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Autoritärer Nationalstaat trifft auf Scheinrevolution

Benno Herzog, Soziologe, Universität von Valencia (Spanien)

Seit über zehn Jahren wächst nun schon der Druck der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien. Doch erst seit den letzten Monaten wird das Anliegen eines großen Teiles der katalanischen Bevölkerung auch international von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen. Am ersten Oktober diesen Jahres wurde ein nicht genehmigtes und trotzdem durchgeführtes Referendum über die Unabhängigkeit abgehalten, an dem ca. 50% der Wahlbevölkerung teilnahmen. Nachdem die Polizei hart gegen absolut friedliche Bürger vorging und einige Urnen beschlagnahmte, blieb eine Wahlbeteiligung von 43% übrig – etwas mehr als bei der Wahl zur europäischen Verfassung 2005. Rund 90% stimmten für eine Unabhängigkeit Kataloniens. Die Unabhängigkeitsbewegung fühlt sich sowohl durch das Referendum als auch durch das harte Eingreifen der Polizei legitimiert. Auf der anderen Seite, ist das Vorgehen der „Independentistas” in vieler Hinsicht illegal und kann nach rechtsstaatlicher Logik nicht toleriert werden.

Wie bei jedem sich zuspitzenden Konflikt wächst auch in diesem Fall der Druck, sich einseitig zu positionieren. Doch auf welcher Seite?

Der spanische Staat

Auf der einen Seite haben wir den spanischen Nationalstaat, mit einer Verfassung, einem gewähltem Parlament, einer konservativen Regierung und einer Gewaltenteilung die, wie in vielen anderen westlichen Staaten auch, verbesserungswürdig ist. Es kann nicht wirklich verwundern dass dieser Staat sein Gewaltmonopol nutzt, um die Einhaltung der Verfassung sicherzustellen. Und auch die Polizeigewalt kann im europäischen Vergleich als normal gelten. Rund um das Treffen der G20 sah man in Hamburg ein ähnlich hartes Vorgehen.

Doch Nationalstaat ist nicht gleich Nationalstaat. Der spanische Staat hat auch über vierzig Jahre nach Francos Tod noch ein Problem mit seinem franquistischen Erbe. So wird zum Beispiel oft auf die immer noch legale Fundación Francisco Franco verwiesen, die „der Verbreitung und Erinnerung des Werkes Francos” dient und teilweise auch staatliche Zuschüsse bekommt. Oder auf das offene Zeigen des Hitlergrußes und von Hakenkreuzen bei Demonstrationen für die Einheit Spaniens bei denen es keine Berührungsängste zwischen der Volkspartei PP und Falangisten gibt. Im weiteren Unterschied zu vielen anderen westlichen Staaten, die ihre innere Vielfalt scheinbar besser verwalten, ist Spanien ein Zentralstaat, in dem die Regionen vergleichbar wenig Einfluss haben. Oft wird von katalanischer Seite aus die Schweiz, Kanada oder auch die USA als Vorbild eines anzustrebenden Staatsmodelles genannt, in dem kulturelle Vielfalt geschätzt und nicht bekämpft wird. Immer wieder wird in der Debatte um die Unabhängigkeit auch das ökonomische Argument genannt. Katalonien zahle mehr als andere Regionen und stünde alleine besser da. Doch in Wirklichkeit vermischen sich hier ökonomische mit moralischen Argumenten. Denn es geht weniger darum wieviel man zahlt oder bekommt sondern mehr darum an wen man zahlt und was damit gemacht wird. Es handelt sich in Spanien eben nicht um einen Länderfinanzausgleich wie in Deutschland, sondern die Gelder gehen nach Madrid und werden von dort oft nach klientelistischen Kriterien vergeben. Mit anderen Worten: das Steuersystem konzentriert Geld und Macht in Madrid. Als weitere Besonderheit darf man natürlich auch nicht vergessen, dass der spanische Staat immer noch eine Monarchie ist, ganz egal wie groß man den Einfluss des Königshauses auf die Politik einschätzt.

