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„Die Linke“: (K)eine neue Partei. Teil 2

Teil 1 hier

Michael Flörsheimer

Die Partei „Die Linke“ ist mit 5,4% wieder in den hessischen Landtag eingezogen. Dies stellt zwar einen prozentualen Zuwachs von 0,3 % dar, aber bei einer Abnahme von 1670 Stimmen.

Verlusten im ländlichen Raum, hauptsächlich in Nord- und Mittelhessen stehen Gewinne in Städten des Rhein-Main-Gebietes gegenüber. Die in den Landtag eingezogenen sechs Personen sind die gleichen wie bei der letzten Wahl, aber die Funktionen wurden teilweise neu aufgeteilt. So ist beispielsweise die bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende nun gleichberechtigte Fraktionsvorsitzende neben ihrem männlichem Kollegen und die nordhessische Abgeordnete nicht mehr parlamentarische Geschäftsführerin. Da die neue Parlamentsmehrheit nicht mehr allen Fraktionen einen stellvertretenden Landtagspräsidenten zubilligen wollte, durfte ein „Linker“, der im Übrigen hessischer Parteivorsitzender ist, wenigstens einer der Schriftführer im Präsidium werden. Er hat das Angebot angenommen.

Von Außenstehenden, die der Partei nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, wird „Die Linke“ überwiegend als eine Partei wahrgenommen, die für „mehr soziale Gerechtigkeit“, für mehr „Hartz IV“ und Mindestlohn eintritt und eine SPD-Grüne Landesregierung tolerieren wollte. Als eine Partei, die für eine grundsätzlich andere Produktions- und Lebensweise eintritt, deren Vorstellungen über einen „gezähmten“ sprich (neo-) keynesianischen Kapitalismus hinausgehen, wird sie nicht angesehen.

Selbst wenn viele Mitglieder ein darüber hinaus gehendes Selbstverständnis haben – öffentlich wahrnehmbar ist dies jedenfalls nicht. Die Sozialdemokratisierung ist seit den für die Partei in den westlichen Bundesländern über Erwarten erfolgreichen Landtagswahlen Ende 2007 / Anfang 2008 zügig vorangeschritten. (vgl. Teil 1).

Bestimmend für die Entwicklung der hessischen Parteigliederung nach dem Einzug in den hessischen Landtag im Januar 2008 war der Versuch einer Regierungsbildung jenseits von CDU/FDP und das angestrengte Bemühen, dies keinesfalls an der „Linken“ scheitern zu lassen – oder auch nur den Eindruck davon zu erwecken. Die Widersprüche innerhalb der Partei, die Art der Behandlung der Widersprüche, die Haltung zu und der Umgang mit politischen Auseinandersetzungen außerhalb des Parlaments, alles war geprägt bzw. untergeordnet diesem Versuch der (indirekten) Regierungsbeteiligung.

Hintergrund war eine in der Berliner Parteizentrale, aber auch von vielen Mitgliedern in der Euphorie der wachsenden Wahlerfolge ausgedachte und gewünschte Kausalkette: Einzug in westdeutsche Landesparlamente, (indirekte) Koalitionsbeteiligung in Hessen, mögliche Wahlsieger im Saarland und Thüringen – vielleicht sogar mit einem Ministerpräsidentenposten – und, als eigentliches strategisches Ziel, eine Rot-Rot-Grüne Bundesregierung nach der Wahl 2009.

Die Parteiführung in Berlin, wesentlich bestimmt vom rechten Parteiflügel ehemaliger PDSler und assimilierter ehemaliger WASG (SPD)ler (euphemistisch: „Realos“) , entscheidend repräsentiert durch die Bundestagsfraktion, d.h. deren Spitze und überwiegende Mehrheit, hat zur Partei im Westen ein instrumentelles Verhältnis. Mit ähnlichen Wahlergebnissen in den meisten östlichen Bundesländern wie CDU und SPD, diversen Regierungsbeteiligungen und zahlreichen Bürgermeistern und Landrätinnen im Rücken will sie endlich auch auf Bundesebene „mitgestalten“. Gleichzeitig weiß sie, dass dies ohne Wahlergebnisse in den westlichen Bundesländern zwischen 5% und 10% kaum möglich ist. Es soll das, was man im Osten darstellt, auch im Westen – wenn schon nicht quantitativ, so zumindest qualitativ -wahrgenommen werden: Eine ernstzunehmende, „zuverlässige“ („zuverlässig“ war eines der meistgebrauchten Adjektive im Wahlkampf der hessischen „Linken“) kurz „ministrable“ Partei. Alles andere jedenfalls als ein Haufen Linksradikaler, Kommunisten oder „Spinner“ (wie sich vor kurzem Gregor Gysi im „Neuen Deutschland“ äußerte). Von der vor zwei Jahren beschworenen „Einheit in der Vielfalt“ ist nicht mehr viel übrig. Auch ehemalige „Linksruck“- Angehörige in Hessen (zur Erinnerung: „Linksruck“ hatte sich in die Partei „Die Linke“ aufgelöst) werden wieder in nicht ungewohnter Weise als „trotzkistische Spalter“ (Bodo Ramelow) tituliert.

