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Reformkonform

Sozialabbau und Aktivitäten des DGB 2003–2006
Zum Verhältnis von sozialen Bewegungen und Gewerkschaften

Michael Flörsheimer

In den Auseinandersetzungen der letzten Jahre um die Sozialabbau-„Reformen“ spielte der DGB eine nicht unbedeutende Rolle. Die Einschätzung des DGB – der sich, im Gegensatz zu den Einzelgewerkschaften, in der Regel als Bündnispartner sozialer Bewegungen anbietet – ist seitens der sozialen Bewegungen bisweilen von einer erstaunlichen Naivität und Unkenntnis geprägt. Zumindest gilt dies, wenn man jene außer Acht lässt, die in Gewerkschaften von vornherein sowieso keine Bündnispartner sehen, aus welchen Gründen auch immer.

Ein Beispiel dafür ist der im links-netz von Ewald Lienen publizierte Beitrag: „G8“ als Kristallisationspunkt globaler Herrschaft (Nov. 2006, S.1): „Offen ist noch, wie sich die Gewerkschaften und die Linkspartei in den Prozess einbringen. Durch die Beteiligung der Gewerkschaften würde das Thema eine große Aufwertung erfahren. Ein wichtiges Verbindungsglied zwischen verschiedenen Spektren könnte die DGB-Jugend darstellen“. Einmal abgesehen davon, dass der Autor offensichtlich übersieht, um was für eine marginale Erscheinung es sich bei der DGB-Jugend handelt, ist die Rede von den Gewerkschaften oder dem DGB zwar typisch, aber naiv. Die gesellschaftlichen Widersprüche gehen quer durch die Organisationen. Dies nicht wahrzunehmen, erschwert nicht nur Bündnispolitik. Eine mangelnde kritische Auseinandersetzung, die auch aus der Angst heraus vermieden wird, sich damit Bündnisperspektiven zu verbauen, wirken auf die sozialen Bewegungen zurück. Von der DGB- Kampagne „Das geht besser“ im Herbst 2006 rückblickend wird im folgenden die Politik des DGB zu Sozialabbau und sein Verhältnis zu den dagegen gerichteten sozialen Bewegungen nachgezeichnet.

Die Demonstrationen des DGB am 21. Oktober 2006 wurden intern und nach außen als Auftakt einer Offensive gegen den anstehenden weiteren Sozialabbau propagiert. Faktisch waren diese Demonstrationen jedoch der Abschluss eines Widerstandszyklus seit der Bundestagswahl 2002 und dem Beginn der „Reformoffensive“ der rot-grünen Bundesregierung Anfang 2003, über die Kämpfe gegen „Hartz IV“ 2004 bis hin zur „Das geht besser“-Herbstkampagne 2006. Diese stellte den Versuch der DGB-Führung dar, die Bewegung gegen Sozialabbau auf das Parlament und die SPD als „kleineres Übel“ zu lenken.

Es war schon bemerkenswert, wie spät und teilweise unwillig die Richtung wahrgenommen wurde, auf die das zentrale Motto „Das geht besser“ hinwies, obwohl der DGB bzw. die DGB-Spitze daraus gar keinen Hehl machte. So heißt es im „Einblick – gewerkschaftlicher Infoservice“ (einer 14tägig erscheinenden Zeitschrift für die – hauptsächlich ehrenamtlichen – DGB-Aktiven) Nr. 16 v.19.9.2006 auf Seite 1: „Unter dem Motto ›Das geht besser. Aber nicht von allein‹ begleiten DGB und Gewerkschaften die Reformpolitik der großen Koalition in den nächsten Monaten“. Ziel des DGB sei es, „die große Koalition zu einer ›sozial gerechten Politik‹ zu bewegen“, so der DGB-Vorsitzende Michael Sommer... „›Bessere Reformen sind möglich‹, das ist die wichtigste Botschaft der Herbstaktivitäten an die große Koalition. Es gehe nicht darum, der Regierung zu schaden oder eine andere Koalition herbeizuführen.“ Ziel der Gewerkschaften ist vielmehr, im Sinne der ArbeitnehmerInnen auf die Ausgestaltung der Reformpolitik Einfluss zu nehmen, sowohl auf der Straße wie auch im Dialog mit der Politik.“ Von „Reformen“=Sozialabbau ist keine Rede mehr. Das war in den vergangenen Jahren beim DGB so nicht immer der Fall.

