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Entzauberung der Entzauberung der Natur

Neueres Ökologisches in ‘linken’ Zeitschriften

Thomas Gehrig

Das Thema Ökologie hat seine Konjunkturen. Nachdem es längere Zeit ruhig geworden war um die ‘ökologische Frage’ beschäftigten sich in den zurück liegenden eineinhalb Jahren gleich mehrere linke Periodika damit. Neben materialen Analysen spezifischer Umweltprobleme finden sich dabei auch Artikel, die die Frage nach der Kapitalismuskritik im Angesicht der ökologischen Krise stellen. Im Folgenden wollen wir diesen neuerlichen Blicken auf die Natur nachgehen.1

Gerade die Auseinandersetzung mit der Ökologie-Problematik spricht vielfältige Probleme des Marxismus und der ‘linken’ Theoriebildung insgesamt an. Mit der ‘ökologischen’ Herausforderung wurde Kapitalismuskritik allzu oft relativiert oder aufgegeben. An deren Stelle traten ein Naturalismus in Form einer gesellschaftlichen Orientierung an der ‘Natur’, Konzepte einer antidemokratischen Herrschaft der ökologisch aufgeklärten Eliten, staatliche Planungsvorstellungen (seien sie nun staatssozialistischer oder privatkapitalistischer Provenienz), ein utopisches ‘Außerhalb’ oder der abstrakte Verweis auf das Gebot der materialen Reproduktion.2 Aufgabe müsste es dagegen sein, kritisch gerade auch die Grenzen der Alternativen innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsweise aufzuzeigen. Darüber hinaus wäre die Problematik unter der Perspektive der mit der kapitalistischen Produktionsweise gesetzten, systematischen Untergrabung der Quellen allen Reichtums, der Erde und der ArbeiterInnen, anzugehen. Das, was als Natur erscheint, ist Gegenstand der Kritik der politischen Ökonomie. Die auch in der an Marx orientierten Ökologiedebatte verbreiteten naturalistischen Rudimente sowie ein Begriff von Natur im Sinne eines naturwissenschaftlichen Fetischs verweisen jedoch darauf, dass ‘Natur’ gerade nicht als kritische Kategorie aufgefasst wird, sondern immer noch so wie im bürgerlichen Materialismus und dessen marxistischen Ausläufern.3

Das Argument

In „der deutschen Zeitschrift der kritischen Intellektuellen par excellence, Das Argument“ (773) widmet sich das Schwerpunktthema der so genannten Kritik gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Da die Finanzkrise in die vor Jahren begonnene Heftplanung einbrach ein etwas undankbares Motto. Entsprechend wird auf zehn Seiten Editorial nur eine dem Thema Natur gewidmet, die Aufmerksamkeit gehört der Finanzkrise. Bezüglich der Natur heißt es dann, sie dürfe nicht spinozistisch als das Ganze des Seins begriffen werden. Nur dann, wenn von einer Differenz zwischen Menschenwelt und außermenschlicher Natur ausgegangen werde, könne das ökologische Problem artikuliert werden. Das „ökologische Problem“ existiere „nur als Problem für uns, nicht für die Natur selbst“ (792). Den Kapitalismus mit der Bewältigung der von ihm selbst in Gang gesetzten Zerstörungen zu beauftragen und ihm damit ein neues Akkumulationsfeld zu schaffen, sei paradox. Es müsse gelingen, „einen Standpunkt und ein historisches Subjekt außerhalb des Kapitalismus zu stabilisieren“ (793).

Die zusätzliche Einleitung zum Schwerpunkt selbst zitiert aus Hans Immlers Aufsätzen zum Thema, die die Zeitschrift in den 1970er Jahren brachte. Hier konnte noch, ganz in Planungseuphorie und ML-Tradition, auf den blühenden Osten verwiesen werden, den Sozialismus, mit dem das Instrument zur Lösung der Naturfrage bereits in Händen schien. Heute sieht dies, zumindest sprachlich, ein wenig anders aus: „Heute sind wir mehr denn je gefordert, gesellschaftswissenschaftliche Entwicklungstheorie als Gesamtzusammenhang von Naturevolution, Gesellschaftsformation und Weltgeschichte zu denken“ (795).

Mario Candeias und Armin Kuhn berichten vom derzeit geplanten grünen New Deal als kapitalistischem Weg aus der Krise. In den Zeiten der Finanzkrise, in denen der Staat als Retter des Kapitalismus erscheint, eröffneten sich zwei neue Räume für Kapitalakkumulation: Zum einen die öffentliche Infrastruktur und zum anderen die Vision des grünen Kapitalismus (808). Zu Recht weisen die Autoren darauf hin, dass das Schlagwort vom grünen New Deal in der Bundesrepublik schon vor 15 Jahren für eine systemkonforme Bewältigung der ökologischen Krise stand (809).4 Sie halten fest, dass auch ein grüner Kapitalismus nicht radikal mit neoliberalen Regulationsmechanismen brechen wird (811). Der grüne Kapitalismus sei „nicht die Lösung der ökologischen Krise, sondern vielmehr ihre Bearbeitung im Sinne der Wiederherstellung erweiterter kapitalistischer Akkumulation und Herrschaft“ (812). Der grüne Umbau des Kapitalismus hin zu einer ökologischen Produktionsweise wird dem Neoliberalismus jedoch nicht zugetraut, er werde unter heftigen globalen Kämpfen abgelöst, und es komme zu einem neuen „High-Tech-Kapitalismus“.

Einerseits scheinen die neuen, postneoliberalen Regulationsmechanismen eine Antwort auf die so genannte ökologische Krise zu finden. Andererseits würden auch mit ihnen nur die alten Widersprüche des Kapitalismus reproduziert, und es komme zu keiner Lösung der ökologischen Krise. Die Autoren verweisen zu Recht auf die Potenziale des Kapitalismus, sich selbst immer wieder zu revolutionieren. Zugleich bleibt an dieser Stelle unklar und offen, ob und inwieweit ein grüner Kapitalismus die ökologische Krise, wenn auch nicht grundsätzlich lösen, jedoch u.U. ‘ökologisch’ zufriedenstellend bearbeiten kann.

Sabine Hofmeister versucht Wildnis als kulturelle Metapher zu dechiffrieren. Ein löblicher Gedanke, doch Hofmeister gelingt es nicht, sich selbst von der metaphorischen wilden Wildnis zu distanzieren. Wieso auch: „wilde Naturen“ sind doch „um so vieles reicher, überraschender, gewitzter“. Hofmeister schlagen nicht nur „wilde[..] Gewaltpotentiale“ der Natur entgegen (814), wie der Wolf dem Rotkäppchen, die ganze Geschichte der Menschheit wird ihr zu der der Wildnisse. Wildnisse gibt es deren drei: Nr. 1 ist wohl die waldursprüngliche und leider vergangen, Nr. 3 bleibt utopisch und zukünftig. Was bleibt, ist zunächst die derzeit vorhandene Nr. 2: Diese sei jedoch nur imaginierte Wildnis, sie generiert lediglich einen Erfahrungsraum, in dem wir uns bewusst werden können, dass unsere Erfahrungen von Nr. 2 uns für Nr. 3 wenig nützen werden. Aber schön ist er trotzdem, der Erfahrungsraum: „Dichte Wälder“ ermöglichen es uns dort, „gewohnte Raum- und Zeitmuster temporär zu verlassen“ (824). Unter den „Leitlinien“ „Vorsicht und Vorsorge“ sollen sich unsere „Handlungsprinzipien und Lebensstile ausdifferenzieren“. Mit der neuen Wildnis müsse es gelingen, „eine humane ‘Natur’ als einen Lebensraum herzustellen“ (822).

