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Krieg und Frieden Übersicht

 

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Von der Pax Americana zum Bellum Americanum

oder: Krieg als Terror

Christoph Görg

Nach dem zweiten Weltkrieg galt Jahrzehntelang die politische, ökonomische und militärische Vorherrschaft der USA, die pax americana (R. Cox), als einer der Garanten einer stabilen kapitalistischen Wachstumskonstellation. Das "goldene Zeitalter des Kapitalismus" beruhte demnach zu wesentlichen Teilen nicht nur auf nationalen Klassenkompromissen, sondern bedurfte auch einer internationalen Absicherung, die, wie auch die nationalen Kräftekonstellationen, hegemonial angelegt war: Es war nicht die unmittelbare Macht dominanter Akteure im nationalen wie im internationalen Raum, die halbwegs stabile gesellschaftliche Verhältnisse mit sich brachte, sondern die Fähigkeit dieser Akteure zur politischen Führung und zur partiellen und selektiven Integration schwächerer Akteure in einen sozialen Kompromiss, in dem gleichwohl die Interessen der Mächtigen den Ton angaben. Damit ist es schon seit einigen Jahren vorbei. Nicht nur gehört diese gesellschaftliche Konstellation der Vergangenheit an; es gibt auch viele Anzeichen dafür, dass die gegenwärtige Konstellation im globalen Rahmen gerade durch das Fehlen von Hegemonie gekennzeichnet ist. Was dies allerdings bedeuten könnte, dies zeichnet sich erst in einigen groben Zügen ab. Im Hinblick auf die Struktur der internationalen Beziehungen und insbesondere auf die Rolle von Gewalt und Krieg in ihnen ließen sich die Veränderungen mit den Begriffen: von der pax americana zum bellum americanum einfangen. Dies impliziert wiederum eine tiefgreifende Veränderung im Charakter des Krieges als Mittel der Politik, die sich mit der Formel: »Krieg als Terror« beschreiben lässt.

Zunächst muss man sich allerdings klar machen, dass beide Begriffe, sowohl die pax americana als auch der bellum americanum gerade nicht das meinen, was man zunächst mit ihnen assoziiert: Weder war die pax americana eine Situation, auf die das Wort Friede in irgendeiner sinnvollen Bedeutung anzuwenden wäre, noch ist der bellum americanum ein Krieg im herkömmlichen Verständnis des Wortes. Zunächst zum ersten Begriff. Die pax americana war zwar eine historisch gesehen stabile Situation, in der das Wohlstandsniveau der meisten Industrieländer in historisch gesehen einzigartiger Weise angestiegen ist. Aber sie war dabei weder friedlich noch auf andere Regionen der Welt übertragbar. Selbst in Europa, in der wir die längste Epoche ohne manifeste Kriege erlebt haben, war diese Situation nur durch die Androhung der wechselseitigen Vernichtung erreicht worden. Im Rahmen der bipolaren Weltordnung war eben keine Friedensordnung am Werk, sondern eine, in der Kriege nur noch bei Gefahr der eigenen Selbstvernichtung als Mittel der Politik in Betracht kamen. Selbst da gab es niemals eine Gewähr dafür, dass diese auf dem "Gleichgewicht des Schreckens” aufgebauten "Friedensordnung” auch funktionieren würde, wie die Kubakrise und andere Ereignisse zeigen. Gleichzeitig verlagerte sich die "Systemkonkurrenz”, die faktisch eher eine Machtkonkurrenz war, auf die Länder des Südens und artikulierte sich in einer kaum überschaubaren Anzahl von Stellvertreterkämpfen. So kam es zu der Paradoxie, dass die friedlichste Epoche in Europa und Nordamerika zugleich die Epoche mit den meisten Kriegen weltweit war, in der die Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung in erschreckendem Masse anstieg. Statt von Frieden sollte man also eher davon sprechen, dass Krieg und Gewalt in dieser Epoche relativ ungebrochen exportiert werden konnten. Ursache von Krieg und Gewalt sind dabei die gesellschaftlichen Widersprüche und Konflikte innerhalb und zwischen den nationalstaatlich integrierten Gesellschaften. Diese konnten jedoch in der fordistischen Phase in den führenden kapitalistischen Industriestaaten einigermaßen stabilisiert und aufgefangen werden. Dazu bedarf es im Rahmen der Nationalstaaten eines funktionierenden Staates, der sein Gewaltmonopol und seine Steuerungskompetenzen dazu einsetzen kann, die Krisen und die Folgen sozialer Widersprüche zu externalisieren. Doch dazu sind jedoch Nationalstaaten seit der Krise der Fordismus und der neoliberalen Umstrukturierung im Kontext der Globalisierung immer weniger in der Lage.

