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Saakaschwili: Mit Absicht „in die russische Falle getappt“?

Michael Flörsheimer

Als Größenwahn, Schwachsinn, zumindest aber Dummheit wird Saakaschwilis militärischer Angriff auf die georgische Provinz Südossetien bewertet. Die Sache liegt aber vielleicht doch etwas anders. Was als Hasardeurentum erscheint, könnte sich als überlegtes Kalkül erweisen. Saakaschwilis Ruf und Stand hatten sich spätestens im letzten dreiviertel Jahr im In- und Ausland rapide verschlechtert. Die Präsidenten(wieder)wahl Anfang des Jahres galt als unsauber, für die Parlamentswahlen im Mai gilt ähnliches. So wurde im Vorfeld das Wahlrecht geändert und die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten auf 70 (von 150 Parlamentssitzen) erhöht. Zur Wahl genügte ein Stimmenanteil von 30 %. Für die eher zersplitterte Opposition keine Chance nennenswerten Einfluss im Parlament zu bekommen. Eine rigorose Liberalisierungspolitik bei gleichzeitiger massiver Aufrüstung verschärfte die sozialen Spannungen. Von den 12000 Soldaten, die das georgische Militär umfasst, standen bis zum Ausbruch des Krieges 2000 Soldaten im Irak, zu dieser Zeit die größte US- Hilfstruppe überhaupt. Saakaschwili, mit einer am PR-Schreibtisch entworfenen und mit Methoden eines „produkt-placement“ inszenierten sog. „Rosenrevolution“ 2003 an die Macht/Regierung gekommen, erwies sich als der geeignete und willfährige Mann der USA-Regierung im Südkaukasus. Dies, sein immer brutaleres Vorgehen gegen die Opposition, aber auch sein theatralisches Auftreten lässt ihn wie einen Widergänger alter Kompradorenhäuptlinge erscheinen.

Auf Südossetien, ebenso wie Abchasien, hatte die georgische Regierung keinen Einfluss mehr, die Russen waren schon da (als „Friedenstruppen“ seit den Sezessionskriegen Anfang der 1990er Jahre) und selbst die Energieabhängigkeit Südossetiens von Tiflis näherte sich dem Ende durch die neugebaute Gasleitung von Russland/Nordossetien nach Südossetien. Ebenso näherte sich das Ende des (derzeitigen) Schutzpatrons, sprich der Bush-Regierung.

Saakaschwilli hat von Anfang an, unter den Bedingungen abnehmender Zustimmung zu seiner sonstigen Politik noch verstärkt, die nationalistische Karte gespielt. Er versprach, die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien wieder der politischen (und ökonomischen) Kontrolle des georgischen Staates zu unterstellen. Er hatte, entgegen dem geläufigen Anschein, beim Überfall auf Südossetien nicht viel zu verlieren. Im Gegenteil, er und besonders seine Schutzpatrone in den USA, konnten nur gewinnen. Würde das militärische Abenteuer gelingen, hätten er und seine Regierung sich zu nationalen Helden stilisiert. Auf Grund der chauvinistischen Tendenzen, die in Georgien Tradition haben, wären sie von Vielen auch als solche betrachtet worden und hätten damit zumindest fürs erste die wachsende Kritik in den Hintergrund rücken lassen. Würde der Angriff misslingen, was auch für Saakaschwili und seine (US-)Berater die wahrscheinlichere Option war, und die russische Regierung so reagieren, wie zu erwarten, konnte man sie vorführen. Was auch ausgiebig geschah und noch geschieht. Für die Machtverhältnisse in Georgien und Südossetien bzw. Abchasien würde eine Niederlage wenig faktische Auswirkungen haben, da letztere Gebiete sowieso schon unter dem vollständigen Einfluss Russlands standen. Dass Russland versuchen würde, weitere Teile Georgiens dauerhaft zu annektieren war nicht zu befürchten. Auch die Verluste an eigenem Militär wollte und konnte man in Grenzen halten, wie der schnelle Rückzug beweist. Saakaschwili aber und der Block der ihn trägt würden trotzdem – zumindest für eine gewisse Zeit , wenn nicht als nationale Sieg- Helden so doch als nationale Opfer-Helden Zustimmung zu ihrer Führung (wieder) herstellen. So kam es denn auch, in der georgischen Innenpolitik scheint die Rechnung aufgegangen zu sein.

Entscheidender sind jedoch die außer-georgischen Wirkungen:

Erstens wurden durch das Vorführen der russischen Invasionsbereitschaft der bröckelnde Einfluss der USA (bzw. der Falken im dortigen herrschenden Block) auf einen Teil der neuen EU-Mitglieder (Baltische Staaten, Polen) sowie Nato-Aspiranten wie der Ukraine wieder stabilisiert, und zwar mit unmittelbaren Auswirkungen: Das Raketenstationierungsabkommen mit Polen wäre so sicher nicht so schnell – und unter völliger Ignoranz der Mehrheit der polnischen Bevölkerung, die dies ablehnt – zustande gekommen. Auch der längst abgewirtschaftete und diskreditierte Präsident Polens, Lech Kaczynski, konnte sich als Anführer einer baltisch-polnischen Delegation mit einem Solidaritätsbesuch bei Saakaschwili wieder in Szene setzen. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, unter denen große Teile der Bevölkerung in den baltischen Staaten, aber auch Polen, leben (und /oder im Ausland arbeiten) müssen, ist die demonstrierte Russophobie der Regierungen ein nicht ungewöhnliches Ablenkungsmanöver. Zweitens war und ist der Georgienkrieg – besser gesagt der russische Einmarsch in Südossetien und anderen Teilen Georgiens – auch „Agendasetting“ im us-amerikanischen Wahlkampf und darüber hinaus. Was bleibt noch: am us-amerikanischen Einfluss in Georgien, dem russischen in Abchasien und Südossetien wird sich wenig ändern, beides wird sich noch verstärken. Und die Toten und Verletzten (Human Rights Watch spricht derzeit von 44 toten Zivilisten und 273 zumeist Schwerverletzten) werden als „Kollateralschäden“ abgehakt – falls nicht umgehend in der medialisierten Öffentlichkeit vergessen – Leid und Elend von tausenden Flüchtlingen auf beiden Seiten sowieso.

Wahnsinn zwar, aber mit Methode – und „Erfolg“.

© links-netz August 2008