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Ein Schweizer Gespenst

Per Volksabstimmung gegen Einkommensspreizung

Thomas Gehrig

Ein Gespenst geht um in der Schweiz: die von den eidgenössischen JungsozialistInnen angestoßene Volksinitiative »1:12 – Für gerechte Löhne«. Sie kann anschließen an die Volksinitiative zur Begrenzung von Managementgehältern, die der Unternehmer und Politiker Thomas Minder »gegen die Abzockerei« auf den Weg gebracht hatte. 67,9 Prozent der TeilnehmerInnen hatten sich im März 2013 für diese Initiative ausgesprochen. Ab 1. Januar 2014 können nun die Gehälter und Bonuszahlungen für ManagerInnen börsennotierter Firmen von den Aktionärsversammlungen jährlich neu festgelegt und begrenzt werden. Anwerbe-, Entschädigungs- oder Konkurrenzausschlusszahlungen sind ab dann grundsätzlich verboten.

SP, Grüne, Schweizerischer Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaft Unia unterstützen die 1:12-Initiative. Unternehmen und liberale Presse haben sich gegen sie verschworen. Durch ein Volksbegehren soll die Schweizer Bundesverfassung dahingehend geändert werden, dass niemand mehr als zwölfmal soviel verdienen darf wie die am schlechtesten bezahlten MitarbeiterInnen im selben Unternehmen. (Das Handelsblatt hat ausgerechnet, dass Roger Federer dann seinem Masseur mindestens vier Millionen zahlen müsste.) Die Abstimmung findet am 24. November 2013 statt.

Stell Dir vor, Nestlé haut ab

Steht die Schweiz also bald vor einer entscheidenden Zäsur? »In der Schweiz angesiedelte Unternehmen«, so das Handelsblatt am 8. April 2013, »sehen den ›Anfang vom Ende‹ und wollen gegebenenfalls fliehen« – dann nämlich, wenn sich die Initiative durchsetzt. Deren Chancen werden als gar nicht mal so schlecht eingeschätzt. Die Apologeten der Marktwirtschaft fahren gegen sie die üblichen Geschütze auf. Leute wie FDP-Nationalrat Ruedi Noser wissen, wie sie die Initiative einordnen müssen: »Jetzt geht es wieder um Klassenkampf pur. Die Sozialdemokraten haben dem Erfolgsmodell Schweiz den Krieg erklärt« (Die Zeit, 17. Oktober 2013). Die Schweiz steht demnach vielleicht kurz von ihrem (ökonomischen) Untergang. Das Handelsblatt hat angesichts dessen seinen Humor aber noch nicht verloren. Es zitiert Radio Eriwan: Kann in der Schweiz der Sozialismus eingeführt werden? Antwort: Im Prinzip ja, aber schade um das schöne Land. Die Neue Zürcher Zeitung analysiert messerscharf: »Der geforderte Lohndeckel greift aber grundlegend in das Anreizsystem einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung ein. Das hätte schwerwiegende Folgen für die Gesamtwirtschaft, die sich naturgemäss nicht beziffern lassen. Die 1:12-Initiative amputiert die Marktwirtschaft« (NZZ, 26. Oktober 2013) – ... und das auch noch völlig demokratisch.

Der Ökonom Heiner Flassbeck ist einer der Aufrechten und hält dagegen: »Ich halte diese Initiative für richtig und wichtig. Sie schafft ein Bewusstsein für einen offensichtlichen Missstand in der Schweiz und anderswo. Die großen Lohnunterschiede sind ökonomisch gesehen schädlich und lassen sich nur mit einer Machtverschiebung erklären« (Tages-Anzeiger, 21. Oktober 2013).

Zu allem Überfluss kommt nun auch noch eine Initiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) dazu, in der ein Mindestlohn von 4.000 Franken (ca. 3.250 Euro) monatlich für alle gefordert wird. Dagegen nehmen sich die 8,50 Euro, die der DGB pro Stunde (das entspricht bei 8 Stunden pro Tag und 21 Arbeitstagen im Monat einem Bruttolohn von 1.428 Euro) fordert, bescheiden aus.

Hat die 1:12-Initiative recht? Ist die Marktwirtschaft etwa derart ungerecht, dass sie mittels staatlicher Eingriffe drastisch reguliert werden muss? Hören wir dazu die NZZ: »Löhne sind in einer Marktwirtschaft weder fair noch gerecht, schon gar nicht leistungsgerecht. Wer Zweifel hat, findet bei Marx ebenso wie bei Friedrich August von Hayek oder im 1:12-Buch der Initianten eine Bestätigung. Auch die Alltagserfahrung lehrt: Überall und in allen Lohnklassen gibt es Personen, die weniger leisten und trotzdem mehr verdienen als andere« (NZZ, 26. Oktober 2013). Danke – das war deutlich.

Dieser Beitrag erschien auch in: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 11/2013


© links-netz November 2013