Auch in Hessen ist der rechte Parteiflügel (ein linker Flügel spielt seit dem Parteitag Ende August 2008 in Lollar bei Gießen kaum noch eine Rolle) bestimmend. Seine führenden Exponenten sind ebenfalls ehemalige PDSler oder deren Vorgängerorganisationen nahe stehende Personen (wie der Fraktionsvorsitzende Willi van Ooyen). Diese zeichnen sich nicht nur durch eine besondere Anpassungsfähigkeit an die parlamentarischen Spielregeln und Rituale aus. Sie haben zwar große Teile ihrer früheren Inhalte aufgegeben, nicht aber die eingeübten und im politischen Umfeld durchaus ebenfalls üblichen autoritär-zentralistischen Methoden. Einige (oder besser ein) gebrannte Ex-SPDler unterscheiden sich – noch – durch einen Rest von Radikalität, einer gewissen Nähe zu außerparlamentarischen Auseinandersetzungen und respektvollerem Umgang mit Regeln innerparteilicher Demokratie (in der Fraktion: Hermann Schaus, ehemaliger Verdi-Sekretär).

In Hessen führte das Bestreben, auf jeden Fall Mitgestalter einer SPD/Grünen – Regierung zu werden zu internen und externen Verhaltensweisen der Parteileitung (auch hier faktisch und teilweise formell mit der Landtagsfraktion identisch), die jeder anderen bürgerlichen Partei auch zur Ehre gereichen würden:

Die so genannte „Erklärung“

Zur Erläuterung: bei dieser „Erklärung der Partei und der Landtagsfraktion Die Linke Hessen zur Unterstützung einer Rot-Grünen Regierung“ handelt es sich um ein Schriftstück, dessen Unterzeichung SPD und Grüne zur Bedingung machten, um sich von „Die Linke“ tolerieren zu lassen (!).

Mit dem „1. Parteitag der Partei Die Linke Landesverband Hessen“ vom 29.-31.August 2008 begann der Prozess der „Tolerierung“. Ebenfalls wurde auch die faktische, statutenmäßig aber nie konsequent verankerte Trennung von Amt und Mandat wieder aufgehoben: der Landtagsabgeordnete und ehemalige Parteivorsitzende Ulrich Wilken, der nach seiner Wahl in den Landtag im Januar 2008 seinen Vorsitz niedergelegt hatte, wurde wieder zum Vorsitzenden gewählt; er hatte bereits bei seiner Amtsniederlegung ungefragt verkündet: „wenn ihr aber unbedingt wollt, dass ich wieder Parteivorsitzender werden soll, stehe ich dafür in Zukunft natürlich gern zur Verfügung“ [„Außerordentlicher Parteitag“ in Wiesbaden, 9.2.08] ) .

Ein „Positionspapier für einen Politikwechsel in Hessen“ wurde vorgelegt und verabschiedet.

Der Inhalt sparte bereits fast alle möglichen Konfliktfelder aus oder baute sie nur am Rande ein, wie etwa die Ablehnung des Flughafenausbaus, Energiepolitik oder „ nachhaltige ökologische Entwicklung“, unter der Überschrift „Politikwechsel für Frieden und Umwelt“.

Eine inhaltliche Diskussion fand, auch unter dem alles überlagernden Wunsch, endlich „Koch abzulösen“ nicht statt. Dies war eine bemerkenswerte Erscheinung auf allen bisherigen hessischen ordentlichen und außerordentlichen Parteitagen. Dafür wurde Medienreden von

Bundesparteiführern (es waren immer Männer: Gysi, Lafontaine, Ramelow) sehr viel Raum eingeräumt – es drängte sich sogar der Eindruck auf, dass diese teilweise durch kurzfristige Verschiebung des Auftrittszeitpunkts zur gezielten Verhinderung unliebsamer Debatten eingesetzt wurden.

