Home Archiv Links Intern Editorial Impressum
 
 
Neue Texte
 

Schwerpunkte

Sozialpolitik als Infrastruktur
Ende der Demokratie?
 

Rubriken

Deutsche Zustände
Neoliberalismus und Protest
Bildung
Krieg und Frieden
Biomacht und Gesundheit
Kulturindustrie
Theorie: Empire, Kommunismus und andere Angebote
Rezensionen
 
 

Anzeige

Deutsche Zustände Übersicht

 

  Nur Text    rtf-Datei    pdf-Datei 

Klaus Franz, das Elend von Opel und die Kunst der Inszenierung

Michael Flörsheimer

Rechtzeitig zur Bundestagswahl – nicht zu früh und nicht zu spät – wurde Rettung für Opel verkündet. Inzwischen geht die (Teil-)Abwicklung von Opel eher unaufgeregt über die Bühne. Eine Woche nach der Wahl wird Klaus Franz, Vorsitzender des Betriebsrats der Opel GmbH, mit einem „Internationalen PR-Preis“ der „Deutschen Public Relation Gesellschaft“ zum „Kommunikator des Jahres“ gekürt.

Er hat sich diesen Preis redlich verdient. Den Konflikt um die Opel-Abwicklung fast ein Jahr lang, bis zur Bundestagswahl, mit in der Schwebe zu halten ist schon eine Leistung. Wobei die Außenwahrnehmung des „Betriebsratschefs“ (so wird Klaus Franz selbst in linken Medien wie selbstverständlich tituliert) ja noch gar nichts ist gegenüber der Kommunikation nach innen. Den Unmut der KollegInnen immer wieder zu kanalisieren, zur rechten Zeit auch anzufachen, vor allem aber immer unterhalb der kritischen Schwelle zu halten, jenseits der praktischer Widerstand beginnt, das ist ganz wesentlich auch sein Verdienst. Eigentlich müsste Klaus Franz einen Preis für sein Lebenswerk erhalten, denn seine aktuellen Verdienste sind nicht denkbar ohne seine langjährigen Vorarbeiten. 35 Jahre Marsch durch die Arbeiterklasse ist ja an sich schon preisverdächtig.

Er hat ja auch mit den nötigen Voraussetzungen bei Opel angefangen. Bei Wikipedia gibt es einen Eintrag zu Klaus Franz. Dort liest sich das so: „Aus der Frankfurter Sponti-Szene kommend, die den „Revolutionären Kampf“ (so der Name einer Gruppe um Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit) in die Betriebe tragen wollte, begann er 1975 bei Adam Opel in Rüsselsheim zunächst als Autolackierer zu arbeiten“ (abgerufen am 3.10.2009). Das habe ich aber anders in Erinnerung und schaue mal bei Google unter „Klaus Franz, KPD/AO oder KPD oder Maoisten“ nach, aber es gibt keinerlei Eintrag, keinerlei Hinweis.

Seit vor einigen Jahren in einem längeren, auch auf Interviews beruhenden Artikel in der Frankfurter Rundschau1 von der Autorin und von Klaus Franz unwidersprochen eine Sponti-Vergangenheit unterstellt wurde, hat sich diese Erzählung verfestigt und wird regelmäßig kolportiert, selbst in linken Medien. Es war jedoch etwas anders: Seit Beginn der 1970er Jahre, teilweise schon früher, versuchten unterschiedlichste linke Organisationen durch Betriebsarbeit bei Opel Fuß zu fassen. Die Bedingungen waren einerseits einfach, es wurden viele ArbeiterInnen neu eingestellt. Andererseits aber schwierig wegen der Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Gewerkschaften und dem rigoroses Vorgehen der Betriebsleitung gegen Kollegen, denen man Nähe oder Zugehörigkeit zu einer „linksradikalen“ Organisation unterstellte. So verfuhren die meisten K-Gruppen – bei Opel namentlich KBW, KPD(AO), KABD, KPD/ML u.a. – nach einem abgestuften Modell: Neben AnhängerInnen, die offen als solche im Betrieb agierten (und häufig schnell wieder herausflogen), und solchen, die sich als Sympathisierende zu erkennen gaben, gab es eine dritte Gruppe von Aktivisten, die verdeckt arbeiteten. Klaus Franz gehörte zur letzteren. Er war Mitglied der KPD (bis 1972: KPD/AO) und blieb es bis zu deren Auflösung 1980. Klaus Franz war das bestgehütetste Geheimnis der Rüsselsheimer Betriebszelle. Im Betrieb und außerhalb durfte ihn keiner seiner Mitgenossen bemerkbar kennen. Ein Großteil der Mitglieder der Betriebszelle bzw. Sympathisanten, die 1975 für die KPD zu Opel gingen, kamen aus weiter entfernten Bundesländern, damit ihre politische Identität nicht sofort bekannt wurde. Für den ehrenwerten Auftrag, sich als vollkommen verdeckt arbeitendes „U-Boot“ in den Betriebsrat vorzuarbeiten, wurde Klaus Franz aus Stuttgart ausgewählt. Was ihn dafür qualifizierte, ist mir nicht bekannt. Vermutlich war es seine schon damals ausgeprägte Eigenart, vollmundig den zur jeweiligen Wetterlage passenden Hundertfünzigprozentigen zu geben.

