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The Transnationalization of tertiary education
in a global civil society*
Eva Hartmann
Im Dezember 2003 werden sich verschiedene
Organisationen der Vereinten Nationen (VN) und andere international agierende
Akteure unter der Schirmherrschaft der Internationalen Telekommunikationunion
zum world summit on the information society in Genf treffen. Eine
Nachfolgekonferenz ist für 2005 in Tunis geplant. Der offizielle
Vorbereitungsprozess für den Summit läuft bereits auf Hochtouren.1
Ziel ist es, ein Forum zu schaffen, in dem verschiedene Akteure sowohl aus den
Ländern des Südens als auch des Nordens2
Zukunftsentwürfe und entsprechende Umsetzungsstrategien für eine globale
Informationsgesellschaft diskutieren. Der in der Diskussion erzielte Konsens
soll zur Grundlage für das entsprechende Engagement der verschiedenen
VN-Organisationen werden. Mit der Entstehung einer globalen
Informationsgesellschaft ist viel Hoffnung für den Süden verbunden. Ein neues Entwicklungsmodell
scheint sich am Horizont abzuzeichnen, das neue Chancen und Wohlstand
verspricht. Yoshio Utsumi, der Generalsekretär der Internationalen
Telekommunikationsunion (ITU), fasst die Hoffnung anlässlich einer Rede vor der
VN Generalversammlung zu Information, Kommunikation und Entwicklung im
vergangenen Sommer wie folgt zusammen:
An
earlier stage of economic development was the passing from an agricultural
economy to an industrial one. If all countries must follow the same stages of
development, the developing world will never close the gap. However, many
recognize that ICTs [Information and communication technologies] may help
countries to leapfrog this development process by moving directly to an
information-driven society, if they take the proper steps.3
Um dieses Entwicklungsversprechen zu verdeutlichen,
gehe ich im Folgenden näher auf den Begriff Informationsgesellschaft ein, der
sehr unterschiedliche sozio-ökonomische und technologische Entwicklungen zu
fassen versucht. In einem kritischen Beitrag möchte ich zeigen, dass diese
sogenannte Informationsgesellschaft bislang statt auf einen neuen Aufbruch eher
auf eine Verschärfung der Unterordnung der Gesellschaft unter das Primat der
Ökonomie hinausläuft und in ihrer globalen Dimension neue Nord-Süd Abhängigkeitsverhältnisse
zu produzieren droht. Ein wesentlicher Beitrag zu dieser Verschärfung leisten,
wie ich zweitens zeigen möchte, die bildungspolitischen Reformprozesse, die
sich als eine Antwort auf die Veränderungen im Rahmen der
Informationsgesellschaft verstehen. Aus der Perspektive der politischen
Ökonomie möchte ich darlegen, dass diese bildungspolitische Reaktion sich
jedoch nicht zwangsläufig aus den Veränderungsprozessen ergeben, wie ihre
Befürworter glaubhaft machen wollen, sondern vielmehr Resultat politischer
Entscheidungen ist, die von bestimmten Kräften vorangetrieben werden. Diese
sozialen Kräfte verdichten sich nicht nur in einzelnen Regierungen in den
Ländern des Nordens, sondern wie ich drittens zeigen will, entfalten ihre
globale Wirkungskraft durch internationale Organisationen wie zum Beispiel die
Welthandelsorganisation und die Weltbank. Die derzeitige Weltwirtschaftskrise
mag den Siegeszug dieser Kräfte vielleicht verlangsamen. Vieles ist noch offen,
wie der Vorbereitungsprozess für den world summit on the information society
deutlich macht. Gerade angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, warum
sich bislang nur in wenigen Ländern massiver Widerstand zu formieren beginnt.
Welche Rolle könnten hier kritische Wissenschaften, wie etwa der Feminismus,
spielen, die soziale Ungleichheit problematisieren und auf gesellschaftliche
Transformation hinwirken wollen? Auf diesen Punkt will ich als letztes
eingehen.
Die Informationsgesellschaft
Veröffentlichungen zum Themenkomplex
Informationsgesellschaft sind mittlerweile zu einer unüberschaubaren Menge
angewachsen.4 Den
Publikationen ist gemeinsam, dass sie den Begriff Informationsgesellschaft
verwenden, um verschiedene Entwicklungen auf technologischer, ökonomischer und
sozio-kultureller Ebene in einen theoretischen Zusammenhang zu bringen. Neben
dieser analytischen Dimension ist der Begriff auch normativ stark aufgeladen.
Er birgt das Versprechen einer neuen Entwicklungsdekade, die die Krise des
Fordismus, die Krise der Industriegesellschaften, die mit abnehmenden
Produktivitätssteigerungsraten zu kämpfen haben, zu überwinden vorgibt. In
diesem Sinn ist der Begriff sowohl Diagnose als auch Therapie.
Daniel Bell, der den Begriff
Informationsgesellschaft als einer der ersten in die wissenschaftliche
Diskussion eingebracht hat, sieht in der Informationsgesellschaft eine
nachindustrielle Gesellschaft, die aus der Krise der industriellen
Gesellschaften entstanden ist.5
Seit Beginn der 1970er Jahren verzeichneten die meisten Industrieländer einen
Abwärtstrend der Produktivitätssteigerungsrate.6
Die Konvergenz zwischen Kommunikations- und Informationstechnologien versprach
eine neue Rationalisierungsoption, um die Produktivität wieder steigern zu
können. Manuel Castells zeigt in seiner Untersuchung zu den Entwicklungen in
den USA, dass diese Hoffnung nur dort zutraf, wo Unternehmen ihre Strukturen
reorganisierten.7 Neue
Produktions- und Managementkonzepte halfen die Kosten zu senken und damit die
Produktivität wieder anzukurbeln. Just in time, just in case und outsourcing
seien hier als Stichworte genannt. Diese Restrukturierungen gehen mit einer
Zunahme von Dienstleistungen, aber auch mit einer Deregulierung und
Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen einher.8
Eine weitere Antwort auf das Produktivitätsproblem
bildet die zunehmende Internationalisierung des Handels und der Produktion. Für
Schwellenländer birgt sie das Versprechen, an einer globalen
Wertschöpfungskette nicht mehr in den untersten Rängen als Rohstofflieferanten
oder einfache Güterproduzenten zu partizipieren, sondern durch hochwertige
Güterproduktion und Dienstleistung in den oberen Bereich aufsteigen zu können.
Hier liegt die zentrale Hoffnung, die der Generalsekretär der ITU, Yoshio
Utsumi, in seiner Rede ansprach. Die direkte Konkurrenz mit Industrieländern
auf diesem qualifizierten aber arbeitsintensiven Niveau verspricht den Ländern
des Südens am Wohlstand des Nordens teilhaben zu können. Die indische
Software-Industrie ist für diese Möglichkeit das wohl am häufigsten zitierte
Beispiel. Der Anteil der indischen Software Produktion im Weltmarkt ist zwar
verschwindend klein, nichtsdestotrotz bildet ihr Export eine wichtige
Deviseneinnahme für die indische Wirtschaft.9
Die Hoffnung es Indien gleichtun zu können, bewegte viele Regierungen dazu,
ihre Wirtschaft nicht nur im Produktions-, sondern auch im
Dienstleistungsbereich weiter zu liberalisieren.