Doch nicht nur die innergesellschaftlichen Formen der Konfliktaustragung änderten sich seit Mitte der 1970er Jahre, wodurch die im System anstauten Gewaltverhältnisse wieder offenkundiger zum Vorschein kommen. Das Ende der Blockkonfrontation bedeutete vor allem das Ende der "alten Weltordnung" und die Etablierung einer "neuen Weltordnung durch Georg Bush sen. im Gefolge des Golfkrieges von 1991. Zunächst wurde auf diese Situation noch eher ideologiekritisch reagiert und der "neuen Weltordnung" unter dem Label der "neuen Welt-Un-Ordnung" mit Verweis auf ihren zunehmend unfriedlichen Charakter das Kennzeichen der Ordnung abgesprochen. Doch inzwischen ist deutlich geworden, dass es sich tatsächlich um eine neue Ordnung der internationalen Beziehungen handelt. Strittig ist aber, wie man diese neue Weltordnung insgesamt begreifen kann. Zwei Aspekte scheinen dabei wichtig zu sein. Einmal gehen in dieser neuen Weltordnung Recht und Macht Gewalt eine völlig neue Synthese ein, neu zumindest im Rückblick auf das 20. Jahrhundert. Und in diesem Kontext wird auch das Verhältnis von (politischer) Macht und (militärischer) Gewalt neue definiert. Aus diesem Grund nehmen – zweitens – auch Kriege eine neue Form an. Das erste Phänomen kann man als bellum americanum bezeichnen, während das zweite Phänomen eine neue Form des Krieges, nämlich Krieg als Terror etabliert.

Das erste Phänomen lässt sich anhand der Reaktionen von Juristen und besonders Völkerrechtlern gut demonstrieren. In der Zeit vom 2.10.02 hat Reinhard Merkel unter dem Titel: "Amerikas Recht auf die Welt" die völkerrechtlichen Dimensionen der gegenwärtigen Debatten um den Krieg gegen Irak auf durchaus eindrucksvolle Weise beleuchtet. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass ein Präventivkrieg gegen Saddam Hussein nicht nur ein Verstoß gegen geltende Normen des Völkerrechts wäre, sondern gegen jedes Völkerrecht, dass noch sinnvoll als Recht bezeichnet werden kann, also die Rechtsform annimmt. Diese scharfe Kritik, die politisch gesehen höchst bedeutsam ist, ist gleichzeitig theoretisch und vor allem im Hinblick auf die Möglichkeit eines Begreifens der historischen Situation nicht unproblematisch, weil hier gerade die neue Synthese von Recht und Macht übersehen wird. Merkel geht davon aus, dass auch angesichts aller Interpretationsprobleme des Völkerrechts, die gerade von der amerikanischen Regierung dazu genutzt werden, ihre eigenen Interpretationen autoritativ durchzusetzen, ein Präventivkrieg die Grundlagen des Völkerrechts außer Kraft setzt und auch nicht in er Lage wäre, eine neue Norm des Völkerrechts zu erzeugen. Er begründet diese Einschätzung auf dem Diktum, dass ein Präventivkrieg, ohne dass irgendwelche konkreten Absichten für einen tatsächlich bevorstehenden Überfall zu erkennen sind, das Gewaltverbot des Völkerrechts aufhebt und damit, und das ist letztlich entscheidend, die Grundlagen der Rechtsform: "Jedes Recht beginnt erst mit dem Gewaltverbot", heißt es bei Merkel.

