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Copyright & Copyriot

Rezension zu Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus, Verlag Westfälisches Dampfboot 2006

Christoph Hermann

Der Marxsche Fortschritt der Produktivkraft wurde im real existiert habenden Sozialismus ohnehin, aber auch in eher ernstzunehmenden Strömungen „linken“ Denkens oft mit technischem Fortschritt verwechselt. Die Hoffnung, der neueste Fortschritt werde endlich die entscheidende Umwälzung der Produktionsverhältnisse bringen, führte immer wieder dazu, dass seine jeweiligen ProtagonistInnen zum neuen revolutionären Subjekt hochstilisiert wurden (Barbrook 2006).1 Die letzte derartige Konstellation, die manchem gestandenen Linken neue Hoffnungen machte, war die Ausrufung der Wissensgesellschaft und die Formierung der WissensarbeiterInnen. Das revolutionäre Potential der neuen, auf Wissen basierenden Produktionsweise und ihrer AgentInnen manifestierte sich nach Meinung mancher nirgendwo deutlicher als in der Freien Software und Open Source Bewegung. Ihre ProtagonistInnen kämpfen für den freien Zugang zu Software oder zumindest gegen die Geheimhaltung und exklusive Nutzung von Quellencodes, auf die Computerprogramme und ganze Betriebssysteme aufgebaut sind.

Manche BeobachterInnen aus dem postoperaistischen und postmarxistischen Lager schlossen daraus die grundsätzliche Ablehnung von Privateigentum und sahen darin den Keim eines sich herausbildenden Wissenskommunismus. André Gorz beispielsweise schrieb in einer Grußadresse an die 3. Oekonux Konferenz in 2004, die besondere Bedeutung von Freier Software Initiativen wäre, dass „Leute, deren Kompetenzen das Kapital absolut braucht, erbringen auf höchstem technischen Niveau den Beweis, dass die für die Produktion von Wissen adäquateste und effektivste Produktionsweise den kapitalistischen Produktionsverhältnissen in allen Punkten widerspricht“.2 Leider verschließt die Begeisterung für neue Technologien und neue revolutionäre Subjekte oft den Blick für die zentralen Probleme, die durch neue Technologien und Arbeitsweisen aufgeworfen werden und die bei genauerer Betrachtung vielleicht gar nicht so neu sind. Vielfach wird in der Begeisterung auch übersehen, was die vermeintlichen ProtagonistInnen selber von sich denken und welche gesamtgesellschaftlichen Vorstellungen sie haben.

Sabine Nuss hat sich in ‚Copyright & Copyriot’ die wertvolle Arbeit angetan, diese Wissenslücke zu füllen und die Problematik der Wissensgesellschaft und des Eigentums an digitalen Gütern grundsätzlich und mit großer wissenschaftlicher Rigorosität und Beharrlichkeit aufzurollen (letzteres hat sicher auch damit zu tun, dass das Buch auf einer Dissertation basiert). Dabei gelingt ihr der außerordentlich schwierige Spagat, weder ins Lager jener zu fallen, die Veränderungen nur als eine Variation des immer Dagewesenen begreifen, und jenen, für die alles neu ist und die Welt, wie wir sie kennen, in Frage stellt. Folgerichtig fördert sie nicht nur eine Reihe von spannenden Details zu Tage – zum Beispiel den für einen Laien wie mich nicht unbedingt offensichtlichen Unterschied zwischen der Bewegung für Freie Software und jener für Open Source –, sondern kommt auch zu kritischen aber gut begründeten und nachvollziehbaren Schlussfolgerungen.

Das Buch startet mit einer Einführung in den Diskurs über die Wissensgesellschaft. Nuss spannt den Bogen zurück zu den 1970er Jahre und setzt sich mit den wichtigsten Beiträgen der letzten drei Jahrzehnte auseinander – darunter Namen wie Toffler, Bell, Castells, Quah und Rifkin. Teilweise geht sich auch auf die KritikerInnen des wissenschaftlichen Mainstreams ein, wobei kritische, eher marxistisch als weberianisch fundierte Interpretationen der Informationsgesellschaft offenbar Mangelware sind. Nuss kommt jedenfalls zum Schluss: „Der Diskurs zur Wissens- und Informationsgesellschaft hat einen verschleiernden Effekt insofern, als der Begriff Kapitalismus darin zumeist nicht vorkommt“ (S. 32). Die Autorin schlägt deshalb die Verwendung des Begriffes „informationeller Kapitalismus“ vor. Damit will sie „zum einen ... die Umwälzung der Produktionsverhältnisse auf der Basis einer neuen Technologie ... betonen; zum anderen, ... die spezifischen Gesellschaftsform, in welcher dies geschieht, bei ihrem Namen ... nennen“ (ebenda).3

