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Spanien vor den Parlamentswahlen

Was wird aus Podemos?

Benno Herzog

Noch im Frühjahr 2015 sah alles nach einem Linksruck in Spanien aus. Die aus der Protestbewegung 15M hervorgegangene Partei Podemos lag bei Umfragen teilweise als stärkste Kraft vor allen anderen Parteien und es schien als hätte sie einen komfortablen Vorsprung zusammen mit den Sozialdemokraten der PSOE vor der Volkspartei PP. Die permanenten Attacken auf Podemos als eine aus dem Iran und Venezuela finanzierte populistische und antidemokratische Partei konnten nicht wirklich ernst genommen werden und brachten Podemos und seinem charismatischen Parteichef Pablo Iglesias nur weiter in die Medien.

Bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai schnitt Podemos zwar nicht so gut ab wie erwartet, konnte aber immer dort wo sie ein breites Bündnis mit anderen linken Kräften einging gute Erfolge erzielen. So haben beispielsweise die drei größten spanischen Städte, Madrid, Barcelona und Valencia inzwischen linke Bürgermeister die eine spürbar andere Politik betreiben als ihre Vorgänger. Es hat sich gezeigt dass die Angst, ein Politikwechsel würde den postulierten zarten Aufschwung gefährden und linke radikale das Land in Chaos versenken nicht gegriffen hat. Einziger Wehrmutstropfen schien das verblassen der traditionsreichen aber auch traditionell zerstrittenen Vereinigten Linken (Izquierda Unida) die als gesamtgesellschaftliche Kraft kaum noch wahrgenommen wurde.

Doch nun sieht alles ganz anders aus. In den letzten Umfragen liegt die Rechtskonservative PP zusammen mit der zu erstaunlichem Erfolg aufgestiegenen rechtsliberalen Partei Ciudadanos deutlich vor einem möglichen Bündnis PSOE-Podemos. Alles scheint möglich bei den am 20. Dezember anstehenden Parlamentswahlen. Was war geschehen? Wie kann es zu so einem raschen Umschwung kommen? Im Folgenden werde ich versuchen die Situation in Spanien anhand von drei Gegensätzen zu erklären und dabei flüchtige Oberflächenphänomene von langfristigen Tendenzen zu unterscheiden.

1. Oben – Unten

„Die Begründung des Sozialismus durch moralische Gerechtigkeitsbegriffe, der Kampf gegen die Verteilungsweise, statt gegen die Produktionsweise, die Auffassung der Klassengegensätze als Gegensatz von arm und reich, die Bestrebung, die „Genossenschaftlichkeit“ auf die kapitalistische Wirtschaft aufzupropfen, alles das, was wir im Bernsteinschen System vorfinden, ist schon einmal dagewesen. Und diese Theorien waren zu ihrer Zeit bei all ihrer Unzulänglichkeit wirkliche Theorien des proletarischen Klassenkampfes, sie waren die riesenhaften Kinderschuhe, worin das Proletariat auf der geschichtlichen Bühne marschieren lernte.” (Rosa Luxemburg)

Die spanische Politik ist von starker Personalisierung geprägt. Politik, gute wie schlechte, wird von Personen gemacht die mehr oder weniger moralisch verantwortlich handeln, so die verbreitete Einschätzung. Das heißt auf der anderen Seite, dass sowohl Ideen und Programme (die PP hat fast alle ihre Versprechungen des Wahlprogramms gebrochen) als auch strukturelle oder systematische Gründe fast vollkommen aus der gesellschaftlichen Debatte verschwinden. Über Jahrzehnte hinweg galt es als Binsenweisheit das Politik ein unmoralisches Geschäft ist, aber da beide der großen Parteien PP und PSOE in unzählige Korruptionsskandale verstrickt waren gab es weder einen politischen Willen zur Änderung noch eine wahrgenommene Alternative zu der Art der Politik welche den Staat als Beute der jeweiligen Regierungspartei begreift. Außerdem: solange der Aufschwung deutlich sichtbar war, wurde Korruption als Teil der Spielregeln verstanden, die akzeptabel waren, da ja nur der Staat, nicht aber die Bürger beraubt wurden.