Fleißig und anpassungsbereit kam Franz seiner Aufgabe nach. Zu Hilfe kam ein Machtwechsel innerhalb des Betriebsrats Mitte der siebziger Jahre. Reformorientierte, eher linke Sozialdemokraten lösten die alten rechten Sozialdemokraten ab. Zu dieser Zeit gab es bei einer Betriebsratswahl bei Opel zwei konkurrierende IG-Metall Listen! Ein später undenkbarer Vorgang. Geholfen wurde Franz auch durch die mehr oder weniger offen auftretenden Genossen, die unter den Kollegen Sympathie für den „fortschrittlichen Kollegen Franz“ zeigten sowie durch verschiedene andere Maßnahmen die spätere Wahl in den Betriebsrat mit vorbereiteten. Dazu noch eine Bemerkung: Entgegen der inzwischen landläufigen Meinung über die faktische Bedeutungslosigkeit der K-Gruppen entspricht dies nicht durchgängig den Tatsachen. So hatte beispielsweise die Opel-Betriebszeitung der KPD in ihren besten Zeiten eine Auflage von 3000 verteilten Exemplaren – und dies über einige Jahre. 1980 löste sich die KPD auf, aber kurze Zeit später war es für Klaus Franz dann soweit: 1981 wurde er in den Betriebsrat gewählt. Danach machte er aus der Not des verordneten Opportunismus die Tugend des strebsamen Berufsopportunisten. Über die ungeliebte aber wichtige Verantwortung innerhalb des Betriebsrats für den Sozialbereich (Kantine etc.) arbeitete sich Franz erst zum Adlatus, dann zum unverzichtbaren Vize des (jeweiligen) Betriebsratsvorsitzenden empor. 2000 trat er die Erbfolge an und wurde selbst Betriebsratsvorsitzender. Weitere Ämter im Konzernbetriebsrat, Aufsichtsrat usw. folgten.

Spätestens seit seiner Wahl zum Betriebsratsvorsitzenden gilt Franz als eine der umstrittensten Personen in der deutschen Betriebsratslandschaft. Er bezeichnet sich nicht nur als Co-Manager, sondern handelt konsequent nach der Wettbewerbslogik, bei der allemal das Hemd näher ist als der Rock. Solidarität wird nicht geübt, selbst im eigenen Konzernverbund nicht. Sie hat da ihre Grenze, wo sie die eigene Machtbasis gefährden könnte, und die sitzt in Rüsselsheim. Kritik innerhalb des Betriebsrats, der IG Metall und des DGBs wird sofort mit harten Bandagen bekämpft, Klageverfahren nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig herrscht im Betriebsrat nicht nur ein ausgeprägtes Klientelwesen, auch die Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen lassen sich durchaus mit dem Modell „demokratisch-zentralistischer“ Parteien vergleichen. Man kann es so auf den Punkt bringen: Klaus Franz hat die Inhalte ausgetauscht, aber die Methoden beibehalten.

