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Neuestes zur Organisationsfrage

zu Ulli Brand: Weniger wird mehr sein, in: Frankfurter Rundschau 13.07.2005

Thomas Gehrig

Nun sag, wie hast du's mit der Linkspartei? Für Ulli Brand sprechen „drei Gründe und eine strategische Möglichkeit“ dafür, sich genauer mit der neuen Partei auseinander zu setzen:

1. Der Partei müsse Lernfähigkeit zugestanden werden. Lernprozesse setzten voraus, dass die Partei auf soziale Bewegungen und kritische Intellektuelle höre, dass „Kritik zugelassen und produktiv verarbeitet“ werde, dass es eine programmatische „Öffnung zu linken Bewegungen wie auch zu kritischen Intellektuellen“ gebe.

2. Die Partei könne lernfähig sein. Sie könne „merken, dass eine Öffnung hin zu sozialen Bewegungen sinnvoll ist“.

3. Die Verhältnisse selbst! Sie sind gekennzeichnet durch eine Legitimationskrise des Neoliberalismus einerseits und einen aufkommenden autoritären Neoliberalismus andererseits. Ängste vor Marginalisierung, Elend und Abstieg müssten nicht von Rechtsaußen bedient werden.

Dazu müssten lediglich weltweite „breite soziale Kämpfe“ stattfinden, die demokratische Strukturen wiederherstellen, um in den Parlamenten überhaupt wieder Handlungsspielräume „gegen mächtige und international organisierte Kräfte“ zu erobern zur „Zähmung“ der herrschenden Klasse.

Wichtig für die Partei sei, dass sie sich zurücknehme. Zentral sei, dass die Linke sich selbst inhaltlich-strategisch und organisatorisch rekonstruiere, neu gründe und zugleich pluralistisch werde. Denn Alternativen entstünden nicht durch eine Partei, sondern durch eine Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, Orientierungen und das Entstehen eines gegen-hegemonialen Projekts. Dazu müssten die Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie brechen um dann die in Betrieben, Schulen, Hochschulen, Medien und alltäglichen Beziehungen kontrovers geführten Diskussionen um angemessene Formen solidarischen, demokratischen und Wohlstand schaffenden Zusammenlebens zu intensivieren.

Eine wirkliche Linkspartei könne das Stimmungsklima verschieben und so Denk- und Handlungsräume öffnen. Bewegungen und Intellektuelle könnten wiederum die traditionell-sozialdemokratischen (keynesianischen) Positionen der Partei verschieben in Richtung auf alternative entwicklungspolitische, ökologische, feministische, antirassistische und Grundsicherungs-Positionen.

Fazit: Die Linkspartei solle anerkennen, dass sie nur ein Teil gesellschaftlicher Veränderungen sei und auf die Bewegungen hören, denen sie ja ohnehin ihr Potential verdanke. Dann könnten alle zusammen – Partei und Bewegung – in einem nicht-instrumentellen Prozess sich pluralistisch neu gründen, damit die Illusion des Parlamentarismus nicht weiter genährt werde.

Dadurch haben die Bewegung und ihre intellektuellen VertreterInnen den politischen Primat übernommen. Sie weisen der Partei ihre Rolle und ihre Inhalte zu. Denn Verhältnisse ändern geht so: Kräfteverhältnisse ändern und neues gegen-hegemoniales Projekt gründen.

Dies klingt nach der alten Formel vom Stand- und Spielbein, mit der Soziale Bewegung jedoch bereits zum Moment repräsentativer Politik degradiert ist. Unklar bleibt, welche Bewegungen hier als gesellschaftliche Kraft fungieren soll. Es müsste einerseits geklärt werden, wem zur Zeit überhaupt der Titel einer Sozialen Bewegungen (was mehr meint als eine Reihe politischer Initiativen) zuzusprechen wäre. Lokale Gruppen, Vorsitzende, Beiräte und Sprecher, die allzeit zu Stellungnahmen bereit sind, eine Internetseite, eine Zeitung, gesellschaftliche Präsenz etc. – all dies finden wir überall.

Darüber hinaus müsste genauer bestimmt werden, was eine Soziale Bewegung zu einer 'linken' macht und was dabei unter 'links' verstanden wird. Was ist das für eine neue Linke, in der sich ein pluralistischer Strauß Sozialer Bewegungen mit einer sozialdemokratischen Partei trifft?

Im politischen Diskurs wird gerne von den (!) Sozialen Bewegungen gesprochen, sich auf sie berufen, sich mit ihnen im Bunde gefühlt etc. Dort bleibt Soziale Bewegung oft nicht mehr als das begriffliche Fußvolk, mit dem die gesellschaftliche Bedeutsamkeit sowie die demokratische Legitimation der eigenen politischen Position suggeriert werden soll. Als Sprachrohr der Sozialen Bewegung suchen die PolitikerInnen die Politik fürs Volk als die des Volkes erscheinen zu lassen. Hier wird „Soziale Bewegung“ so wie das nationale „Wir“, „der Wähler“, „das Volk“ oder auch „die Arbeiterklasse“ zu einer vorausgesetzten Einheit.

Gegenüberstellung und funktionale Bestimmung von Sozialer Bewegung und Partei endet bei Brand im Primat der Bewegungen, denen entsprechende Kontrollfunktionen zukommen sollen. Soziale Bewegungen erscheinen dabei einerseits als Einheit gegenüber der Partei und im Prozess einer Neukonstituierung der Linken. Zugleich gelten sie jedoch für ein pluralistisches Bündel von Interessen (anti-keynesianischen, ökologischen, entwicklungspolitischen, ökologischen, feministischen etc.). Welche ökologische, feministische etc. Politik ist jedoch gemeint? Was ist deren gemeinsame Perspektive?

Um dabei eine Bewegung in den Blick zu bekommen, die die bürgerliche Gesellschaft aufhebt, wäre, statt einen soziologischen Begriff Sozialer Bewegungen vorauszusetzen, überzugehen zur kritischen Frage danach, wie sich das Soziale bewegt, d.h. was Revolution in einer Gesellschaft, in der kapitalistische Produktionsweise herrscht, bedeutet.

© links-netz November 2005