Nun ist dieses Diktum bei Licht betrachtet nicht ganz zutreffend. Denn Recht beginnt – nicht historisch, sondern systematisch gesehen – nicht beim Gewaltverbot, sondern bei der Monopolisierung legitimer Gewalt im Staat. Die Ausübung von Gewalt wird nur anderen Akteuren verboten, dem Staat und seinen Organen gerade deswegen aber zugestanden. Zwar sind andere Formen von Recht denkbar, in dem Akteure angesichts der Rechtsform auf die Anwendung von Gewalt verzichten, ohne dabei das "Monopol legitimer Gewaltsamkeit" (M. Weber), den Staat, in Anspruch zu nehmen. Aber systematisch ist dieses Monopol gerade dann entscheidend, wenn soziale Konflikte und antagonistische Interessen nur bedingt in eine normative Ordnung integriert werden können – sprich: Wenn gesellschaftliche Widersprüche und Konflikte einen die bestehenden Verhältnisse sprengenden Verlauf nehmen könnten. Gerade dann kommt dem Staat die Aufgabe zu, diese Ordnung abzusichern, notfalls auch mit Gewalt – und dafür gab und gibt es im internationalen Bereich keinen Ersatz. Zudem hat auch historisch im Hinblick auf die Entwicklung des Völkerrechts gesehen dieses keineswegs seinen Anfang genommen mit dem Gewaltverbot, sondern mit Regeln zur geordneten Kriegsführung zwischen souveränen Staaten. Das Gewaltverbot des Völkerrechts war also einmal schon immer ein höchst unvollkommener Ersatz für dieses Gewaltmonopol. Daher implizierte es zunächst gerade kein Gewaltverbot, sondern nur dessen Eingrenzung, bevor dann nach dem zweiten Weltkrieg unter dem Dach der UNO erstmals ein Verbot des Krieges durchgesetzt wurde. Doch genau damit scheint es nun vorbei zu sein – und daher fühlen sich auch viele BeobachterInnen ins späte 19. Jahrhundert und das Streben des deutschen Kaiserreichs nach einem "Platz an der Sonne" zurückversetzt.

Damit scheint sich eine neue Synthese von Recht und Macht zu etablieren, die die positiven Elemente der Rechtsform weitgehend wieder rückgängig macht und auch Gewalt wieder als Mittel der Machtpolitik sanktioniert. So hatte das Völkerrecht die sinnvolle Implikation (wie die Rechtsform überhaupt), mächtige Akteure an die Einhaltung bestimmter Regeln und Verfahren zu binden. Gerade in den internationalen Verhältnissen, aber auch in den nationalen Konstellationen einer wachsenden Zahl von Staaten sind aber mehr und mehr Konflikte zu erkennen, die die Selbstbindung der Staatsgewalt und der Herrschenden an rechtliche Regelungen außer Kraft setzt. Man braucht nicht erst auf die Probleme bei der Einrichtung des internationalen Strafgerichtshof zu verweisen, er reichen die Einschränkungen im nationalen Rahmen zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze (Unschuldsvermutung etc.). Was sich aber abzeichnet, das ist nicht so sehr das Ende er Rechtsform (wie Merkel befürchtet), weder im nationalen noch im internationalen Rahmen und trotz oder sogar wegen des offenkundigen Bruchs des Völkerrechts. Was sich abzeichnet sind auch keine neuen völkerrechtlichen Normen, da mag Merkel Recht haben. Was sich abzeichnet, dass ist eine neue Synthese von Recht und Macht, die ein neues Verhältnis von Macht und Gewalt nach sich zieht. Macht und das Gewaltpotential stärkerer Akteure – und hier vor allem die Regierung der USA – setzen in viel direkterer Weise eine bestimmte, ihren Interessen dienende Ordnung durch, als dies in Zeiten einer globalen Hegemonie der USA denkbar erschien, als noch die Beratung mit "Verbündeten" und selbst dem geostrategischen Gegner sinnvoll und notwendig erschien. Hier findet also keine Berücksichtigung subalterner Interessen mehr statt – und deswegen kann es der amerikanischen Regierung letztlich egal sein, was die Bundesregierung oder andere Nato-"Partner" zum Krieg sagen, solange dies die amerikanische Öffentlichkeit nicht zu sehr beunruhigt.