Neben der geografischen Marktexpansion bildet die
Schaffung neuer Produktmärkte eine weitere wichtige Strategie, um die
Produktivität anzukurbeln. Als Produkt par excellence gilt hierbei der
Computer, dessen Verbreitung durch die Konvergenz von Informations- und
Kommunikationstechnologie einen enormen Expansionsschub erlebte. Die
multimedialen Applikationen des Internets garantieren auch im
Privatverbraucher-Segment einen schnellen Alterungsprozess der Geräte und der
Software. Die IT-Industrie, die auch im Organisationsbereich die
Kostenreduktionsstrategien bis zur Perfektion vorantreibt, avancierte als Teil
der new economy in den 1990er Jahren in USA zum Sektor mit der größten
Produktivitätssteigerungsrate. Die Spitze hielten dabei die Computer-Hersteller
inne. Zwischen 1995 bis 1999 betrug die Wachstumsrate nach einer Untersuchung
des Ökonomen Robert Gordon 41,7 Prozent.10
Obwohl sie mit 1,2 Prozent nur einen kleinen Bereich der US-amerikanischen
Produktion ausmachen, wirkte sich ihr Wachstum auf die gesamte nationale
Ökonomie positiv aus. Trotz der seit 2001 andauernden Krise erhofft man sich
von diesem Sektor weiterhin eine Zugpferdwirkung für die gesamte OECD
Wirtschaft.11 Eine
weitere Expansion des Absatzmarktes auch in Ländern des Südens, von vielen als
die Überwindung des digital divide gefeiert, könnte hier die Produktivität
wieder ankurbeln.12
Neben der äußeren Landnahme bildet die innere
Landnahme eine weitere Antwort auf die Wachstumsstagnation.
Privatwirtschaftliche Akteure begannen Interesse an bislang öffentlich
organisierten und finanzierten Sektoren zu entwickeln. Ihren Interessen
entgegen kommen die Privatisierungsabsichten von Regierungen, die den
öffentlichen Haushalt entlasten sollen. Die Privatisierung von kulturellen Allgemeingütern,
die Jeremy Rifkin in seinem neuen Buch the Age of Access kulturellen
Kapitalismus nennt, reicht von Kultur und Kommunikation bis hin zu Gesundheit
und Bildung.13 Der
Privatisierung des Telekommunikationssektors kommt hier neben den Massenmedien
eine Vorreiterrolle zu. Sie begann unter Thatcher und Reagan und breitete sich
schon sehr bald in Lateinamerika aus. Bis Ende 1999 hatten bereits 89 Länder
ihren Kommunikationsbereich ganz oder teilweise privatisiert.14
All diesen doch sehr unterschiedlichen Antworten
auf die Produktionskrise, die das Fundament der Informationsgesellschaft
bilden, ist nach Daniel Bell die zunehmende Bedeutung von theoretischem Wissen
gemein.15
Wissen spielte bereits während der Industrialisierung bei der Entwicklung von
Technologien eine wichtige Rolle. Die Rationalisierungskonzepte von Frederick
W. Taylor beriefen sich dezidiert auf die Wissenschaft.16
Manuel Castells sieht in der Informationsgesellschaft jedoch ein neues
technologisches Paradigma wirken. Wissen wird angewendet, um Wissen zu
erzeugen. Eine kumulative Rückkoppelungsspirale verändert die Beziehung
zwischen Innovation und Anwendung. Das Werkzeug verändert sich somit in seiner
Anwendung permanent und wird zum Prozess. Castells beschreibt eine immer enger
werdende Beziehung zwischen sozialen Prozessen, die Symbole schaffen und
manipulieren der Kultur der Gesellschaft und den Produktivkräften, die es
ermöglichen Güter und Dienstleistungen zu produzieren und zu verteilen. Diese
Entwicklung lässt Castells zu folgendem Schluss kommen:
Zum ersten Mal in der Geschichte ist der
menschliche Verstand eine unmittelbare Produktivkraft und nicht nur ein
entscheidendes Element im Produktionssystem.17
Durch die Aufwertung von Wissen als eine
eigenständige Produktivkraft zu einem hegemonialen Diskurs wird, gewinnt für
die Produktion Kooperationen mit Universitäten an Bedeutung. Die permanente
Veränderung des Erkenntnisstandes in der wissenschaftlichen Diskussion will die
Industrie für sich nutzen. Gerade die technischen Fächer innerhalb des Wissenschaftsbetriebes
ziehen durch ihre Anwendungsbezogenheit das Interesse der Industrie auf sich.
Zum anderen gerät die Qualifikation der
ArbeitnehmerInnen als Humankapital der Industrie verstärkt in den Blick. Die
Ausbildungsanforderungen an ArbeitnehmerInnen erhöhen sich, während sie
gleichzeitig angehalten werden, ihre Qualifikation eigenverantwortlich auf dem
aktuellsten Stand zu halten. Lebenslanges Lernen ist zu einer
Selbstverständlichkeit geworden und 1996 von den BildungsministerInnen der
OECD-Länder zu einem wichtigen bildungspolitischen Ziel erklärt worden, das
auch Vorbildcharakter für Nicht-OECD-Länder besitzt.
Die verschiedenen Staaten begannen als Reaktion auf
das verstärkte Interesse an Hochschulbildung bereits 1970er Jahren mit einer
massiven Bildungsexpansion. Diese Expansion wurde gleichzeitig von den sozialen
Revolten der 1968er Generation vorangetrieben, die das Recht auf Bildung für
alle einforderten. Kurzum, die Forderung nach mehr Bildung wurde von einer
breiten Interessenkoalition getragen. Weltweit stieg die Anzahl der
Studierenden im Hochschulbereich zwischen 1970 und 1997 von 28 Millionen auf
rund 88 Millionen. In den Industriestaaten verdoppelte sich die Anzahl der
Studierenden von 21 auf rund 45 Millionen. In den Ländern des Südens versechsfachte
sich gar die Zahl von 7 Millionen auf rund 43 Millionen.18
Die Produktivitätskrise, verbunden mit politischen
Forderungen nach einem Recht auf Bildung, bewirkte letztendlich ein neues
Zusammenspiel von Wissenschaft und industrieller Produktion. Matthias Wingens
spricht in Anlehnung an Daniel Bell von einer qualitativ neuen Entwicklung des
Verhältnisses von Wissenschaft, Technik und Industrie19.
Man könnte auch von einem neuen Vergesellschaftungsmodus von Wissenschaft
sprechen, der zu einem wesentlichen Merkmal der Informationsgesellschaft
avancierte.
Universitäten verlieren in diesem Kontext ihren
Elitencharakter und werden vermehrt zu Massenuniversitäten. Die
Bildungsexpansion stellte jedoch die Universitäten vor große finanzielle
Herausforderungen. Im Nachfolgenden sollen allgemeine Trends in den Reaktionen
auf diese Herausforderung skizziert werden, ohne auf die jeweiligen nationalen
Unterschiede näher eingehen zu können.
