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Risiken des Alarmismus – Leben mit dem Klimawandel?

Christoph Görg

Vor über zwanzig Jahren, in der Hochzeit der Empörung über den Atom-GAU in Tschernobyl, stellte Niklas Luhmann lapidar fest: die ökologische Kommunikation erzeuge manchmal auch zu viel unnütze Aufregung in den Funktionssystemen der Gesellschaft. Der Aufschrei der ökologischen Community war natürlich groß und auch nicht ganz unberechtigt. An Luhmanns Behandlung ökologischer Probleme muss man kritisieren, dass er auf diese Weise besonders den Protest sozialer Bewegungen abzuwerten versuchte. Doch der Vorwurf des bodenlosen Zynismus, damals häufig gegen ihn erhoben, traf nicht den Punkt. Wie sehr er in seinem skeptischen Blick auf die Grenzen der gesellschaftlichen Verarbeitungsfähigkeit der ökologischen Krise Recht behalten sollte, zeigt sich gerade im allgemeinen Klimahype dieses Frühjahrs.

Nachdem der Stern-Report über die Kosten des Klimawandels schon den Boden bereitet hatte, erzeugte der 4. Sachstandsbericht des „Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderung“ – so heißt der IPCC im Bürokratendeutsch – tatsächlich einige Aufregung – ob nützlich oder nicht, das ist hier die Frage. Auf den ersten Blick scheint sie leicht zu beantworten: nahezu jeder Politiker oder Journalist kennt inzwischen die Abkürzung IPCC, die früher nur Spezialisten vertraut war. Mehr noch: die Botschaft von einem Klimawandel, der längst Realität geworden ist und unbedingtes Handeln erfordert, scheint zumindest in der deutschen Öffentlichkeit wie auf der politischen Ebene angekommen zu sein. Von den Gipfelhöhen der G8 über die Regierungen der meisten Ländern bis zu den Kommunen, den Unternehmen und Konsumenten ist Handeln angesagt: Klimaschutz hat – wortwörtlich – Konjunktur! Denn es sind die Aktien der solange belächelten „alternativen Energien“ bzw. der sie entwickelnden Firmen, die derzeit boomen. Da dieser Erfolg aber wenigstens zum Teil der Botschaft des IPCC angerechnet wird, mutierte dieser inzwischen zum Erfolgsmodell eines wissenschaftlichen Beratungsgremiums, ein Vorbild auch für andere Bereiche des globalen Umweltwandels wie die biologische Vielfalt.

Doch bei genauerer Betrachtung wachsen die Zweifel daran, dass diese Aufregung wirklich auch eine nützliche ist. Das fängt bei der Botschaft des IPCC selbst an. Die Bedeutung dieses Gremiums liegt und lag auch schon in den vergangenen zwanzig Jahren darin, dass unter den Wissenschaften ein globaler Konsens über den Stand des verfügbaren Wissens hergestellt wird. Wie aber schon der Name sagt wird dieser Abstimmungsprozess von den Regierungen kontrolliert. Nur so lässt sich nach allgemeiner Auffassung auch gewährleisten, dass diese das Ergebnis auch wirklich ernst nehmen. Das heißt wiederum nicht, dass nicht weiterhin offene und umstrittene Fragen in den Wissenschaften existieren würden. Der IPCC sorgt vielmehr dafür, dass den Ergebnissen, auf die sich die beteiligten WissenschaftlerInnen einigen können und die dann auch den Segen der beteiligten Regierungen erhalten, weltweit öffentliche Aufmerksamkeit sicher ist. Nur daher nehmen diese den IPCC auch so ernst, und zwar in einem Maße, dass dessen Botschaft in den letzten Verhandlungsrunden auf Druck der üblichen Verdächtigen, an der Spitze die USA, noch erheblich abgeschwächt wurde. Die einzelnen Befunde sind aber weder neu, noch malen sie die möglicherweise drohenden Folgen in aller Dramatik aus. Sie stellen (nur?) das dar, was heute allgemein als Realität des Klimawandels anerkannt wird – oder werden sollte, denn natürlich wird auch diese Botschaft noch bekämpft, von der US-Administration bis zur FAZ. Gleichwohl sind seine Resultat immer noch so brisant, dass sich selbst in den USA die Kräftekonstellationen zu verschieben beginnen. Ist die Aufregung letztlich nicht also doch hilfreich?