Das alles änderte sich mit der ökonomischen und gesellschaftlichen Krise. Immer klarer wurde es den meisten Spanier_innen, dass Korruption nicht einen fernen Staat bestiehlt, sondern gesellschaftlichen Reichtum schmälert. Das Problem war nur, dass praktisch keine Interpretationschemata zur Verfügung standen um die Situation strukturell zu verstehen und nicht als das Versagen Einzelner. Im Rahmen dieser personalisierenden Narration muss auch der Aufstieg von Podemos verstanden werden. Mit ihrem Diskurs über die „Kaste“ der Politiker (und der Verquickung von Politik und Wirtschaft) stellten sie sich gegen den bisherigen Diskurs von PP und PSOE bei welchem jeweils nur mit dem Finger auf die andere Seite gezeigt wurde. Diese Vorstellung dass „die da oben“ alle unter einer Decke stecken und die Grenze eben nicht zwischen links und rechts verläuft sondern zwischen oben und unten entsprach dem Empfinden von Millionen Spanier_innen. Von Podemos selbst wurde dieser Eindruck noch verstärkt. Obwohl alle führenden Persönlichkeiten linke Biographien haben, wurde immer wieder betont, man sei weder links noch rechts sondern auf der Seite der „Menschen“ (gente) und gegen die „Kaste“. Wie gesagt war diese Strategie so erfolgreich dass Podemos teilweise in den Umfragen als stärkste Kraft geführt wurde. Sympathisanten kamen sowohl aus der Gruppe der Nichtwähler, als auch von der rasant abgestiegenen PSOE und von der Vereinigten Linken die in der Bedeutungslosigkeit zu versinken drohte. Es waren aber auch enttäuschte ehemaligerWähler der Volkspartei darunter. So eine große und breite Kundschaft muss erst einmal bedient werden.

Kritisiert wurde Podemos vor allem aus drei Gründen: Von links wegen der als mangelhaft empfundenen innerparteilichen Demokratie. Zuviel Macht habe Pablo Iglesias beziehungsweise die oberste Führungsriege zu der auch Iñigo Errejón und Juan Carlos Monedero gehören. Von rechts wurde versucht aufzuzeigen, nachdem die Strategie, Podemos mit Venezuela und dem Iran in Verbindung zu bringen, nicht zog, dass die Führungsriege von Podemos genauso moralisch verwerflich handele wie die Politiker aller anderen Parteien auch und dass Iglesias, Errejón und Monedero längst selbst zur „Kaste“ gehören. So habe Iglesias z.B. seine Mitarbeiter in einer Produktionsfirma nicht richtig bezahlt, Errejón habe ein Stipendium bezogen, sei aber kaum an der Universität Málaga gewesen sondern meist in Madrid und Monedero habe eine Politikberatung erst nachträglich richtig versteuern. Und aus allen politischen Richtungen wurde die Kritik laut, Podemos fehle es an politischer Programmatik. Dabei war es nicht nur der Druck zur „Realpolitik“ dem sich alle linken Kräfte ausgesetzt sehen, sondern auch das Verlangen mehr zu sagen als dass man auf der Seite der einfachen Leute stehe.

Diese Konstellation, mit einem Diskurs im Zentrum, indem die „Menschen“ der „Kaste“ gegenübergestellt werden bei gleichzeitiger permanenter Kritik an Podemos hat den kometenhaften Aufstieg einer anderen Kraft begünstigt, die bei den Wahlen im Dezember für einen rechten Wahlsieg entscheidend sein kann. Die aus Katalonien kommende Partei Ciudadanos mit ihrem jungen und ebenfalls charismatischen Parteichef Albert Rivera profitiert von dem gleichen Diskurs wie Podemos. Als junge, von Korruptionsskandalen unbefleckte Partei tritt sie gegen die Etablierten an. Zudem heftet der Partei weder der Geruch von Venezuela an, noch mangelt es ihr an einem klaren Parteiprogramm. Ciudadanos tritt mit einem dezidiert wirtschaftsliberalen Programm an, welches sie natürlich im Sinne der einfachen Leute sei. Und die Forderung nach alternativen Parteistrukturen wie man sie aus der Linken an Podemos richtet wird an eine rechtsliberale Partei natürlich gar nicht erst formuliert.