2003 gehörte er zu denjenigen, die den Metallarbeiterstreik in den östlichen Bundesländern offen bekämpften. Hintergrund war u.a., dass durch das Bestreiken von Zulieferern der Autoindustrie schon nach wenigen Tagen z.B. bei BMW die Bänder stillstanden und ähnliches bei Opel drohte – allerdings bei einer viel problematischeren wirtschaftlichen Situation (Opel ist seit den späten 90er Jahren in einer permanenten Krise). Während des großen Arbeitsplatzabbaus bei Opel im Herbst 2004, bei der auch eine Schließung des Bochumer Werks im Raum stand, gab es in Bochum ab dem 14.10.04, einem Donnerstag, eine mehrtägige „Produktionsniederlegung zwecks Teilnahme an Informationsveranstaltungen“, faktisch einen wilden Streik. Da zu dieser Zeit nur Bochum einige auch für die anderen Werke wichtige Teile produzierte (z.B. Auspuffanlagen), war abzusehen, dass spätestens am Dienstag der folgenden Woche auch in den anderen Werken die Produktion ruhen würde. Der Umgang mit dieser Situation war und ist für Klaus Franz und seine Paladine typisch: Da der Unmut auch in den anderen Werken wuchs, wurde ein „Europaweiter Aktionstag“ für Dienstag organisiert. In Rüsselsheim wurden die Kollegen aufgefordert ab 11.00 Uhr die Arbeit niederzulegen und an einer Kundgebung teilzunehmen, einer Ventilaktion mit wortgewaltigen Reden und einer kurzen Demonstration zum alten Hauptportal. Als die Teilnehmer – auch die Kollegen der Frühschicht – gegen 12.30 Uhr den Betrieb am Endpunkt der Kurzdemonstration wieder durch das Portal betreten wollten, wurden sie nach Hause geschickt. Am nächsten Tag, für den absehbar war, dass es wegen fehlender Teile ebenso zum Produktionsstillstand kommen würde und an dem in Bochum eine Abstimmung über die Weiterführung des Streiks geplant war, brauchten die KollegInnen auch nicht zu kommen, denn Klaus Franz hatte weitsichtig bereits eine Freischicht (aus dem Arbeitszeitkorridorfundus) beantragt. So wurde den KollegInnen nicht nur die Disposition über einen freien Tag weggenommen und GM die Kosten erspart, es wurde auch den streikenden Bochumern massiv in den Rücken gefallen und verhindert, dass sich unter den Rüsselsheimern so etwas wie praktische Solidarität entwickeln konnte oder auch nur eine ungewohnte Situation mit vielleicht nicht kontrollierbaren Ergebnissen.

Die Krise ab Herbst 2008 brauchte allerdings eine neue, dieser dramatischen Situation angemessene Dramaturgie: Ein von GM losgelöster, unabhängiger europäischer Opel-Konzern wurde ausgerufen. Mit diesem euronationalistischen Ruf auf den Lippen eilten Franz und sein Co-Manager Foster ( [Vize-]Vorsitzender GM Europe) umgehend nach Berlin, um Staatshilfe einzuklagen. Im Umfeld von Lehman-Pleite und Wallstreet-Absturz zog die Rede vom unfähigen amerikanischen Management, den guten Opel-Produkten und – etwas später – dem österreichisch(-kanadisch)en Retter durchaus. Sie verwies jede Frage von Überproduktion oder gar Sinnhaftigkeit der Autoproduktion ins Aus. Vor allem verdrängte die Retter-Metapher – jedenfalls bis zur Bundestagswahl – die für die KollegInnen entscheidenden Fragen nach Entlassungen, Lohnverzicht, Verlust von Urlaubs- und Weihnachtsgeld usw. Es wurde erfolgreich der Eindruck vermittelt als sei es nur die Frage eines vorgeblich sympathischen Investors und alles ginge irgendwie so weiter wie bisher.

Für diese Leistung wurde Klaus Franz prämiert.

Es ist kein Verbrechen, Mitglied einer ML-Organisation gewesen zu sein. Aber die seit Joschka Fischers steiler Karriere fast schon schicke Aura des „revolutionären Kampfs“ nachgerade hedonistischer Spontis bei Opel macht sich biographisch doch besser als die langjährige Zugehörigkeit zu einer gern auch als „stalinistisch“ bezeichneten Organisation.

Anmerkungen

  1. Michaela Böhm: Der Eigenwillige macht Mitbestimmung in Detroit salonfähig. Der ganzseitige Artikel aus einer Reihe „Die andere Elite“ ist nachzulesen in der Frankfurter Rundschau v.23.Mai 2003, Seite 35.Zurück zur Textstelle
© links-netz Oktober 2009