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„Entdecke die Möglichkeiten“ der Sicherheitstechnik

Florian Flörsheimer

Ende Mai wurde die „Telekom-Spitzelaffäre“ bekannt, bei der eine private Berliner „Sicherheitsberatungsfirma“ (Detektei) im Auftrag des Telekom-Vorstands Mitarbeiter des Konzerns aushorchte sowie Verbindungs- und Bankdaten auswertete. Dieser Fall, im Kontext der jüngsten Datenschutzmissbrauch-Affären offensichtlich kein Einzelfall, ist nicht nur Zeichen einer Hinwegsetzung über geltende datenschutzrechtliche Regeln, sondern zeigt, dass sich das Kapital längst illegaler Methoden bedient, um sich sowohl vor Spionage zu schützen wie auch Mitarbeiter überwachen zu können. Hilfreich ist ihnen dabei eine weit entwickelte Sicherheitstechnik und modernstes Sicherheits-Know-how. Wie allerdings die Diskrepanz zwischen der Anwendung der Technik und ihrer (noch) nicht vorhandenen juristischen Legalität überwunden werden soll, konnte man auf dem 9. Hamburger Sicherheitsgewerberechtstag erfahren, der unter dem Titel „Sicherheitsgewerbe und Sicherheitstechnik – Von der Personalisierung zur Technisierung“ am 22. April dieses Jahres der stattfand. Veranstaltet wurde die Tagung von der Forschungsstelle Sicherheitsgewerbe (FORSI) und der Handelskammer Hamburg.

Eröffnet wurde die Veranstaltung vom geschäftsführenden Direktor der in Hamburg ansässigen „Forschungsstelle Sicherheitsgewerbe“, Rolf Stober. Diese wissenschaftliche Einrichtung arbeitet seit 1999 im Auftrag des Sicherheitsgewerbes an einer Novellierung des Sicherheitsgewerberechts. Ziel ist, dem Gewerbe den Zugang zu einem neu geschaffenen „Sicherheitsmarkt“, der in Konkurrenz zu den öffentlich-rechtlichen Sicherheitsbehörden steht, zu ermöglichen. Die Referenten der Tagung reflektierten diesbezüglich die gegenwärtige Situation für das Gewerbe wie auch deren gegenwärtigen Zustand.

Laut Stober gibt es derzeit einen größeren Bedarf an Sicherheitstechnik. Er zitierte den Präsidenten des BKA, Jörg Ziercke, mit den Worten, dass die zur Beherrschung der Technik notwendige Qualifikation von der Polizei allein nicht gewährleistet werden könne. Den Stellenwert der Sicherheitstechnik insgesamt wertete er als „Ausdruck der Handlungsfähigkeit des Staates“, des privaten Bedürfnisses nach Sicherheit sowie der unternehmerischen Konkurrenzfähigkeit. Dennoch würden sich folgende Fragen ergeben: Ist die Sicherheitsbranche ausreichend vernetzt? Wird der Mensch durch die Technik ersetzt? Erfordern die steigenden Berufsanforderungen eine weitere Verbesserung der Ausbildung? und: Welche neuen Rechtsfragen ergeben sich aus der neuen Technik?

Ulrich Bremer, Geschäftsführer der Handelskammer Hamburg, erhoffte sich von den gegenwärtigen (politischen) Veränderungen in Hamburg (Koalition CDU-GAL) unter dem Hinweis auf den Punkt Innenpolitik des Koalitionsvertrages für das Sicherheitsgewerbe relevante neue Vereinbarungen wie z.B. die Einführung von Kennzeichen-Lesegeräten oder die weitere Verwendung von Videotechnik im öffentlichen Raum. Dies seien Hinweise darauf, dass Sicherheitstechnik aus der Innenpolitik nicht mehr wegzudenken sei und folge der bereits Anfang April mit dem derzeitigen Senat vereinbarten Sicherheitskooperation zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität, was zeige, dass „die Wirtschaft bereit ist, mehr zu Sicherheitsverantwortung übernehmen.“