Doch die Botschaft des IPCC ist nicht nur politisch überformt und abgeschwächt, sie ist auch für viele Interpretationen offen. Obwohl die Arbeitsgruppe 3 des IPCC, verantwortlich für die Formulierung von Gegenmaßnahmen, der Atomkraft nur eine – immerhin! – untergeordnete Rolle beimisst, steht sie in vielen Kontroversen im Vordergrund. Vor diesem Hintergrund haben die Protagonisten einer Dinosauriertechnologie, deren Sicherheitsprobleme notorisch, deren Entsorgungsprobleme offenkundig, deren Begrenztheit im Hinblick auf längerfristige Szenarien und Einsatzmöglichkeiten im Energiemix bekannt sind und die sich nicht von ihren militärischen Anwendungsformen sauber trennen lässt, in Deutschland eine kaum noch für möglich gehaltene Renaissance erreicht. Das ist aber nur ein Beispiel für die Folgen unnützer Aufregung, dafür, wie wissenschaftliche Resultate von vielerlei Interessen instrumentalisiert werden können.

Auch in anderen Bereichen wachsen die Gefahren unnützer Aufregung. Wer im Frühjahr dieses Jahres in den beteiligten Ministerien oder Verwaltungen irgendein anderes Umweltthema zur Sprache bringen wollte, dem wurde lapidar beschieden: wg. Klimahype derzeit nicht ansprechbar! Das wäre ja auf den ersten Blick noch zu entschuldigen, denn die Kapazitäten sind begrenzt und daher müssen Prioritäten gesetzt werden. Im Hintergrund lauert jedoch hier jedoch die von Luhmann diagnostizierte Irrationalität gesellschaftlicher Funktionssysteme, die letztlich nur ihre eigenen Codes im Auge haben und insofern „operativ geschlossen“ sind. Erfahrenen und aufgeklärten VertreterInnen der Administration ist dabei durchaus klar, dass der Hype bald ein Ende haben wird. Daher heißt die Devise: soviel durchsetzen wie möglich so lange es noch geht – im Interesse des eigenen Ministeriums, des eigenen Forschungsinstituts etc. Inwieweit dies den Problemlagen gegenüber auch angemessen ist, eine ganz andere Frage. Dabei kommt es zu teilweise absurden Entscheidungen, werden Millionen in prestigeträchtige Vorhaben und Forschungsprojekte gesteckt, um Aktivitäten vorweisen zu können. Triebkräfte dafür sind nicht zuletzt die bekannten Konkurrenzen zwischen Regierung und Opposition oder zwischen den Ministerien: wenn Umweltminister Gabriel bei der Verteidigung des „Atomkonsenses“ derzeit erfolgreich den Erzengel spielt, versucht seine Kollegin Schavan eben mit dem Klimathema zu punkten. Auch die Kanzlerin darf da in EU und G8 nicht fehlen, denn Klima ist nun einmal prädestiniert dazu staatsfrauliche Größe zu beweisen.

So weit, so bekannt. Doch die Erzeugung unnützer Aufregung beschäftigt ja nicht nur die Codes von Politik und Ökonomie, sie hat, mehr noch als Luhmann das damals zugeben wollte, auch direkte Auswirkungen auf die Gestaltung der Naturverhältnisse. Da jedoch lässt sich am Beispiel des Klimahypes die Irrationalität des Gesamtsystems anschaulich demonstrieren. Längst ist klar, dass der globale Klimawandel schon Realität und nicht mehr abzuwenden, seine Folgen aber höchst unterschiedlich sind für verschiedene Regionen und soziale Gruppen. Es geht eben nicht nur um die Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur oder des Meeresspiegels, sondern um die massive Beeinträchtigung regionaler Klimakreisläufe und deren höchst unterschiedliche Folgen auf Mensch und Natur: von zunehmenden Extremereignissen wie Stürmen, dem Abtauen der Gletscher und Permafrostböden (mit entsprechendem Katastrophenpotential) bis zu mehr Trockenheit in einigen, zunehmenden Niederschlägen in anderen Regionen. Auch die Auswirkungen auf einzelne Gesellschaften und bestimmte sozialen Gruppen sind höchst gegensätzlich und den Annahmen einer „Weltrisikogesellschaft“ (U. Beck), die durch globale Bedrohungen zusammengeschweißt werde, völlig entgegengesetzt.

Ökologische Verwundbarkeiten potenzieren vielfach noch soziale Ungleichheiten, in den Überschwemmungsgebieten Bangladeshs wie in den Trockengebieten Afrikas. So benennt der IPCC Afrika als die Region, die unter dem Klimawandel am meisten zu leiden haben wird (während Russland und Teile der USA durchaus auch Vorteile haben werden). In Bangladesh dagegen, dass sich anders als vielleicht die Niederlande nicht durch höhere Deiche helfen kann, sind die katastrophalen Konsequenzen zunehmender Überschwemmungen für die ärmsten Bevölkerungskreise wie für die Ökosysteme (Versalzung der Böden, was wiederum den Druck auf die Wälder erhöht) schon heute abzusehen.