Dies alles ist die eine Seite einer unilateralen Weltordnung, die zwar von der ökonomischen und militärisch-politischen Dominanz eines Akteurs, den USA, geprägt ist, die aber gerade keine durch Hegemonie, d.h. durch Führung und Zustimmung geprägte Ordnung mehr darstellt. In dieser Weltordnung scheinen aber deshalb nicht nur Kriege in neuer Form endemisch zu werden, es scheint auch der Gegensatz zwischen Krieg und Nicht-Krieg (von Frieden ganz zu schweigen) zu verschwinden. Deshalb ist der bellum americanum auch kein Krieg im herkömmlichen Sinne mehr. Man kann dies durch die Gegenüberstellung verschiedener Formen des Krieges verdeutlichen. Bis zum ersten Weltkrieg kennen wir die Epoche der imperialistischen Kriege, bei denen es um die Kontrolle um ein Territorium ging. Der erste Weltkrieg ist begonnen worden als Höhepunkt dieser imperialistischen Epoche, aber er endete schon als Beginn einer neuen Phase, der Phase des Expansions- und Vernichtungskrieges, wie er dann im Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion und andere Länder paradigmatisch in Erscheinung getreten ist. Zwar kannte dieser Krieg auch noch die Zielsetzung einer territorialen Expansion, aber in der Wahl der Mittel und auch in den Zielen selbst ging er weit darüber hinaus und verlor die letzten "rationalen" Anteile des imperialistischen Krieges. Mehr als um die Kontrolle über ein Territorium und die darauf befindlichen Ressourcen ging es um die Ausrottung und Vertreibung der Bevölkerung in Gegenden, auf die der Expansionsdrang sich richtete. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs haben wir wieder eine neue Situation, die durch den kalten Krieg einerseits, die Stellvertreterkriege in der 3. Welt andererseits geprägt war. Währen der kalte Krieg Elemente des Vernichtungskrieges erbte, insofern die angedrohte vollständige Vernichtung des Gegners nun zu einem Drohelement umfunktioniert und in die militärische Strategie eingebaut wurde, enthielten die Stellvertreterkriege Elemente einer neuen Konstellation, die nach 1989 prägend geworden ist: Krieg als Terror. Hier werden in gewisser Weise sogar Elemente des imperialistischen Krieges wieder virulent, da es um die Sicherung geostrategischer Einflusssphären geht. Nur wird dabei mehr und mehr die Kontrolle über das Territorium, das ja auch schon zuzeiten der Stellvertreterkriege Quasi-Statthaltern übertragen wurde – von Pinochet bis zu Saddam Hussein -, nicht mehr direkt ausgeübt – und angesichts der Tendenzen zur Verselbständigung dieser Statthalter – dafür ist Saddam das beste Beispiel – scheint man lieber auf den Aufbau machtvoller Regierungen verzichten zu wollen. Jedenfalls scheint es kaum ernsthafte Anstrengungen und noch weniger Anlass zu Hoffnungen zu geben, in Afghanistan tatsächlich eine stabile staatliche Ordnung aufzubauen. Die Zielsetzung geht in eine andere Richtung, für die der Begriff des Terrors steht – Terror nicht im Sinne des Angriffs auf eine staatliche Ordnung (Terrorismus), sondern als Gewaltanwendung im Interesse eines Staates und zur Sicherung seiner Herrschaftsinteressen. Das historische Vorbild für den Terror ist der Terreur der französischen Revolution. Gewalt wird hier vor allem zur Einschüchterung des Gegners eingesetzt, zur präventiven gewaltförmigen "Befriedung" möglicher Widersacher bis hin zur physischen Liquidierung aller derjenigen, bei denen auch nur der Verdacht besteht, dass sie einer bestimmten Ordnung gefährlich werden könnten. Zentral ist dabei nicht so sehr die Wahl der Mittel oder die sozialpsychologische Methode der Verängstigung, sondern die systematische Bereitschaft, zur Verfolgung der eigenen Interessen alle Herrschaftsmittel auch tatsächlich einzusetzen.