Nach der Wissensgesellschaft geht es dann um das Urheberrecht und den Schutz geistigen Eigentums und die Probleme, welche neue Technologien wie das Internet für die Nutzung dieser Rechte mit sich bringen. Im Internet können digitale Güter unendlich oft kopiert werden und in Sekundenschnelle an Tausende, wenn nicht Millionen Menschen weitergereicht werden, ohne dass dadurch der Gebrauchswert des Gutes beeinträchtigt wird. Musiktauschbörsen sind ein drastisches Beispiel, wie traditionelle Eigentumsrechte, die es beispielsweise einem Käufer einer Schallplatte erlaubten, diese für den Eigengebrauch auf Kassette aufzunehmen und Freunden vorzuspielen, im Cyberspace zur Gefahr für den Urheberschutz werden. Entsprechend vehement setzten sich die Musikindustrie und andere Unterhaltungskonzerne für eine Neufassung des Urheberrechtes ein und entsprechend konsequent ging sie gegen die Tauschbörse Napster vor (im Endeffekt wurde sie aufgekauft und still gelegt).

Eine ähnliche Bedrohung für eine erfolgreiche Kapitalverwertung stellen auf den ersten Blick auch die Freie Software- und die Open Source-Bewegungen dar: Zumindest im Fall der Freien Software wird auch hier die traditionelle Ausübung von Eigentumsrechten in Frage gestellt – allerdings nur partiell und beschränkt auf Software. Andere Güter können laut den Gründern dieser Bewegung durchaus in Privatbesitz bleiben. Marx und anderen AutorInnen folgend stellt Nuss fest, dass es immer schon Güter gab, die kollektiv zur Verfügung gestellt wurden. Dies ist überlebenswichtig für den Kapitalismus. Auch das Beispiel der Open Source Software, die inzwischen von Großkonzernen genützt wird, die jedes Jahr mehrere Millionen Euro Profit machen, zeigt, dass frei zugängliche Software zwar ein Problem für Microsoft darstellt, das System insgesamt aber nicht stürzt, sondern im Gegenteil zu seiner Reproduktion beitragen kann. Open Source Software stellt inzwischen ein zentrales Feld für Innovationen im Softwarebereich dar. Die Autorin hat deshalb völlig recht, wenn sie feststellt: „Bei einer Analyse von Feier Software/Open Source aus einer emanzipativen Perspektive ... müsste auch kritisiert werden, dass das bedingungslose ‚frei’ oder ‚offen’ wenig emanzipatives hat. Schließlich ist es dem abstrakten ‚frei’ nicht anzusehen, welche Rolle der jeweilige Code im gesellschaftlichen Kontext spielt. Es ist meines Erachtens nicht völlig beliebig, ob Freie Software/Open Source eingesetzt wird in einem Atomkraftwerk oder in einer Anti-Atom-Initiative, an der Börse oder in einer Bauernkooperative“ (S. 234).

Abgesehen davon, sitzen die ProduzentInnen freier Software in der Regel an Universitäten oder auf anderen staatlich geförderten Stellen und sind daher nicht darauf angewiesen, ihre Urheber- oder Eigentumsrechte geltend zu machen, um finanziell überleben zu können (im Unterschied zu den tausenden selbständigen KünstlerInnen und WissenschafterInnen, deren Einkommen unmittelbar von der Ausübung des Urheberrechtes abhängt). „Dass Menschen im Kapitalismus in dieser Weise überhaupt kooperieren können, hat zur Voraussetzung, dass ihr Lebensunterhalt entweder per Lohnarbeit gesichert ist und ihnen genug Lust und Zeit zur Beschäftigung mit freier Software bleibt oder sie z.B. als Studenten oder Forschungsmitarbeiter staatlich alimentiert werden für die Beschäftigung mit so etwas wie Freier Software“ (S. 235). Wie marxistische Staatstheorie seit langem betont, kommt dem Staat im Kapitalismus die besondere Aufgabe zu, die allgemeinen Reproduktionsbedingungen privater Akkumulation sicherzustellen.