Attac reagierte spät und stellte seine Teilnahme an den Demonstrationen am 21.10 2006 unter das modifizierte Motto : „Das geht nur ganz anders“, ohne sich jedoch kritisch mit dem DGB-Motto auseinander zu setzen. So heißt es zur Begründung des eigenen Mottos im attac Rundbrief 04/06, Seite 1: „... ruft der DGB (endlich) zu Demonstrationen auf. Die sozialen Bewegungen sind ausdrücklich eingeladen, diese Proteste mitzugestalten. Das Motto des DGB – Das geht besser. Aber nicht von allein – kommt ein wenig hausbacken daher. Das geht besser, haben wir Aktiven von der AG Genug für alle auch gedacht und ein besseres Protestmotto gefunden: Es geht auch ganz anders! Soziale Rechte hier und weltweit wird auf unseren Transparenten stehen. Wir wollen beim DGB nicht nur mitdemonstrieren, sondern mit eigenen Schwerpunkten sichtbar werden“. Auch ein ganz neues „Selbstbewusstsein“ bei attac.

An der DGB-Basis gab und gibt es viel Widerstand gegen die Reformpolitik der rot-grünen Regierung bzw. der großen Koalition. Große Teile der Basis verbindet allerdings mit der Führung eine grundsätzliche Loyalität gegenüber der SPD. Die Position eines Teils der Mitglieder (Verdi, GEW) und eines Teils des intellektuellen Umfelds der Gewerkschaften personifiziert sich (nach wie vor) im Grünen-Mitglied und Verdi-Vorsitzenden Bsirske. Dem Druck von Teilen der Basis, sich aktiv gegen der Reformpolitik zu widersetzen, wie auch dem permanenten Mitgliederschwund der Einzelgewerkschaften und damit des DGB, versucht dieser mit einer „Kampagnenpolitik“ zu begegnen. „Kampagnenfähigkeit“ wird auch beim DGB seit einiger Zeit als wichtiges Strategieproblem in den Vordergrund gerückt. „Kampagnenfähigkeit“ soll die „Politikfähigkeit“ erhalten, Ziele popularisieren und durchsetzen, aber auch die eigenen Mitglieder und/oder Anhänger orientieren und auf politische Konjunkturen reagieren.

Kurz nach dem erneuten Wahlsieg von SPD und Grünen bei der Bundestagswahl 2002 beginnt der DGB mit der sogenannten „Kommunikationskampagne“ („Menschlich modernisieren, gerecht gestalten, das machen wir“). Sie ist im unmittelbaren Zusammenhang der „Reformoffensive“, also des verschärften Sozialabbaus seit Anfang 2003 zu sehen und wurde auch so verstanden. An ihrem, mit den eher spontanen (Massen-)Protesten teilweise korrespondierenden, aber wesentlich alternierenden Verlauf lässt sich deutlich der Wesensgehalt des „top-down“ Prinzips derzeitiger Kampagnenpolitik der etablierten, in den neoliberalen Umbau verstrickter Organisationen ablesen: Solange der Rahmen des Widerstands gegen „Agenda 2010“ bzw. „Hartz IV“ begrenzt und die Führung der jeweiligen Aktionen durch die Gewerkschaftsführung gewährleistet ist, wird die Kampagne nach innen und außen verfolgt. Sobald dies nicht mehr eindeutig der Fall ist, insbesondere die Forderungen über das selbst gesetzte Ziel hinaus zu gehen drohen (z.B. „Hartz IV muss weg“), wird die Kampagne unterbrochen bzw. abgebrochen. So im Herbst 2003 und nach den großen Protesten Anfang April 2004 (Demonstrationen in Köln, Stuttgart und Berlin mit jeweils ca.150.000 bis 200.000 TeilnehmerInnen) und insbesondere im Zusammenhang mit den Montagsdemonstrationen im August/September 2004.

