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Das Geschlecht des bürgerlichen Staates

Elemente einer kritisch-feministischen Staatsanalyse

Evi Genetti

Die sozio-ökonomischen und politischen Veränderungen im globalen Kapitalismus haben in der neueren Sozialwissenschaft, aber auch in der Linken, geschäftige Debatten über die Transformation des Staates ausgelöst. Die längst vergessene Staatsdebatte scheint wieder en vogue zu sein. Auffällig dabei ist, dass feministische Analysen zum Staat nur selten berücksichtigt werden. Sowohl politologischer Mainstream und Kritik sind in diesem Malestream oft nicht zu unterscheiden. Was den einen wenig kümmern mag, berührt die andere im Innersten: Denn eine Kritik des Staates ohne die Kritik seiner Geschlechterverhältnisse greift zu kurz, blendet zentrale Momente von Herrschaft aus und ist damit unzulänglich. Umgekehrt gilt aber auch, dass feministische Forschung sich zentraler Erkenntnisse kritischer Gesellschaftstheorie entledigt hat und sich im sozialwissenschaftlichen Mainstream bestens einfügt. Nötig ist daher eine doppelte Bewegung der Kritik.

Gerade vor dem Hintergrund grundlegender Veränderungen der politischen Konstitution im globalen Kontext ist eine erneute theoretische Beschäftigung mit dem Staat notwendig. Die Rede vom „Souveränitätsverlust“ der Nationalstaaten ist dabei lediglich ein Aspekt von vielen. Michael Hardt und Antonio Negri gehen im „Empire“ sogar von einem prinzipiellem Verschwinden des Nationalstaates und von der Entstehung einer neuen Form von globaler Souveränität aus. Das Empire sei der neue konstitutionelle Rahmen, die souveräne Macht der globalen Weltordnung. Im Gegensatz zur Empire-These vom Bedeutungsverlust der Nationalstaaten kann jedoch keinesfalls von einer grundlegenden Schwächung oder gar Auflösung der Nationalstaaten ausgegangen werden. Die realen Transnationalisierungs- und Internationalisierungsprozesse bedeuten nämlich keineswegs, dass Staatlichkeit selbst damit erodiert oder bedeutungslos wird. Denn die Veränderung eines historisch bestimmten Staatstyps darf nicht mit einer prinzipiellen Auflösung oder dem Ende des Staates verwechselt werden. Die politische Form der kapitalistischen Gesellschaft - der Staat also - ist nach wie vor zentraler Bestandteil des kapitalistischen Produktions- und Vergesellschaftungsverhältnisses.

Eine Beschäftigung mit aktuellen Veränderungsprozessen von Staatlichkeit und transnationalen Herrschaftsverhältnissen setzt ein theoretisches Verständnisses des modernen Staates voraus. Auffällig ist jedoch, dass die etablierte Sozialwissenschaft trotz der Fülle an Diskussionen rund um staatliche Veränderungsprozesse im Zuge der Globalisierung auf einen theoretisch zureichenden Begriff vom Staat gänzlich verzichtet (vgl. Hirsch 2001). Aus gesellschaftskritischer Sicht gilt es, sich wesentliche Grundaussagen materialistischer Staatstheorie zu vergegenwärtigen und sie im Hinblick auf die gegenwärtige Strukturveränderungen zu überprüfen und reformulieren.

Geschlechtsblinde neuere Staatsdebatte

Nun darf es aus feministischer Sicht nicht verwundern, dass in dieser „Reformulierungs-Phase“ linker Staatstheorie, aber auch in der aktuellen wissenschaftlichen Globalisierungs- und Staatsdebatte zentrale Erkenntnisse feministischer Theorie wieder mal vergessen werden.

Die Frage nach dem Zusammenhang von Geschlecht und Staat und eine brauchbare Analyse von Geschlechterverhältnissen wird in der „wiederbelebten“ Staatsdebatte in den Sozialwissenschaften erneut systematisch aus den Analysen ausgeklammert. Die "Geschlechtsblindheit" ist aber auch bei neo-marxistischen Staatsanalysen - die sich ja eigentlich als herrschafts- und gesellschaftskritisch verstehen - nicht zu übersehen. Zwar wird das Geschlechterverhältnis in den letzten Jahren von materialistischen Staatstheoretikern vereinzelt zumindest am Rande erwähnt, jedoch wird es - aus welchen Gründen auch immer - lediglich additiv hinzugefügt und nicht systematisch in die theoretische Analyse integriert. Der Staat wird in dieser Theorietradition als eine „geschlechtsneutrale Instanz“ behandelt, sein Geschlechtscharakter, d.h. das in ihm institutionalisierte „männliche Geschlecht“ bleibt dadurch aber ausgeblendet (vgl. Kreisky 1995a, 203ff.; Demirovic/Pühl 1997, 220f.). Die linke Staatsdebatte bleibt aufgrund dieses traditionellen Versäumnisses defizitär.

