, dass er selbst dieses "Problem” mitkonstruiert, indem er einen Begriff übernimmt, der aus dem bundesrepublikanischen Dominanzdiskurs die Perspektive des Rassisten einnimmt. Probleme fallen eben nicht vom Himmel, sondern werden im wahren Sinne des Wortes gemacht, das heißt in einer zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit hergestellt. Die Frage ist also nicht, ob das "Asylbewerberproblem” günstigere Bedingungen für rechtspopulistische Mobilisierungen schafft, sondern wie es gelang, politisches Asyl als Problem zu konstituieren. Noch kruder geht Michael Zürn vor, der vom relativen Anstieg der Migrationsbewegungen kurzerhand auf die Zunahme von Rassismus schließt.

Die Beschäftigung mit dem unverständlicherweise ausgesparten Thema Antisemitismus hätte vielleicht vor solchen Unzulänglichkeiten bewahrt. Bekanntermaßen kommt der Antisemit ohne konkrete Erfahrungen mit Juden aus. Gerade im Zusammenhang von Globalisierung und Autoritarismus ist es nicht nachzuvollziehen, dass in dem Band das Thema nicht einmal als Auslassung erwähnt wird. Die in den Debatten zur Globalisierung häufiger anzutreffende Gegenüberstellung von produktivem Kapital und Finanzkapital bietet rechtspopulistischen Bewegungen Ansatzpunkte für die abstrusesten Verschwörungstheorien, deren alltagspraktische Relevanz leider allzu offenkundig ist. Horkheimer und Adorno waren in der Erklärung der Rationalität solcher Verschwörungsszenarien schon wesentlich weiter. Diese besteht nicht zuletzt in der Personalisierung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse und der Projektion verdrängter Wünsche auf die als fremd etikettierten Anderen. Wer in den Augen von Haider, Le Pen und Konsorten das "entfesselte” Finanzkapital verkörpert, braucht hier nicht erklärt zu werden. Entscheidend ist der vorgenommene Perspektivwechsel, der das Problem bei den Rassisten und nicht deren Opfern ausmacht.

Der eigentliche Beitrag des Buches zur gegenwärtigen Debatte um rechtsradikale Gewalt aber liegt in der Feststellung, das weniger die rechtsextremen Schläger zukünftig die demokratische Spielart des Kapitalismus gefährden werden, als vielmehr der bis in die Mitte der demokratischen Parteien reichende und teilweise aus ihr stammende Rechtspopulismus. Als dessen Themen nennt Heitmeyer in seinem abschließenden Beitrag die `kulturelle Überfremdung´ als Ausdruck der Ethnisierung sozialer Probleme, die `politische Fremdbestimmung´ der Nation im Zuge der Globalisierung, die Homogenitätsvorstellungen impliziert und verbunden mit letzterem, die Kritik der politischen Repräsentation in Form von Parteienfilz und Politikverdrossenheit.

Die Gefahr durch gewalttätige Rechtsextreme sieht Heitmeyer von einem sicherheitspolitisch aufgerüsteten Staatsapparat gebannt, der als sozialpolitische Reaktion selbst ein Problem darstellt. Themen des klassischen Rechtsextremismus werden von einem `autoritären Kapitalismus´ integriert, indem sie in ökonomisch und politisch durchgesetzte Spielregeln umgeformt werden. Die neue Mitte verschiebt sich nach rechts. Dass der Rechtsradikalismus keine Gefahr für den Staatsapparat darstellt erscheint plausibel, den Opfern der zunehmenden rechtsradikalen Gewalttaten hilft dies allerdings wenig. Für sie nimmt der Verfolgungsdruck sowohl vom Staat als auch durch den gesellschaftlichen Rassismus zu.