Strukturwandel der tertiären Bildung und die Folgen
Die Bildungsexpansion begann als eine Reaktion auf
die ökonomische Krise in den 1970er Jahren unter der politischen Vorgabe, die
öffentlichen Mittel nicht zu erhöhen. Diese Sparpolitik verstetigte sich im
Verlauf der Erstarkung einer neoliberalen Hegemonie, die, gekennzeichnet von
der Marktdoktrin einer strikten Angebotsorientierung, unter Thatcher und Reagan
ihren Ausgang nahm und sich spätestens nach dem Ende des Systemantagonismus
1989 weltweit ausbreitete. Bei gleichzeitiger Expansion führte diese
Sparpolitik zu einer zunehmenden Finanzkrise der Universitäten. Die
kapitalintensive Einführung von neuen Informations- und Kommunikationsmedien an
den Universitäten, die dank Bildungsinitiativen in allen OECD-Ländern seit
Mitte der 1990er Jahren vorangetrieben wird, verschärft die Finanzsituation
weiter, zumal der Unterhalt dieser Medien besonders kostenaufwändig ist.20
Um auf die Finanznot der Hochschuleinrichtungen reagieren zu können, erließen
Parlamente Gesetze, die den Hochschulen neue Einkommensquellen ermöglichen. In
vielen Ländern bilden mittlerweile Studiengebühren eine wichtige Finanzquelle.21
Diese Kostenverlagerung bleibt nicht ohne soziale Konsequenzen. Zahlreiche
Studien belegen, dass sich dadurch die sozialen Selektionsmechanismen im
Bildungssystem verschärfen.22
Um den Etat zu vergrößern, versuchen viele Universitäten
Geldern von Institutionen, Organisationen oder Unternehmen sogenannte
Drittmittel zu erhalten. Wie bereits erwähnt, besitzt die Industrie ein hohes
Kooperationsinteresse, so dass sie in technischen und naturwissenschaftlichen
Fächern diesem Finanzierungsanliegen entgegen kommt und bis hin zu
Finanzierungen von Lehrstühlen Forschung und Lehre unterstützt. Im Gegenzug
erhalten Unternehmen Anrechte auf Patente und nehmen mehr oder weniger direkt
Einfluss auf die Forschung. Auch diese Entwicklungen bleiben nicht ohne
Konsequenzen. Sie führen, so Matthias Wingens, nicht nur zur
Verwissenschaftlichung der Industrie, sondern zu einer Industrialisierung der
Wissenschaft.23 Diese enge
Verflechtung findet vor allem im technologischen und naturwissenschaftlichen
Bereich statt, so dass der neue Vergesellschaftungsmodus von Wissenschaft eine
stark technisch-naturwissenschaftliche Ausrichtung besitzt. Wissenschaften, die
eher soziale Gerechtigkeit und die Stärkung nicht ökonomisierbarer Bereiche im
Blick haben, drohen marginalisiert zu werden.
Durch diese Akzentverschiebung geraten Elemente des
Interessensausgleichs an den Hochschulen immer mehr ins Abseits. In vielen
Ländern, so zum Beispiel auch in Deutschland, führte der politische Druck der
1968er-Studentenbewegung, sowie des damaligen akademischen Mittelbaus dazu,
dass mit den Universitätsreformen der 1970er Jahren den verschiedenen
Statusgruppen ein Recht auf Interessensvertretung eingeräumt wurde, um so die
Hochschulen als einen zentralen Ort von gesellschaftlichen
Aushandlungsprozessen zu demokratisieren. Die Diskussion der Finanzkrise als
Effizienzproblem bringt diese Strukturen unter Legitimationsdruck. Dass diese
Partizipationsrechte häufig zu einflusslosen Gremienbürokratien verkommen sind,
erschwert darüber hinaus ihre Verteidigung.
Mit zunehmender Outputorientierung gewinnen
Forderungen nach Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse
sowohl im Verwaltungs- als auch im Wissenschaftsbereich an politischem Gewicht.
Die Rationalisierungslogik ergreift zunehmend weitere Teile des universitären
Alltags.
Privatisierung der Bildung
Neben der Ökonomisierung staatlicher Universitäten
werden private Universitäten zu einer willkommenen Möglichkeit, kostenneutral
die steigende Bildungsnachfrage zu befriedigen. Immer mehr Länder verändern
ihre Gesetze, um die Privatisierung der Bildung zu erlauben. Gerade in der
Erwachsenenbildung ist diese Entwicklung stark fortgeschritten. In vielen
Staaten entstand hier ein Experimentierfeld, das auf wenig öffentlichen
Widerstand stößt. Im Gegenteil, die Aufforderung zur permanenten
Weiterqualifikation, die mit dem neuen Vergesellschaftungsmodus von
Wissenschaft einhergeht, lässt diesen Sektor boomen. Der
technisch-naturwissenschaftlichen Ausrichtung des Vergesellschaftungsmodus
entsprechend sind technisch orientierte Fortbildungen stark gefragt. Der hohe
Verfallswert dieses Wissens beschleunigt diese Entwicklung. So veraltet zum
Beispiel ein durchschnittliches Ingenieurswissen innerhalb von drei bis sieben
Jahren nach dem Studium.24
Neue Kommunikations- und Informationstechnologien schaffen einen weiteren
Fortbildungsbedarf.
Die meisten dieser Fortbildungen werden von
privaten Bildungsträgern angeboten. Dan Schiller beschreibt in seinem Buch
digital capitalism, wie in USA große Unternehmen bereits in den 1980er Jahren
dazu übergingen, ihre eigenen Fortbildungsabteilungen auszulagern, die nun als
eigenständig arbeitende Bildungsunternehmen auch andere Kunden bedienen.25
Der Qualifizierungsdruck auf ArbeitnehmerInnen im Bereich neue Informations-
und Kommunikationstechnologien kommt insbesondere IT-Unternehmen zugute, deren
Bildungseinrichtungen von Synergie-Effekten mit dem Mutterunternehmen
profitieren können und gleichzeitig die Akzeptanz des jeweiligen Produktes
verbessern. So gelang es IT-Unternehmen wie Dell, AT&T, Bell Atlantic,
Oracle oder Sun Microsystem sich als renommierte Anbieter auf dem Bildungsmarkt
zu etablieren. In USA, wo die gesamte berufliche Bildung stark universitär
organisiert ist, spielen heute corporate universities, wie z. B. die Motorola
University oder die Walt Disney University eine zentrale Rolle bei der
berufsbezogenen Aus- und Fortbildung. Dieses shadow education system ist
mittlerweile in seiner Größe mit dem formalen US-amerikanischen Bildungssystem
vergleichbar geworden. Ein solchermaßen dereguliertes Bildungssystem lässt die
Grenze zwischen universitärer Welt und Geschäftswelt immer undeutlicher werden.