Die im Herbst 2002 geplante „Kommunikationskampagne sah folgenden Ablauf vor: „1. Welle 15.–18.Mai 2003: Schwerpunkt Soziale Sicherheit“; „2. Welle 26. –29. Juni 2003: Schwerpunkt Bildung“; „3. Welle: September 2003: Verteidigung der gewerkschaftlichen Tarifautonomie“ und eine weitere, unbestimmte „4. Welle“ für November 2003.

Die Realität war anders: Die „1. Welle“ findet noch statt, mit dem geplanten Höhepunkt von Demonstrationen am 24. Mai 2003 in 15 (!) verschiedenen Orten. Durch diese (beabsichtigte?) Zersplitterung kommt es an den einzelnen Orten nur zu vier- bis fünfstelligen TeilnehmerInnenzahlen (insgesamt ca. 90.000), was dann im DGB als mangelhafte Mobilisierungs- oder Kampfbereitschaft interpretiert wird und als Vorwand dient, den Kampf gegen die „Agenda 2010“ zurückzufahren.

Die geplante „2. Welle“ findet nie statt, erstens weil der Metallerstreik in Ostdeutschland im Sommer 2003 und die darauf folgenden Auseinandersetzungen in der IG Metall-Spitze die gesamte Gewerkschaftspolitik bis in den Herbst hinein dominiert und weil zweitens das Thema Bildung angesichts des immer deutlicher werdenden Umfangs des Sozialabbaus, insbesondere die geplanten Veränderungen bei den Arbeitslosengeldern, in den Hintergrund tritt.

2003 gibt es dann keinen „heißen Herbst“ seitens der Gewerkschaft, dafür aber eine von ihnen boykottierte oder nicht unterstützte „unorganisierte“ Großdemonstration in Berlin im November 2003 mit ca. 100.000 TeilnehmerInnen (initiiert von Rainer Roth u.a.). Mit als Gegenreaktion auf diese unerwartet große Manifestation, aber auch auf den von der CDU-Regierung in Hessen vorangetriebenen und große Wellen schlagenden Sozialabbau (sowie die anstehenden Europawahlen) wird vom DGB (im losen Bündnis mit attac, Sozialverbänden und Kirchenkreisen) für den „Europaweiten Aktionstag“ am 4. April 2004 mobilisiert. Motto: „Aufstehn, damit es endlich besser wird! Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit!“. An den Demonstrationen und Kundgebungen in Stuttgart, Köln und Berlin nehmen zusammen etwa eine halbe Million Menschen teil. Inzwischen war in und außerhalb der Gewerkschaften ein Bewusstsein über die weitreichenden Folgen der anstehenden „Hartz IV“-Gesetze und die Notwendigkeit entstanden, den Kampf dagegen in das Zentrum des Widerstands gegen den Sozialabbau zu stellen. „Bei der zentralen Kundgebung in der Hauptstadt nannte der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes (DGB), Sommer, die Straßenproteste ein klares Signal an die Herrschenden. Er verlangte die Rücknahme der von Bundeskanzler Schröder unter dem Namen ‚Agenda 2010’ initiierten und zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Reformen im Sozialbereich“ (NZZ, 4.4.2004).

Anfang Juli 2004 gibt es ein folgenschweres Treffen des „Gewerkschaftsrats“ der SPD. Die dort versammelten SPD- und SPD-Gewerkschafts-Spitzen vereinbaren: Verzicht der Regierung auf Maßnahmen zur Unterhöhlung der Tarifautonomie der Gewerkschaften sowie des Kündigungsschutzes, dafür kein weiterer Widerstand gegen Hartz IV seitens der Gewerkschaften.