Tenor von Heitmeyers Analyse, auch seiner zahlreichen feuilletonistischen Beiträgen zur Debatte zum Rechtsextremismus, ist die Kritik der politischen Eliten. Mit dieser Kritik ist ein weiterer analytischer Befund verbunden, nämlich dass sich Rechtsradikalismus nicht als ein Problem der unteren und sozial deklassierten Schichten beschreiben lässt, sondern alle sozialen Klassen übergreifend vorzufinden ist. Am anschaulichsten findet sich das in dem Beitrag von Michael Vester, der mit Bourdieus Habituskonzept arbeitet. Hier wird der Vertikalen der sozialen Klassen eine Horizontale der kulturellen Orientierung hinzugefügt. So wird erklärbar, warum sich autoritäre Verhaltensweisen in gewerkschaftlichen Kreisen genauso finden lassen, wie emanzipative in konservativen Milieus. Vester kommt zu dem Schluss, dass die politischen Eliten weit gefährlicher seien als die subalternen Klassen, da es in ihrer Macht liege, die im Zuge der Globalisierung notwendigen Umstrukturierungen, beispielsweise sozialstaatliche Rechte auf europäischer Ebene, vorzunehmen. In dieser Perspektive lässt sich der Rechtspopulismus als die kulturell und sozial avanciertere Form des Rechtsradikalismus beschreiben.

Hier lassen sich gewisse Lernfortschritte unter den Sozialforschern ausmachen. Allerdings bleibt bei der Heitmeyerschen Elitenkritik der Eindruck zurück, dass diese wiederum zur Rechtfertigung des `kleinen Mannes´ herangezogen wird. Denn die deutsche Auslegung der Elitenkritik lautet meist, `dass einem ja nichts anderes übrig bleibe, weil die da oben ohnehin machen, was sie wollen´, wie man es zuletzt in der 6-teiligen Holokaust-Serie von Guido Knopp im ZDF beobachten konnte. Letztlich entpuppt sich die Elitenkritik als der Populismus des Sozialforschers.

Der zweite und dritte Block des Sammelbandes sind den autoritären Entwicklungen in Europa und der gegenwärtigen Situation in der BRD gewidmet. Auffallend ist dabei das von rechtspopulistischen Bewegungen vertretene Leistungsprinzip, das eine Schnittstelle von neoliberalen Globalisierungspolitiken und konservativ-autoritären Vorstellungen markiert und deren partielle Zusammenkunft erklärt. Das Leistungsprinzip wird hierbei aber keineswegs ungebrochen vertreten, vielmehr wird es je nach politischer Lage immer wieder mit sozialprotektionistischen Parolen vermengt. Klaus Dörre weist zudem darauf hin, dass es neben der Gefahr einer Verschmelzung von nationaler und sozialer Frage, die zu einem sich "territorialistisch gebärdenden Rechtspopulismus” führen könne, auch einen "Autoritarismus von Globalisierungsgewinnern” gebe. Dieser argumentiere mit Effizienz und Sachzwanglogik und betrachte den Staat, unabhängig von demokratischer Legitimität, als bloßes Unternehmen, in dem bekanntermaßen nur Leistung zählt.

Der für diesen Sachverhalt von Heitmeyer verwendete Begriff des `autoritären Kapitalismus´ erfreut sich in den Sozialwissenschaften zunehmender Beliebtheit. Voraussetzung des Begriffs ist die imaginierte "wechselseitige Zähmung von Demokratie und Kapitalismus", wie sie auch in den Zivilgesellsellschaftsdebatten gängig ist. Durch die "Entbettung" der Ökonomie, wirkten die autoritären Gesetze des globalisierten Marktes in Form einer unkontrollierbaren Sachzwanglogik auf die Nationalstaaten und führe zur "Demokratieentleerung". Auch wenn unklar bleibt, warum Demokratie überhaupt "gezähmt" werden muss, stellt Heitmeyer fest, dass nach der Durchsetzung der Marktorthodoxie weder die alten "Zähmungsinstrumente" funktionieren, noch angemessene neue entstanden seien.

Die Erkenntnis, dass wir keinem goldenen Zeitalter des Neoliberalismus entgegentreiben, in dem in den Netzwerken der globalen Zivilgesellschaft alles schön und "zeitnah” diskutiert und konsumiert werden kann, führt bei den Autoren zu einem verklärten Rückblick auf den Fordismus. Die von der Neuen Mitte zutiefst enttäuschten sozialdemokratischen Wissenschaftler wollen nun den "autoritären Kapitalismus" verhindern. Das Ganze mündet in den Versuch das Disziplinarsystem des Fordismus auf eine höhere europäische Ebene zu heben.

© links-netz April 2001