Aus feministisch-kritischer Perspektive kommt es nun darauf an, bestehende feministische Staatsanalysen mit materialistischer Staatstheorie zu konfrontieren. Denn beide Theoriestränge weisen Blindflecken auf: Während es feministischen Staatsanalysen an einer gesellschaftstheoretischen Fundierung mangelt, klammert materialistische Staatstheorie die Kategorie Geschlecht bzw. das Geschlechterverhältnis systematisch aus der Analyse aus. Im Folgenden geht es daher zunächst darum, feministische Theoretisierungen von Staat und Staatlichkeit in groben Zügen vorzustellen und einer gesellschaftstheoretischen Kritik zu unterziehen. Daran anschließend wird ein theoretisches Modell vorgeschlagen, das materialistische Staatstheorie feministisch zu reformulieren versucht. Durch die Verknüpfung zweier zumeist getrennt verlaufender Theorietraditionen - von kritischer und feministischer Theorie - sollten Elemente einer Kritik des patriarchal-kapitalistischen Staates entwickelt und zur Diskussion gestellt werden.

Gendering the State

Feministische Staatsanalysen zielen darauf ab, den Staat zu „vergeschlechtlichen“, d.h. seine „Eingeschlechtlichkeit“, sein männliches Geschlecht offen zulegen (vgl. Kreisky 1995a; 209). Dabei ist die „Geschlechtshalbiertheit“ bzw. die Männlichkeit des Staates im Grunde gar nicht so verdeckt. Staatliche Aufgaben, Funktionen und Entscheidungen werden ganz offensichtlich mehrheitlich von Männern wahrgenommen. Zudem produziert und reproduziert der Staat nach wie vor das hierarchische Geschlechterverhältnis. „Zu enthüllen ist also nur das Offenkundige; auf dieses als dem vermeintlich Allerverborgensten richtet sich der Blick“ feministischer Forschung (Demirovic/Pühl 1997, 221).

Auf der anderen Seite mangelt es jedoch gerade der feministischen Theorie an einer elaborierten Staatstheorie. Auch wenn die anfängliche „Staatsferne“ bzw. Staatsblindheit der Frauenforschung mittlerweile einer Vielzahl an feministischen Analysen zum Staat gewichen ist, so wurde bislang keine systematische Staatstheorie aus geschlechterkritischer Sicht entwickelt. Hinzu kommt, dass neuere poststrukturalistische bzw. diskurstheoretische Staatsanalysen in der Genderforschung die Kategorie Staat und damit auch die Notwendigkeit einer feministischen Staatstheorie prinzipiell in Frage stellen.

Den Ausgangspunkt feministisch-theoretischer Beschäftigung mit dem Staat bildete die so genannte "Patriarchatsdebatte" der 70er Jahre. In dieser theoretischen Diskussion ging es zunächst in erster Linie um die Frage nach der Beziehung von patriarchalen und kapitalistischen Unterdrückungsverhältnissen. Erst später wurde dann auch die spezifische Rolle des Staates bei der Aufrechterhaltung der „Frauenunterdrückung“ und damit zusammenhängend sein patriarchaler (und kapitalistischer) Charakter analysiert.

Patriarchaler vs. frauenfreundlicher Staat

Grob formuliert lassen sich in der frühen feministischen Staatsdiskussion über alle unterschiedlichen Zugänge und Ansätze hinweg zwei konträre theoretische Positionen feststellen: das Konzept des „patriarchalen Staates“ auf der einen und das Konzept des „frauenfreundlichen oder partnerschaftlichen Staates“ auf der anderen Seite (ausführlicher dazu siehe Genetti 1998; 54ff.). Die in den 60er und 70er Jahren entwickelten Analysen des „patriarchalen Staates“ interpretierten den Staat essentialistisch als eine neue Form patriarchaler Herrschaft, als "Männerstaat". Demnach sei er eine zentrale Instanz zur Aufrechterhaltung des modernen Patriarchats. Der Staat wurde in instrumentalistischer Manier als Instrument von Männern zur Unterdrückung, Kontrolle und Ausbeutung von Frauen gedacht (in Anlehnung an R. Miliband). Demgegenüber standen liberal-feministische Staatsanalysen in den achtziger Jahren, die sich positiv auf den Staat bezogen. Vor allem skandinavische Theoretikerinnen sahen den Staat, insbesondere in Gestalt des "frauenfreundlichen" Wohlfahrtsstaates, als eine wichtige Arena zur Herstellung von Geschlechtergleichheit. Der Staat gilt hier gewissermaßen als Verbündeter zur Unterstützung von Frauen.