Ähnlich kritisch beurteilt Nuss auch die systemgefährdende Natur von digitalen Gütern: Dieselben Eigenschaften, die es so einfach machen, digitale Güter zu verbreiten, bieten nämlich auch neue Möglichkeiten, den Gebrauch dieser Güter einzuschränken. Die Musik- und Unterhaltungsindustrie arbeitet eifrig daran, neue Verfahren zum Kopierschutz und zur Einschränkung der Nutzung digitaler Güter zu entwickeln. Im Endeffekt kann die Digitalisierung sogar zu einer Einschränkung anstatt zu einer Ausweitung der Nutzung führen. „All das, was in der nicht-elektronischen und analogen Welt des Papiers oder Vinyls als Privatkopie im Freundeskreis und Familienkreis kursierte, kann jetzt potentiell bis auf jede einzelne Übertragung beobachtet, kontrolliert und damit verhindert oder abgerechnet werden“ (S. 224). Nuss glaubt, dass in dieser Hinsicht noch einiges auf uns zukommen wird. „Da die Kommodifizierung digitalisierter Inhalte in all ihren Facetten – rechtlich, technisch, ideologisch – noch im Gange ist, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, wie genau die gesellschaftliche Auseinandersetzung darum ausgehen wird und welche Formen der informationellen Produktion und Distribution noch gefunden werden“ (S. 243).

Wie die Autorin anhand eines historischen Exkurses deutlich macht, stellt Eigentum bekanntlich ein soziales Verhältnis dar und hängt nicht von stofflichen Eigenschaften bestimmter Güter oder von spezifischen Technologien ab. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass dieses soziale Verhältnis seinen Ursprung in der Produktion hat, d.h. in der Trennung der direkten ProduzentInnen von den Produktionsmitteln. Erst durch diese Trennung ergibt sich in der Sphäre der Zirkulation die Notwendigkeit, dass die ArbeiterInnen die Produkte ihrer eigenen Arbeit kaufen müssen. Deshalb kommt es, wie Nuss betont, „auf eine freie Verfügungsgewalt über Produktionsmittel an. Erst aus ihr ergibt sich die potentielle Freiheit zur Zwecksetzung bzw. -veränderung der Produktion und damit eine Zwecksetzung fern ab von Profit und Warenform“ (S. 233). Allerdings sollte in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Sphäre der Zirkulation, wo ProduzentInnen miteinander konkurrieren und Waren für Geld getauscht werden, nicht unterschätzt werden. Auch die vielen selbständigen KreativarbeiterInnen, die die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel – in vielen Fällen gerade einmal der eigene PC – besitzen, entrinnen nicht dem Zwang der Profitmaximierung.

Insgesamt kommt Nuss zum Schluss, dass von der Digitalisierung der Wirtschaft und dem Entstehen Freier Software unmittelbar keine Umwälzung der kapitalistischen Produktions- und Lebensverhältnisse erwartet werden kann. Immerhin zeigt aber das Beispiel der Freien Software, „dass selbst unter den Bedingungen des Kapitalismus eine andere Form der Produktion möglich ist – und zwar nicht nur in dem beschränkten Rahmen eines kleinen Projektes, das überschaubar ist und bei dem sich alle kennen, sondern innerhalb eines weltweiten Verbundes ... In der Tat ist es beeindruckend, wie es bei der Entwicklung von Freier Software/Open Source gelingt, dass Menschen weltweit zusammenarbeiten und dabei auch noch komplexe und leistungsfähige Produkte hervorbringen – nicht nur ohne die Motivation des Tauschwertes, sondern auch unter weitestgehendem Verzicht auf hierarchische Leistungs- und Kontrollstrukturen, wie man sie aus kapitalistischen Unternehmen kennt ... Insofern ist die Produktion Freier Software ein wichtiges Beispiel für die Möglichkeit anderer Kooperationsformen – nicht weniger, aber auch nicht mehr“ (S. 240).

Anmerkungen

  1. Richard Barbrook (2006), The Class of the New. London: Openmute. Herunterladbar von www.theclassofthenew.net Barbrook stellt in diesem Buch 86 Definitionen von neuen Klassen der letzten 230 Jahre zusammen. Gemeinsam ist allen die Verbindung zu technologischen Innovationen. Interessant ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass die Begeisterung für neue Technologien und neue, systemverändernde Kräfte sowohl von rechten als auch linken AutorInnen geteilt wird. Zurück zur Textstelle
  2. www.oekonux.de Gorz mag mit dieser Feststellung gar nicht so falsch liegen; das Problem ist freilich, dass Frauen im inner- oder außer-familiären Pflegebereich jeden Tag den Beweis erbringen, dass die kapitalistische Produktionsweise inadäquat ist, ohne dass jemand Notiz davon nimmt.Zurück zur Textstelle
  3. Siehe auch Christine Resch, Berater-Kapitalismus oder Wissensgesellschaft?, Westfälisches Dampfboot 2005.Zurück zur Textstelle
© links-netz März 2007