Ab August 2004 kommt es zu den bekannten massenhaften, großen Teils spontanen Protesten gegen Hartz IV, den „Montagsdemonstrationen“ – vor allem in Ostdeutschland. Die DGB- Spitze weigert sich, die Proteste zu unterstützen. Bsirske erklärt für Verdi offensiv die Nichtteilnahme an der geplanten Großdemonstration gegen Hartz IV für Anfang Oktober und begründet dies mit der Unterwanderung der Montagsaktionen durch die MLPD. Am Samstag, den 2. Oktober 2004 demonstrieren 70.000 Menschen in Berlin, organisiert von lokalen Gewerkschaftsgruppen, attac, Arbeitslosenkomitees und anderen. Am nächsten Tag nochmals 30.000 bei einer von der MLPD organisierten Demonstration, ebenfalls in Berlin.

Die sogenannte Großdemonstration (ca. 20.000 TeilnehmerInnen) am 6.11.2004 bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg („Gemeinsam gegen Sozialraub, Agenda 2010 und Hartz IV! Eine andere Welt ist möglich und nötig!“), veranstaltet vom Sozialforum Nürnberg und unterstützt von ca. 100 meist lokalen Initiativen aus dem ganzen Bundesgebiet (und wenigen Zentralen, u.a. dem PDS–Bundesvorstand) bleibt ein letztes Aufbäumen. An ihr nehmen nur noch wenige Gewerkschaftsgruppen teil, selbst die Gewerkschaftsgliederungen, die im September beschlossen hatten, für diese Demonstration zu mobilisieren, waren nur vereinzelt anwesend.

„Hartz IV“ tritt zum 1.1.2005 in Kraft.

Ende Januar 2005 resümiert Sommer: „..scheint in der Arbeitnehmervertretung Ernüchterung und Realismus eingekehrt zu sein“. Die Entscheidungen zu Hartz IV seien nicht mehr rückgängig zu machen. Nach all diesen Querelen und den Protesten gegen die Arbeitsmarktreformen war das Verhältnis zwischen den Traditionsverbündeten SPD und Gewerkschaften abgekühlt. Darunter leiden beide Seiten noch immer. Doch der Gesprächsfaden zwischen DGB und SPD ist nicht abgerissen, er wird weiter gesponnen. Ende Februar ist Sommer wieder Gast bei Gerhard Schröder, um eine erste Bilanz zu Hartz IV zu ziehen. Dabei will er dafür Sorge tragen, dass die Betroffenen wenigstens ›Verbesserungen im System‹ erfahren. Die Schlachten von gestern, sagte Sommer mit einem leichten Anflug von Resignation, wolle er jedenfalls nicht mehr schlagen“ (Rüsselsheimer Echo, 27.1.2005)

In der ersten Hälfte 2005 verschwindet Hartz IV langsam von der gewerkschaftlichen Tagesordnung. Die Mobilisierung zur Demonstration des Europäischen Gewerkschaftsbundes am 19. März 2005 in Brüssel für „Mehr und bessere Arbeitsplätze“ beschränkt sich seitens des DGB auf allgemeinste Forderungen. „Das ist unser Europa – wir überlassen es nicht den Konzernen und Predigern des Sozialabbaus“, „Wir verteidigen die Würde der arbeitenden Menschen und der Erwerbslosen“ usw. (aus dem Aufruf des DGB Bundesvorstands). Stand im Maiaufruf des DGB 2004 die Kritik an Hartz IV und an den „Reformen“ – damals noch in Anführungszeichen geschrieben – im Zentrum („Was unter dem Unwort des Jahres ›Reformen‹ aus Berlin auf die Bevölkerung niederprasselt, trägt zur nationalen Aushöhlung des Sozialstaats bei“ – Maizeitung des DGB Hessen 2004, S.1), so steht der Mai 2005 bereits im Zeichen der für 2006 erwarteten Bundestagswahl: „Das Jammertal der deutschen Wirtschaft wird flankiert durch neue Angriffe auf Arbeitnehmerrechte durch CDU und CSU. Sollten die beiden christlichen Parteien die nächsten Bundestagswahlen gewinnen, drohen massive Einschnitte beim Kündigungsschutz... Dieser unheiligen Allianz aus Wirtschaft, Politik und Medien etwas entgegenzusetzen ist nicht einfacher geworden. Trotz der Mitgliederverluste der vergangenen Jahre müssen wir wieder in die Offensive kommen. Es muss uns gelingen, die Attacken von CDU und CSU und der Arbeitgeber zu entlarven“ (Maizeitung des DGB Hessen 2005, S.1).