Erhellend für die spätere Praxis der „Absegnung“ der „Erklärung“ ist der abschließende Abschnitt zum Prozedere. Da dies ein Paradebeispiel für (schein-) „demokratische Konsultation“ a la „demokratischer Zentralismus“ statt Willensbildung von unten nach oben ist, hier der Wortlaut: (Herorhebungen: mf)

„DIE LINKE will einen neuen Stil in der Politik praktizieren. DIE LINKE wird die Öffentlichkeit und die Mitglieder der Partei regelmäßig und transparent über wichtige Schritte und Ergebnisse informieren, Foren des Gesprächs auf Orts- und regionaler Ebene einrichten und sicherstellen. Das letzte Wort über alle wichtigen Entscheidungen liegt bei den Mitgliedern. Die Politik wieder aus den >Hinterzimmern der Macht< herauszuholen, auch das ist Teil eines Politikwechsels. Im ganzen Prozess werden die Partei, ihre Gremien und ihre Mitglieder beteiligt. Im ersten Schritt kommt es zu Gesprächen. Nach einer Bewertung durch Landesvorstand, Kreisvorsitzende und den Mitgliedern der Fraktion entscheiden diese, ob die Gespräche in Verhandlungen münden oder nicht. Im zweiten Schritt wird ein mögliches Verhandlungsergebnis mit den Parteimitgliedern in Regionalkonferenzen beraten. Im dritten Schritt entscheiden die Mitglieder gemäß unserer Satzung § 8 Ziff. 1, ob das Ergebnis akzeptiert wird.“

Ein den späteren praktischen Verlauf kennzeichnendes Verfahren ist hier bereits konzeptionell angelegt: Eine Veränderung einzelner Punkte des Ergebnisses der angestrebten Verhandlungen durch Basis- oder Delegiertenvotum war nicht vorgesehen und wurde, wie sich später zeigte, auch mit allen Mitteln verhindert. Der von SPD und Grünen als Bedingung dafür aufgestellte Forderungskatalog, dass sie so großzügig sind, von der „Die Linke“ ihre Ministerpräsidentin und ihre Minister mitwählen zu lassen, wurde schließlich auch während des anschließenden „Konsultationsprozesses“ nicht an einer einzigen Stelle geändert.

Zentraler Auseinandersetzungspunkt nicht nur bei den Verhandlungen, auch später in der Medienkampagne gegen die geplante Koalition, aber auch in den Begründungen der vier SPD-Abweichler für ihren späten „Gewissensentscheid“ war die Haltung zum Flughafenausbau (vgl. Teil 1). Auch den Strategen der „Linken“ war dies klar und sie versuchten das Thema seit dem Einzug in den hessischen Landtag im Januar 2008 kleinzuhalten. Trotzdem gelang es auf dem Parteitag im August 2008, auf dem die Aufnahme von Verhandlungen formell beschlossen wurde, auf Initiative des Kreisverbandes Groß-Gerau – einem Kreis der mit am meisten unmittelbar von den Auswirkungen des Flughafens betroffen ist – mit sehr großer Mehrheit eine Resolution gegen den Flughafen (-ausbau) verabschieden zu lassen und damit das Thema stärker in den Vordergrund zu rücken.

Diese Resolution kennzeichnete den Flughafen nicht nur als eine exemplarische Verdichtung der derzeitigen Produktions- und Lebensweise, sondern stellte auch konkrete Forderungen für die anstehenden Verhandlungen: Erstellung eines Rechtsgutachtens, der das Zustandekommen des Planfeststellungsbeschlusses prüft ; Prüfung der juristischen Mittel, den Planfeststellungsbeschluss zurückzunehmen; Sicherstellung durch die (neue) Landesregierung im Aufsichtsrat der Fraport, dass keine Bau- oder ähnliche Maßnahmen vor Ende der juristischen Prüfung begonnen werden, sowie die Feststellung, „dass >Die Linke< den Widerstand gegen die schädlichen Auswirkungen des Frankfurter Flughafens- unbenommen etwaiger positiver Entscheidungen politischer oder juristischer Natur für einen Ausbau des Flughafens – fortsetzen wird“.

Ein Zwischenfall: Die Hütte im Waldcamp

Während der Inhalt der Vereinbarung zur Tolerierung einer Minderheitsregierung von SPD und Grünen faktisch Mitte September 2008 feststeht und etwa zur gleichen Zeit als sich Gysi mit Ypsilanti trifft (26.9.) ereignet sich im Kelsterbacher Wald ein denkwürdiges Ereignis, das einige Tage die hessischen Medien beherrscht: „ Linke inszeniert Hüttendiebstahl in Kelsterbach – umstrittenes Häuschen im Waldbesetzercamp der Flughafenausbaugegner verschwindet in Baumwipfeln“ (Rhein Main Presse, 29.9.2008). Was war passiert?

