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„Praktischer Sozialismus. Antwort auf die Krise der Gewerkschaften“

Schriften des Hans-Jürgen Krahl-Instituts e.V. Stoltebüll, 2008; Pahl-Rugenstein, Bonn

Michael Flörsheimer

Vorweg: Warum sich der herausgebende Verein „Hans-Jürgen-Krahl-Institut“ nennt, ist aus der Schrift „Praktischer Sozialismus“ nicht zu entnehmen. Auch gibt es keine Hinweise auf andere Veröffentlichungen oder Aktivitäten. Jedenfalls macht der Name Eindruck, und das ist wohl auch beabsichtigt. Zum Text:

Auf (netto) 23 Seiten eine „kapitallogische“ Ableitung der Möglichkeiten und Grenzen von Gewerkschaften, eine Begriffsbestimmung des Staats im allgemeinen wie auch einer seiner historischen Ausformungen, ebenfalls der Parteien der Arbeiterbewegung und die Ausformulierung eines Lösungsvorschlags für die „Aufhebung des Kapitalverhältnisses“ (S. 27) leisten zu wollen – da haben sich der/die (namentlich nicht genannten) VerfasserInnen schon sehr viel vorgenommen.

Der ursprünglich unter dem Titel „Neu Beginnen" verfasste Text versteht sich als „allgemeine(r) Strategievorschlag zur gesellschaftlichen Transformation“ (S. 7), der, unter „Besinnung auf den Marxschen Gedanken, die radikale Aufhebung der Entfremdung sei die 'wirkliche Bewegung'" (S. 8) postuliert: „Eine neue aus den historischen Bedingungen der alten Arbeiterbewegung und ihrem Scheitern entstehende Organisationsform der Proletarisierten müsste eine Verlaufsform sich ausweitender Aufhebung der Konkurrenz und zugleich der Aneignung von Produktionsmitteln unter kollektiver Entscheidungsgewalt sein“ (S. 8).Soweit der Anspruch und das Ziel. Das Mittel dazu: Gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft.

In jeweils 1-2 seitigen Abschnitten („Antwort auf die Krise der Gewerkschaften“, „Gewerkschaften“, „Exkurs: der bürgerliche Staat“, „Gewerkschaftsstaat“, „Politische Parteien der Arbeiterbewegung“, „Exkurs: Staatsinterventionismus“, „Strukturkrise der Gewerkschaften") wird erklärt, warum unter Bedingungen kapitalistischer Produktionsweise, zumal unter nachfordistischen Verhältnissen, Gewerkschaften nicht nur nicht in der Lage sind, grundlegende Veränderungen zu bewirken, auch nicht den dafür notwendigen gemeinsamen Kampf von Lohnabhängigen und „Lohnarbeitslosen“ zu organisieren, sondern vielmehr in einer tiefen strukturellen Krise stecken.

Um die Antwort auf diese Krise geht es auf den letzten sechs Seiten. („Radikaler Reformismus“, „Neu beginnen“).

Um nachzuweisen, dass es, so wie es jetzt geht mit den Gewerkschaften, auch gar nicht anders gehen kann, wird einerseits versucht „kapitallogisch“ die Grenzen gewerkschaftlichen Handelns abzuleiten und zweitens dieses Handeln in Verhältnissen – idealtypisch – zu verorten, die allerdings die besonderen Verhältnisse des fordistischen Kapitalismus sind. Die Veränderungen in der neoliberalen Entwicklungsweise des Kapitalismus werden zwar als Ursachen der aktuellen Krise der Gewerkschaften angeführt, die aktive Rolle der Gewerkschaften/Gewerkschaftsführungen (auch) beim neoliberalen Umbau der Gesellschaft kommen der/den AutorInnen nicht ins Blickfeld. Kritik an den Gewerkschaften bleibt, sobald sie die strukturelle Ebene verlässt, immanent.

Das muss sie auch bleiben, da der „gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft“ die zentrale Rolle bei der radikalen Umwandlung der Gesellschaft zukommt. Wobei offen bleibt, ob die bestehenden Gewerkschaften in der Lage sind sich selbst zu reformieren, „oder ob sich diese am Ende als reformunfähig erweisen und das Mandat auf den Souverän zurückfällt, die ArbeitnehmerInnen sich jenseits der bisherigen Strukturen neue Gewerkschaften schaffen müssen“ (S. 23). Warum allerdings diese neuen Gewerkschaften dann den strukturellen Begrenzungen nicht unterworfen sein sollen, bleibt ein Geheimnis.

Vielleicht sind diese neuen Gewerkschaften dies ja nur noch dem Namen nach, bleibt doch die für die Umwälzung der Gesellschaft entscheidende Aufgabe, die Verbindung zwischen Lohnarbeitern und „Lohnarbeitslosen“ herzustellen, zu der zumindest die bestehenden Gewerkschaften „kapitallogisch“ nicht in der Lage sind und auch nicht sein können.

Was also tun? Nach einer nicht gerade wenig selbstbewussten Einleitung: „In gewisser Weise kann der hier gemachte Organisationsvorschlag als Antwort auf die Anforderungen an den von Joachim Hirsch konzipierten 'radikalen Reformismus' verstanden werden“ und der Feststellung, „dass ein die grundlegenden Produktionsverhältnisse revolutionierendes Projekt sich innerhalb der von diesen Strukturen gesteckten Rahmenbedingungen entwickeln und zugleich als Gegenmacht selbst konstituieren muss“ (S. 26), geht es zur Sache.