Dass die Naturverhältnisse gesellschaftliche sind, hat sich herumgesprochen, begriffen ist das Problem deswegen noch lange nicht. Dem Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse liege „die These zugrunde, dass die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Natur durch Einheit und Differenz bestimmt sind“ (814). Welch kühne Bestimmung: Was das reine Begriffsungetüm schon aussagt, wird lediglich wiederholt. Dass zwei als Verhältnis aufeinander bezogene Dinge sich immer als Einheit und Differenz präsentieren, bleibt banal, was unter Einheit und Differenz zu verstehen wäre, nicht unbedingt. Folglich bleibt letztere Bestimmung auch bei Hofmeister ausgespart. Präsentiert wird stattdessen das im sozialökologischen Diskurs beliebte soziologische Spiel, eine Dichotomie (Natur/Gesellschaft bzw. Kultur) zu unterstellen bzw. zu setzen, um dann darüber zu räsonieren, dass die Dichotomie Unterschiede aufweist und (leider) nicht unmittelbar Einheit ist. Die Metaphern, die dann erscheinen, sind die von der sich auflösenden Grenze, dem Wechselverhältnis oder gar der Dialektik. Lösen sich Grenzen wie die von Gesellschaft und Natur auf, kennen dann auch „Hormone [...] keine Grenzen mehr“. Wirkungen sind dann immer „global“, „irreversibel“ und treffen „Ökosysteme“ wie „Gemeinschaften“ (815). Mit der Trennung von Natur und Kultur könnten, so Hofmeister, keine sinnvollen Aussagen mehr getroffen werden! „Nahezu alle krisenhaften Phänomene“ seien Ausdruck der „sozial-ökologischen Krise“. Die sozial-ökologischen Krisenphänomene seien „hybrid“; „verschlungene[ ], rückgekoppelte[ ] Prozesse[ ]“ (816) entstünden.

Erinnerungen an die neophysiokratischen Ideen Immlers werden wach, wenn Hofmeister von „Naturproduktivität“ (818) redet und sich beschwert, dass das „Naturprodukt in der ökonomischen Bewertung externalisiert“ sei. Dies Vorgehen „täuschte die Menschen“ (819). Die Produktivität der Natur und der Frau werde abgespalten. Nachhaltige Entwicklung könne dagegen nur im „Modus (re)produktiver Regulierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse“ verwirklicht werden (819). Regulierte Reproduktion wird im ökologischen Diskurs gerne gewollt, bleibt aber meist lediglich ein affirmativer black-box Begriff.

Karl Otto Henseling verfolgt den strategischen Umbau der Stoff- und Energiewirtschaft. Er beschreibt u.a. die Probleme, die sich mit der Nutzung von Biomasse als Energieträger verbinden. Eine nachhaltige Agrarpolitik solle den Menschen des Südens Ernährungssicherheit gewähren. Umwelt und Gesundheit könnten gewinnen, wenn wir uns auf eine „postfossile Ernährung“ umstellen würden (833). Die große Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft soll zugleich auch Behausung und Infrastruktur umfassen. All dies soll ökologischer und gemeinwohlorientierter organisiert werden. Der Autor zitiert das Potsdam-Memorandum, nach dem die „Große Transformation ‘unter mutiger politischer Leitung gemeinsam mit aufgeklärten Entscheidungsträgern in der Wirtschaft und der gesamten Zivilgesellschaft herbeizuführen’“ sei. Den Politikern ruft er zu, sie sollten vom Glauben an die unsichtbare Hand ablassen und daran denken, dass Gemeinwohl politisch gestaltet werden muss. Daran müssten sie durch zivilgesellschaftliche Aktionen kontinuierlich erinnert werden (836). Da es, wie schon der Club of Rome 1993 festgestellt habe, in den zeitgenössischen Demokratien keinen Sachwalter langfristiger Lebensinteressen gäbe, greift Henseling den Vorschlag auf, neben Bundestag und Bundesrat eine „Generationenkammer“ einzurichten. Deren Mitglieder sollten „für längere Zeit gewählt werden, müssten an weiterreichenden Entscheidungen beteiligt sein und ein Vetorecht erhalten“ (836). Dem Handlungsbedarf müsse durch starkes bürgerschaftliches Engagement Nachdruck verliehen werden (837).

Rolf Czeskleba-Dupont und Karl Hermann Tjaden machen sich unter dem Titel: „Marx, Mensch und die übrige Natur“ Gedanken zu einer „umfassend reproduktive[n] Orientierung“ (839). Für die Autoren leben wir in der „chaotischer Phase“ eines auslaufenden Weltsystems. Ein zerstörerischer Reproduktionsmodus wäre als eine menschenwürdige Entwicklung missverstanden worden, weil wirtschaftlich technischer Fortschritt und gesellschaftliche Emanzipation identifiziert worden seien. Dieser Identifikation habe auch Marx zugearbeitet (841). „Er [Marx] beansprucht daher trotz der genannten Absicht eine Sonderstellung für die sog. menschliche Gattung gegenüber ihrer Mitlebewelt, hiermit ein fragwürdiges abendländisches Erbe pflegend.“ (842). Marx erkenne, dass die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt durch die erweiterte Reproduktion vermittelt sei. „Aber er verzichtet darauf, die Reproduktion nicht-warenförmiger Produktionselemente systematisch in die Theorie einzubeziehen (MEW 24, bes. 485-518)“ (842). Marx setze die Erkenntnis, dass die kapitalistische Produktionsweise die Springquellen allen Reichtums, die Erde und den Arbeiter untergrabe, „nicht in eine Konzeption adäquater Reproduktion um“ (842). Die Marxsche Konzentration auf die Reproduktion von Werten habe dem Denken des 19. Jahrhunderts entsprochen. Marx klammere damit jedoch die „Reproduktion der Bevölkerung und des Haushalts eines Gebiets [...] aus dem theoretischen Modell kapitalistischer Ökonomie aus“. Das Marxsche Modell „entbehrte daher einer in umfassendem Sinn ‘reproduktiven Orientierung’“. Offensichtlich vermissen die Autoren eine marxistische Reproduktionstheorie. Sie verweisen konsequent auf das Konzept der Naturpotenziale, das Roos/Streibel et al. in der DDR entwickelt haben (843). Zur „Eindämmung eines technisch-organisatorischen Produktionsmodus“, der zwar für den Kapitalismus typisch sei, der jedoch „weit in präkapitalistische Gesellschaften“ zurückweise, reiche Wirtschaftsplanung, insbesondere staatliche, allerdings nicht aus. Ökologische Produktion sei keineswegs unverträglich mit Profit und Akkumulation. Die im Kapitalismus produzierten Dinge sollten einen effektiven Nutzeffekt erbringen, was ingenieurswissenschaftlich einer effektiven Energiedienstleistung entspräche. „Entsprechende Planungen und Maßnahmen müssen im Rahmen langfristiger Szenarien entworfen und verwirklicht werden“. Eine „bewusste, planvolle Steuerung des Wirtschaftens“ sei „eines der wichtigsten Mittel der Umgestaltung und letztlich Untergrabung der kapitalistischen Produktionsweise“. Die „planvolle Steuerung gesellschaftlicher Stoff- und Energieströme“ soll die „tödlichen Effekte“ von Klimakrise etc. eindämmen (846).

Mit dem hier präsentierten Ineinander von planmäßiger Steuerung und einzelkapitalistischer Effizienz rekapitulieren die Autoren im Wesentlichen den realsozialistischen Umwelt-Diskurs.

Wolfgang Fritz Haug bringt gegen die Marx-Interpretation von Czeskleba-Dupont/Tjaden Einsprüche, die „ökologische Marx-Kritik betreffend“, vor (848). Haug argumentiert, Marx habe gerade kategorisch vor der Identifikation von wirtschaftlich-technischem Fortschritt und gesellschaftlich-politischer Emanzipation gewarnt. Technologie liege zumeist als kapitalistisch angeeignete vor, doch auch wenn sie „von der Herrschaft infiziert ist, wäre ich schlecht beraten, sie mit dieser zu identifizieren. Damit hätte ich die Perspektive ‘gesellschaftlich-politischer Emanzipation’ unvermerkt preisgegeben“ (848). Hier zeigt sich, wie stark auch Haug gesellschaftliche Emanzipation an Technologie knüpft. Haug verkennt, dass Czeskleba-Dupont/Tjaden keinen Begriff von Kapitalismus im Marxschen Sinne haben, sondern nur den einer technischen Produktionsweise, eines „Produktionsmodus“ (846). Die Autoren kennzeichnen diesen Produktionsmodus durch eine nicht-reproduktive Verwendung der „ökosystemaren Stoff- und Energieströme“ (840) und verfolgen ihn bis in die Nebel der Frühgeschichte zurück. Letztlich ist es dieser evolutionierende technische Produktionsmodus, der die ökologischen Probleme schafft.