Die vorgezogenen Bundestagswahlen prägen bis in den Herbst 2005 und darüber hinaus nahezu sämtliche Aktivitäten des DGB, aber auch viele der sozialen Initiativen und Bewegungen. GewerkschafterInnen, Aktive aus sozialen Initiativen und aus attac verlagern ihren Arbeitsschwerpunkt auf WASG und Linkspartei oder auf die Wahlaktivitäten ihrer Heimatpartei SPD. Nach der Wahl beginnt der Verdauungsprozess: Langsam werden die praktischen Auswirkungen von Hartz IV realisiert. Die Wahrnehmung der Folgen – vielfach am eigenen Leib oder in unmittelbarer Nähe – paralysiert nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Von einer sozialen Bewegung gegen Sozialabbau und besonders Hartz IV kann ab Ende 2005 keine Rede mehr sein. Selbst die MLPD stellt ihre Montags-Mahnwachen ein.

Mitte 2006 vollzieht der DGB eine Neuausrichtung. Stand in den Jahren zuvor – unter dem Eindruck der Bewegungen gegen die neoliberale Globalisierung und den forcierten Umbau der Gesellschaft – neben den im Gegensatz zu den Einzelgewerkschaften mehr allgemeinpolitischen Aufgabenstellungen des DGB der Kontakt und die Verbindung zu den sozialen Bewegungen im Vordergrund, wird dies nun korrigiert. Zum neuen Schwerpunkt wird die Arbeit im Bereich des „Übergangs“ definiert. „Übergang“ wird dabei als Bindeglied zwischen Arbeitswelt und Alltagswelt verstanden. Die Aktiven werden dafür auf Bezirkskonferenzen ausgerichtet.

Hier noch ein Hinweis zur Struktur des DGB: Der DGB hat 8 Mitglieder: Die Einzelgewerkschaften IGM, IG BAU, IG BCE, NGG, Verdi, GEW, Transnet und GdP. Jedes Mitglied einer Einzelgewerkschaft ist damit automatisch Mitglied des DGB, aber nur über seine Einzelgewerkschaft. Eine Basisorganisation im rechtlichen Sinn gibt es nicht. Die DGB-Ortsverbände haben noch nicht einmal Vereinsstatus, können z.B. keine Kasse führen. Wahlen von unten nach oben existieren innerhalb des DGBs nicht. Der – relativ kleine – Funktionärskörper des DGB wird auf den jeweiligen Ebenen von den entsprechenden Delegierten der Einzelgewerkschaften dieser Ebenen gewählt. Die Basis besteht aus Ehrenamtlichen. Politische und strategische, selbst taktische Entscheidungen, die über die lokale Ebene hinausgehen, werden mit der Basis nicht diskutiert, sondern von den jeweils höheren Ebenen verkündet. Korrekturen sind so gut wie nicht möglich. Es herrscht ein striktes „top-down“-Prinzip.

