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Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

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Gestern standen wir noch am Rande des Abgrunds – heute sind wir schon einen Schritt weiter

Ursachen und Folgen der herrschenden Krisenpolitik

Joachim Hirsch

Dass die aktuelle Krise die schwerste seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts darstellt, wird inzwischen kaum mehr bezweifelt. Und wie diese wird sie enorme politische und soziale Umwälzungen nach sich ziehen. Der globale Kapitalismus ebenso wie das Staatensystem werden, sollte die Krise nicht in einem Zusammenbruch enden, nicht mehr dieselben sein wie vorher. Die Regierenden aller Länder, nicht zuletzt die deutsche, arbeiten entschlossen daran, das Desaster weiter voranzutreiben. 2008, nach dem offenen Ausbruch der Krise wurde das vor der Pleite stehende Bankensystem durch die Staaten gerettet. Weil angeblich „systemrelevant”, wurden diejenigen aus dem Schlamassel gezogen, die das Desaster angerichtet hatten. Inzwischen machen die Geldhäuser wieder ordentliche Gewinne. Die Deutsche Bank verzeichnete jüngst sogar das beste Vierteljahresergebnis ihrer Geschichte. Die Folge dieses Vorgehens ist eine dramatische Staatsverschuldung, die nun von der Bevölkerung beglichen werden muss, sei es durch inflationäre Geldentwertung, eine verschärfte staatliche Sparpolitik oder beides. Der schöne Effekt für die Banken ist, dass der Staat für seine Rettungsaktionen bei ihnen genau das Geld leihen muss, das er ihnen zuvor zugeschoben hat und dafür natürlich auch noch Zinsen zahlt. Die Unternehmen wurden also geschont und die Folgen der Krise auf die Staatshaushalte verschoben. Der gleiche Mechanismus hat sich in der Griechenlandkrise wiederholt. Sinnvoll wäre ein Schuldenerlass für dieses Land gewesen. Das hätte allerdings die Finanzunternehmen getroffen, die sich mit den riskanten und daher gut verzinslichen griechischen Staatsanleihen eingedeckt hatten. Auch hier wurden also wieder vor allem sie geschont. Das alles zusammen genommen bedeutet, dass die Faktoren, die die Krise verursacht haben – eine Überakkumulation von Kapital bei gleichzeitig sinkenden Masseneinkommen und die Struktur des internationalen Finanzsystems – weiter wirksam bleiben. Auch die strukturellen ökonomischen Ungleichgewichte, die zur Krise geführt haben, bestehen weiter fort. So wurden die Überkapazitäten in der Automobilindustrie dank staatlicher Rettungsmaßnahmen – Abwrackprämie, Opel-Sanierung usw. – erhalten.

Die horrende Staatsverschuldung wird zu einer verstärkten staatlichen Sparpolitik führen. Wie zu erwarten, wurde dies nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen sozusagen offiziell gemacht. Das koalitionäre Steuersenkungstheater war abrupt zu Ende, die Steuern und Abgaben – natürlich für die breite Bevölkerung – werden erhöht und die Sozialleistungen auf breiter Front gekürzt. Über die Einkommens- und Vermögenssteuer wird nicht einmal geredet. Man will ja die Investoren nicht erschrecken, einschließlich des Besserverdienendenklientels der FDP. Das führt dazu, dass die leichte Konjunkturerholung wieder abgewürgt werden wird, was wiederum die Staatsfinanzen beeinträchtigt. Insgesamt wird mit alledem die Krise praktisch auf Dauer gestellt. Weitere staatliche Rettungsaktionen der gehabten Art wird es allerdings nicht mehr geben können. Die Staaten haben schlicht kein Geld mehr und sind an der Grenze ihrer Kreditwürdigkeit angelangt.

Betrachtet man die Entwicklung seit 2008, dann wird deutlich, wer von der Krise am meisten profitiert. Es ist das, was man gemeinhin als Finanzkapital bezeichnet, wobei allerdings zu beachten ist, dass dieses mit anderen Kapitalfraktionen eng verflochten ist. Das Finanzkapital konnte sich durch die neoliberale Deregulierungspolitik hochgradig internationalisieren, blühte mit den Spekulationsblasen auf und wurde dadurch zur stärksten Kapitalfraktion. Dies hängt damit zusammen, dass große Kapitalsammelunternehmen wie Pensions- und Hedgefonds entstanden sind, die die internationalen Kapitalmärkte beherrschen. Das Finanzkapital tritt selbst den starken Staaten mehr oder weniger gleichrangig gegenüber. Deutlich wird das daran, dass es keine Regierung mehr wagt, irgendeine Maßnahme zu treffen, die die „Finanzmärkte” beunruhigen könnte. Und auch daran, dass es die Banken und Finanzunternehmen waren und sind, die den Regierungen ihre Krisenpolitik vorschreiben – zu ihrem Vorteil natürlich. Nicht zuletzt dies erklärt die offensichtliche Unfähigkeit, den internationalen Kapitalverkehr besser zu regulieren, wie nach Ausbruch der Krise lautstark proklamiert wurde. Ganz zu schweigen von der an sich dringend gebotenen Zerschlagung oder Verstaatlichung der großen Finanzkonzerne. Was gegenwärtig in der Diskussion ist, sind eher kosmetische Veränderungen zwecks Beruhigung der Bevölkerung.