Higher
education had evolved, in short, into postsecondary education: an expanded
array of institutions, programs, and delivery systems under manifold sponsors
surrounded the traditional degree-granting college serving full-time students
coming from high school.26
Je deregulierter der Bildungsmarkt ist, desto eher
treten staatliche und private Bildungsanbieter direkt miteinander in
Konkurrenz, jedoch nicht unter gleichen Bedingungen. Private Anbieter
offerieren in der Regel kein breit gefächertes Studienangebot, sondern nur
stark nachgefragte Studiengänge, die zudem keiner hohen Investitionen bedürfen.
Die Mehrheit der Anbieter konzentrieren sich auf den Bereich Managementlehre,
Buchhaltung und Informatik an. Fächer, die schwieriger zu vermarkten sind, oder
Grundlagen Forschung, die häufig viel Kapital binden und keinen direkten Verwertungscharakter
besitzen, bleiben außen vor. Viele private Anbieter können auch kostengünstiger
produzieren, da sie Lehrkörpern weniger bezahlen und oft nur befristet
anstellen. Der Konkurrenzdruck wiederum beschleunigt die Ökonomisierung der
staatlichen Universitäten.
Der Strukturwandel der Hochschulen, der durch die
Gesetzesänderungen eingeleitet wurde, besitzt also, wie ich zu zeigen versucht
habe, Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft. Die Konzeption der Bildung als
Rechtsanspruch, der die Bildungsexpansion in den 1970er Jahren gesellschaftlich
legitimierte, ist einer Konzeption der Bildung als Ware gewichen. Studierende
werden zu KonsumentInnen, deren Kaufkraft über ihre Bildungschance entscheidet.
Die zunehmende Angewiesenheit der Hochschulen auf Drittmittel fördert die
Industrialisierung der Wissenschaft. Die Hochschule als Ort von
Interessensverhandlungen zwischen verschiedenen Statusgruppen gerät verstärkt
unter Legitimationsdruck. Die Finanzkrise der Hochschulen wird folglich mit
einer Verlagerung der Kosten beantwortet, die in ihrer Konsequenz eine
Ökonomisierung von weiteren gesellschaftlichen Bereichen vorantreibt. Während
dies den Expansionsinteressen der Wirtschaft und dem Sparkurs der öffentlichen
Haushalte kurzfristig entgegen kommen mag, stellt sich langfristig die Frage,
ob nicht dadurch die gesellschaftliche Reproduktion gefährdet wird. Eine
privatisierte und ökonomisierte Hochschulbildung verstärkt soziale
Ausschlussmechanismen. Was nicht verwertbar ist, verliert an Wert. Doch auch für
die Gesamtwirtschaft könnte diese Entwicklung auf lange Sicht gesehen ihre
eigene Grundlage gefährden, wenn Wissen nicht mehr als öffentliches Gut frei
zugänglich ist, sondern zunehmend zu Privateigentum wird.
Die Finanzkrise und ihre Externalisierung hat in
den 1990er Jahren eine globale Dimension erreicht. Nach einer inneren
Landnahme durch die Ökonomisierung der Bildung gewinnt die äußere Landnahme
in Form von Bildungsexporten an Bedeutung. Sie ist Teil der Globalisierung der
Informationsgesellschaft und bietet den Exporteuren lukrative Einnahmen.
Die Transnationalisierung von Bildung
Der Bildungsexport kann sehr unterschiedliche
Formen annehmen. Das General Agreement of Trade in Services (GATS), das im
Rahmen der Welthandelsorganisation den internationalen Handel mit
Dienstleistung reguliert, unterscheidet vier Erbringungsarten [modes], die im
Folgenden kurz skizziert werden. Die erste ist die grenzüberschreitende
Erbringung, das heißt die Erbringung erfolgt von einem Land in ein anderes z.B.
als Fernunterricht. Die zweite Erbringungsart wird am meisten in Anspruch
genommen und ist die sogenannte Nutzung im Ausland. Hier fragen Studierende die
Dienstleistung in Form eines Auslandsstudiums im Anbieterland nach. Die dritte
Erbringungsart ist die kommerzielle Präsenz eines Bildungsträgers in einem
anderen Land. Dies kann in Form von Sprachschulen oder privaten Universitäten
geschehen oder auch als ein joint venture mit einer nationalen, meist privaten
Bildungseinrichtung. Die vierte und letzte Erbringungsart ist die
Dienstleistung durch Personen, die sich zu diesem Zweck temporär im
Nachfrageland aufhalten.27
Die Möglichkeit zum Bildungsexport steht faktisch
jedoch nicht allen Ländern offen, wie ein Ländervergleich zwischen Australien
und Argentinien zeigt.28
Beide Länder betreiben eine vergleichbare neoliberale Bildungspolitik, die
nicht-staatliche Finanzierungsquellen fördert, doch nur Australien ist es
gelungen, zu einem wichtigen Exportland aufzusteigen. Heute macht der
Bildungsexport 11,8 Prozent der gesamten australischen Dienstleistungsexporte
aus. Mit anderen Worten: Die eigene ökonomische Stärke scheint die Chancen,
sich als Exporteur auf dem globalen Bildungsmarkt positionieren zu können, zu
bestimmen. So führt die stärkste Wirtschaftsnation USA mit rund 10 Milliarden
US$ Exportvolumen die Rangliste an, gefolgt von Großbritannien mit fast vier
Milliarden, Australien mit rund zwei Milliarden und Italien mit rund einer
Milliarde.29
Ein Blick auf die Anzahl der Studierenden verändert
die Rangliste leicht. Nach wie vor dominiert die USA (31%), gefolgt von
Großbritannien (16%). An dritter und vierter Stelle rangieren hier aber
Deutschland (12%) rsp. Frankreich (9%), gefolgt von Australien (8%).30
Diese unterschiedliche Konfiguration der Rangliste zeigt, dass nur in
wirtschaftsstarken Ländern mit kommodifizierter Bildung sich deren Export
positiv auf die Handelsbilanz auswirkt. Der Versuch, die eigene Handelsbilanz
zu verbessern, kann somit einer weiteren Privatisierung der nationalen Bildung
Vorschub leisten.