Auf der einen Seite wurde der Staat in diesen frühen Phasen feministischer Theoriebildung also abgelehnt, da er patriarchale Macht- und Unterdrückungsverhältnisse reproduziert. Auf der anderen hingegen wurde er dazu herangezogen bzw. instrumentalisiert, um Macht- und Einflussmöglichkeiten zu gewinnen und vermeintlich geschlechtergerechte Verhältnisse herzustellen. Daran knüpften sich zwei konträre politisch-praktische Strategien: entweder die Strategie der „Verweigerung“ (Autonomie) oder jene der „Beteiligung“ (Institution) (vgl. Kreisky 1995a; Sauer 2001, 120). Beide Strategien und die damit zusammenhängenden theoretischen Positionen müssen also auch im Kontext der neuen Frauenbewegung gesehen werden, da sie in gewisser Weise die Entwicklung der autonomen Frauenbewegung vom anfänglichen Antietatismus hin zum so genannten „Staatsfeminismus“ widerspiegeln.

Beide theoretischen Konzepte zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich in erster Linie auf die deskriptive Analyse der konkret-empirischen Oberfläche des modernen Staates konzentrierten, ohne dabei nach den strukturellen (und nicht personellen) Gründen für seinen patriarchalen Charakter zu fragen. Zwar wurden patriarchale und frauendiskriminierende Strukturen des modernen Staates festgestellt und beschrieben, dem Grund für ihre staatsförmige Erscheinung aber wird nicht ausreichend analytisch nachgegangen. Auf eine kategoriale Schärfung des Begriffs „Staat“ wurde zur Gänze verzichtet. Infolgedessen gerieten zentrale Fragen wie etwa nach den Grenzen staatlicher Regulierung gar nicht erst in den feministischen Blick. Die frühen Ansätze des patriarchalen Staates der 70er und 80er Jahre sind außerdem zu instrumentalistisch und reduktionistisch, als dass sie als hinreichende Erklärungsmodelle des Verhältnisses von Staat und Geschlecht gelten könnten.

Elemente antipatriarchaler Staatskonzepte

Abgesehen von den beiden verkürzten Theoremen des „patriarchalen“ wie des „frauenfreundlichen“ Staates wurden in der Geschlechterforschung seit Anfang der 90er Jahre durchaus brauchbare Versuche einer systematischen Konzeptionalisierung von Staat und Geschlecht unternommen. Zwar gilt die Feststellung, dass es keine umfassende Theorie des Staates aus geschlechterkritischer Sicht gibt, nach wie vor, jedoch gibt es bereits etliche Ansatzpunkte antipatriarchaler Staatskonzepte, die über empirische und historische Fallstudien hinausgehen (vgl. Sauer 2001, 123).

Der Staat wird in diesen neueren feministischen Staatsansätzen seit Beginn der 90er Jahre nicht mehr einseitig als patriarchal oder frauenfreundlich betrachtet, sondern sie versuchen, den Geschlechtscharakter des Staates analytisch zu erfassen. Zentraler Blickpunkt dieser neueren Analysen ist also die Frage nach dem widersprüchlichen Verhältnis von Staat und Geschlecht, oder genauer die theoretische Bestimmung der Geschlechtlichkeit des modernen Staates. Dabei geht es um eine Berücksichtigung sowohl der „staatsstrukturierenden Bedeutung des Geschlechts“ als auch der das „Geschlechterverhältnis gestaltenden Kraft des Staates“. Dieses komplexe Phänomen wurde in der bisherigen feministischen Forschung auf unterschiedliche Art und Weise in den Blick genommen. Mit Birgit Sauer lassen sich in diesem Zusammenhang vier verschiedene Ansätze der Thematisierung von Geschlecht und Staat unterscheiden (vgl. Sauer 1998, S. 19; siehe auch Sauer 2001, 123f.):