Wenn aber soziale Marginalisierungen durch den Klimawandel oftmals sogar noch verschärft werden, dann wird dieses wechselseitige Hochschaukeln durch Maßnahmen der Klimapolitik sogar nochmals verstärkt. Und zwar durch Maßnahmen, die gerade im Kontext des Klimahypes angesiedelt sind und durch ihn gerechtfertigt werden. Manche Strategien zur Senkung der Treibhausgase, weit davon entfernt, dieses Ziel wirklich zu erreichen, verstärken nämlich gerade diese gefährliche Überlappung sozialer und ökologischer Krisenerscheinungen. Besonders prominent ist dabei die Strategie, fossile Kraftstoffe durch Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen zu ersetzen um dadurch die Emission von Treibhausgasen zu senken. Wie immer diese als „Bio“-Kraftstoffe kulturindustriell veredelt wird – die Konsequenzen sind fatal. Weil dadurch einerseits Nahrungsmittel wie Mais, Soja oder Zuckerrohr verfeuert werden, steigen die Preise für Grundnahrungsmittel – in einigen Ländern schon heute in dramatischer Weise. So haben sich in Mexiko die Preise für Tortillas in kurzer Zeit fast verdoppelt. Die internationale NGO GRAIN bezeichnet die Produkte daher auch als „Agrofuels“. Andererseits werden für manche Ausgangsstoffe wie Palmöl und Zuckerrohr in Indonesien, Malaysia und Brasilien wertvolle Regenwälder abgeholzt. Dies trägt nicht nur zur Erosion der biologischen Vielfalt bei, sondern ist, da dadurch CO2-Senken vernichtet werden, selbst im Hinblick auf die Gesamtbilanz der Treibhausgas-Emission völlig kontraproduktiv. Kritische NGOs und Basisbewegungen fordern daher vehement einen Bann dieser Biokraftstoffe und generell eine Zertifizierung nachwachsender Rohstoffe.

Hinter dieser fatalen Tendenz steht aber letztlich die Strategie einiger Länder (sowohl aus der Gruppe der Industrie- als auch der der Entwicklungsländer), den Anteil der Biokraftstoffe zu erhöhen, sei es, um die nationale Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren – die USA hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, den Vorbrauch an Erdöl in den nächsten zehn Jahren um 20 % zu senken und das meiste durch Biokraftstoffen wie Ethanol zu ersetzen –, sei es, um damit Klimaziele zu erreichen – die Ziele der EU sind kaum weniger ambitioniert: Zunahme der Biokraftstoffe um 10% bis 2020 – oder schlicht um sich wie Brasilien die führende Position in einem neuen Technologiezweig zu sichern. Selbst das weniger ambitionierte Ziel von EU und Deutschland ist aber auf dem eigenen Territorium nicht zu erreichen und es wird daher die globalen Abhängigkeiten in der Nutzung der natürlichen Ressourcen auf neue Produkte ausweiten und vertiefen. Aufgrund der strategischen Relevanz der Ausgangsstoffe – zur Nahrungsmittelsicherheit und zur Energiegewinnung – könnten die Folgen dramatischer nicht sein: Werden nachwachsende Rohstoffe bald zur Kriegsursache des 21. Jahrhunderts? Auf jeden Fall wird deutlich, wie der Klimahype den Hype um Energie aus Biomasse anstachelt und dass er insofern im eigentliche Sinne nicht nur unnütze Aufregung darstellt: es ist eine höchst nützlich Aufregung zur Legitimation zweifelhafter Strategien! Obwohl schon des längeren bekannt ist, dass wir es bei globalen Umweltprobleme gerade mit komplexen Querschnittsthemen zu tun haben, die in ihren Wechselwirkungen – zwischen dem Klimawandel, dem Verlust und der Nutzung von biologischer Vielfalt, der Wasserversorgung etc. – gesehen werden müssen, erzeugt diese Aufregung immer wieder eine gefährliche Blickverengung, meist auf technologische Lösungsoptionen. Dahinter steht aber die Weigerung, den westlichen Lebens- und Konsumstil einschließlich seiner energetischen und stofflichen Grundlagen – und damit die global dominante Form gesellschaftlicher Naturverhältnisse – zur Disposition zu stellen.

Der Klimawandel ist also schon längst Realität – und wir müssen lernen, mit diesem globalen Umweltwandel im eigentlichen Sinne zu „leben“. Dafür helfen solche kurzfristigen Alarmbotschaften nur sehr wenig. Sie erzeugen zwar sowohl nützliche als auch unnütze Aufmerksamkeit. Die eigentliche Frage aber bleibt: Qui bono? Wem nützt die Botschaft, welche Interessen befördert sie? Wo schadet sie mehr als sie nützt, weil sie die öffentliche Kommunikation in gefährlicher Weise eng führt und von den sozialen und ökologischen Nebenwirkungen ablenkt? Wie also sind die Risiken des Alarmismus zu bewältigen, wenn wir denn schon nicht völlig auf alarmierende Botschaften verzichten können? Denn der Zustand der globalen Naturverhältnisse drängt diese allemal auf.

© links-netz August 2007