Während sich also PP und PSOE auf einem historischen Tief stabilisiert zu haben scheinen, wechseln Wähler nun die Seite von der vielkritisierten Podemos zur wenig kritisierten Ciudadanos. Podemos hat mit ihrer Rede von den einfachen Leuten die gegen die Politikerkaste stehen und der Absage an einen klaren linken Diskurs also unfreiwillig den Weg geebnet für diejenigen die die gleiche Melodie spielen können – nur mit deutlich mehr Geld und massenmedialer Unterstützung. Die Personalisierung der Politik statt des Aufzeigens von strukturellen Zusammenhängen ist eben nur eine machtpolitische und keine aufklärerische, emanzipatorische Strategie.

2. Katalonien – Spanien

„Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche“
(Kaiser Wilhelm II)

All die Debatten über Krise und Regeneration, Reformen, Korruption und Personalien rücken gerade weitgehend in den Hintergrund. Stattdessen besetzt die Frage nach der Unabhängigkeitsbestrebung Kataloniens die Sendezeit, Titelblätter und Leitartikel Spaniens. Bei allen landesweit ausgerichteten Parteien und Massenmedien scheint die Bejahung der spanischen Nation außer Frage zu stehen. Fernsehdebatten über die katalanische Unabhängigkeit bei der ausschließlich Unabhängigkeitsgegner zu Wort kommen, sind die Regel. Ministerpräsident Mariano Rajoy, der als blass, kraft- und mutlos galt –und auch schon mal aus Angst vor Journalistenfragen eine Pressekonferenz nur über einen Fernsehschirm abhält- kann sich nun zum ersten Mal als starker Mann präsentieren. Die Auseinandersetzung um die katalanische Unabhängigkeit kann als klassische win-win Situation angesehen werden. Je konkreter die Unabhängigkeitsbestrebungen werden, desto mächtiger versucht sich der spanische Staat und seine Regierung zu präsentieren. Und je unflexibler sich der Staat gegenüber Katalonien zeigt, desto stärker das Gefühl in der Region, sich von Spanien bevormundet zu fühlen.

In Deutschland wird die Unabhängigkeit oft als ein Anachronismus wahrgenommen und als „Kleinstaaterei“ abgestempelt. Das verkennt allerdings das tief sitzende Gefühl vieler Katalan_innen, dass die eigene Kultur und Sprache vom Zentralstaat nicht ernst genommen wird und dass das Verhältnis von Madrid zu den autonomen Regionen ein Ausbeutungsverhältnis nicht unähnlich dem einer Kolonialmacht zu seinen Kolonien sei. Die Arroganz mit der Madrid seit jeher versucht hat, die Katalanen zu „spanisieren“ hat natürlich den exakt gegenteiligen Effekt gehabt.

Für die Volkspartei ist das aber trotzdem kein Problem. Ganz im Gegenteil, sie kann mit einer breiten antikatalanischen Mehrheit rechnen. Die Medien füllen sich mit Artikeln über Katalonien und die Korruption um den ehemaligen Präsidenten Kataloniens, Jordi Pujol und seine Familie. Von dem größten Korruptionsskandal in der Geschichte des Landes, der die spanische Regierungspartei PP betrifft ist kaum noch die Rede, genauso wenig wie von dem Mangel an jedweder Perspektive, aus eigener Kraft aus der Krise herauszukommen. Von daher könnte die „Verfassungskrise“ in Wirklichkeit die etablierten Parteien und den Status Quo stärken. Im Zweifel vereinen sich alle Parteien und Medien hinter der Nation.

3. Links – Rechts

„Brian: Seid ihr von der Judäischen Volksfront? [...]

Rech: Judäische Volksfront. Quatsch! Wir sind die Volksfront von Judäa! [...] Es gibt Typen, die wir noch mehr hassen als die Römer: diese verfluchten Judäischen Volksfrontmistkerle.

