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Die neue europäische Sicherheitsinfrastruktur und der polizeilich-industrielle Komplex

Florian Flörsheimer

Am 29. und 30.01.2008 fand der 11. Europäische Polizeikongress in Berlin statt. Veranstaltet wurde er von der Zeitung Behörden-Spiegel. Es handelt sich um eine private Zeitung, die im öffentlichen Dienst verbreitet ist und als Verbindungsglied für die Informationstechnische - und Sicherheitsindustrie fungiert. Private Unternehmen finanzierten auch den Kongress: das europäische Rüstungs-Konglomerat EADS, der Software-Konzern SAP und Sicherheitstechnologie anbietende Firmen wie Motorola, Siemens, IBM, Giesecke & Devrient, der zu Bertelsmann gehörende Logistikkonzern empolis, die privatisierte Bundesdruckerei u.a. . Diese Firmen tragen wesentlich zur Entwicklung der Technologien (Biometrie, Data mining) bei, die zur Aufrüstung im Bereich der „Inneren Sicherheit“ dienen.

Teilnehmer und Referenten des Kongresses waren Vertreter von EU-Ländern, neuer (Polen, Litauen, Lettland) und zukünftiger Schengen-Mitglieder (Rumänien) und von Gaststaaten (Pakistan), wie auch Interessenvertreter zahlreicher Unternehmen der Sicherheitsbranche; EU-, Bundes- und Länderminister, Polizeipräsidenten, Polizeigewerkschafter, Exekutivdirektoren und Wissenschaftler.

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Erweiterung des Schengen-Raumes waren die zentralen Themen der Ausbau des Schengener Informationssystems (SIS 1 und 2), die Schaffung eines Visainformationssystems und eines Aus- und Einreiseregisters, die Speicherung von Fluggastdaten, die Errichtung eines Grenzüberwachungssystems (EUROSUR), der Ausbau der Kompetenzen und Kapazitäten der EU-Grenzschutzagentur (FRONTEX), der EU-Polizeibehörde (EUROPOL) und der EU-Grenztruppe (EGF).

Die Diskussion um eine Erweiterung der informationellen Zusammenarbeit dieser EU-Einrichtungen und der nationalen Polizeien nahm einen breiten Raum ein. So werden z.B. gegenwärtig ein mobiles Datenübertragungssystem mit hoher Bandbreite (HIMONN) wie auch ein einheitliches Kommunikationsnetzwerk der Polizeien (POLIZEI-ONLINE) in einzelnen Bundesländern erprobt, denen Vorbildcharakter für den Datenaustausch zwischen den nationalen und EU-Behörden zugemessen wird.

Im „Visainformationssystem“ sollen laut dem Vizepräsidenten der EU-Kommission, Franco Frattini, alle Einreiseinformationen gespeichert und Verstöße gegen Visafristen schnellstmöglich erkannt werden. Zusätzlich, quasi zur Erleichterung der Verfolgung von Visaverstößen, soll die Einführung elektronischer Reisegenehmigungen geprüft werden. Das geplante Ein- und Ausreiseregister würde bedeuten, dass tendenziell Jeder und Jede zukünftig biometrische Merkmale seiner/ihrer Person bei jeder Ein- und Ausreise erfassen lassen müsste. Allerdings sind für „trusted citizens“ – „vertrauenswürdige Reisende“ – Erleichterungen in Form automatischer Lesegeräte (z.B. Iriserkennung, wie sie gerade am Frankfurter Flughafen erprobt wird) vorgesehen.

Präsentiert wurde eine umfangreiche Sicherheitstechnik (Datenübermittlung, biometrische Erkennungssysteme, Videoüberwachung, Internet-Überwachung). „Sicherheit“ ist zu einem profitablen Geschäft geworden. Seit langem schon gibt es eine intensive operative Zusammenarbeit und personelle Verflechtung zwischen Polizei und Sicherheitsindustrie. Die so genannte Terrorismus-Bekämpfung beschert der Industrie erhöhte Aufmerksamkeit. So sprach ein Vertreter von EADS zur notwendigen Kooperation zwischen Polizei und Militär aus Sicht der Industrie. Die Aufhebung der Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit erfordere neue Standards in Strategie und Architektur sowie der Technik der Sicherheitsbehörden. Dabei sei die synergetische Zusammenführung von Mensch und Technik wichtiger als das Behandeln rechtlicher Fragen. Die Industrie setze daher Akzente im Bereich (personaler) Sicherheit und der Kommunikationstechnologie. Motto seiner Rede: der Polizist der Zukunft ist der Soldat der Zukunft.