Der spanische Staat ist also nicht einfach nur ein Nationalstaat wie jeder andere. Er ist autoritärer und zentralistischer als viele anderen westlichen Staaten. Aus diesem Grund werden seit Jahren Rufe nach einer Demokratisierung laut. Der „Pakt von 1978” wird vermehrt in Frage gestellt und grundlegende Reformen der spanischen Staats- und Gesellschaftsordnung gefordert. Diese Demokratisierung soll auch in der Lage sein, die kulturelle Vielfalt Spaniens zu unterstützen, die sich am sichtbarsten in den co-offiziellen Sprachen der verschiedenen Regionen, wie Galizisch, Baskisch und Katalanisch, ausdrückt. Der gewaltsame baskische Weg war nur sehr bedingt erfolgreich. In Katalonien wurde seit 2005 versucht, mittels eines neuen Autonomiestatuts Katalonien mehr Freiraum innerhalb des spanischen Staates zu verschaffen. Doch sämtliche Versuche und Dialogangebote wurden von Madrid abgeschmettert. Daher hält ein großer Teil Kataloniens eine Demokratisierung nur noch außerhalb Spaniens für möglich.

Die „Independentistas“

Demokratisierung und kulturelle Vielfalt klingt erst einmal gut. Aufbrechen autoritärer, klientelistischer und zentralistischer Strukturen auch. Und Monarchie durch Republik ersetzen dürfte für Linke eine Selbstverständlichkeit sein. Dennoch tun sich viele fortschrittlich denkende Menschen schwer die katalanische Unabhängigkeitsbewegung zu unterstützen, denn es gibt gute Gründe die Nation als revolutionäres Subjekt abzulehnen. Selbst wenn sich Katalonien nicht ethnisch definiert so wird doch auch im katalanischen Model zwischen zugehörig und nicht-zugehörig unterschieden. Bei dem Unabhängigkeitsreferendum waren Ausländer nicht stimmberechtigt – egal wie lange sie schon in Katalonien wohnten. Das Projekt eines katalanischen Staates ist ganz klar das eines bürgerlich-kapitalistischen. In ihm wird es wohl auch weiterhin Atomenergie geben, selbst wenn der Atommüll dann in Katalonien entsorgt werden muss und nicht mehr außerhalb lagern dürfte. Auch wird es weiterhin Abschiebungen von Migranten geben, gerade dann wenn man sich möglichst schnell für die Europäische Union qualifizieren möchte. Und auch eine hart durchgreifende Polizei steht schon bereit. Obwohl die Mossos d’esquadra, die katalanische Regionalpolizei, bei der Unterdrückung des Referendums praktisch nicht mithalf, kann auch sie gewalttätig werden. So wurden z.B. die friedlichen „indignados” des „15M” mit äußerster Härte vom Plaza de Cataluña vertrieben. Außerdem geriet die katalanische Polizei in der Vergangenheit wiederholt wegen Foltervorwürfen in die Schlagzeilen, inklusive rechtskräftiger Verurteilungen.

Das katalanische Projekt ist ein bürgerliches und im schlechtesten Fall treibt es die neoliberale Konkurrenz in Europa weiter voran wie auch Armando Fernandez auf diesen Seiten aufzeigt. Warum können sich dennoch so viele Linke in Katalonien und auch außerhalb für dieses Projekt begeistern?

Linke Narrative

In Katalonien und auch außerhalb gibt es einige, sich überschneidende Narrative, die es ermöglichen, ein bürgerlich liberales Projekt wie die katalanische Unabhängigkeit zu unterstützen. Da wäre zum einen die Vorstellung, dass das Verhältnis von Spanien zu Katalonien das eines Kolonialstaates zu seinen Kolonien ist. Polizei und paramilitärische Guardia Civil werden dann auch gerne als „Besatzungsmächte” bezeichnet. Ein weiteres Narrativ ist das des erneuten Kampfes zwischen dem faschistischen Spanien und dem republikanischen Katalonien. Schlachtrufe wie „No pasaran” aus dem spanischen Bürgerkrieg vermitteln die Idee, dass es hier ums Ganze geht. Beide Erzählungen spielen mit der in Spanien leider sehr oft auch unter Linken anzutreffenden Unterscheidung der Gemeinschaft der Guten gegen das absolut Böse. Je brutaler der spanische Staat dabei gegen Bürger vorgeht, die auf jede Gegenwehr verzichten, desto glaubwürdiger wird dieses Narrativ. Hinzu kommen noch andere Argumente. So glauben zum Beispiel Teile der linken CUP, dass Erfahrungen von zivilem Ungehorsam und Selbstorganisation die in den letzten Wochen gemacht wurden, die Bewegung weiter treiben und in Richtung einer sozialen Revolution führen kann. Da der Großteil der katalanischen Bevölkerung aber mit einem bürgerlich liberalen Staat vollkommen zufrieden ist, fällt es schwer sich vorzustellen, wie die soziale Bewegung gegen den deklarierten Willen der Mehrheit hinausreichen sollte. Und schließlich wäre da noch das ganz pragmatische Argument: Lieber eine Republik, ein Staat wie Finnland als eine autoritäre Monarchie. Das macht zwar in der Praxis nur einen ganz kleinen Unterschied aus, aber Linke sollten ja auch kleine Fortschritte unterstützen.