Ein erster Ansatz beschäftigt sich vornehmlich mit einer Kritik an der liberalen Konstruktionsidee des modernen Staates. Etliche feministische Theoretikerinnen übten Kritik am liberalen Paradigma des Gesellschaftsvertrages und legten offen, dass dieser vermeintlich universelle Vertrag ein Vertrag unter Männern bzw. Brüdern ist. Carol Pateman (1994) hat beispielsweise aufgezeigt, dass dem Konzept des Gesellschaftsvertrages ein stets verdecktes Konzept des Geschlechtervertrages zu Grunde liegt, das Frauen seit jeher aus der öffentlichen Sphäre, dem Staat ausschließt. Die moderne gesellschafts-legitimierende bürgerliche Vertragsidee basiert somit auf geschlechtsspezifischen, androzentrischen Ausgrenzungen und Ausschließungen.

Ein zweiter Ansatz feministischer Staatsanalysen thematisiert die Konstituierung des modernen Nationalstaates. Diese feministischen Arbeiten zeigen auf, dass die historische Entstehung des Nationalstaates eng mit Krieg und Militär und damit zusammenhängend mit der Entstehung moderner Männlichkeitskonstruktionen verknüpft ist. Dies erklärt auch den Frauenausschluss aus der Konzeption der Staatsbürgerschaft. Fundamentale staatsbürgerliche Rechte werden als Männerrechte entlarvt, da sie an den Militärdienst gekoppelt waren. Es gilt hier vor allem, die Logik von Staatsbürgerrechten als eine maskulinistische zu analysieren.

Drittens wird der Staat als (Re)Produzent der Geschlechterverhältnisse analysiert: Diese staatstheoretische feministische Arbeiten untersuchen verschiedene politische Bereiche (policies) im Hinblick auf geschlechtsspezifische Aspekte und Auswirkungen. Staatliche Maßnahmen und Prozesse werden hier mit Bezug auf ihre reproduzierende, aber auch modifizierende Auswirkungen auf die herrschende Geschlechterordnung erforscht.

Viertens schließlich wird die Männlichkeit des Staatsapparates untersucht: Hierzu zählt in erster Linie die von Eva Kreisky entwickelte Konzeption des „Staates als Männerbund“ (vgl. Kreisky 1995b). Kreisky begreift Männlichkeit bzw. das Männerbündische als Standardform von Staat und Politik. Der Begriff „Männerbund“ benennt die im Staatsapparat historisch eingeschriebene „Männlichkeit als System“. Damit ist „männliche“ Verfasstheit der staatlichen Institutionen und der staatlichen Bürokratie gemeint, da Frauen historisch betrachtet seit der Entstehung des modernen staatlichen Ordnung aus den zentralen politischen Institutionen und Entscheidungsebenen ausgeschlossen sind. Der moderne Staat ist in zweierlei Hinsicht „männlich“: Zum einen werden staatliche Aufgaben und Ämter mehrheitlich von Männern wahrgenommen („nominale Männlichkeit“) und zum anderen repräsentiert und bevorzugt der Staat systematisch männliche Interessen und Lebensweisen („strukturelle“ Männlichkeit) (vgl. Sauer 1998, 20). Die im modernen Staat eingeschriebene „hegemoniale Männlichkeit“ (Connell 1990) verweist auf eine spezifische institutionelle Verfestigung sozialer Aushandlungsprozesse, die sich historisch und räumlich durchaus verändern können.

Zur Kritik des Staates

So notwendig diese neueren feministischen Analysen zur Bestimmung der Geschlechtlichkeit des modernen Staates auch sind, so sehr verwundert es doch, dass auch diese Ansätze lediglich auf einer vorwiegend beschreibenden Ebene verharren. Die Geschlechtlichkeit des Staates wird auf der analytischen Ebene rein historisch und empirisch beschrieben. Die Existenz des Staates wird so als etwas Gegebenes, Selbstverständliches hingenommen und lediglich in seiner derzeitigen Gestalt kritisiert (vgl. Holloway 1998, 15). Feministische Staatstheoretikerinnen analysieren zwar das Geschlecht des modernen Staates, ein kritisches Konzept über den inneren Zusammenhang von Staat und Geschlecht bleibt jedoch nach wie vor ausständig. Diejenigen Theoretikerinnen, die diese Defizite feministischer Staatsanalysen erkennen, zählen zwar unterschiedliche noch zu beantwortende Fragen auf, ohne aber selbst mit diesem noch ausstehenden Projekt zu beginnen. Auffallend in der neueren feministischen Staatsdebatte ist außerdem, dass es kaum Versuche gibt, eine Vermittlung der patriarchalen und kapitalistischen Strukturen des modernen Staates herzustellen. Dies zeigt sich auch in der mangelhaften Rezeption und Diskussion materialistischer Staatstheorie.