Mit dem Wegfall der Grenzen zu den östlichen EU-Mitgliedsstaaten wird das Schengeninformationssystem ausgebaut. Dieses System, angeblich geschaffen um europäischen Justiz- und Strafverfolgungsbehörden eine Datenbank zur besseren Bekämpfung des organisierten Verbrechens zur Verfügung zu stellen und die Kooperation zwischen den Behörden zu verbessern, soll um biometrische Daten, Fotos und Fingerabdrücke ergänzt werden. Diese Datenbank soll mit anderen Systemen verknüpft und den europäischen Behörden EUROJUST und EUROPOL sowie z.B. Kraftfahrzeugzulassungsstellen bereitgestellt werden. Die Daten sollen auch an Sicherheits- und Geheimdienste weitergeben werden können, womit die Aufhebung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten wieder ein Stück näher rückt.

Auf dem Kongress wurden jedoch auch Konflikte um die Art und Weise der Durchführung und Reichweite dieser Maßnahmen deutlich. Schon im Vorfeld des Kongresses wurde euphemistisch von einem Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit gesprochen. In Deutschland gibt es Widersprüche zwischen Innen- und Justizministerium. Während z.B. Bundesinnenminister Schäuble (CDU) für die Online-Durchsuchung und Speicherung von Fluggastdaten (Speicherung von Fluggastdaten bis zu 13 Jahren ohne richterliche Genehmigung und bis zu neunzehn Datensätzen pro Person ohne einen konkreten Verdacht) warb, präsentierte sich Bundesjustizministerin Zypries (SPD) als Kritikerin, indem sie verfassungsrechtliche Bedenken äußerte. Sie betrachtete die Fokussierung auf neue Gesetze und Maßnahmen als Fehlentwicklung. Wichtiger sei es dagegen, die vorhandenen Gesetze sorgfältig und konsequent anzuwenden, eine zügige Bearbeitung zu ermöglichen und die Polizei personell besser auszustatten. Zypries ging sogar so weit, eine „Entwicklung hin zum Präventionsstaat“ zu bemerken.

Ein weiterer Widerspruch wurde deutlich zwischen den Interessen der Polizeigewerkschaften und den Befürwortern einer technologischen Aufrüstung der Polizei- und Sicherheitsbehörden. Die Gewerkschafter befürchten, dass im Zuge dieser Entwicklung der Integration technischer Hilfsmittel in die Polizeiarbeit Personal abgebaut wird. Denn gleichzeitig würden die finanziellen Mittel für die notwendigen Qualifizierungen der PolizistInnen nicht zur Verfügung gestellt. Ursache sei, dass die Industrie oftmals das Personal gleich mitliefere bzw. die Polizei darauf angewiesen ist, in der „freien Wirtschaft“ entsprechendes Personal auszuleihen oder abzuwerben.

Während die Sicherheitsindustrie boome, sei die Polizei, so der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, jahrelang finanziell und personell unzureichend ausgestattet und ungenügend besoldet worden. Gründe sah Freiberg in neoliberaler Privatisierungs-, und übermäßiger Sparpolitik der öffentlichen Haushalte. Dies habe dazu geführt, dass die Präsenz und Arbeitsfähigkeit der Polizei abgenommen habe.

Der Kongress dient seit seinem ersten Zusammentreffen dem Zweck, die Kommunikation zwischen Industrie, Polizei und bestimmten Regierungs- und Amtsvertretern zu verbessern und sich über die Schaffung einer europäischen Sicherheitsinfrastruktur zu verständigen. Er ist daher vor allem im Interesse der Sicherheitsdienstleister und der Anbieter von Sicherheitstechnologie. Erkennbar war ein gemeinsames Einverständnis über die grundlegende Ausrichtung der Politik der Inneren Sicherheit. Dieses besteht darin, vor dem Hintergrund des Phänomens des „Terrorismus“ und der angeblich gestiegenen Kriminalität sowie des damit vermuteten Gefühls subjektiver Unsicherheit in der Bevölkerung, die Notwendigkeit einer Aufrüstung der Sicherheitsbehörden zu behaupten. Neu an dieser Entwicklung ist nicht die Tendenz des Staates und seiner Exekutivorgane, möglichst viel wissen und möglichst viel kontrollieren zu wollen, sondern die neue Qualität der Möglichkeiten dazu. Nimmt man die Vielzahl der bisherigen und geplanten Maßnahmen zusammen, so steht zu befürchten, dass es zu einer umfassenden Observation und Bedrohung der informationellen Selbstbestimmung der europäischen Bevölkerung durch ein obrigkeitliches Sicherheitsnetzwerk kommen wird. Davon profitiert eine Industrie, deren Einfluss so groß einzuschätzen ist, dass sie den weiteren Kurs der Politik der Inneren Sicherheit maßgeblich bestimmen wird. Sie weist auf eine Durchkapitalisierung staatlicher Strukturen hin und ist spezifischer Ausdruck eines neuen polizeilich-industriellen Komplexes im Rahmen der europäischen Integration der Justiz- und Innenbehörden, der zunehmend Einfluss auf die Gestaltung der inneren (und europäischen) Sicherheit nimmt. Das deutet auf den zukünftigen Charakter der EU hin – neoliberal, autoritär und präventiv repressiv.

© links-netz März 2008