Der Bildungsmarkt richtet sich in erster Linie an
andere OECD-Länder, doch Studierende aus Entwicklungsländern insbesondere aus
südostasiatischen Ländern treten zunehmend auch als Kunden auf.31
Die bei GATS erstgenannte Erbringungsart, die
grenzüberschreitende Bildungsdienstleistung, als Beispiel sei hier e-learning
erwähnt, macht im Vergleich zum Auslandsstudium einen noch geringen Anteil am
Bildungsexport aus. Doch ihr werden gute Entwicklungsprognosen ausgestellt.32
Ein OECD Papier schreibt dazu:
Cross-border
e-learning activities are likely growing at a faster rate than the number of
students studying abroad, although from a low level. Increasingly, education
institutions, publishers, and ICT companies are teaming up to design and
deliver e-learning courses on a variety of subjects.33
Die Entwicklungen in diesem Bereich sind noch sehr
jung. Eine Studie von 1998 zum australischen Bildungsexport zeigt, dass zwei
Drittel der overseas validated courses zwischen 1994 und 1997 eingerichtet
wurden.34
Die Nicht-OECD Abnehmer liegen auch hier mehrheitlich in südostasiatischen
Ländern. Hong Kong, Malaysia und Singapur importieren 92% der australischen
Kurse. China gewinnt als Importland zunehmend an Bedeutung.35
Die Interessenslage für die Transnationalisierung
von Bildung ist sehr unterschiedlich. Während für die Exportländer in erster
Linie finanzielle Motive eine Rolle spielen, ist es bei den Ländern des Südens
die Hoffnung durch Bildungsimporte die Qualifikation ihrer Arbeitskräfte zu
verbessern, um so auf einem hohen Wertschöpfungsniveau an der globalen
Informationsgesellschaft partizipieren zu können. Doch die Risiken, die mit
einem solchen Import einhergehen, sind nicht unbeträchtlich. Durch zunehmende
Importe sieht sich das eigene nationale Bildungssystem einer Konkurrenz mit
starken ausländischen Anbietern ausgesetzt, was wiederum die Ökonomisierung der
staatlichen Bildung im eigenen Land fördert. Das Beispiel der Asienkrise
verdeutlicht weitere Risiken. Die Abdeckung des Bildungsbedarfs durch Importe
erhöht die Abhängigkeit von ausländischen Devisen. Eine wirtschaftliche Krise
wirkt sich dadurch direkt auf das Qualifikationsniveau eines Landes aus.
Malaysia, das auf das Auslandstudium als eine zentrale Qualifizierungsoption
gesetzt hatte, musste in Krisenzeiten einen starken Studierendenrückgang
verkraften. Die Zahl der malaysischen Studierenden, die an britischen
Hochschulen studierten, sank zwischen 1997 und 1998 um 44 Prozent.36
Ein weiteres Problem bildet die Qualitätssicherung
der importierten Bildung. In den Fällen, in denen Importländer bislang
Regelungen getroffen haben, orientiert man sich an der Qualitätssicherung der
Bildung im Exportland.37 Offen
bleibt, ob ein Curriculum, das in einem wirtschaftsstarken Land entstanden ist,
sich einfach auf Länder übertragen lässt, die sich in einer grundsätzlich
anderen ökonomischen, sozialen und kulturellen Situation befinden. Gerade auf
kleine und arme Länder trifft dies besonders zu, zumal sie aufgrund ihrer
geringen Kaufkraft keine Sonderwünsche anbringen, sondern nur Bildung von der
Stange importieren können. Viele kritische Stimmen aus den Ländern des Südens
sehen daher in den Bildungsimporten eine neue Form des kulturellen
Imperialismus. Wieder einmal ist es der Norden, der lehrt und der Süden,
der lernt. Das eigene lokale Wissen in diesen Ländern bleibt unberücksichtigt
oder wird zugunsten einer modernen Perspektive als traditionell und damit als
irrelevant abgewertet.38
Warum interessieren sich trotzdem immer mehr Länder
für Bildungsimporte?
Um diese Frage beantworten zu können, ist es
sinnvoll einen Blick auf die Akteure zu werfen, die diese Entwicklung
favorisieren. Die zunehmende Export- rsp. Import-Orientierung spiegelt, wie
Jane Kelsey in ihrem kritischen Beitrag zur Bildungspolitik deutlich macht,
a
coherent policy agenda which is promoted through interlocking networks of
international actors and agencies, which cross-fertilize with the officials,
politicians, entrepreneurs, and commentators who influence policy at the
national level.39
In diesen interlocking networks spielt die
Welthandelsorganisation als ein Ort, an dem sich internationale
Kräfteverhältnisse verdichten, eine strukturbildende Rolle, da sie direkt auf
die Gesetzgebung ihrer Mitgliedsstaaten Einfluss nimmt, und somit bestimmte
Entwicklungen verstetigt, die in ihrem Interesse liegen. Mehr mit finanziellen
Anreizen, aber deswegen nicht weniger effektiv, arbeitet die Weltbank, auf
deren Bildungspolitik ich in einem zweiten Abschnitt näher eingehe.
Die Welthandelorganisation
Die WTO umfasst mittlerweile 144 Mitgliedstaaten.
Sie entstand 1994 mit einem im Vergleich zu ihrer Vorgängerin GATT stark
erweitertem Kompetenzbereich. Nicht mehr nur der Handel mit Waren, sondern
zunehmend auch mit Dienstleistungen soll multilateral unter dem Dach der WTO
geregelt werden, deren dezidiertes Ziel die Ausdehnung des Welthandels ist. Um
dieses Ziel zu erreichen, sind zwei Prinzipien von zentraler Bedeutung: Die
Meistbegünstigtenklausel (Art. II) und die Inländerbehandlung (Art. XVII).
Die Meistbegünstigtenklausel besagt, dass die
Handelsvorteile aus bilateralen Abkommen zwischen zwei Staaten automatisch auf
alle anderen WTO-Mitglieder übertragen werden müssen.40
Das zweite Prinzip soll die Gleichheit der Wettbewerbschancen gewährleisten und
keine Unterscheidung von Gebietsfremden und Gebietsansässigen erlauben. Fühlt
sich ein ausländisches Unternehmen gegenüber einem einheimischen Unternehmen
bei der Auftragsvergabe benachteiligt, kann es Klage bei der WTO einreichen.
Einmal abgeschlossene Verhandlungen können durch die Standstill Vereinbarung
nicht rückgängig gemacht werden, auch wenn eine politische Mehrheit im Land
sich für eine Rücknahme entscheiden sollte. Diese ist nur durch
kompensatorische Leistungen möglich, das heißt die Liberalisierung eines
anderen Bereichs. Diese enorme Wirkungskraft der WTO-Vereinbarungen wird
insofern gemildert, indem Regierungen relativ genau bestimmen können, in
welchen Bereichen sie die Deregulierung zulassen wollen. Die
Bildungsdienstleistung eine von zwölf Dienstleistungsbereiche, die vom GATS
geregelt werden ist hierzu nochmals in fünf Kategorien unterteilt: Primäre,
sekundäre, tertiäre Bildungsdienstleistungen bilden die ersten drei Kategorien,
die vierte umfasst die Erwachsenenbildung, die fünfte ist eine
Residualkategorie, die alle weiteren Bildungsprodukte beinhaltet.41
Trotz dieser Differenzierungsmöglichkeit waren die
WTO-Mitglieder bei der Liberalisierung der Bildungsdienstleistung im Vergleich
zu anderen Dienstleistungen bislang relativ zurückhaltend. Während und nach der
Uruguay-Runde, die 1994 zu Ende ging, haben nur 42 WTO-Mitglieder Verträge in
mindestens einem der Bildungssubsektoren abgeschlossen.42
In der sogenannten Millennium Runde, die nun begonnen hat, sollen bis 2005
weitere Liberalisierungsschritte eingeleitet werden. Die Verhandlungen hierzu
sind voll im Gange. Die Zurückhaltung der Länder konnte bislang aber auch durch
eine Ausnahmeregelung nicht gemindert werden. Laut Artikel eins, Absatz 3b ist
es erlaubt, die zwei wichtigen WTO-Prinzipien die Meistbegünstigtenklausel
und die Inländerbehandlung bei Dienstleistungen auszusetzen, die in Ausübung
hoheitlicher Gewalt erbracht werden. Staatlich organisierte Bildung fällt
unter diesen Bereich. Diese Ausnahmeregelung scheint besorgte politische
Stimmen und Bildungsministerien gerade in Ländern, in denen die Deregulierung
des Bildungssektors erst in ihren Anfängen steckt, nicht zwangsläufig zu
beruhigen.