Und die heißt: Wiedereinsteig in die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft.

Nach einem Rekurs auf die „allgemeine Entwicklungslogik der traditionellen Gewerkschaften“, zu der die Bildung einer Streikkasse und deren sinnvolle Anlage u.a. in Konsumgenossenschaften („Der Ausweitung der gemeinwirtschaftlichen Unternehmungen auch auf Produktionsgenossenschaften steht und stand prinzipiell nichts entgegen“) gehört, werden die positiven Folgen festgestellt, nämlich: „Die in dieser Dynamik liegende Möglichkeit, die Lohnarbeitslosen in der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft zu organisieren und so die Aufhebung der Konkurrenz unter den Proletarisierten zu vollenden..“

Warum aber hatte der DGB 1987 den Ausstieg aus der Gemeinwirtschaft beschlossen?

...weil sie, spätestens nach der fordistischen Durchkapitalisierung der Reproduktionssphäre der Arbeitskraft, zu den faux frais des Gewerkschaftsapparats zu rechnen war“(S. 29).

Spätestens ab jetzt schlägt der ökonomistische Zug der vorangegangenen Analyse in Voluntarismus um: „Und in der Tat, nur innerhalb einer Strategie, die (die, mf) 'Abschaffung des Lohnsystems' auf ihre Fahnen geschrieben hätte, und die darum durch die Koordinierung der Arbeitskämpfe der Lohnabhängigen mit den gemeinwirtschaftlichen Produktionskämpfen der Lohnarbeitslosen bewusst die schrittweise Sozialisierung der gesamtgesellschaftlichen Produktivkraft anstrebte, machte unter den gegenwärtigen Bedingungen der Ausbau der Gemeinwirtschaft Sinn. ..“

Die gewerkschaftliche Gemeinwirtschaft sei ein abgeleitetes ökonomisches Verhältnis, finanziert durch Beiträge der Gewerkschaftsmitglieder und Steuerabgaben, reproduziere sich durch Abzweigung eines Teils des gesellschaftlichen Wertprodukts und sei ergo – anders als kapitalistische Unternehmen – keinem Zwang zur Rentabilität unterworfen.

Vielmehr könne sie sich erweitert reproduzieren, indem sie sich deren bzw. dessen bemächtige, was wegen mangelnder Profitabilität nicht mehr gebraucht werde: Arbeitslose und aufgelassene, aber nur „moralisch“ verschlissene Produktionsanlagen.

Die durch den Ausbau der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft abnehmende Wirkung der Drohung mit Arbeitsverlust ließe Arbeitskämpfe führbar werden, bei der die Sozialisierung der bestreikten Betriebe und deren Eingliederung in die Gemeinwirtschaft realistische Perspektive sei. Ausbreiten soll sich diese Gemeinwirtschaft entlang der existierenden (internationalen) Produktions- und Verwertungsketten und damit auch einen neuen proletarischen Internationalismus begründen. Und überhaupt: „Überhaupt ist anzunehmen, dass, einmal etabliert, eine so strukturierte Gemeinwirtschaft nicht vorhersehbare Dynamiken auch in direkt politischen und kulturhegemonialen Auseinandersetzungen anstoßen würde, die einer gradlinigen Ausdehnung des Modells zuvorkommen könnten“ (S. 30). Hier ist wohl eine revolutionäre Dynamik angedacht, aber „ so muss gesagt werden, dass es für das Problem der Gefahr einer Konterrevolution ebenso kein Aufschieben geben kann, auch dieses Problem muss bereits in der Verlaufsform gelöst werden können“ Glücklicherweise ist da aber kein Gemeinwirtschaftsgeheimdienst gemeint, sondern doch eher die Stärkung der Demokratie, hier konkret: „die Legalität von Arbeitskämpfen, gemeinwirtschaftlichen Produktionsformen und die Grundrechte“. Und, mit Seitenblick auf die Partei „Die Linke“: „Es wäre z.B. äußerst wichtig die bürgerliche Repräsentationskrise durch einen politischen Arm der gewerkschaftlichen-gemeinwirtschaftlichen Bewegung gegen die virulente Entdemokratisierung zu wenden und so einem konterrevolutionären Projekt vorzubeugen“ (S. 31).

Und schon ist er also wieder gelandet, der revolutionäre Gemeinwirtschaftstiger. Was bei ausgedachten Modellen nichts Ungewöhnliches. Da ist es vielleicht doch sinnvoller bescheiden lernend voranzuschreiten. Dass sich der neoliberale Kapitalismus nur (noch) krisenhaft reproduziert, dass die Auswirkungen immer katastrophaler werden, ist unübersehbar. Ebenso, dass Bewegung dagegen und historisch-materialistisch begründete Alternativen noch am Anfang. Verschiedenste Entwürfe, Projekte und (utopische) Modelle haben Konjunktur. Neben viel Ausgedachtem steckt darin Etliches, was der Diskussion wert ist. Dass wieder mehr darüber nachgedacht wird, nicht nur, dass es so wie es geht, nicht weitergehen darf, sondern auch wie es möglicherweise anders geht, ist auf jeden Fall positiv.

© links-netz Juni 2008