Wenn Haug gegen Czeskleba-Dupont/Tjaden festhält, dass nicht Marx darauf verzichtet habe, die „[‘]Reproduktion nicht-warenförmiger Produktionselemente systematisch in die Theorie einzubeziehen’, sondern sein Erkenntnisobjekt, das Kapital“, dann erscheint hier ein altbekanntes Problem der Interpretation.5 Die Aussage, das Modell kapitalistischer Ökonomie habe deswegen einer produktiven Orientierung entbehrt, „weil Marx sie ausgeklammert habe, dreht das Verhältnis von Grund und Folge um“. Haug beharrt darauf, dass Marx die Wirklichkeit aus der Kapitalperspektive festhält. Wie wäre dabei etwas darzustellen, das nicht geschieht? Czeskleba-Dupont/Tjaden würden ihm vielleicht entgegnen, dass dies angesichts der ökologischen Krise eben nicht ausreiche. Haug bestimmt das methodische Vorgehen von Marx als „Modus der bestimmten Negation“. Es sei ein „unentbehrliches methodologischen des Erbe“! Zu Recht hält Haug es für unsinnig, von Marx einen positiven Entwurf einer neuen, ökologischen Ökonomie zu verlangen. Auch der Vorwurf, dass Marx für den Menschen eine Sonderstellung beanspruche, zeige das wertende Verständnis bei Czeskleba-Dupont/Tjaden (849). Deutlich wird, dass die Frage des Kritikverständnisses gerade auch für die Kritik des Kapitalismus entscheidend ist. Kritik bei Marx ist allerdings auch mehr und anderes als die Widerspiegelung der Kapitalperspektive und deren äußerliche Kritik.

Bettina Köhler gibt in ihrem Beitrag grob zusammengefasst das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse wieder, wie es Christoph Görg in verschiedenen Veröffentlichungen formuliert hat. Umweltkonflikte gelten als Bestandteil des Gesellschaftlichen, wobei „deren physisch-materielle Dimension“ mit zu berücksichtigen sei. Das Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse fasse ebenso wie die Politische Ökologie „das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur als ein radikal wechselseitiges“ (850). Im Anschluss an den Ansatz von Görg beleuchtet Köhler das Feld der Politischen Ökologie. Diese habe nach einer neomarxistischen Phase feministische, postkoloniale und poststrukturalistische Ansätze integriert (852). Köhler bezieht sich dabei im Wesentlichen auf verschiedene angelsächsische Autoren (u.a. Bryant, Bailey, Harvey, Smith). Natur werde in diesen Ansätzen als produzierte Natur begriffen. Infolgedessen gelte es nun die Bedingungen der Produktion von Natur und deren Konsequenzen zu reflektieren. Mit dem Konzept einer Produktion von Natur gehe es nicht um Naturbeherrschung bzw. Kontrolle über Natur, da „die Möglichkeit nicht intendierter Effekte“ offen bleibe (853). (Wie bei Atomkraftwerken!)

Neben vielen Gemeinsamkeiten der beiden Konzepte findet Köhler einen Unterschied in Bezug auf den Begriff und die Rolle der Nichtidentität. Die Nichtidentität von Natur, d.h. deren Eigensinn zu betonen, habe in einem Konzept, das von der Produktion von Natur ausgeht, wenig Sinn. Köhler ist dabei entgangen, dass Görg selbst - trotz des Insistierens auf der Nichtidentität der Natur - von der sozialen Konstitution der Natur ausgeht. So beschränkt sich die Autorin auf eine kurze Gegenüberstellung der Konzepte, ohne eines zu bevorzugen oder gar zu kritisieren.

Frieder Otto Wolf wendet sich wider die Kategorie der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (867). Er argumentiert, mit diesem Konzept werde, wie bei Görg, mit der Ablehnung des Naturalismus das bekannte Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Er selbst unterscheidet guten und schlechten Naturalismus. Der eine sei (1) ein „realistischer Materialismus“, der zweite (2) vertrete die „These von der Vorgängigkeit einer natura naturans als eigenständigem Zusammenhang“. Nr. 2 werde „überzeugend artikuliert“ bei Alain Lipietz und Sabine Hofmeister. Der schlechte Naturalismus ist (3) Naturdeterminismus oder (4) -reduktionismus. Hinsichtlich Nr. 1 habe Bhaskar 1979 „gezeigt, dass es durchaus möglich ist, davon auszugehen, dass eine materielle Realität unabhängig von menschlicher Erkenntnistätigkeit existiert [...]. Diese Einstellung ist nicht vorkritisch, weil sie die Differenz zwischen Realobjekt und Erkenntnisobjekt weder ignoriert noch ontologisch verdinglicht. Diese Art von Naturalismus sollte keinesfalls aufgegeben werden“ (867).6 Zu Nr. 2 stellt Wolf fest, dass eine Vorstellung von der Ordnung der Natur als Produkt lediglich menschlicher Syntheseleistungen „schon lange nicht mehr dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Biosphäre entspricht. Nicht nur einzelne Ökosysteme bilden Struktur- und Funktionszusammenhänge [die Fußnote verweist auf Prigogine/Stengers], sondern umfassendere Rückkopplungszusammenhänge durchdringen die gesamte Biosphäre“ (867f). Es sei „jedenfalls von einem komplexen und als solchem bereits immer schon strukturierten Entwicklungszusammenhang der irdischen Lebensprozesse auszugehen – mit schöpferisch autopoietischen Qualitäten“ (868). Determinismus sei abzulehnen, denn die biologischen Wirkungszusammenhänge seien „bekanntlich komplexer und vielfältiger, als dies der mechanische Materialismus im Anschluss an Newton jemals erahnen konnte“ (868). Auch im Gesellschaftlichen gehe es um „das komplexe, mehrfach ‘überdeterminierte’ Wechselspiel von strukturalen Kausalitäten“ (868).

Der Ablehnung des Naturalismus wird entgegengehalten, dass „die Menschheit“ sich nicht „von ihrer eigenen biologischen Materialität ‘befreien’“ könne. Kate Soper habe „gezeigt, dass der wirklichen Praxis der Naturwissenschaften ein ‘tiefes Naturverständnis’ entspricht“, über das sich mehr sagen lasse, als dies mit „Adornos Restkategorie des ‘Nichtidentischen’“ (869) möglich sei.

Wolf verfällt dem materialistischen Fetisch der Naturwissenschaft, bei deren Einsichten ihn alle guten erkenntniskritischen Geister verlassen. Diese findet er z.T. erst in der Kritik an Altvater und Görg wieder. Altvaters „pragmatische[r] Marxismus“ mache „konkrete Fragen unvoreingenommen diskutierbar“, setze aber in „theoretischen Grundfragen auf Positionen des common sense“ (869f). Am Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse kritisiert Wolf den Versuch, diese als verselbständigte darzustellen. Dagegen gehe es in der Marxschen Kritik um die theoretische Rekonstruktion jener Strukturen, die nicht nur die ökonomischen Bewegungsgesetze enthüllen, sondern zugleich aufzeigen, wie diese eine „verselbständigte[ ] ‘zweite[ ] Natur’“ und damit die Illusionen der politischen Ökonomie hervorbringe. Andere Herrschaftsverhältnisse seien nicht in der Weise wie die kapitalistische Produktionsweise verselbständigt (871). Dass offenbar eine „solche isolierte Ausarbeitung einer Theorie der gNv nicht möglich“ sei, zeige sich bei Görg. Seine Aufarbeitung der soziologischen Klassiker führe „nicht zu einer systematischen Kategorienentwicklung“ (871f).7 Wolf ahnt hier, dass mit Görgs ökologischem Mix aus Struktur- und Handlungstheorie und der Anwendung eines machttheoretisch unterlegten Regulationsansatzes die Perspektive der Marxschen Kapitalismuskritik verlassen ist.