Man sieht an diesem kurzem historischen Abriss: die Wandlungen des Krieges sind graduell und nicht trennscharf. Spätere Phasen erben Epochen früherer, und selbst der imperialistische Krieg ist nicht völlig verschwunden. Nicht ohne Grund entdecken viele Beobachter Analogien zwischen der Strategie der derzeitigen US-amerikanischen Regierung, ihre geostrategischen Interessen auch unter Bruch des Völkerrechts durchzusetzen, und der Expansionsstrategie des deutschen Kaiserreichs im Vorfeld des ersten Weltkriegs. Aber solche Analogien, die davor schützen können, historische Brüche zu sehr zu überhöhen, haben auch ihre Grenzen. Vor allem wird eine Grenze mehr und mehr verwischt, die bis zum zweiten Weltkrieg noch viel deutlicher ausgeprägt war: Die Grenze zwischen Krieg und Nicht-Krieg. Schon in den unzähligen Stellvertreterkriegen deutete sich an, was seit 1989 immer prägender geworden ist: dass Kriege niedriger Intensität quasi permanent geführt werden. Der 2. Golfkrieg gegen den Irak kannte noch eine Kriegserklärung und er hatte noch einen eindeutigen Beginn. Doch seitdem geht der Krieg seit 1991 eigentlich fast ununterbrochen weiter – und die Abrüstungsauflagen wie das Embargo sind eher ein Element eines Krieges denn seine Verhinderung. Daher spielen auch die heutigen Debatten in der Öffentlichkeit um die Notwendigkeit eines UN-Beschlusses oder um den Nachweis einer militärischen Bedrohung eigentlich keine zentrale Rolle mehr. Interessant an letztem ist vielmehr, wie wenig die diversen Geheimdienste noch auf ihr ureigenstes Geschäft, die Fälschung von Fakten und die Irreführung der Bevölkerung, konzentriert sind und wie schludrig sie ihre Arbeit machen – die "Beweise" sind eh nicht mehr so wichtig. Gleichzeitig scheinen auch alle anderen Legitimationen des Krieges – von menschenrechtlichen Erwägungen ("humanitäre Intervention") bis zur Zusammenarbeit mit der UNO – zunehmend irrelevant zu werden. Wo Kriege endemisch geworden sind, werden Begründungen kontingent! In der Öffentlichkeit und selbst unter vermeintlich kritischen Intellektuellen wird diese Situation dann noch als eine Form der Befriedung, als globale Polizeiaktion verharmlost – obwohl die angebliche Polizei sich durch nichts mehr vom Banditen unterscheidet.

Auch der 11. September bzw. die Reaktionen der Regierung in Washington darauf können deutlich machen, was Krieg als Terror bedeutet. Denn letztlich bleibt es verwunderlich, warum die Regierung überhaupt nicht erwogen hat, dies schlicht und einfach als ein äußerst brutales, menschenverachtendes Verbrechen zu brandmarken, anstatt den Anschlag als Kriegserklärung quasi nachträglich noch zu adeln. In Kriegen wurden noch viel größere Verbrechen begangen – von vielen Ländern einschließlich den USA. Natürlich spielten dabei die schon lange vor dem 11. September geplanten geostrategisch motivierten Aktionen eine wichtige Rolle, genauso wie der Schock der Zivilbevölkerung, den diese Attacke in ihrem vermeintlich sicherem Land auslöste (obwohl gerade dieser Schock durch die Interpretation als Krieg und nicht als Verbrechen sogar noch geschürt worden sein dürfte). Die harte Kritik von Al Gore an der Haltung der Bush-Administration macht jedoch deutlich, warum letztlich die Kriegsdeutung so schnell und quasi unhinterfragt sich etablieren konnte – die US-Regierung erkannt – wohl unbewusst und spontan – in diesen Terror-Attacken ihre eigenen Strategien wieder und interpretierte sie als Kriegserklärung. So wie sie selbst seit Jahren zahlreiche Ziele in der Welt mit Mitteln des Terrors überzogen hat, um tatsächliche oder potentielle Gegner zu demoralisieren oder zu liquidieren, so hat sie auch diese Anschläge interpretiert. Auch dies belegt: Der Terror ist zum Markenzeichen der "neuen Weltordnung" geworden – und dies schon vor dem 11. September.

© links-netz Oktober 2002