Jürgen Beyerer, Professor an der Universität Karlsruhe und Institutsleiter am dortigen Fraunhofer Institut, unternahm einen ‚systemtheoretischen’ Blick auf die Sicherheitstechnik. Sicherheitstechnik sei zu begreifen als ein ‚Mensch-Sicherheits-System’, dessen Aufgabe es sei, die ‚Kritische Infrastruktur – bestehend aus komplexen, optimierten und sensiblen Verkehrs- und Kommunikationsnetzen, die „Achillesferse unserer Gesellschaft“ – zu schützen. Dabei nehme die Informationstechnologie (IT) die Rolle einer Schlüsseltechnologie ein. Sicherheit, verstanden einerseits als safety (statische Sicherheit), andererseits als security (dynamische Sicherheit), könne nur an der Gefahrenquelle – also dem Verursacher - hergestellt werden. Daher sei eine aktive statt nur eine passive Sicherheit, Rechnergestützt, mit geschlossenen Regelkreisen (so genannte ‚intelligente Sicherheitssysteme’: moderne, personalisierte Videoüberwachung) und der Möglichkeit individueller Handlungsweisen, von entscheidender Bedeutung. Der Bedrohung der nationalen Sicherheit müsse und könne mit der Aufrüstung dieser Sicherheitstechnik begegnet werden. Der zur weiteren Entwicklung der Technik notwendigen Sicherheitsforschung bescheinigte er allerdings Defizite, insofern es keine Think Tanks und keine High-Risk-Forschungsprogramme gebe. Außerdem verhindere

der Föderalismus bzw. das System der behördlichen öffentlichen Sicherheit (BOS-System) der BRD, die flächendeckende Einführung der Sicherheitstechnik.

Die rechtliche Dimension der Nutzung von Sicherheitstechnik wurde von Prof. Christian Heitsch von der Universität Trier vorgestellt. Man stört sich im Gewerbe an den datenschutzrechtliche Grenzen der Videoüberwachung. Die Lücken des Bundesdatenschutzgesetzes standen im Mittelpunkt des Interesses.

Auf der Tagung wurden weiterhin die neuesten Entwicklungen in der Videoüberwachungstechnik vorgestellt. Diese wird immer perfekter: ‚intelligente Videosysteme’ (Kameras in Verbindung mit Sensor- und Analysetechnik) sollen künftig, netzwerk- und biometriegestützt, selbständig Wertungen vornehmen können und z.B. entsprechende Alarme auslösen können. Videotechnik wird vor allem in Gefängnissen installiert, da sie der Branche als „Laboratorium“ für die spätere Verwendung in der Öffentlichkeit dienen.

Als problematisch für die konsequente Einführung dieser Technik wurden jedoch folgende Punkte gesehen: die Bindung des Videogewerbes an öffentlich-rechtliche Vorgaben (durch Gewerbeordnung, Handwerksordnung, Datenschutzgesetz, Produkthaftung) (sic!), die Existenz von 16 verschiedenen Polizeigesetzen, die geringe Zahl ausreichend qualifizierten Sicherheitspersonals, die Frage der Bewältigung einer „kritischen Masse“ an Informationsverarbeitung durch die Geräte, die Tatsache, dass laut Polizeigesetzen Videoüberwachung bisher nur durch die Polizei erfolgen darf – und die daraus folgende Personalbindung bei der Polizei. Hier sollen private Sicherheitsdienste einspringen können, wenn es denn nur der Gesetzgeber erlauben würde. Denkbar sei dabei eine Aufgabenteilung zwischen den Privaten und der Polizei: die Privaten würden den Innendienst erledigen, die Polizei sich auf den Außeneinsatz beschränken. Letztlich wäre dafür die Vereinheitlichung der Polizeigesetze und die Integration der Sicherheitsdienste in diese – mit einer klaren Beschreibung ihrer Aufgaben- vorteilhaft.