Das Argument dokumentiert am Ende des Themenschwerpunkts eine Kontroverse zwischen Nil Smith und Viktor Wallis. Nil Smith gehört zu jenen TheoretikerInnen, die von der These der ‘Produktion von Natur’ ausgehen. Smith wendet sich gegen den grünen Kapitalismus, er sei „nicht[s] weniger als eine umfassende Strategie der ökologischen Inwertsetzung, Vermarktung und Finanzkapitalisierung (financialization), die die Durchdringung der Natur durchs Kapital radikal intensiviert und vertieft“ (873). Im Kapitalismus werde die Produktion von Natur „zu einer systematischen Bedingung“ (874). Eine eigene Ideologie werde erzeugt, bei der einerseits Natur dem Menschen gegenübergestellt werde und andererseits der Mensch als Teil der Natur gelte. „Die Vorstellung einer äußeren Natur bringt ihr eigenes alter ego hervor: Natur mag der Gesellschaft äußerlich sein, aber gleichzeitig ist sie universell. Die gesamte Welt ist demnach Naturprozessen unterworfen. Der Widerspruch zwischen den beiden Konzeptionen wurde zum Kennzeichen kapitalistischer Naturideologien“ (874).

Viele Marxisten hätten die Ansicht vertreten, dass der Kapitalismus auf eine Herrschaft über die Natur ziele. „Im Gegensatz hierzu lässt die These der Produktion von Natur radikal offen, ob und wie die gesellschaftliche Produktion unbeabsichtigte oder gar kontraproduktive Folgen für die Natur hat.“ Sie vermeide die politische Sackgasse der These von der Naturbeherrschung. Wenn Naturbeherrschung „ein unausweichlicher Aspekt gesellschaftlichen Lebens ist, bestehen die einzigen politischen Alternativen entweder in buchstäblich anti-sozialer Politik oder in der Zuflucht zu einer abgeschwächten, sanfteren Behandlung“. Die These der Produktion von Natur meine nicht „Kontrolle von Natur“. Natur sei nicht vollständig zu kontrollieren. Auch sei damit keine „sozialkonstruktivistische Sicht“ gemeint. Stattdessen werde die „historische Herausbildung ideologischer Diskurse innerhalb von Veränderungen der gesellschaftlichen Produktionspraktiken zum Ausdruck gebracht“. Äußere Natur könne damit als „Ausdruck der Inwertsetzung von Natur gedeutet werden“ (875).

Heute habe der Markt ökologische Praktiken internalisiert. „Ein unversöhnlicher Antagonismus wird durch finanzielle Partnerschaft ersetzt: Was gut für die Natur ist, ist auch gut für die Profite. Dies bedeutet eine umfassende politische Vereinnahmung und einen Sieg fürs Kapital und eine Niederlage für ökologisch-sozialistische Politik“ (875f). Für das Kapital eröffne das vollkommen neue Bereiche der Akkumulation. Die derzeitige Produktion von Natur analysiert Smith als Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion der Natur unter das Kapital (877). Angesichts der Umweltschutzbewegung des Kapitals sei es nicht verwunderlich, dass „die Umweltschützer im Establishment zu dem Schluss kommen, die links-liberale Umweltbewegung (liberal environmentalism) sei tot. Tatsächlich ist sie nur als antikapitalistische Bewegung tot“ (877f). Sie sei als „gewinnbringendes Multi-Milliarden-Unternehmen“ sehr lebendig.

Der kapitalistischen Produktion von Natur kann Smith jedoch lediglich die demokratische entgegenstellen. Smith beklagt, dass die Produktion von Natur nicht „von breiten gesellschaftlichen Diskussionen“, sondern durch „Klassenkontrolle gesteuert“ werde (876). Er fragt sich, wie denn „eine wirklich demokratische Produktion von Natur aussehen“ würde (878).

Viktor Wallis argumentiert wider die These von der ‘Produktion von Natur’. Gleich zu Beginn hält er fest, dass es „kaum ein überzeugenderes Argument gegen den Kapitalismus gibt als seine langfristige Unverträglichkeit mit dem Fortbestehen der Artenvielfalt“ (879) und ist damit unmittelbar mitten in einer problematisch-naturalistischen Maßstabsargumentation. Grüner Kapitalismus sei, so Wallis, ein „Widerspruch in sich: Der erste Teil des Begriffs bezieht sich auf ein komplexes veränderliches Gleichgewicht, das die Gesamtheit der Arten umfasst; der zweite steht für das unkontrollierte Wachstum von einer von ihnen“ (879). Die Entgegenstellung von bösem, krebsartigem Wachstum der Menschenart und einem natürlichen Gleichgewicht der Arten ist konservativer ökologischer Diskurs.

Wallis wirft Smith vor, dass er annehme, der einzig verfügbare Rahmen für ökologische Maßnahmen sei der kapitalistische. Er wendet ein, dass die Menschen die Natur nicht schaffen, sondern sie nur von einer Form in die andere umwandeln. Wallis reklamiert, dass es doch objektive Prozesse in natürlichen Ökosystemen unabhängig von der Gesellschaft gäbe (880). Wo Smith den produktiven, konstruktivistischen Pol besetzt, besetzt Wallis den entgegengesetzten. Er betont, dass Natur nicht „den physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten zum Trotz“ neu zu schaffen sei (881). Hier eröffnet sich eine parallele ideologische Gegenüberstellung zu der, die Smith selbst aufgezeigt hatte.

Wallis kritisiert, dass selbst in linken Debatten radikale ökologische Forderungen als angstgetriebener Katastrophismus diskreditiert würden. Er zitiert u.a. Daniel Buck, der die fragwürdige Position vertrete, dass der Kapitalismus in der Lage sei, die ökologische Krise zu überwinden. Langfristig gesehen ist für Wallis grüner Kapitalismus ein Widerspruch in sich. „Auf kurze Sicht gibt es aber keine automatische Verbindung zwischen ‘grüner’ und ‘roter’ Politik“. Eine Verbindung könne in der Forderung nach einer Rücknahme des „Zur-Ware-Werdens (decommodification)“ der Natur liegen. Dies erfordere „die Ausweitung und Widerherstellung der natürlichen Gemeingüter, die die Quelle allen Lebens sind“ (882).

Prokla

Auch die „Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“ par excellence, Prokla, widmet sich der „Ökologie in der Krise“, meint damit aber: während!

Oliver Pye schreibt hier über den Biosprit-Schwindel, Lutz Mez und Mycle Schneider über die Sackgasse der Atomkraft-Renaissance. Christine Bauhardt empört sich über eine Entwicklungspolitik, die ihren Objekten im Wesentlichen nur solche Entwicklungsprojekte angedeihen lässt, die die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht fördern.

Kristina Dietz und Markus Wissen wollen ökomarxistische Zugänge zur ökologischen Krise kritisch diskutieren (351). Unter dem Label Ökomarxismus werden Konzepte der Krise und vor allem der Grenze kapitalistischer Produktionsweise betrachtet. Der Ansatz des Ökomarxisten Benton lässt sich über seine Marxkritik charakterisieren: Marx habe dem Prozess der konkreten Arbeit zu wenig Beachtung geschenkt und die natürlichen Bedingungen und Grenzen des Arbeitsprozesses, dessen destruktive Tendenzen vernachlässigt (354). Für Benton sei es letztlich die „transformative intentionale Struktur des Arbeitsprozesses selbst“, die die „selbstzerstörerische [...] Indifferenz gegenüber seinen materiellen Bedingungen und Grenzen begründet“ (357). O’Connor kritisiere, dass Marx keinen Begriff einer Krise ausgearbeitet habe, die durch die „ökologische Destruktivität“ der kapitalistischen Produktionsweise entstehe. Marx sei es „primär um die ökologischen Folgen kapitalistischen Wirtschaftens“ gegangen, weniger um die daraus erwachsenden systemischen Grenzen. „Statt in den (externen) natürlichen Bedingungen verortet er die systemischen Grenzen des Kapitalismus in seiner immanenten“. Marx habe zwar einen „Begriff der ökologischen Krise“, jedoch keine „ökologische Theorie der Krise der kapitalistischen Produktionsweise“ (355). O’Connor selbst argumentiere mit einer „Unterproduktion“ von Produktionsbedingungen (356). Altvater modelliere die Umweltkrise unter Rückgriff auf die Thermodynamik. Dabei stoße der Kapitalismus „nicht wegen der inneren Widersprüche und Krisen, sondern vor allem wegen der äußeren Grenzen der Natur an Schranken’“ (Altvater 2005) (359).