Die Aufregung ist verständlich. Die
Ausnahmeregelung macht nur dort Sinn, wo eine klare Trennung zwischen privatem
und öffentlichem Bildungsbereich möglich ist. Die eingangs beschriebene
Deregulierung des nationalen Bildungsmarkts lässt die Trennlinie immer diffuser
werden. Damit steigt die Gefahr, dass ein privater Bildungsanbieter vor die WTO
zieht, um gegen die Missachtung der Inländerbehandlung oder der
Meistbegünstigtenklausel zu klagen.43
Die zweite GATS-Verhandlungsrunde, die bereits erwähnte Millenium-Runde, findet
folglich unter veränderten Prämissen statt.
Während auf Regierungsseite die Einschätzungen der
Risiken von GATS von Land zu Land differieren, finden sich bei den nationalen
Interessensverbänden der Bildungsindustrie keine nennenswerten Unterschiede.
Die Statements der US-amerikanischen, europäischen, australischen und
japanischen Interessensverbänden, die bis Ende Juni 2002 in die
GATS-Verhandlungen eingebracht werden mussten, stimmen im Wesentlichen
miteinander überein. Thomas Fritz und Christoph Scherrer weisen in einer Studie
auf die Gefahr der GATS-Bestimmungen hin, die eine Vernetzung verschiedener
wirtschaftlicher Interessensgruppen erlaubt. In dieser Allianz können diese
Gruppen ihren innenpolitischen Druck erhöhen, um die Ökonomisierung und
Privatisierung der Bildung als Antwort auf die Bildungsexpansion
voranzutreiben.
Während ökonomisch starke Länder wie Deutschland
und Frankreich der Bildungsliberalisierung relativ zurückhaltend
gegenüberstehen, kündigte die Weltbank in ihrem neuen Hochschulstrategiepapier,
das im vergangenen September verabschiedet wurde, die Förderung von Bildungsimporten
gerade in ärmere Länder an.
Die Weltbank
Die Weltbank ist heute der größte multilaterale
Geldgeber für Bildungsinvestitionen. Gemessen an den Bildungsausgaben eines
Landes, die in der Regel zu über 90 Prozent aus eigenen Mittel bestritten
werden, machen diese Gelder wohl einen geringen Anteil aus.44
Da die nationalen Bildungsausgaben in der Regel gebunden sind, wirken die
zusätzlichen Mittel von außen jedoch als seed money und bilden so Anreize für
bestimmte Entwicklungen. Gleichzeitig besitzen die Gelder einen Multiplikatoren
Effekt, da sich andere Geberorganisationen an der Weltbankpolitik orientieren.
In den 1990er Jahren vollzog die Weltbank eine
Neuorientierung ihrer Bildungspolitik. Nachdem sie seit Mitte der 1970er Jahren
in erster Linie die primäre und sekundäre Bildung durch Darlehen mit der
Begründung förderte, dass hier die Ertragsrate höher läge als im tertiären
Bereich, räumte sie in ihrem ersten Strategiepapier zu Hochschulbildung 1994
der tertiären Bildung einen neuen Stellenwert ein.45
Die anfallenden Mehrausgaben für den öffentlichen Haushalt sollen durch
Studiengebühren, die 25-30 Prozent zum Hochschulbudget beitragen könnten,
minimiert werden. Die Förderung von privaten Hochschulen wird den Ländern als
eine weitere Kosten reduzierende Lösung empfohlen. Die sozialen
Diskriminierungen, die eine solche neoliberale Bildungspolitik evoziert,
sollen, so das Papier, durch den Ausbau eines Darlehenssystems für Studierende
aus ärmeren Verhältnissen kompensiert werden. In vielen Ländern des Südens
revoltierten die Studierenden gegen die Einführung von Studiengebühren. An der
größten Universität von Mexiko, der UNAM, gelang es Studierenden 1999 die
Universität ein Jahr zu bestreiken. In ihrem neuen, im September
verabschiedeten Hochschulstrategiepapier mit dem Titel Constructing Knowledge
Societies: New Challenges for Tertiary Education geißelt die Weltbank diese
Revolte als ein Beispiel für wandlungsresistente Universitätsstrukturen. Sie
schreibt hierzu:
[S]tudents
democracy sometimes works against the academic interests of the very students
it is intended to protect.46
Auch die akademische Autonomie, die sich eine
Einmischung von außen verbietet, ist dem Bericht ein Dorn im Auge.
Such
Systems are rigorously guarded by cadres of academic leaders represented in
academic councils that operate within a framework of institutional autonomy and
are accountable almost exclusively to administrative staff and academics.47
Hochschulautonomie sollte aus der Sicht der
Weltbank finanzieller Art sein und nicht politischer. Sie bestätigt in diesem
neuen Strategiepapier, das sich dezidiert auf die bildungspolitischen
Konsequenzen einer globalen Wissensgesellschaft bezieht, ihre
Marktorientierung, die bereits das erste Strategiepapier von 1994 bestimmte.
Als einen wesentlichen Anlass für die Neuformulierung ihrer Bildungsstrategien
nennt im Jahre 2002 nennt die Weltbank die neuen transnationalen
Bildungsanbieter. Gerade für kleine und arme Länder böte die borderless
education eine interessante Entwicklungsoption. Diese Länder könnten auf diese
Weise, so ihre Argumentation, ihre knappen öffentlichen Ressourcen auf den
primären und sekundären Bildungsbereich konzentrieren und die tertiäre Bildung
den ausländischen Anbietern überlassen. Der Aufbau einer kostenintensiven
Universitätsinfrastruktur würde so wegfallen. Mit dieser neuen Ausrichtung
betreibt die Weltbank eine Expansion des Bildungsmarktes. Wie ich bereits
ausgeführt habe, konzentrieren sich bislang die Bildungsexporte in Nicht-OECD
Länder auf Südostasien. Die Weltbank will nun über Darlehen und durch Risiko
Garantien die Einstiegsschwierigkeiten für die Bildungsindustrie in ärmere und
risikoreichere Länder vermindern. Diese Orientierung der Bildungspolitik am
weltweiten Bildungshandel bestätigt, was Lisa Jordan von der bankkritischen
Nichtregierungsorganisation Bank Information Center für die gesamte
Weltbankpolitik beobachtet.48
Die Weltbank orientiert ihre eigene Entwicklungspolitik seit Mitte der 1990er
Jahren zunehmend an der WTO-Freihandelspolitik. Diese Freihandelspolitik
impliziert jedoch fatale Konsequenzen für Länder des Südens, so die scharfe
Kritik von Lisa Jordan, da sie sich von ihrem Prinzip her an entwickelten
Ökonomien orientiert und eine Fehldiagnose von Entwicklungsproblemen
beinhaltet. Dies gilt auch für Bildungsimporte in ärmere Länder. Aufgrund ihrer
geringen Kaufkraft haben diese Länder wenig Einfluss auf die Bildungsinhalte
von ausländischen Anbietern, gleichzeitig erhöht der Import die Abhängigkeit
von Devisen und macht dadurch das Bildungssystem krisenanfälliger.