Aufgabe einer kritisch-feministischen Staatstheorie muss es sein, den Staat nicht nur in seiner konkreten Gestalt zu beschreiben und historisch darzustellen, sondern die Existenz der Kategorie des Staates selbst gesellschaftstheoretisch zu begreifen und damit in Frage zu stellen. Es geht also um die staatstheoretische Frage, warum der Staat als besondere Form gesellschaftlicher Verhältnisse überhaupt existiert. Und daran anschließend, warum der Staat und die herrschende Geschlechterhierarchie bisher notwendig miteinander verwoben waren und sind. Es ist bezeichnend, dass sich feministische Theorie, die sich längst von der anfänglichen Kapitalismuskritik abgewandt hat, nicht um diese grundsätzlichen staatstheoretischen Fragen gekümmert hat. Aber erst durch eine Formbestimmung des modernen Staates ließe sich m.E. der notwendige Strukturzusammenhang von Staat, Kapital und männlichen Geschlecht theoretisch stringent erklären, ohne in eine personalisierende, verkürzte Argumentation zu verfallen. Es gilt also, den Blick auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und Strukturen zu schärfen.

Der patriarchal-kapitalistische Staat

Im Anschluss möchte ich ein analytisches Modell skizzieren, das die bereits erwähnten theoretischen Zugänge zu verknüpfen versucht. Dabei nehme ich zunächst auf die materialistische Staatsformanalyse und hier vor allem auf die Arbeiten von Joachim Hirsch Bezug, um sie aus einer feministischen Perspektive zu erweitern. Es geht dabei in erster Linie um die Analyse der grundlegenden Strukturmerkmale der modernen Gesellschaft, die patriarchale Herrschaftsverhältnisse an zentraler Stelle mit ein schließt. In Anlehnung an Hirschs analytischen Unterscheidung zwischen der politischen Form und damit dem Staat einerseits und konkreten Staatsapparaten andererseits wird dabei zwischen der grundlegenden patriarchalen (politischen) Form des Staates und den konkret-historischen „Geschlechterregimen“ bzw. „hegemonialen Staats-Männlichkeiten“ differenziert.

Ausgangspunkt für eine gesellschaftstheoretisch fundierte Staatstheorie bildet die werttheoretische Formanalyse der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise. Zuallererst gilt es eine Begründung zu liefern, warum in der kapitalistischen Gesellschaft das politische Gemeinwesen eine von der Ökonomie und Gesellschaft getrennte Form annimmt (vgl. Hirsch 1995, 18). Unter Bezugnahme auf die Marx’sche Wertformanalyse wird versucht, den Staat aus den grundlegenden Strukturen bzw. Formen der kapitalistischen sozialen Verhältnisse heraus zu begründen. Die beiden grundlegenden sozialen Formen, in denen sich die Gesellschaftlichkeit der Menschen im fortgeschrittenen Kapitalismus herstellt – und zwar in einer nicht unmittelbar durchschaubaren Weise -, sind die ökonomische (Wert-) Form, die sich im (Ware) Geld ausdrückt und die politische Form, welche sich in Gestalt eines von der Ökonomie getrennten Staates äußert (vgl. Hirsch 1995, 17). Grundlegendes Strukturmerkmal der kapitalistischen Gesellschaft ist also die Herausbildung einer von allen Klassen und gesellschaftlichen Gruppen formell getrennten politischen Instanz, also die Besonderung oder relative Autonomie des Staates. Die inneren und äußeren Widersprüche des ökonomischen Reproduktionsprozesses erzwingen eine auf die materielle Reproduktion, die Ordnung und den Erhalt der Gesellschaft insgesamt gerichtete, außerhalb des Verwertungsprozesses stehende politische Regulation: den Staat. Es kommt daher zu der für die kapitalistische Gesellschaftsformation charakteristischen Trennung von „Politik“ und „Ökonomie“, von „Staat“ und „Gesellschaft“. „Staat“ und „Gesellschaft“ sind zwar formell getrennt, aber zugleich miteinander verbunden. Sie bilden gewissermaßen eine „widersprüchliche Einheit“ (Hirsch 1995, 22).