Dietz/Wissen wollen die ökomarxistischen Konzepte spezifizieren und um andere Konzepte (Konzept gesellschaftlicher Naturverhältnisse, Konzept der postfordistischen Naturverhältnisse, critical political ecology) erweitern (359f). Kritisiert wird, dass der Ökomarxismus auf einer systemischen bzw. strukturtheoretischen Ebene argumentiere, womit sich die „Verschiedenheit kapitalistischer Naturverhältnisse nicht angemessen fassen“ lasse (360, 362). „Um die Chancen progressiver Alternativen aber konkret einzuschätzen und die vielfältigen Ausprägungen der strukturellen Widersprüche sichtbar zu machen, bedarf es weiterer, intermediärer Kategorien, die zwischen der Struktur- und der Akteursebene vermitteln. Dazu gehören etwa hegemonie- und staatstheoretische Konzepte sowie die von der Regulationstheorie entwickelten Konzepte der institutionellen Form und der Regulationsweise“ (362).8

Der Ökomarxismus erfasse die Materialität von Natur als Produktionsbedingungen (O’Connor), Kontextbedingungen (Benton) oder als thermodynamisches Konzept (Altvater) (365). Im Ökomarxismus produziere der Kapitalismus Natur in Gestalt von Umweltzerstörungen und damit „seine eigene Schranke“ (365).9 Kapitalismus produziere aber Natur auch auf eine Weise, die nicht unmittelbar und notwendig auf die Endkrise zusteuere und „trotzdem herrschaftsförmig ist und sich immer wieder an der Materialität von Natur bricht“. Dies zeige sich in der Privatisierung der Wasserversorgung (365). Dem Ökomarxismus – so der Vorwurf – gehe es nur um die Endkrise des Kapitalismus, dessen Grenze, und deren Zusammenhang mit dem Ökologischen. Er richte seinen „Fokus“ auf die „systemischen Grenzen, an die der Kapitalismus aufgrund seiner eigenen ökologischen Destruktivität gerät“ (366). Beklagt wird also eine Perspektive, die auf die Überwindung des Kapitalismus gerichtet ist. Dagegen gelte es, sich um „die alltäglichen und konkreteren Formen der Naturproduktion“ zu kümmern. Dazu reiche das ökomarxistische „Grenzen-Konzept“ nicht aus. Hier sollen die Ergänzungen (s.o.) helfen (366). Gefragt wird, wie die ökologische Krise „kleingearbeitet und reguliert“ werden könne, so dass „Alternativen zum Kapitalismus“, aber auch „innerhalb desselben“ sichtbar werden (367). Entwicklungen, treibende Kräfte, Akteurskonstellationen, Institutionen sollen einbezogen und „die konkreten Bedingungen und Ansatzpunkte emanzipatorischer Alternativen“ identifiziert werden (364). Die ökologische Krise werde so als „Verteilungsfrage“ begreifbar, wobei Verteilung hier die Verteilung der Verantwortung für Umweltprobleme „nach Klasse, Geschlecht, Hautfarbe etc.“ bedeute (366). Grenzen seien eher „Korridore der Elastizität, innerhalb derer Ökosysteme in der Lage sind, Störungen zu verarbeiten“ (Wuppertal Institut) (367).

Dietz/Wissen wollen „den sozialen Gehalt von Natur [...] betonen, ohne damit deren Materialität zu leugnen“. Dies sei „am systematischsten im Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse ausgearbeitet worden“. Es beziehe sich auf die Kritische Theorie sowie den Marxschen Begriff vom Doppelcharakter der Arbeit (364) (letzteres trifft z.T. auf Altvater, nicht jedoch auf Görg zu).10 Sie stellen fest: „Natur ist symbolisch wie materiell sozial produziert.“ „Allerdings ist Natur nicht beliebig materiell produzierbar“. Vielmehr verfügt sie über eine Eigenständigkeit bzw. eine eigene – wenn auch in der Regel gesellschaftlich überformte – Materialität, die sich in der Erfahrung äußert, ‘dass man von den ökologischen Bedingungen sozialer Reproduktion nicht beliebig abstrahieren kann’ (Görg 2003b: 124)“. Görg nenne dies ‘Nichtidentität von Natur’ (364f). Natur ist also, dass sie nicht beliebig produzierbar ist!? Eine neue Art der Dialektik!

Dietz/Wissen kritisieren den Ökomarxismus, indem sie ihn in eine Konstruktion pressen, die wenig mit den angeführten Theorien zu tun hat. Haben sie i.d.T. die Diskussion konkreter Formen der kapitalistischen Umweltkrise überlesen (z.B. Altvaters Ressourcenargumentation)? Letztlich wird von ihnen nur die Konkretion gegen die abstraktere Ebene festgehalten und (vor allem) nach realpolitischen Interventionsstrategien gefragt. Dafür ist die ökologische Regulationstheorie ihrer Ansicht nach besser geeignet. Insofern gelingt ihnen keine Kritik der Ansätze, sondern, wie sie selbst sagen, ein Versuch der „Verbindung verschiedener kritischer Ansätze“ (368).

Erik Swyngedow hat „[i]mmer Ärger mit der Natur“, obwohl er zugleich festhält: „Die Natur existiert nicht!“ (371). Natur sei ein komplexer Begriff und „schwer einzugrenzen“ (371), von „instabile[r] Bedeutung“ (373). Natur habe einen „leere[n] Kern“ und könne zur „Ideologie par excellence“ (373) werden, sie existiere „im Singular nicht“ (375). Es sei ein „grundlegendes Merkmal der späten Moderne“, dass dem „Naturbegriff keine klare Bedeutung“ zukomme (376). Für Swyngedow stellt der Naturbegriff wie auch der Begriff Nachhaltigkeit einen „leeren Signifikanten“ (382) dar. Den Begriff Natur mit Inhalt zu füllen sei eine „politische Geste“. Dies nicht zu bedenken setzt Swyngedow mit Entpolitisierung gleich und formuliert: „Natur wird politisch zum Schweigen gebracht“ (373). Seitenlang zählt er verschiedene Naturvorstellungen und Bedeutungen von Natur auf, hält das Konkrete gegen den abstrakten Begriff, verweist darauf, dass es „aussichtslos oder problematisch“ sei, den Naturbegriff zu fixieren (376) und spricht (s.o.) zugleich selbst immer wieder ganz unbefangen von Natur. Die „radikale und unvorhersehbare Kontingenz von Natur“ (382) sei anzuerkennen.

Der Verweis darauf, dass in der Welt immer nur relationale Verquickungen (Kuh, Computer, Parlament) (374) vorlägen, kompliziert das Problem, statt es schlüssig zu machen, denn um eine Verquickung zu bestimmen müsste zunächst ein Begriff des Verquickten vorliegen! Zu Recht wendet sich Swyngedow gegen naturalistische Positionen, wenn er daran festhält, dass Natur kein „Fundament für das Politische“ (376) sein könne. „Um es ganz deutlich zu sagen: Es gibt da draußen keine Natur, die wir im Namen der Natur selbst oder einer allgemeinen Menschheit erhalten müssen“ (378). Er verweist auf die verbreiteten ökologischen Katastrophismen und zitiert hier die „Ökologie der Angst“ von Mike Davis (379), er hätte auch an Luhmanns Angstkommunikation erinnern können.

Als eigentliches Anliegen von Swyngedows breit angelegter Argumentation erscheint, die legitimierende Funktion von Natur- und Nachhaltigkeitsbegriff für Umweltpolitiken zu hinterfragen (385). Und so wird die Natur, genauer: Swyngedows Natur doch noch gerettet: „Die oben formulierte Forderung den Naturbegriff aufzugeben, stellt keinesfalls darauf ab, das Reale der Naturen [...] zu ignorieren“ (385). Swyngedow will nun seinerseits Natur, „sozio-ökologische[ ] Arrangements“ (382), „egalitäre[ ] sozio-ökologische[ ] Umwelten“, „egalitär-libertäre[ ] Zukünfte, „egalitäre Ökologien“ (387) produzieren, dies jedoch demokratischer. Demokratisierung und „ein stärker inklusiver Modus der Naturproduktion“ (387) sind das Ziel. Mit der demokratischen ökologischen Kreislaufwirtschaft reproduziert dann Swyngedow selbst eine der ideologischen Varianten von Naturvorstellung.