Seit Mai 2008 hatten jugendliche FlughafengegnerInnen, unterstützt durch Aktivisten von Robin Wood und Bürgerinitiativen ein Areal im Kelsterbacher Wald auf dem Gebiet der geplanten neuen Landebahn des Frankfurter Flughafens (wofür inzwischen mehrere 100 ha Wald gerodet wurden) besetzt und ein Dorf aus Hütten, Baumhäusern und Zelten errichtet. Mitte September baute der Kreisverband Groß-Gerau von „Die Linke“ dort eine kleine Baumarkt-Holzhütte auf. Etwa eine Woche später erklärte die Landtagsfraktion diese Hütte zum „Fraktionsbüro“. Mit einem Werbeeffekt hatte man gerechnet, was folgte waren allerdings heftigste Reaktionen auf Landtagsebene – die Hütte wurde sogar Gegenstand einer Regierungserklärung. Derart erschrocken wurde ohne Rücksprache weder mit dem Kreisverband noch den CampbewohnerInnen – und gegen deren Gepflogenheit, keinerlei schriftliche Zusagen gegenüber der Kelsterbacher Stadtverwaltung zu machen – mit dem Kelsterbacher Bürgermeister eine schriftliche Vereinbarung getroffen, in der zugesichert wurde nach einer Fraktionskundgebung am folgenden Sonntag die Hütte unverzüglich aus dem Wald zu entfernen. Die Fraktion hatte allerdings die Rechnung ohne die CampbewohnerInnen gemacht. Diese zogen die Hütte während des Auftritts der Fraktionsmitglieder an Seilen in die Baumwipfel – sehr zu deren Erstaunen.

Die Presse und die anderen Parteien hielten dies für ein abgekartetes Spiel und „Die Linke“ geriet unter Druck. Statt selbstbewusst die Wahrheit zu vertreten und den Dingen ihren Lauf zu lassen, inszenierten sie, panisch um den Bestand der Tolerierungsvereinbarung besorgt, die nächsten zwei Tage ein widerliches Manöver. Zwei Tage schwätzen Fraktionsmitglieder unter Führung von Willi van Ooyen auf die unter der Woche zumeist jugendlichen CampbewohnerInnen ein, versuchten zu spalten und drohten: „Wenn die Hütte uns nicht ausgehändigt wird, lässt (Innenminister) Bouffier das Camp räumen“ usw. Nachdem man einige „überzeugt“ hatte, harrten van Ooyen und mehrere FraktionsmitarbeiterInnen am Dienstag, 30.9. vom frühen Nachmittag bis zum Abend etwa 6 Stunden in strömendem Regen unterhalb der Hütte mit Blick nach oben aus – dort hatte sich ein Campbewohner verschanzt, der seine eigene Ansicht zum Ansinnen der „Linken“ hatte. In der folgenden Nacht gab er auf und die Hütte wurde am nächsten Morgen von Fraktionsmitarbeitern auf einem LKW abtransportiert.

Demokratie

Ende September finden in den Fraktionen Probeanstimmungen für die vorgesehene Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin statt. Auch „Die Linke“ stimmt am 30.9. ab („Sechs Stimmen zuverlässig für soziale Gerechtigkeit“: www.die-linke-hessen.de, Zugriff am 1.10.08).

Werbewirksam findet am 2.10. in Wiesbaden eine „Fraktionsvorsitzenden Konferenz“ aller in den Bundesländern vertretenen „Links“-Fraktionen statt. Der letzte Absatz einer dort verabschiedeten „Wiesbadener Erklärung“ beginnt so: „Trotz der noch jungen Parteigeschichte hat sich DIE LINKE. Hessen bereits jetzt zu einer festen und verlässlichen politischen Größe entwickelt“. Danach beginnt das innerparteiliche Durchsetzungsverfahren der „Erklärung“: Am Montag, 6.10. tagt in Gießen der Landesrat (Landesvorsitz, Landtagsfraktion, je zwei Mitglieder aus den Kreisverbänden). Der Text der „Erklärung“, bis dahin nur den Parteispitzen bekannt, geht den VertreterInnen der Kreisverbände erst am Tag zuvor zu. Manche können ihn gerade noch im Zug überfliegen, eine Diskussion unter den Mitgliedern der Kreisverbände ist nicht möglich. In einer Presseerklärung der „Linken“ vom gleichen Tag heisst es: „Landesrat beschließt Mitgliederentscheid über die Unterstützung einer rot-grünen Minderheitsregierung in Hessen durchzuführen“...“Grundlage des Mitgliederentscheids...ist eine zehn Punkte umfassende Erklärung zur Unterstützung einer rot-grünen Regierung in Hessen, die bereits im Vorfeld mit SPD und Grünen abgestimmt worden war“ und „Der Landesrat stellte... den Antrag, dass der Landesvorstand nach einem positiven Entscheid der Mitglieder den Koalitionsvertrag von SPD und Grünen politisch bewerten soll“ (Kursiv:mf). Danach geht es Schlag auf Schlag: vier Regionalkonferenzen vom 7.-8.10. bei denen den TeilnehmerInnen die „Erklärung“ schmackhaft gemacht wird.