Ab Ende Juni 2006 werden vom Geschäftsführenden Bundesvorstand (GBV) des DGB die Planungen für die „Das geht besser“ Kampagne für den Zeitraum Juli 2006 bis März 2007 festgelegt. Zur Rahmenplanung gehören zu diesem Zeitpunkt bereits: Die Betriebsrätekonferenz am 20. September 2006 in Berlin, der Aktionstag am 21. Oktober 2006 sowie ein „Sozialstaatskongress“, der für den 7./8. März 2007 vorgesehen ist. Es werden grob die Inhalte festgelegt: Rente, Gesundheit, „Verteilungsgerechtigkeit“ (hierunter fällt auch Hartz IV), sowie Mitbestimmung. In der Begründung dieser von einer Arbeitsgruppe des Bundesvorstandsbereichs 04 erarbeiteten Beschlussvorlage für den Bundesvorstand heißt es noch: „Die Planung knüpft an den Beschluss des Bundesvorstands vom 2. Mai 2006 zu Aktivitäten zur Zukunft der sozialen Sicherung und an die Beschlüsse des 18. ordentlichen Bundeskongresses an, in denen der DGB beauftragt wurde, gemeinsam mit Bündnispartnern Aktivitäten zu entwickeln“ (DGB Vorstandsbereich 04, GBV-Vorlage/S.2 v.5.7.2006, Hervorhebung d.d.Verf.). Davon kann im Folgenden nicht die Rede sein. Gemeinsame Konferenzen, öffentliche Diskussionen über Motto, Stoßrichtung, Schwerpunkte und Adressaten der Kampagne finden nicht statt. Von den Bündnispartnern wird erwartet, dass sie sich dem DGB anschließen – was im Großen und Ganzen auch so passiert. Die Bedingungen, sich als Führerin und nicht als Partner zu profilieren, scheinen im Sommer 2006 günstig Ein schwächelnder Widerstand bei zunehmender passiver Empörung hat ein Vakuum erzeugt, im dem der DGB sich erfolgreich darstellen zu können glaubt und in dem die der SPD nahe stehenden Kräfte eine Möglichkeit sehen, aus dem Dilemma zu kommen, in das sie durch die letzte Bundestagswahl geraten waren. Die nachfolgende Konkretisierung der Planung und die Durchführung der „Das geht besser“-Kampagne orientieren unzweifelhaft auf eine (Re-)Integration des Widerstands gegen Sozialabbau in die parlamentarischen Bahnen und auf eine (erneute) Wahrnehmung der SPD als kleineres Übel – innerhalb der großen Koalition und schon mit Hinblick auf die nächsten Bundestagswahlen. Im übrigen will man mit einer längerfristigen Planung auch der vielfachen Kritik aus den Reihen der Mitgliederentgegenkommen, die sich die Niederlage im Kampf gegen Hartz IV 2004 damit erklären, dass der DGB es mit den Großdemonstrationen am 3. April 2004 bei einer „Einmalaktion“ beließ. Selbst innerhalb des DGB, auch auf den unteren Ebenen des bezahlten Funktionärskörpers, herrscht kaum Klarheit über die Strategien der DGB-Führung.

In einem Papier des DGB-Bundesvorstands (ohne Datum, vermutlich Juli 2006) „Leitlinien zur Fortsetzung der Herbstaktionen 2006, Begleitung der Gesetzgebungsverfahren, Eckpunkte des GBV“ heißt es: „Die Herbst-Aktivitäten haben das Ziel, die politischen (An-) Forderungen des DGB überzeugend darzustellen. Reine Kritik an der Bundesregierung reicht nicht aus. Notwendig ist es, die Politik der großen Koalition an den eigenen Ansprüchen zu messen. Hintergrund sollte auch der moralische Ansatz (›Würde‹) im Sinne des DGB-Kongresses sein. Ziel ist es, eine positive Stimmung in der Bevölkerung zu erreichen, die die Positionen des DGB unterstützt. Die Mobilisierung soll ein wichtiges Signal an die Große Koalition sein, dass die weit verbreitete Ablehnung ihrer Vorhaben in der Bevölkerung, wie zum Beispiel zur Rente mit 67 oder zur Gesundheitsreform, ein stärkeres Gewicht bekommt. Dieser Kritik Ausdruck zu verleihen, ist auch eine verbreitete Erwartung vieler unserer Mitglieder. Gleichzeitig wird vom DGB eine konstruktive Rolle in den Gesetzgebungsverfahren erwartet“. Und weiter: „Diese Überzeugungsarbeit bezieht sich besonders auf die Abgeordneten der Großen Koalition. Denn die besonderen Bedingungen der Entscheidungsfindung innerhalb der Großen Koalition erschweren die Lobby- und Überzeugungsarbeit im Vorfeld der Gesetzgebungsverfahren. Es ist deshalb notwendig, die Aktivitäten, mit denen wir unsere Forderungen und Alternativen darstellen, während der Gesetzgebungsverfahren zu verstärken und die Parlamentarier gezielt mit den konkreten Auswirkungen ihrer vermeintlichen Entscheidungen zu konfrontieren, um den Druck in den Fraktionen zu erhöhen. Dabei ist die betriebliche Ebene ausdrücklich einzubeziehen.“