Achim Brunnengräber beleuchtet die „politische Ökonomie des Klimawandels“ (407) in Gestalt des Handels mit Emissionsrechten. Das Kyoto-Protokoll gilt ihm als „Einstieg in ein neoliberales Bewirtschaftungsregime, das international neue und umfassende Geschäftsmöglichkeiten eröffnet“ (408). Der Klima-Diskurs habe sich zu einem „Diskurs über wirtschaftliche Chancen“ gewandelt. Im Klimawandel drücke sich das Vertrauen in den Markt aus (409)! „Mit der Klimakrise gegen den Wirtschaftsabschwung, lautet [...] die Devise“ (408f.). Brunnengräber selbst verfällt etwas dieser Goldgräberstimmung und übersieht, dass Umweltschutzinvestitionen i.d.R. faux frais der kapitalistischen Produktion bleiben. „Enorme Innovationspotentiale werden in einem grünen Kapitalismus vermutet“, und Brunnengräber fügt sogleich auch die wesentliche Bedingung an: „wenn nur die staatlichen Steuerungsimpulse entsprechend gesetzt werden“ (408). Der Staat muss die Kapitale zu diesen Investitionen zunächst zwingen! Zusätzliche Investitionen, die eine Emissionsreduktion bezwecken sollen, werden nur unter der Voraussetzung getätigt, dass der Staat entsprechende Rahmensetzung betreibt und können auch nur so zu einer Wachstumsstrategie werden. Der Staat formuliert und setzt damit in gewisser Weise auch ein kapitalistisches Allgemeininteresse durch. Dies nicht nur, insofern gesamtgesellschaftliche Kosten erspart werden, sondern auch indem Legitimität gesichert wird.

Brunnengräbers Anliegen ist zu zeigen, „dass der Emissionshandel nicht funktioniert“ (410). Was er aber lediglich zeigt ist, dass das System aufgrund mangelhafter staatlicher Rahmensetzung die gewünschten Effekte nicht hervorbringen konnte. In der ersten Verhandlungsrunde wurden Emissionsrechte zu großzügig ausgegeben, was den Marktmechanismen entsprechend den Preis bis fast auf Null fallen ließ. In der zweiten Handelsphase (2008-12) wurde dies verbessert, hier kam jedoch die Weltwirtschaftskrise in die Quere, in deren Folge sich die Emissionen auf ‘natürliche’ Weise verminderten.

Als zweites Problem führt Brunnengräber die Regelung nach dem Prinzip des grandfathering an, bei dem die Ausgabe der Lizenzen aufgrund der tatsächlichen und nicht der technisch möglichen (d.h. geringeren) Ausstoßmenge ausgegeben werden (411). Auch hier liegt kein systematisches Problem vor, sondern eines der staatlichen Rahmensetzung.

In der Tat wurde mit dem Emissionshandel ein Regulierungssystem entwickelt, das der „fossil angetriebenen kapitalistischen Produktionsweise nicht grundsätzlich entgegenwirkt“ (413). Das Regulierungssystem wirkt zwar nicht grundsätzlich, aber doch in der Tendenz gegen CO2-Emissionen, wie sie mit der Nutzung fossiler Energieträgern in Zusammenhang stehen. Warum Klimaschutz durch Emissionshandel „abhängig von undurchsichtigen Finanzmarktprozessen“ (413) werden soll bleibt unklar und Ressentiment. Auch der Handel über Ländergrenzen hinweg kann kein Argument gegen diese Regulierungsmaßnahme abgeben. Die Logik, nach der dort Emissionen reduziert werden sollen, wo dies am kostengünstigsten möglich ist, ist der Kerngedanke des Emissionshandels und steht für volkswirtschaftliche Effektivität. „Der eigentliche Nutzen des Instruments besteht darin, die Kosten von Klimamaßnahmen zu senken, in dem sie dort umgesetzt werden, wo die Realisierungskosten am niedrigsten ausfallen“ (414). Statt die systematische Funktionsunfähigkeit des Emissionshandels zu entlarven, entlarvt Brunnengräber lediglich den Sprachgebrauch der Ökonomen (415). Mit dem Emissionshandel wird auch kein „Umsteuern in Richtung erneuerbare Energien und dezentrale Energiestrukturen“ (421) eingeleitet. Das ist aber auch nicht Ziel des Emissionshandels, er ist nur ein wirtschaftspolitisches Instrument. Das Problem liegt hier entweder auf Seiten des Staates, denn die Regierungen „geben weiterhin die Richtung vor“ (419). Oder es hängt am ökonomischen System insgesamt. Um dies zu charakterisieren bleiben Brunnengräber jedoch nur die unspezifischen Begriffe von Markt und Wachstum. Wenn er schreibt: „Markt und Staat sind keine getrennten Sphären“ (422), so hat er Unrecht. Er will damit wohl andeuten, dass der Staat durch ökonomische Interessen mitdeterminiert wird. Der Markt selbst hat auch keine „Wachstums- und Effizienzziele“ (423), wie Brunnengräber annimmt – und zwar gerade dann nicht, wenn Märkte lediglich „ein Tauschforum“ (422) bilden, wie er selbst sagt. Es ist für Brunnengräber jedoch „genau diese Logik“, die die „Grundlage für die zerstörende ökologische Wirkungskraft der Industrialisierung“ abgibt (423). Entsprechend fordert er „Systemtransformationen“, die das „nicht-nachhaltige“ und „ungerechte Wachstumsparadigma“ (423) überwinden sollen. Zu Gunsten welches neuen, nachhaltigen, gerechten, stationären und ineffizienten Paradigmas?

analyse & kritik

ak – die Zeitschrift für linke Analyse und Kritik hat seit 2008 einen Debattenschwerpunkt zum Thema „Die Linke und die sozial-ökologische Frage“ eingerichtet.

In ak 530 weisen die TierrechtsaktivistInnen von TAN darauf hin, dass Natur und Arbeit in falscher Hand sind. Mensch und Natur erscheinen als verquickt. „Das Verhalten der Menschen ist abhängig von ihrem Verhalten zur Natur und umgekehrt.“ [?] Die AutorInnen weisen auf, dass die gesellschaftliche Naturbeherrschung mit der kapitalistischen Produktionsweise verknüpft ist. Beklagt wird, dass Natur auf den Status eines Objekts reduziert werde, sie werde als Ware behandelt. Umgekehrt kann dagegen festgestellt werden, dass Natur oft keine Ware ist und sie als ‘freies Gut’ vernutzt wird!

Ebenso wird beklagt, dass die Einsicht verloren gegangen sei, „dass das Verhalten der Menschen zur Natur und anders herum keines der theoretischen Beliebigkeit ist, sondern sich nach der Bewegung der Gesellschaft und der Natur in der Wirklichkeit richtet“. Verhalten richtet sich also nach der Bewegung in der Wirklichkeit! Dem ungeachtet verharre die Linke in einer anthropozentrischen Perspektive und übergehe die „Nichtidentität der Natur“.11 Die AutorInnen fordern, ökologische Themen bewusst zu besetzen. Um das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur umzuwälzen sei auch das Kapitalverhältnis „zu verändern“.

In ak 536 möchte der selbsternannte ‘Protagonist der alten ökosozialistischen Debatte’, Frieder O. Wolf, mit seinem Artikel zur Aktualität des „Ökosozialismus“ der neuen ökosozialistischen Debatte wichtige Hinweise geben. Zum Ausgangspunkt der alten ökosozialistischen Debatte wird ausgerechnet Rudolf Bahro gemacht. Dessen ökologische Kritik verflüchtigte sich bekanntermaßen in Obskurantismus. Für Wolf ist der frühe Bahro „selbstkritischer Marxist“. Der Marxismus Bahros, wie er u.a. in „Die Alternative“ formuliert wird, bleibt jedoch einem traditionellen Verständnis verhaftet. Dies zeigt sich in seiner Verteidigung der Leninschen und der Rechtfertigung Stalinscher Politik.