Möglichkeiten von Kritik
Globalisierungskritische Bewegungen haben weltweit
begonnen gegen die Freihandelspolitik zu mobilisieren. Angesichts der Tragweite
der bildungspolitischen Neuausrichtung erstaunt jedoch die bislang verhaltene
Reaktion im universitären Bereich. Die Konsequenzen sind, wie ich zu zeigen
versucht habe, gravierend, ein wichtiges gesellschaftliches Korrektiv gegenüber
den Marktinteressen droht relativ kampflos verloren zu gehen. Wo, wenn nicht im
Hochschulbereich, können kritische Analysen von politischen und ökonomischen
Entwicklungen erstellt werden, die die Kritik von sozialen Bewegungen aufnehmen
und öffentliche Diskussionen informieren, sei es auf nationaler oder
internationaler Ebene. Im Gegensatz zu stark auftragsorientierten Think Tanks
und Forschungsinstitute verfügen öffentlich finanzierte Hochschulen, die nicht
einem starken Ökonomisierungsdruck ausgesetzt sind, über eine bestimmte
Unabhängigkeit, die jedoch nur zum Tragen kommt, wenn die Zugangsvoraussetzungen
für Studierende und Lehrende einer Diskriminierung aufgrund von sozialer,
ethnischer Herkunft und Geschlecht entgegenwirken.
Warum also formiert sich bislang der Widerstand der
kritischen Kräfte gegen die Bildungsreformen nur zögerlich? Eine mögliche
Erklärung könnte ein Dilemma sein, in dem sich diese gegenwärtig befinden. Wie
das Beispiel der studentischen Revolten an der UNAM zeigt, sehen sie sich
plötzlich dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie angeblich etwas verteidigen, was sie
selbst kritisieren: Den alten bürokratischen Herrschaftsapparat der
traditionellen Hochschulen, dem die neoliberale Bildungspolitik nun den Kampf
angesagt hat. Kritische Stimmen finden sich so in einer Ortlosigkeit wieder:
Sie wollen weder den neoliberalen Wandel, noch die traditionellen
Universitäten. Zudem bieten die gegenwärtigen Reformprozesse einige attraktive
Momente, da sie Elemente aus der kritischen Wissenschaft und der
Reformpädagogik übernommen haben. Angesichts der entindividualisierenden
Hochschulbürokratie klingen Versprechen nach mehr studentischen Rechten sehr
verführerisch, auch wenn diese nur die Rechte von KonsumentInnen sind.
Interessante Ansätze zum Cyberfeminismus zeigen Transformationspotentiale durch
die virtuelle Bildung. Gleichzeitig erleichtern neue Technologien die
Transzendierung der imaginären Gemeinschaft eines Nationalstaats. Das Internet
erlaubt zunehmend mehr Menschen Freundschaften und regelmäßige Kontakte über
weite Distanzen hinweg aufzubauen. Am Horizont beginnt sich die imaginäre Gemeinschaft
einer globalen Zivilgesellschaft abzuzeichnen. Hier liegt die eigentliche
Herausforderung: Die globale Zivilgesellschaft bildet die Matrix für die
zunehmende Globalisierung der Wirtschaft und die Transnationalisierung von
Bildung, kurz für die Globalisierung der Informationsgesellschaft. Sie kann
jedoch auch zur Matrix für Widerstand und politischen Alternativen werden.
Damit diese zweite Version der globalen Zivilgesellschaft nicht die erste, die
hegemoniale, stützt, muss sie mit kritischen Analysen der internationalen
Dominanzverhältnisse verbunden werden, die gleichzeitig und hier möchte ich
auf eine Forderung der postkolonialen Theoretikerin Gayatri Spivak zurückkommen
die eigene Verwobenheit in die Herrschaftsverhältnisse mitreflektieren.49
Ihre Ausblendung markiert gerade die Position der eigenen Interessen. Die
Anerkennung der eigenen Verstrickung bildet gewissermaßen den Ausgangspunkt für
undoing the privileges, wie es Gayatri Spivak gegenüber den
WissenschaftlerInnen im Norden einfordert. Vielleicht wird so das Unmögliche
möglich. Vielleicht kann so ein wirklicher Austausch trotz starkem Nord-Südgefälle
zwischen kritischen Kräften im Süden und im Norden entstehen, um gemeinsam
Widerstand gegen die weitere Kommodifizierung der Welt zu entwickeln. Der
Norden muss hierzu aber noch viel verlernen.
Anmerkungen
* Dieser Text erscheint in leicht geänderten
Fassung auf englisch in: Gabriele Kreutzner, Heidi Schelhowe (2003): Agents of
Change: Virtuality, Gender , and the Challenge to the Traditional University.
Für Anregungen und Kommentare möchte ich mich bei John Kannankulam, Martina
Sproll, Sonja Buckel und Yesim Kasap bedanken.
- Zum aktuellen Stand des
Vorbereitungsprozesses siehe unter http://www.itu.int/wsis/index.html.
- Bei der Bezeichnung Länder des Südens und des
Nordens handelt es sich nicht um eine geografische Verortung, sondern um eine
ökonomische entlang des Industrialisierungsgrades und des nationalen
Wohlstandes.
- Yoshio Utsumi Secretary-General International
Telecommunication Union am 17-18 Juni 2002 vor der Versammlung der Vereinten
Nationen in New York http://www.itu.int/wsis/index.html.
- Für einen guten und kritischen Überblick
siehe zum Beispiel Frank Webster (1995): Theories of the Information Society,
London/New York.
- Daniel Bell (1973): The coming of post-industrial
society: a venture in social forecasting, New York. Für einen Überblick zur Begriffsgenealogie siehe Frank Webster (1995)
oder Duff, Alistair S. (2000): Information Society Studies, London/New York
- Siehe u.a. Paul Hirst und Grahame Thompson
(1996): Globalization in Question. The international economy and the
possibilities of governance, Cambridge oder Elmar Altvater und Birgit Mahnkopf
(2002): Grenzen der Globalisierung: Ökonomie, Ökologie und Politik der
Weltgesellschaft, Hamburg 5. Auflage.
- Manuel Castells (2001): Der Aufstieg der
Netzwerkgesellschaft, Opladen, insbesondere Kapitel zwei S. 83-108
- Bennet
Harrison (1997): Lean and mean: the changing landscape of corporate power in
the age of flexibility, New York u.a.