Die neoliberale Restrukturierung und „Globalisierung” des Kapitalismus hat dazu geführt, dass die Staaten praktisch zu einer Beute des Finanzkapitals geworden sind. Die aus der Krise hervorgehende gesellschaftliche Formation könnte als eine neue Variante des staatsmonopolistisch-interventionistischen Kapitalismus bezeichnet werden. Das heißt, dass das neoliberale Programm verstärkt mit Hilfe der Staaten durchgesetzt wird. Allerdings ist das, was man als relative Autonomie des Staates bezeichnet, zumindest stark eingeschränkt. Der Staat operiert immer deutlicher im Interesse einer Kapitalfraktion. Damit wird seine Fähigkeit, die längerfristigen Bestandsbedingungen des ökonomisch-gesellschaftlichen Systems zu gewährleisten, entscheidend in Frage gestellt. Die aktuelle Politik zeigt dies. Verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, dass die Parteien im Zuge der neoliberalen Aushöhlung der Demokratie zu bloß noch taktisch stimmenmaximierenden Apparaten geworden sind, ihren Rückhalt in und ihre Verbindung mit den Interessen breiterer Bevölkerungskreise verloren haben und schon deshalb nicht mehr in der Lage sind, eine grundsätzliche gesellschaftliche Neuorientierung auch nur noch zu thematisieren. Zugleich fehlt ihnen das Personal, das kompetent genug und in der Lage wäre, eine eigenständige Politik zu formulieren. Das Laienspiel, das die deutsche Regierung in den vergangenen Monaten aufgeführt hat, ist ein schlagendes Beispiel dafür. Auch deshalb reagieren die Regierungen nur noch auf die Bedingungen, die ihnen von den ökonomisch Mächtigen gesetzt werden. Es ist das Ende von Politik im eigentlichen Sinne.

Häufig wird als Folge der Krise von einer Wiederkehr des Staates geredet. Vorbei sind die Zeiten, als das Ende der Staaten überhaupt oder das Heraufziehen eines „Empire” jenseits des nationalstaatlichen Systems proklamiert wurde. Es ist selbst fraglich, ob die Europäische Union und die EURO-Währung die Verwerfungen überstehen werden, die die Staatsfinanzkrise nach sich zieht. Eine wesentliche Ursache der EURO-Krise ist im Übrigen weniger die laxe staatliche Finanzpolitik im Bereich des Club Med, sondern die deutsche Wirtschafts- und Sozialpolitik, die mit ihrem Lohndumping die Wettbewerbsverhältnisse innerhalb Europas enorm verzerrt hat. Der Konkurrenzvorteil, der der deutschen Wirtschaft damit verschafft wurde, kann innerhalb der Eurozone durch Wechselkursanpassungen nicht mehr korrigiert werden. Da mit der EU zwar ein relativ einheitlicher Wirtschaftsraum geschaffen wurde, der aber über keine gemeinsame Wirtschaftspolitik verfügt, können sich die Interessen einzelner starker Staaten unvermittelt durchsetzen. Auch diesbezüglich zielt die Politik insbesondere der Bundesregierung darauf, dass sich nichts ändert. Jedenfalls wird die Europäische Union wenn überhaupt, dann in ganz anderer Gestalt aus der Krise hervorgehen.

Die Wiederkehr des Staates ist also insofern zu relativieren, als die Staaten stärker als kaum je zuvor von einer Kapitalfraktion abhängig geworden sind. Gleichzeitig bedeutet die Verlagerung der Krisenfolgen auf den Staatsapparat, dass sich immer deutlicher eine Krise der Politik und eine Krise des Staates abzeichnet. Die ständigen Wahlverluste der ehemaligen Volksparteien und die die Parteien immer deutlicher durchziehenden Risse sind ein Ausdruck davon, genau so wie die Tatsache, dass die WählerInnen kaum noch positive Erwartungen in Bezug auf die Parteien haben. Diese verzeichnen Stimmenzuwächse im wesentlichen dadurch, dass ihre regierenden Konkurrenten abgestraft werden. Unerkennbar existiert eine Krise der Repräsentation. Die Folge wird eine Verstärkung des autoritären Etatismus sein, begleitet von populistischen Elementen. Noch ist nicht abzusehen, welche die Reaktionen der Bevölkerung auf diese politische Krise und die Krise des Staates sein werden. Bislang verharrt sie noch eher in Passivität. Auf jeden Fall werden sich die sozialen Auseinandersetzungen stärker auf den Staatsapparat und das politische System verschieben. Wozu das führen wird, gibt nicht unbedingt Anlass zu Optimismus.

© links-netz Juni 2010