Nachdem, so Wolf, die Linke das Scheitern der revolutionären Transformation „zirkulär“ damit begründet hätte, dass die Bolschewiki „sich in den Fallstricken des „Staatskapitalismus“ verfangen hätten, stelle die ökosozialistische Debatte der 1990er Jahre einen wichtigen Schritt nach vorn dar. Was an dieser Begründung ‘zirkulär’ sein soll, bleibt bei Wolf ebenso unklar wie der Fortschritt der ökosozialistischen Debatte.

Wolf hält zu Recht fest, dass die ökologische Kapitalismuskritik als Wachstumskritik, als Kritik an der Produktion um der Produktion willen und als Kritik am ‘Industrialismus’ unzureichend ist. Die alte ökosozialistische Debatte habe ungelöste Fragen hinterlassen: Eine andere Form der Messung gesellschaftlichen Reichtums oder der Hinweis auf eine Zweck-Mittel Verkehrung reiche nicht aus. Die kapitalistische Produktionsweise müsse auf den „Umschlag im Aneignungsgesetz“ reflektieren. Damit bestätigt Wolf, dass der ökosozialistischen Debatte eine Kritik der kapitalistischen Produktionsweise im Sinne der Marxschen Theorie fern stand.

Als Protagonist des neueren Ökosozialismus gilt O’Connor. Dessen Unterproduktionstheorie der Reproduktionsbedingungen hält Wolf eine andere theoretische Perspektive entgegen. Marx’ Gegenstand in der Kritik der politischen Ökonomie sei die allgemeine Struktur der kapitalistischen Produktionsweise und damit die ihr eigene Rücksichtslosigkeit gegenüber den Reproduktionsbedingungen (‘Erde und Arbeiter’). Wolfs Einwand gegen O’Connor ist, dass Marx die Logik der kapitalistischen Produktionsweise nachvollziehe und nicht die empirische Vernachlässigung der Reproduktionsbedingungen (s.o.) in einer positiven Theorie abbilde.

Hier erscheint ein altbekanntes Problem der Marx-Interpretation.12 O’Connors Kritik und Ergänzungsversuche zielen auf eine kritische politische Ökonomie. Der methodische Status der Kritik wird dabei unterlaufen. Deutlich wird, dass die Frage des Kritikverständnisses gerade auch für die Kritik des Kapitalismus entscheidend ist. Kritik bei Marx ist allerdings auch mehr und anderes als die Widerspiegelung der Kapitalperspektive, zu der dann die Kritik als äußerliche hinzutritt.

Schlussendlich wird die neue ökosozialistische Bewegung von Wolf darauf hingewiesen, dass sie auch andere Herrschaftsverhältnisse in ihre Betrachtung aufnehmen müsse. Die früher so genannten Nebenwidersprüche, die Geschlechterverhältnisse und die kolonialen Herrschaftsverhältnisse, seien aufzunehmen. Die Marxsche Analyse der kapitalistischen Produktionsweise allein reiche nicht aus. Hier fordert Wolf also eine Ergänzung der Marxschen Theorie, wo er sie in bezug auf die Reproduktion der ‘Natur’ aus methodischen Gründen kritisiert.

Dirk Lehmann schreibt in seinem Artikel über die „Entzauberung der Natur“ (ak 537) gegen „Marx anthropozentrische[n] Ökologismus“ an. Das Marxsche Instrumentarium lange nicht aus, um die sozial-ökologische Frage angemessen zu analysieren. Lehmann stempelt Marx zum Humanisten und bezieht sich auf Althusser, wenn er ihm ein „Pathos des Menschen als dem selbstherrlichen Subjekt der Geschichte“ vorwirft. Es fänden sich zahlreiche Hinweise im Werk von Marx und Engels, die auf ein „ökologisches Bewusstsein schließen lassen“, doch zugleich macht Lehmann einen „Anthropozentrismus der Marxschen Naturkonzeption“ aus, den er ablehnt. „Solches Denken aber schreibt nur die Idee der Naturbeherrschung fort, nach der die Menschen zu wählen haben ‘zwischen ihrer Unterwerfung unter Natur oder der Natur unter das selbst’.“ Lehmann wiederholt nicht nur mit seiner Kritik der Naturbeherrschung ein Theorem, auf das bereits Görg aufbaut, letztlich schreibt er lediglich bei Görg ab. Was der Marxschen „Gegenüberstellung von Freiheit und Notwendigkeit entgeht, ist ein Gedanke von Freiheit, die [!] sich in der Gestaltung des Naturverhältnisses zu bewähren hätte.“ Wird somit einerseits auf die Freiheit rekurriert, wird andererseits an der Natur festgehalten. Natur müsse „in ihrer Eigenständigkeit“ anerkannt werden. Lehmann will mit dieser platten Dichotomie dem „Subjekt-Objekt-Schema des Erkenntnis- sowie des Arbeitsprozesses“ entkommen.

Perspektiven

Auch das „Magazin für linke Theorie und Praxis: Perspektiven“ widmet sein Heft Nr. 7 im Frühjahr 2009 den Naturverhältnissen und der ökologischen Krise. Hier antwortet Philipp Probst auf die Frage nach den Grenzen des Wachstums: „Ja, natürlich!“ (4). Nachdem der Autor die Wachstumskritik der Ökologiebewegung der 1970er Jahre adaptiert und z.T. auf deren problematische Inhalte (‘Bevölkerungsexplosion’) hingewiesen hat, nennt er den Marxschen Ansatz weiterführend. Marx selbst wende das Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels auf die Interaktion von Gesellschaft und natürlicher Umwelt an (6). Der Stoffwechselbegriff wird für ihn ebenso wie der Arbeitsbegriff zu einem, wie es die Soziale Ökologie nennen würde, ‘Brückenbegriff’. Er folgt hier jedoch dem Konzept von Altvater. „Dieser Stoffwechsel wird von Seite der Natur durch natürliche Gesetze, die die unterschiedlichen physischen Prozesse beherrschen, reguliert; gleichzeitig bestimmt ihn die Gesellschaft durch institutionalisierte Normen, Arbeitsteilung, Einkommensverteilung etc.“ (7). Naturkreisläufe und ökonomische Kreisläufe seien in gleicher Weise bedeutsam für die Gesellschaft. Der Vorteil des marxistischen Ansatzes gegenüber anderen ökonomischen Theorien [!] sei, dass er „beide Seiten des kapitalistischen Arbeitsprozesses“ berücksichtige. Probst bezieht sich an dieser Stelle auf Altvater, der schreibt: „Der Marx’sche Ansatz ist daher insofern einzigartig, als er anders als Thermodynamik oder Keynesianismus und Neoklassik beide Seiten und ihre Widersprüchlichkeit hervorhebt und zu analysieren vermag“ (8). Die natürlichen Bedingungen seien nicht nur Bedingungen der Produktion, sondern auch „Subjekt des Arbeitsprozesses“ (10). Natur und Ökonomie sind somit zu zwei Seiten geworden, die in einer marxistischen Ökonomie abgehandelt werden sollen. Mit dieser Intention folgt Probst Altvater.

Für Probst geht es „um eine bewusste Anpassung an ökologische Gegebenheiten und einen sorgfältigen Umgang mit unvorhersehbaren Risiken und irreversiblen Prozessen. Ziel technologischer Entwicklungen und wissenschaftlicher Forschung sollte also die Erhöhung der Anpassungsfähigkeit menschlicher Gesellschaften an ökologische Prozesse und das Erkennen von Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Bedürfnisbefriedigung sein“ (10). Anpassung an die hier als ökologischer Prozess bezeichnete Natur ist angesagt. Das Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit könne als regulierendes Gesetz gesellschaftlicher Entscheidungen dienen. In Zukunft soll die „‘ungeplante Kontrolle der unsichtbaren Hand des Marktes’ über die Anwendung technologischer Entwicklungen [...] durch die ‘sichtbare Hand’ der demokratischen Planung ersetzt werden“ (10). Hinter dieser lauert wiederum die unsichtbare Hand der Natur.