Genau hier besteht nun ein Anknüpfungspunkt für eine feministische Erweiterung des Ansatzes. In der Staatsformanalyse bleibt die Berücksichtigung des Geschlechterverhältnisses als zentrales Ordnungsprinzip der modernen Gesellschaft zur Gänze ausgeklammert. Dabei wäre es gerade in gesellschaftstheoretischer Hinsicht notwendig, auch das hierarchische Geschlechterverhältnis an gesamtgesellschaftliche Analysen rückzubinden. Die benannte Trennung von Politik und Ökonomie korrespondiert nämlich mit der Teilung von zwei geschlechtlich codierten gesellschaftlichen Sphären, Öffentlichkeit und Privatheit. Für eine feministische Analyse ist es wichtig, die Privatsphäre nicht nur mit dem Bereich der Ökonomie, der Produktion (privater Marktwirtschaft, Privateigentum) in eins zu setzen, sondern eine zweite Ebene von Privatheit zu berücksichtigen. Damit ist der Bereich der Reproduktion, der Hausarbeit, der privaten Lebenssphäre gemeint. Diese soziale Sphäre wird im patriarchal-kapitalistischen Vergesellschaftungsmodus traditionell Frauen zugeordnet. Regina Becker-Schmidt hat dafür den Begriff der „doppelten Vergesellschaftung“ geprägt. Frauen sind demnach in zweifacher Hinsicht vergesellschaftet: sie sind Hauptakteurinnen der privaten Reproduktionstätigkeit bzw. der unbezahlten Hausarbeit und sie partizipieren an der marktvermittelten Arbeit. Sowohl bezahlte Erwerbsarbeit als auch unbezahlte Hausarbeit sind von einer geschlechtlichen Arbeitsteilung zuungunsten von Frauen gekennzeichnet. Die Hierarchisierung von Erwerbs- und Hausarbeit „trifft Frauen doppelt: Die Minderbewertung der Hausarbeit, als weibliches Betätigungsfeld gedacht, färbt auch auf die Berufstätigkeit von Frauen ab: Sie ist ebenfalls keine ‚Männerarbeit’.“ (Becker-Schmidt 1998, 111)

Die gesellschaftlich einflussreichen Sphären wie Öffentlichkeit, Politik, Erwerbssphäre werden also traditionell Männern zugeordnet. Die paradoxe Integration von Frauen in diese Bereiche verlief immer nur entlang der hierarchischen Geschlechterlinie. Natürlich sind die Grenzziehungen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, aber auch von Produktion und Reproduktion historisch und kulturell durchaus veränderbar und verschiebbar. So z.B. wurden gewisse private Reproduktionsarbeiten wie Kindererziehung oder Altenbetreuung durchaus vom fordistischen Sozialstaat übernommen und jetzt im Zuge von neoliberalen Deregulierungspolitiken wieder reprivatisiert. Andererseits bedeuten diese Grenzverschiebungen und Veränderungen im Verhältnis von öffentlich und privat oder von unbezahlter und bezahlter Arbeit aber keineswegs eine grundsätzliche Auflösung dieser gesellschaftlichen Trennungen.

Die geschlechtsspezifische Sphärentrennung von Öffentlichkeit und Privatheit, von Produktions- und Reproduktionsbereich, muss somit als zentrale Struktur der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft angesehen werden. Der Staat als Ausdruck der kapitalistischen politischen Form beruht daher auf patriarchale Ordnungsmuster. Dies muss nun in die Analyse der politischen Form der kapitalistischen Gesellschaft miteinbezogen werden. Die Trennung von Staat und Gesellschaft ist m.E. daher nicht ohne die Trennung von politischer Öffentlichkeit und privater Lebenswelt und den zugrunde liegenden Geschlechterordnungen zu denken. Die politische Form ist damit nicht nur als kapitalistisch, sondern immer auch als patriarchal zu begreifen. Das heißt aber auch, dass sich diese dem bürgerlichen Staat immanente patriarchale Struktur nicht einfach auflösen oder beseitigen lässt, wie dies etliche feministische TheoretikerInnen hoffen. Wesentliche Funktion des Staates ist es ja, die Bedingungen für die Reproduktion der kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaftsformation herzustellen und zu gewährleisten. Seine Eingriffe zielen damit grundsätzlich auf den Erhalt der herrschenden sozialen Strukturen, da sie seine Grundlage bilden. Würde also die Trennung aufgehoben, gäbe es auch den Staat in seiner gegenwärtigen Form nicht mehr (vgl. Hirsch 1995, 26). Ein „androgyner“ Staat ist deshalb nicht denkbar und möglich, weil der Staat in seiner Form auf der patriarchal-kapitalistischen Vergesellschaftungsweise beruht. Da der bürgerliche Staat auf diesem Vergesellschaftungsmodus basiert und daraus resultiert, ist er von seiner inneren Struktur her nicht nur notwendig „kapitalistisch“, sondern immer auch „patriarchal“. Die „patriarchale“ Verfasstheit des modernen Staates lässt sich also aus den grundlegenden Strukturen bzw. Formen der patriarchal-kapitalistischen sozialen Verhältnisse begründen.