Konkret heißt es dazu unter „III. Aktionsrahmen (November 2006 bis April 2007): 2. Wochen der Entscheidungen“: „- Wahlkreis- oder Regionalkonferenzen mit MdBs,“ „ -Betriebsversammlungen mit MdBs“, unter „3. Aktion ›Brennpunkt: Bundestag‹“ „Neue Aktionsformen an politischen Orten [ Unterstützung durch Agentur] (Bundestag [ z.B. Anhörungen]/Bunderat/Parteizentralen etc)“, „Newsletter an MdB und MdL“, dazu Aktionen bei den verschiedenen Parteitagen im Herbst 2006 usw.usf.

Zum zentralen Aktionstag am 21.10. stellt ein Rundschreiben des DGB Hessen-Thüringen vom 17.7.2006 fest: „Ursprünglich sollten drei Kundgebungen in Berlin, Köln und Stuttgart stattfinden. Um aber einen Vergleich mit dem 3.4.2004 zu vermeiden, wurde vorgeschlagen, vier bis fünf Kundgebungen durchzuführen. Die interne Zielsetzung an Teilnehmenden ist 500.000. Nach dem Mitgliederanteil müsste Hessen 37.000 und Thüringen 12.000 Teilnehmende stellen.“

Der „Reform“begriff wird nicht mehr denunziert, sondern offensiv ins Zentrum gerückt: Die Betriebs- und Personalrätekonferenz am 20. September 2006 wird unter das Motto: „Faire Reformen braucht das Land“ gestellt. Anneliese Buntenbach sagt in ihrem Schlusswort: „Wir brauchen faire Reformen für eine Erneuerung des Sozialstaats“ und „Politik für Menschen – das geht wirklich besser“ (www.dgb.de vom 22.9.2006)

Die Materialien des DGB (und der Einzelgewerkschaften) zur Mobilisierung für den Aktionstag am 21.10.2006 orientieren umfassend auf eine (erneute) positive Besetzung des Begriffs Reform. Michael Sommer auf Seite 1 der zentralen Mobilisierungszeitung vom 21. Oktober: „Deutschland braucht Reformen. Darin sind sich alle einig: Gewerkschaften, Politik und Wirtschaft.... Wir sagen: Bessere Reformen sind möglich. Aber nicht von allein ....., laden wir sie ein, mit uns für faire Reformen auf die Straße zu gehen“. Während die Rente mit 67 und die geplante Gesundheitsreform komplett auf Ablehnung stoßen, werden bei Hartz IV lediglich die geplanten Verschlechterungen kritisiert (vgl. Reader des IG Metall Vorstandes „Gewerkschaftliche Alternativen zu schwarz-rotem Sozialabbau“ (S.18/19). Es gibt jedoch auch Ausnahmen, so Verdi Hessen, die in ihrem Aufruf fordert: „Soziale Grundversorgung anstatt Hartz IV und Altersarmut“). In „Punkt 21“, Seite 4, liest sich das so: „Mit einem besonders radikalen Vorschlag haben sich jüngst die Wirtschaftsweisen in die Reihen derer gestellt, die mit weiteren Zumutungen für Arbeitslose Hartz IV reformieren wollen. Ihr Konzept: Der Regelsatz des Arbeitslosengeldes II soll um 30% gekürzt werden. ... Kaum war das Konzept öffentlich, gab es Zustimmung aus der Union ... Die SPD hat hingegen Widerstand signalisiert ... Auch für den DGB sind weitere Einschnitte inakzeptabel“.