Eine ernsthafte Diskussion mit möglicherweise alternativen Ergebnissen oder offenem Ende gibt es nicht – es sind reine Ausrichtungsveranstaltungen mit arbeitsteilig vorbereiteten Redebeiträgen der verschiedenen Fraktions- resp. Vorstandsmitglieder.

Es folgt am 11.10 ein außerordentlicher Parteitag in Friedberg, der der Verabschiedung der „Erklärung“ dienen soll. Trotz der aufwendigen Bemühungen um Akzeptanz lagen dem Parteitag ein Dutzend Änderungsanträge zur „Erklärung“ vor, u.a. ein Initiativantrag zum Flughafenausbau, der die einzige, sehr allgemein gehalten Formulierung zum Thema: „Durchsetzung eines generellen Nachtflugverbots“ präzisierte und ansonsten Bezug nahm auf die Beschlüsse des letzten Parteitags. Für diesen Änderungsantrag werden in kurzer Zeit Unterstützungsunterschriften von 69 (von 140) Delegierten gesammelt.

Einen eigentlichen Tagesordnungspunkt zur Diskussion der Erklärung gab es nicht, die Verabschiedung wurde in den letzten Tagesordnungspunkt: „Mitgliederentscheid“ eingebaut, für den die letzte Stunde von 16.00 bis 17.00 Uhr vorgesehen war und dem eine einstündige Rede Gregor Gysis vorgeschaltet wurde. Als um 16.00 Uhr die Diskussion um die Änderungsanträge beginnen sollte, meldete sich der Parteivorsitzende zu Wort und teilte mit, wenn man Änderungen verabschieden wolle, müsse der Parteitag zuvor den Beschluss des Landesrats aufheben.

Da dies teilweise so wahrgenommen wurde, als ob damit zuerst einmal die ganze „Erklärung“ verworfen werden müsse, führte die schnell eingeleitete Abstimmung zu einer Ablehnung einer solchen Aufhebung. Danach stellte der Vorsitzende lakonisch fest, damit seien ja nun alle Änderungsanträge hinfällig und der Parteitag wurde wenig später beendet.

Da aber der beabsichtigte Zweck kurze Zeit später nicht eintrat, konnte er auch die Mittel nicht nachträglich heiligen und die Widersprüche traten umso schärfer zu Tage.

Während mit viel Energie und für Parteien nicht unüblichen Tricks Vorhaben von oben nach unten durchgesetzt wurden, entstand eine Diskussionskultur noch nicht einmal im Ansatz. Monatelang wurden Widersprüche in unterschiedlichsten Bereichen unter den Teppich gekehrt oder nicht wahrgenommen. Zahlreiche Austritte und Rückzüge waren die Folge. Zwar hat die Zahl der Parteimitglieder 2008 zugenommen, die der Aktiven jedoch stagniert oder nimmt ab. Wichtige Politikfelder außerhalb von Parteitagen und Wahlkämpfen wurden praktisch nicht bearbeitet. Das der Partei nahe stehende intellektuelle Umfeld, in Hessen teilweise im „Beirat“ locker organisiert, hat weder auf die praktische Politik noch auf eine Debattenkultur im Umfeld der Partei einen spürbaren Einfluss. Die Landtagsabgeordneten und ihre ZuarbeiterInnen sind teilweise nur wenig qualifiziert und der parteivorsitzende Abgeordnete fiel mehrfach durch vollkommen überflüssigen vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Zumutungen aus anderen Parteien auf (z.B. Bekenntnis zur Verfassung, Haltung zur DDR )

Nachdem eine rot-grüne Koalition in Hessen kein Thema mehr ist, hat sich auch der mediale Mantel des Schweigens über die Fraktion der „Linken“ gelegt.

© links-netz Februar 2009