Der Vizevorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen, Manfred Buhl, sprach über Auswirkung der Sicherheitstechnik auf das Sicherheitsgewerbe. Die Technik habe positive, aber auch differenziert zu betrachtende Folgen für die Sicherheitsdienstleistung, gerade weil sich das Sicherheitsgewerbe in einer schwierigen Situation befinde: Dazu gehöre u.a. der Rückgang in bestimmten Kriminalitätsbereichen z.B. Einbruch, Raub, Diebstahl (bei gleichzeitigem Anstieg von Wirtschaftskriminalität und Betrug). Weiterhin würden seriöse Unternehmen Probleme bekommen, denn sie kommen aufgrund von Billigkonkurrenz nicht in die öffentlichen Auswahlverfahren (als Bsp. nennt er die Auftragsvergabe an Sicherheitsdienste zur Bewachung Neuköllner Schulen in Berlin). Auch herrsche ein unübersichtlicher Tarifdschungel: es gäbe zu viele Tarifvereinbarungen, was die Allgemeingültigkeit von Tarifen unterlaufe. Weiterhin seien die „Martkeintrittsbarrieren“ viel zu niedrig. In Deutschland sei zu es einfach, ein Sicherheitsgewerbe anzumelden (man braucht bisher nur eine IHK-Zulassung und einen Gewerbeschein – keinen Ausbildungsnachweis). Diese Situation würde noch durch die Dienstleistungsfreiheit im EU-Markt sowie die EU-Osterweiterung verstärkt. Daher sei ein Mindestlohn und die Aufnahme des Gewerbes in das Entsendegesetz eine Überlebensnotwendigkeit, denn beides gemeinsam erhalte Arbeitsplätze gegen die osteuropäische Konkurrenz. (Bemerkung: Das Sicherheitsgewerbe beantragte bereits die Aufnahme in das Entsendegesetz; Anfang März wurde ein Mindestlohn mit der christlichen Gewerkschaft GÖD vereinbart, der allerdings bei anfänglich nur 5,75 € liegt).

Ein weiteres, grundsätzlicheres Problem sei, dass der Profit im Sicherheitsdienstleistungsgewerbe wesentlich durch die so genannte „Mann-Stunde“ gemacht wird – also der Vermietung pro Mann und Stunde an den Kunden. Daher gebe es bei den Unternehmen kein Interesse an einer Reduzierung des Einsatzes von Personal. Da aber die Beschäftigtenzahl in der Branche stagniert, wachsen die Umsätze nicht mehr so stark. Das mache eine Vernetzung mit der Sicherheitstechnik geradezu überlebenswichtig, um die Konkurrenzfähigkeit und die Profitabilität zu erhalten. Und auch weil die Technik zum „Treiber“ der Sicherheitswirtschaft insgesamt geworden sei, sei es wichtig, die bisherige Trennung der Branche in die Sektoren personelle Dienstleistung, technische Dienstleistung, sowie die baulichen, organisatorisch und prozessorientierten Sektoren durch größere Vernetzung und Kooperation zu überwinden. Eine Lösung des Problems bestünde in der Entwicklung technologischer ‚integrierter Sicherheitslösungen’ (ISL). Dazu brauche es jedoch eine neue Generation von qualifizierten Menschen in der Branche, die maßgeschneiderte Konzepte entwickeln müssen. Insgesamt sei kaum eine Veränderung der Situation zu erwarten. Daher müsse sich das Sicherheitsgewerbe „neu erfinden“: die Einbeziehung der Sicherheitstechnik durch den Sicherheitsdienstleister würde die Wirtschaft dauerhaft verändern. Doch würde die Sicherheitstechnik die personellen Sicherheitsdienstleistungen nicht verdrängen, sondern wesentlicher Bestandteil des „Sicherheitsmanagements“ werden.

Die Entwicklung des Sicherheitsgewerbes, insbesondere der Personaldienstleistungen scheint an einem Punkt angekommen zu sein, da die bisherigen rechtlichen und ökonomischen Möglichkeiten schon sehr weit ausgeschöpft sind, so dass – das lassen jedenfalls die auf der Tagung gehaltenen Reden vermuten – bei der weiteren Entwicklung des Gewerbes mit einem qualitativen Sprung zu rechnen ist.

Die neoliberale Regulationsweise des Kapitalismus treibt die Privatisierung auch auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik respektive des physischen Gewaltmonopols voran. Der privaten Sicherheitsbranche kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie ist nicht nur der Profiteur dieser Privatisierung sondern auch wichtiger Akteur in der Regulierung neoliberaler Verhältnisse.

Genug Grund also, dass die Bewegung gegen die Privatisierung öffentlichen Güter auch diese Veränderungen im Sektor Sicherheit wahrnimmt.

© links-netz Juni 2008