- Für eine kritische Einschätzung siehe Millar,
Jane (2000): Sustaining Software Teletrade in Bangalore. Forstering Market
Agilitiy through Economic Competence. In: Economic and Political Weekly.
June 24,2000 p. 2253-2262.
- Robert
Gordon (1999): Has the new economy rendered the productivity slow-down
obsolete?. Northwestern University, Department of Economics, zit. in:
Manuel Castells (2001): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Opladen, S. 99.
- OECD
Information Technology Outlook (2002): ICTs and the Information Economy OECD,
Paris.
- Vgl.
z.B. The Global Information and Comunications Technologies Department of the
World Bank Group (2000): The Networking Revolution: Opportunities and
Challenges for Developing Countries, Washington.
- Jeremy
Rifkin (2000): The Age of Access, New York
- ITU
(1999): Trends in Telecommunication Reform: Convergence and Regulation. Siehe
auch http://www.itu.int/ITU-D/ict/publications/americas/2000/sum_e/am00_1.html
[1.8.02]
- Manuel Castells (2001), S. 34ff.
- Taylor,
Frederick W. (1993): Shop management, Repr. of the 1911 and 1903 ed.,
London
- Castells S. 34.
- UNESCO
(2000): World education report, Paris. Trotz des rasanten Wachstums
liegt bei vielen Ländern des Südens der Studierendenanteil jedoch nach wie vor
unter 10 Prozent. Es existieren starke geographische Differenzen, so stieg in
Afrika die Anzahl der Studierenden von 483'000 1970 auf 4 Millionen 1997,
während der Anstieg in Asien von 7 auf rund 35 Millionen betrug.
- Matthias Wingens (1998): Wissensgesellschaft
und Industrialisierung der Wissenschaft, Wiesbaden, S. 166.
- Peter J. Weber (2002): Technisierung und
Marktorientierung von Bildung in Europa. In: Ingrid Lohmann, Rainer Rilling
(eds.): Die verkaufte Bildung, Opladen, S. 34ff.; Die Weltbank beziffert den
Unterhalt mit 75 Prozent der Gesamtkosten, siehe Worldbank (2002): Constructing
Knowledge Societies: New Challenges for Tertiary Education, Washington, p. 27.
- In USA tragen
Studiengebühren zu 18 Prozent der Einnahmen an staatlichen Universitäten bei,
in Australien rund 33 Prozent, in Neuseeland rund 21 Prozent. Siehe u.a. Mollis,
Macela; Marginson, Simon (2002): The assessment of universities in Argentina
and Australia: Between autonomy and heteronomy. In: Higher education 43,
p. 322.
- Dies gilt für Länder des Nordens, wie das
Beispiel Schottland zeigt, dass 1998 Studiengebühren einführte und Unterstützungszahlungen
[maintenance grants] reduzierte, aber auch für Länder des Südens. Siehe u.a.
World Bank (2002): Constructing Knowledge Societies: New Challenges for
Teritary Education, Washington, p. 35ff.
- Wingens, S. 179
- Schiller, Dan (2000): Digital capitalism.
Networking the Global Market System, Cambridge, Massachussetts et al, p.157.
- ebenda, p.147-155.
- ebenda, p. 169.
- Thomas Fritz, Christoph Scherrer (2002): GATS
2000. Handelspolitische Weichenstellung für die Bildung. In: Widersprüche 22.
Jhg. März.; siehe auch http://www.wto.org/.
- Marcela
Mollis, Simon Marginson (2002) : The assessement of universities in
Argentina and Australia : Between autonomy and heteronomy. In: Higher
education 43, p. 311-330.
- Kurt
Larsen, John P. Martin, Rosmary Morris(2002): Trade in Educational Services:
Trends and Emerging Issues. May 2002 revised version, OECD working paper, p. 7.
- Larsen
et al, p. 9.
- Chinesische Studierende machen mittlerweile
neun Prozent aller Studierende in OECD-Ländern aus, gefolgt von indischen,
malaysischen und marokkanischen mit jeweils drei Prozent. Indonesien, Singapur
und Thailand stellen zusammen fünf Prozent der Studierenden. Siehe Paul Bennell
und Terry Pearce (1998): The Internationalisation of higher education:
Exporting education to developing and transitional economies, IDS Working Paper
75, p. 5 und Larsen 2002, p. 9.
- McBurnie,
Grant; Ziguras, Christopher (2001): The regulation of transnational higher
education in Southeast Asia: Case studies in Hong Kong, Malaysia and Australia:
In: Higher Education 42, p. 86.
- Larsen
p. 9.
- Bennell
(1998), p. 10.
- Bennell
(1998), p. 12; Larsen p. 9f.
- Jonathan
Ablett and Ivar-André Slengesol (2000): Education in Crisis: The Impact and
Lessons of the East Asian Financial Shock, 1997-99. World Education
Forum 2000 Dakar, p. 24.
- Grant
McBurnie, Christopher Ziguras (2001): The regulation of transnational higher
education in Southeast Asia: Case studies of Hong Kong, Malaysia and Australia.
In: Higher Education 42, p. 85-105.
- Siehe zum Beispiel
Fhulu Nekhwevha (1999): No matter how long the night, the day is sure to come:
Culture and Educational transformation in post-colonial Namibia and
post-apartheid South Africa. In: International Review of Education. 45(5/6),
p.491506.
- Jane
Kelsey (1998): Privatizing the Universities. In: Journal of Law and
Society, Vol. 25, Num. 1, March, p. 53.
- Eine Ausnahme besteht für regionale
Integrationsabkommen, die hier getroffenen Liberalisierung müssen nicht
automatisch auf andere Länder außerhalb des regionalen Blocks übertragen werden
(Art. V).
- Vgl. http://www.wto.org/,
Fritz/Scherrer 2002, Larsen 2002.
- Die Europäische Union zählt als ein Mitglied.
- Kelsey zeigt für Australien, dass diese
Grenzziehung in dem stark deregulierten Bildungsmarkt in Australien zunehmend
an Definitionskraft verliert
- Klaus Hüfner (1998): Die Hochschulpolitik der
Weltbank in Theorie und Praxis. In: Robert K. von Weizsäcker (ed.):
Deregulierung und Finanzierung des Bildungswesens, Berlin, S. 294.
- Für die Entwicklung der Bildungspolitik bis
anfang der Neunziger Jahren siehe Phillip W.Jones (1992): World Bank Financing
of Education, London, New York.
- World
Bank (2002): Constructing Knowledge Societies. New Challenges for
Tertiary Education. Washington
p.52 (http://www.worldbank.org/education/)
[1.7.2002]
- ebenda
p.50
- Lisa
Jordan (1999): The Death of Development? Converging Policy Agendas of The World
Bank and The World Trade Organization. November
(http://www.bicusa.org/publications/deathdev.htm) [1.7.2002]
- Gayatri Spivak (1988): Can the subaltern speak?, In: Cary
Nelson: Marxism and the Interpretation of Culture. Basingstoke, Ham. u.a..
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