Trotz kurzfristig auftauchender Zweifel oder einer oberflächlicher Kritik an Motto und Stoßrichtung der Demonstrationen und Kundgebungen wird der Aktionstag am 21. Oktober 2006 – zumindest im unmittelbaren Nachgang – von allen Beteiligten als großer Erfolg gewertet.

Der Auswertungsartikel des Aktionstags im DGB-„Einblick“ v. 30.10.2006 hält es für angebracht, nochmals jeder möglichen Fehlinterpretation der Aktivitäten zuvorzukommen und beginnt mit folgender Feststellung: „Bereits im Vorfeld des Aktionstags hatte der DGB-Vorsitzende immer wieder betont, dass das Ziel des Aktionstags ›nicht eine andere Regierung, sondern eine andere Politik‹ ist und hatte damit die zentrale Botschaft des Aktionstags vorweggenommen“. In einem Schreiben (Mitte November) mit dem Titel: „Der Herbst hat begonnen! Und nach dem Spiel ist vor dem Spiel...“ definiert der DGB die anstehenden Aufgaben: „Dem Warnruf aus der Mitte der Gesellschaft muss eine intensive Überzeugungsarbeit folgen. ... Erst jetzt sind also die Abgeordneten im Spiel. ... Und vor allem bei der Gesundheitsreform mischen sich in beiden Fraktionen schon jetzt Unbehagen, Kritik und offene Ablehnung. ... Die Abgeordneten werden am Ende entscheiden. Und wir müssen sie deshalb stärker fordern. ... Wir müssen ihnen die gravierenden Auswirkungen solcher Entscheidungen deutlich machen und sie stärker in die Verantwortung als Volksvertreter nehmen. Dafür sollen die Anstrengungen verstärkt werden.“ Und konkret: es wird „eine Umfrage Aktion gestartet, bei der die Abgeordneten Stellung beziehen sollen, wie sie insbesondere zur Gesundheitsreform stehen. Vor Ort in den Regionen sollen betriebliche Aktionen mit den Abgeordneten im Vordergrund stehen“

Horst Schmitthenner (Beauftragter IG Metall Verbindungsbüro soziale Bewegungen) schreibt in einer Einladung vom 20.11.2006 zu einer Diskussionsveranstaltung der Initiative für einen Politikwechsel, Friedens- und Zukunftswerkstatt sowie WISSENTransfer mit dem Titel: „es muss anders werden, damit es besser geht. Wie weiter nach dem 21. Oktober?“: „ ... aber es gab auch Schwächen. Nicht überall und nicht im gleichen Maße ist es den Gewerkschaften gelungen erfolgreich zu mobilisieren. Und den Bündnispartnern ist die Kooperation mit den Gewerkschaften und vor allem die Mobilisierung ihrer Klientel nur bedingt gelungen. Diese Schwächen möchten wir aufarbeiten. Im Besonderen geht es aber darum, wie wir weiter machen, denn der 21. Oktober war nicht das Ende, sondern der Auftakt des Protestes für eine andere Politik“. (Hervorhebung d.d.Verf.)

Eine (selbst-) kritische Aufarbeitung findet nicht statt, nicht bei den Gewerkschaften, nicht bei attac. Von den weiteren Aktivitäten bis Ende 2006 nimmt die (mediale) Öffentlichkeit keine Notiz mehr.

In Abwandlung einer Stelle aus Marx: Die Klassenkämpfe in Frankreich, lässt sich sagen: Wenn der 3. April 2004 Symbol einer – für deutsche Verhältnisse – massenhaften Basisbewegung gegen Sozialabbau war, war der 21. Oktober 2006 Ausdruck der tief verankerten Staatsgläubigkeit in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen.

© links-netz Januar 2007