In anderen Worten: Ebenso wie der „Klassencharakter“ ergibt sich der geschlechtliche Charakter des Staates aus der „Strukturadäquanz“ zwischen den patriarchal-kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen und der politischen Herrschaftsform. In Anlehnung an Josef Esser ließe sich formulieren: Indem der Staat mit Hilfe seines Gewaltmonopols den patriarchal-kapitalistischen Produktions- und Verwertungsprozess absichert, sichert er zugleich den darin enthaltenen Klassen- und Geschlechterwiderspruch (vgl. Esser 1985, 227). Der Staat ist in diesem Sinne keineswegs ein „Agent“ oder „Instrument“ der Männer, wie dies instrumentalistische und personalisierende Ansätze behaupten. Die Männlichkeit oder Geschlechtlichkeit des Staates basiert vielmehr auf seiner grundlegenden Struktur bzw. Form. Das bedeutet, dass der moderne Staat männlichen Interessen und Lebensweisen strukturell entgegenkommt, Männer sozusagen indirekt bevorzugt werden.

Diese Analyse der kapitalistischen und patriarchalen Form des Politischen darf jedoch nicht funktionalistisch missverstanden werden. Die Besonderung des Staates ist stets Gegenstand sozialer Kämpfe und daher historisch wandelbar. Der Staat selbst ist Ausdruck und Kristallisationspunkt sozialer Kräfteverhältnisse. Er muss also als eine soziale Beziehung zwischen Individuen, Gruppen und Klassen begriffen werden, wie Nicos Poulantzas bereits in den 70er Jahren geschrieben hat. Die sozialen Kräfteverhältnisse nehmen im System der politischen Institutionen und Apparate konkrete Gestalt an. Der Staat ist damit Ort der Vermittlung der sozialen Kompromisse und Gleichgewichte. Die politische Form, d.h. die Besonderung des Politischen darf dabei aber nicht mit dem konkreten Staatsapparaten verwechselt werden (vgl. Hirsch 1995). Vielmehr muss der konkrete Staatsapparat als institutioneller Ausdruck der dahinter stehenden gesellschaftlichen Strukturen verstanden werden. Diese neomarxistische Sicht des Staates als „materielle Verdichtung eines sozialen Kräfteverhältnisses“ bietet Anschlussstellen für eine feministische Lesart. Aus feministischer Perspektive kann der konkrete Staat in diesem Sinne verstanden werden als die „Institutionalisierung eines geschlechtlichen Herrschaftsverhältnisses, d.h. er ist Ausdruck des Geschlechterverhältnisses, und er organisiert das Geschlechterverhältnis“ (Sauer 1997, 48, Herv.i.Orig.). Das soziale Kräfteverhältnis zwischen den Geschlechtern nimmt im System der politischen Institutionen, Apparate und Organisationen eine konkrete Gestalt an. Das bedeutet also, dass Geschlechterkonflikte auf dem Feld und in den Arenen des Staates ausgetragen werden. Der Staat ist somit nicht nur Arena von „Klassenauseinandersetzungen“, sondern auch von „Geschlechterkämpfen“.

Historisch spezifische staatliche Geschlechterpolitik sowie die Geschlechtlichkeit staatlicher Institutionen können sich aber stets verändern und sind Gegenstand fortwährender sozialer Kämpfe. Es können sich folglich historisch unterschiedliche „Geschlechterregime“ je nach vorherrschenden hegemonialen Geschlechterordnungen bzw. Männlichkeiten herausbilden. Die spezifische Geschlechterdimension eines konkreten Staatsprojektes verändert sich mit den unterschiedlichen historischen und räumlichen Gegebenheiten. Die Art und Weise wie sich der „männliche“ Charakter eines Staates konkret ausdrückt, kann daher je nach Land und Zeit variieren. Die konkrete Männlichkeit eines bestimmten Staates wird also selbst permanent neu konstruiert (vgl. Sauer 1997, 47; siehe auch Demirovic/Pühl 1997, 227). Diese historisch-spezifische Sichtweise kann den z.T. durchaus positiven Veränderungen im Verhältnis von Geschlecht und Staat gerecht werden.