 

Zum Schluss möchten wir noch auf einen Beitrag von Ulrich Brand eingehen, der in unterschiedlichen Fassungen u.a. im ak 536 sowie im Argument 279 veröffentlich wurde. Brand stellt fest, dass eine „[d]estruktive Naturaneignung [...] der kapitalistischen Produktionsweise“ und deren „staatlichen Politiken [...] inhärent“ ist (858). „Kapitalistische Vergesellschaftung ist notwendig irrational.“ Brandt kennzeichnet die Rio-Institutionen als Mittel, um „oppositionelle Kräfte in den Gesellschaftsumbau zu integrieren“ (859). Die NGO-Szene habe zumeist deren neoliberalen und neoimperialen Charakter gar nicht wahrgenommen. Brandt macht hinsichtlich der postneoliberalen Naturverhältnisse verschiedene Strategien der Krisenbearbeitung aus. Der „Rio-Typ von Politik“ nehme nur kleine Modifikationen am Neoliberalismus vor und vertiefe „die Inwertsetzung immer weiterer Bereiche von Natur und Gesellschaft“. Dahinter stünden Vorstellungen einer „(öko-)soziale[n] Marktwirtschaft“ (860). „Die Verantwortung für Umweltzerstörung wird individualisiert: Leitmotiv sind aufgeklärte Konsumenten und neue Lebensstile“ (860f). Die zweite Strategie sei eine offen gewaltförmige und setze auf Militär und Polizei. Eine dritte nennt Brand „‘roll-back’-Strategie“. Sie versuche „kapitalistische Entwicklung mit kräftigen Staatsinterventionen zu redynamisieren“.

Emanzipatorische Strategien beförderten dagegen ein „Denken und Handeln, das über die kapitalistische Vergesellschaftung [...] hinausweist“. Voraussetzung sei ein kritisches Verständnis der gesellschaftlichen Naturverhältnisse, das die Vorstellungen von der ökologischen Krise als Menschheits- oder Tragfähigkeitskrise hinterfrage (861). Die Erfahrungen mannigfaltiger Widerstände seien ernst zu nehmen. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für ökonomisches Wachstum müssten praktisch verändert werden. Die Trennung von sozialer und ökologischer Frage sei „eine wichtige Technik der Stabilisierung bürgerlich-kapitalistischer Herrschaft“ (862), der Staat sei dabei „Teil des Problems“ (863): „Der Staat ist keine neutrale, dem gesellschaftlichen Gemeinwohl verpflichtete Instanz“. Seine zentrale Funktion bestehe darin, die kapitalistischen, patriachalen, rassistischen Verhältnisse zu reproduzieren. Insofern ist es folgerichtig, wenn Brand ein linkes Staatsprojekt als ein Projekt der „Absorption“ des Staates in die Gesellschaft umschreibt.13 In den sozial-ökologischen Konflikten gehe es um Demokratie und Verfügungsmacht. Emanzipatorische Politik dürfe sich nicht, wie der Rio-Typ von Politik der NGOs, auf Kooperation und Lobbying konzentrieren. Darüber werde radikale Herrschaftskritik „denunziert oder verfolgt“ (863). Auch „radikale Antworten auf die Frage, wie die unmittelbaren Bedürfnisse der Lohnabhängigen [...] transformiert werden können“, seien wichtig. Brand fragt: „Wer entscheidet über Investition und Produktion, wer verfügt über die entsprechenden Mittel und das Wissen?“ (864). Als Perspektive erscheinen hier Selbstorganisation, Selbstverwaltung und freie Kooperation. Zum Schluss formuliert Brand ein entscheidendes Manko der derzeitigen politischen Landschaft: „Im Unterschied zu den 1970er und 80er Jahren scheint es derzeit keine relevanten emanzipatorischen Kräfte zu geben, welche die ökologische Krise als gesellschaftliche Krise politisieren“ (865).

Brandt hält in erfreulicher Weise an einer antikapitalistischen und antietatistischen Perspektive fest. Dahinter scheint ein radikaldemokratisches Anliegen auf, ein Beharren auf Selbstbestimmung. Er kommt dabei fast durchgängig ohne überflüssige Philosopheme, Naturalisierungen, Anthropologismen oder Verweise auf die Naturgesetze etc. aus. Er kritisiert gerade mit dem ‘Rio-Typ’ den staatsfixierten ökologischen Anpassungsmechanismus ‘linker’ Politik. Und dies alles tut Not!14

Anmerkungen

  1. Siehe: Das Argument, Nr. 279, Hamburg 2008; Prokla, Nr. 156, Münster 2009, Perspektiven, Nr. 7, Wien 2009, analyse & kritik, Debattenschwerpunkt: Die Linke und die sozial-ökologische Frage, www.akweb.de. Die Zahlen in Klammern verweisen auf die Seite der jeweiligen Zeitschrift.Zurück zur Textstelle
  2. Ausführlicher dazu siehe: Thomas Gehrig: Der ökologische Diskurs. Zur Kritik gesellschaftstheoretischer Naturverhältnisse, unveröff. Manuskript.Zurück zur Textstelle
  3. „Der erste Grundsatz, der Spinoza mit den Materialisten der Gegenwart, den Marxisten, verbindet, ist die Anerkennung der Existenz einer objektiven Welt, d. h. die Anerkennung jenes Prinzips, um dessentwillen Spinoza in der Folge von den Anhängern des sogenannten Kritizismus, des Kantianertums, zum 'Dogmatiker' erklärt wurde.“, Deborin: Die Weltanschauung Spinozas, in: Thalheimer/Deborin: Spinozas Stellung in der Vorgeschichte des Dialektischen Materialismus, Wien/ Berlin 1928, S 42.Zurück zur Textstelle
  4. Die Idee taucht immer wieder auf: Hermann Scheer fordert in einem Memorandum, das unter anderem in der Frankfurter Rundschau vom 29.11.2002 unter dem Titel „Die industrielle Wachstumsgesellschaft bietet keine Perspektive mehr“ erschien, eine ökologische New Deal-Politik.Zurück zur Textstelle
  5. Siehe dazu den Kasseler Wissenschaftsstreit zwischen Immler und Schmied-Kowarzik et al.Zurück zur Textstelle
  6. Die Möglichkeit ist sicher einfacher aufzuzeigen als die Wirklichkeit. Wäre Letzteres gelungen, hätte Bhaskar 1979 das Erkenntnisproblem gelöst!Zurück zur Textstelle
  7. Siehe dazu die Replik von Görg in: Das Argument 280. Görg versichert hier, dass es ihm nicht darum gehe, „'den' Naturalismus in toto abzuwehren“ (314).Zurück zur Textstelle
  8. Hier, im Versuch Handlungs- und Strukturtheorie zu versöhnen, zeigt sich die soziologische Perspektive der AutorInnen. Es ist die bürgerliche Wunschperspektive.Zurück zur Textstelle
  9. O’Connor und der 'späte' Altvater gingen davon aus, die Schranke des Kapitalismus liege „dualistisch“ in den äußeren Grenzen der Natur, beim 'frühen' Altvater und Benton liege sie „dialektisch“ in den immanenten Widersprüchen.Zurück zur Textstelle
  10. Mit dem Marxschen Begriff vom Doppelcharakter der Arbeit ließe sich „die Indifferenz des Kapitalismus gegenüber den besonderen Qualitäten von Natur begreifen“ (368).Zurück zur Textstelle
  11. Auch hier wurde wohl vergessen Görg als Quelle zu nennen.Zurück zur Textstelle
  12. Siehe dazu den Kasseler Wissenschaftsstreit zwischen Hans Immler und Wolf-Dietrich Schmied-Kowarzik et al.; sowie Wolfgang Fritz Haug: Sechs Einsprüche, ökologische Marx-Kritik betreffend. In: Das Argument 279, 2008, S. 848-849.Zurück zur Textstelle
  13. Statt von Absorption (Aufsaugen) wäre vielleicht besser von Aufhebung zu reden.Zurück zur Textstelle
  14. Wer Arbeiten wie diese von Brand wegen der Abstraktheit und Vagheit der Begriffe und des sehr allgemeinen Charakters der kapitalismuskritischen Aussagen als linke 'Erbauungsliteratur' kritisiert, vergisst, wie wichtig diese für die kleine linke antikapitalistische Gemeinde in dunkler neo- oder postneoliberaler Zeit bisweilen sein kann.Zurück zur Textstelle
© links-netz Dezember 2009