Alle: Oh ja... ja. Spalter

Francis: Und diese Populäre Volksfront.” (Monty Python: Das Leben des Brian)

Der starke Diskurs des „wir da unten“ gegen „die da oben“ darf nicht verdecken, dass in Spanien eine tiefe Trennung zwischen links und rechts herrscht, die trotz aller Rhetorik nicht überwunden ist. Dass dieser Graben besteht, zeigt sich auch in der Tatsache dass das Angebot einer rechten Alternative zu Podemos in Form von Ciudadanos nur zu gern aufgenommen wurde, sobald diese öffentlich in Erscheinung trat. Seitdem stehen sich PP und Ciudadanos auf der einen Seite und PSOE und Podemos (und vieleicht eine neue vereinigte Linke) gegenüber. Eine große Koalition wie es sie in Deutschland schon oft gegeben hat, ist in Spanien zur Zeit nicht denkbar. Die Angst vor einem linken Populismus die von PP und PSOE gegen Podemos geschürt wurde hat zwar den beiden etablierten Parteien nicht geholfen, aber sicherlich die Wählerwanderung von Podemos zu Ciudadanos begünstigt.

Und während die PSOE die Konkurrenz von Podemos attackiert, droht letztere die einzig verbliebene antikapitalistische Alternative auszulöschen. Auf dieser, linken Seite schafft es Izquierda Unida nicht sich als stabile Kraft zu präsentieren. Mit starken Stimmverlusten an Podemos schien die Vereinigte Linke in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, konnte sich dann aber zu den Regional- und Kommunalwahlen in relativ erfolgreiche Wahlbündnisse integrieren. Diese Strategie sollte jetzt bei den Parlamentswahlen wiederholt werden, aber der Streit mit Ahora en Común (Jetzt Gemeinsam) führt dazu dass die Vereinigte Linke nun unter ihrem Namen mit dem Zusatz Unidad Popular (Volkseinheit) antritt. Soviel Einheit der Name auch versucht zu suggerieren, so wenig kann er darüber hinwegtäuschen dass sich die Linke in einer tiefen Krise befindet, ihre Politikangebote hinter den vier großen Parteien kaum wahrgenommen werden und ihnen das Stigma anhängt, auch zu den alten Parteien der „Kaste“ zu gehören.

Doch im linken Spektrum gibt es natürlich nicht nur Parteien. Die Legislaturperiode der Volkspartei war anfänglich von breiten Protesten und großen sozialen Bewegungen geprägt. Massendemonstrationen und auch Streiks waren an der Tagesordnung. Allerdings scheint dieser erste Schwung nun abgeebbt zu sein. Zwei Gründe scheinen hierfür ausschlaggebend: Zum einen der relativ geringe Effekt der Mobilisierungen. Lediglich die Privatisierung des Gesundheitswesens von Madrid und die konservative Reform des Abtreibungsgesetzes konnten gestoppt werden. Ansonsten sind alle großen sozialen Kahlschlagsprojekte der Volkspartei mit eiserner Härte durchgezogen worden. Auf der anderen Seite kann auch das Heilsversprechen von Podemos die ja gerade aus den sozialen Bewegungen hervorgegangen sind, dazu beigetragen haben, diese ruhig zu stellen und auf die Wahlen zu vertrösten.

Trotz Massenmobilisierung und Bürgerprotesten, trotz des kometenhaften Aufstiegs von Podemos Anfang diesen Jahres und trotz des beeindruckenden Wahlsieges verschiedener Linker Kräfte bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai diesen Jahres, steht nun wieder ein relativ starker rechter Block in Spanien mit guten Chancen, die Wahlen am 20. Dezember für sich zu entscheiden. Damit würde die Chance vertan, dass nach Griechenland und Portugal nun mit Spanien sich noch ein weiteres und zudem wirtschaftlich relativ starkes Land der neoliberalen europäischen Politik entgegenstellt und mithilft, einen gesamteuropäischen Umschwung herbeizuführen.

© links-netz Dezember 2015