Nicht zu vergessen ist jedoch, dass die innerhalb des Staatsapparates abspielenden Kämpfe und Auseinandersetzungen strukturellen Bedingungen und Zwängen unterliegen. Damit ist also der Zwang der politischen Form, also die Trennung von Staat und Gesellschaft und damit zusammenhängend die Trennung von Produktion und privater Reproduktion gemeint. Der moderne Staat kann daher patriarchale Verhältnisse zwar modifizieren, jedoch gemäß seiner Formbestimmtheit nicht grundsätzlich auflösen. Ziel kritisch-feministischer Theorie muss es somit sein, die Kategorie des Staates selbst anzugreifen. Es gilt – um mit John Holloway zu sprechen – den patriarchal-kapitalistischen Staat nicht „zu verstehen, sondern ihn zu entfetischisieren und damit aufzuheben.“ (Holloway 1998, 16) Die Theorie wird damit zur Kritik.

Literatur

Becker-Schmidt, Regina 1998: Trennung, Verknüpfung, Vermittlung: zum feministischen Umgang mit Dichotomien, in: Knapp, Gudrun-Axeli: Kurskorrekturen. Feminismus zwischen Kritischer Theorie und Postmoderne, Frankfurt/Main, S. 84-125.

Connell, Robert W. 1990: The state, gender, and sexual politics. Theory and appraisal, in: Theory and Society, H. 19, S. 507-544.

Demirovic, Alex/Pühl, Katharina 1997: Identitätspolitik und die Transformation von Staatlichkeit: Geschlechterverhältnisse und Staat als komplexe materielle Relation, in: Kreisky, Eva/Sauer, Birgit (Hg.): Geschlechterverhältnisse im Kontext politischer Transformation, PVS, Sonderheft 28, Opladen/Wiesbaden, S. 220-240.

Esser, Josef (1985): Staat und Markt; in: Fetscher, Iring/Münkler, Herfried (Hg.): Politikwissenschaft. Begriffe - Analysen - Theorien. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg, S. 201-244.

Genetti, Evi 1998: Die GeschlechterGrenze des bürgerlichen Staates. Zur Kritik der Geschlechtergleichheit im Wohlfahrtsstaat, Wien (Diplomarbeit)

Hirsch, Joachim 1995: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus, Berlin.

Hirsch, Joachim 2001: Die Internationalisierung des Staates. Anmerkungen zu einigen aktuellen Fragen der Staatstheorie; in: Hirsch, J./Jessop, B./Poulantzas, N.: Die Zukunft des Staates, Hamburg, S. 101-138.

Holloway, John 1998: Kritik und Sozialwissenschaften; in: Görg, Christoph/Roth, Roland (Hg.) 1998: Kein Staat zu machen. Zur Kritik der Sozialwissenschaften, Münster, S. 14-19.

Kreisky, Eva 1995a: Der Staat ohne Geschlecht? Ansätze feministischer Staatskritik und feministischer Staatserklärung, in: dies./Sauer, B. (Hg.): Feministische Standpunkte in der Politikwissenschaft. Eine Einführung, Frankfurt/Main, S. 203-222.

Kreisky, Eva 1995b: Der Stoff, aus dem die Staaten sind. Zur männerbündischen Fundierung politischer Ordnung, in: Becker-Schmidt, Regina/Knapp, Gudrun-Axeli (Hg.): Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften, Frankfurt/New York, S. 85-124.

Pateman, Carole 1994: Der Geschlechtervertrag [1988], in: Appelt, Erna / Neyer, Gerda (Hg.): Feministische Politikwissenschaft, Wien, S. 73-95.

Sauer, Birgit (1998): „Antipatriarchale Staatskonzepte. Plädoyer für Unzeitgemäßes“, in: Juridikum. Zeitschrift im Rechtsstaat, Nr. 1, S. 18-21.

Sauer, Birgit (2001): Die Asche des Souveräns. Staat und Demokratie in der Geschlechterdemokratie, Frankfurt/New York.

© links-netz Juni 2003