Je friedlicher und „zivilisierter”, so das immer wieder bemühte Vokabular der Independentistas, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung ist und je autoritärer sich Madrid dem Dialog verweigert und auf Repression setzt, desto schlüssiger erscheinen die Argumente der linken Unabhängigkeitsbefürworter. Je brutaler der spanische Staat vorgeht, desto eher glaubt man einer Kolonialmacht gegenüberzustehen oder der Wiedergeburt des Faschismus beizuwohnen. Je mehr der spanische Staat in die Autonomie Kataloniens eingreift, desto größere soziale Lernprozesse werden im Widerstand gemacht und desto größer scheint der Unterschied zwischen dem repressiven Spanien und dem zu erwartenden Katalonien. Die Regierung von Madrid hilft also fleißig mit, linke Narrative wahr erscheinen zu lassen.

Gefahren

Die große Gefahr ist, dass kein Fortschritt erkämpft wird, sondern sich das bewahrheitet was viele Katalanen befürchten: dass der spanische Staat seine franquistische, repressive Fratze zeigt. Ein Rückschritt nicht nur in Katalonien sondern in ganz Spanien hin zu einem deutlich autoritäreren Staat stellt eine reale Bedrohung dar. Dies ist wohl auch einer der Gründe warum sich Linke in ganz Spanien trotz ihrer Ablehnung der Unabhängigkeitsbestrebungen mit Katalonien solidarisch zeigen. Doch auch ohne dieses worst-case Szenario ist schon jetzt vieles in die Brüche gegangen. Echter Dialog scheint kaum noch möglich. Es werden unterschiedliche Medien konsumiert und selbst die Worte scheinen verschiedene, sich widersprechende Bedeutungen zu haben. Während Demokratie hier heißt, den Rechtsstaat mit seiner Verfassung zu verteidigen, heißt Demokratie auf der anderen Seite, über die Unabhängigkeit abstimmen zu dürfen. Dieses Auseinanderdriften der Diskurse, der Abriss jeden Dialoges und das Verschwinden dessen, was einst „gemeinsame Öffentlichkeit” hieß, bestärkt dabei nur die Hardliner auf beiden Seiten und stellt den Rest der Bevölkerung vor eine binäre Wahl. Nun wusste aber schon Adorno das „die vorgegebene Alternative [...] bereits ein Stück Heteronomie” ist. „Frei wäre erst, wer keinen Alternativen sich beugen müsste, und im Bestehenden ist es eine Spur von Freiheit, ihnen sich zu verweigern. Freiheit meint Kritik und Veränderung der Situation, nicht deren Bestätigung durch Entscheidung inmitten ihres Zwangsgefüges.” Sich den falschen Alternativen zu entziehen, nicht zwischen Repressionsapparat und Scheinrevolution wählen zu müssen, wäre bereits ein erster Schritt Richtung Freiheit.

Beide Seiten zu kritisieren heißt aber nicht, eine Position der moralischen Äquidistanz zu beziehen. Wenn Polizei und Paramilitärs auf der einen Seite brutal vorgehen und auch das Militär bereit steht, um gegen Bürger eingesetzt zu werden, die friedlich Widerstand leisten, dann ist klar, von wem die Gewalt ausgeht und wer den Dialog sucht. Recht hat dadurch aber noch keiner.

© links-netz Oktober 2017