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Aufstandsphantasien

Anmerkungen zu „Der kommende Aufstand”

Joachim Hirsch

Angesichts der Ereignisse in Nordafrika und im arabischen Raum scheint das Thema hochaktuell, wenngleich die Ursachen für die dortigen Aufstände und deren Ziele ziemlich anders sind als die, die das „unsichtbare Komitee“ im Auge hat. Zum Beispiel, wenn arbeitslose Jugendliche die Lohnarbeit nicht abschaffen, sondern im Gegenteil sie erst mal haben wollen, oder liberaldemokratische Verhältnisse eher als Befreiung denn als manipulativer Repressionszusammenhang gesehen werden. Aber die Leute dort könnten sich natürlich irren.

Im ersten Teil, der Beschreibung der herrschenden Zustände, ist der Text brillant und liest sich gut, zumindest für intellektuell Geschulte. Hier findet das Schimpfen der gemeinen WutbürgerInnen einen Ausdruck von beinahe literarischer Qualität. Alle bekommen ihr Fett ab, Attac und sonstige NGOs, die Parteien ohnehin, die alternative Kleinbourgeoisie, die Ökos und andere Gutmenschen. Sie sind nichts anderes als Stützen des bestehenden Systems. Das ist oft ziemlich treffend formuliert. Der Reiz des Textes liegt zunächst einmal darin, dass er in schön zugespitzten Formulierungen das ausdrückt, was man fühlt, wenn man alltäglich Fernsehen guckt, Radio hört oder die Zeitung liest, auch wenn das alles nicht besonders neu ist. Er drückt eine Stimmung aus und enthält zugleich das Versprechen, man könnte der bedrückenden Ohnmacht irgendwie entkommen, einer Ohnmacht, die daraus resultiert, dass sich an den bestehenden Verhältnissen scheinbar nichts ändern lässt. So ist der Text auch eine Art Antidepressivum für Linke. Es kann schon deshalb eine kurzfristige Wirkung erzielen, weil die in ihm anvisierten praktischen Handlungsdimensionen ziemlich weit weg von der Alltagserfahrung der meisten LeserInnen liegen dürften. Vor allem bleibt die ebenso schwierige wie unangenehme Frage ausgeklammert, was es heißt, die eigene Lebensweise tatsächlich zu verändern.

Allerdings ist das Ganze eher Beschreibung denn Analyse, sieht man vom allgemeinen Verweis auf das Kapitalverhältnis ab. Widersprüche, Gegentendenzen, offene Entwicklungen gibt es nicht. Die Autoren malen das Bild eines allgemeinen Niedergangs, eines ”Endes der Zivilisation”, bei dem nur das Auseinanderfallen der Gesellschaft in eine kleine Elite und unterdrückte, gegängelte und gedrillte Massen übrig bleibt. Angesichts der mit der Automatisierung der Produktion einhergehenden allgemeinen Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse ist die Arbeiterbewegung am Ende, Organisationen jedweder Art sind pure Manipulations- und Unterdrückungsinstrumente. Ein bestimmbares „revolutionäres Subjekt” gibt es nicht mehr, nur noch die unstrukturierte und total enteignete Masse. Andere reden da gerne von „Multidude“. Die Welt sieht überhaupt nicht gut aus, eine Ausnahme macht nur das ”Unsichtbaren Komitee”, das die ”Wahrheit” gar nicht zu finden braucht, sondern ”in sich trägt” (65) und sie im Gegensatz zu den Massen auch noch ausdrücken kann. Ohne ein bisschen Avantgarde geht es also nicht, wenn auch etwas existenzialistisch verbrämt.

So eindrucksvoll und oft treffend die Beschreibung der herrschenden Zustände im ersten Teil des Textes ist, so problematisch ist der zweite, in dem es um die Akteure, Formen und Ziele des Aufstandes geht. Für die Autoren steht dieser offenbar auf der historischen Tagesordnung. Allerdings bleibt offen, wie die gegängelten, unterdrückten und manipulierten Massen dazu in der Lage sein sollten. Dazu heißt es nur, dass gesellschaftlich ”nichts” zu sein die Bedingung maximaler Aktionsfreiheit sei. Man erinnere sich: früher waren es die Proletarier, die nichts zu verlieren hatten als ihre Ketten. Das hat sich allerdings als Irrtum herausgestellt. Angesichts der herrschenden Gewaltverhältnisse muss der Aufstand militant und notfalls gewaltförmig sein: durch Blockade, Sabotage, bewaffneten Kampf gegen die Polizei und ihre Helfer. Gewalt ist freilich nicht das Ziel, sondern Bedingung für eine befreiende Politik. Der Aufstand muss direkt von den Massen ausgehen. Alle bestehenden politischen Gruppierungen und Organisationen sind dafür untauglich oder hinderlich. Die zu entwickelnde neue gesellschaftliche Form ist die Kommune, die entsteht, ”wenn Wesen sich finden, sich verstehen und entscheiden, gemeinsam voranzuschreiten” (67). Charakteristisch dabei ist, dass sich in der Vorstellung der Verfasser „Wesen“ treffen sollen, also etwas abstrakte Daseinsformen, denen anscheinend jeder konkretere gesellschaftliche Bezug fehlt. Das macht es überflüssig, sich mit möglichen Interessendivergenzen auseinanderzusetzen, die aus unterschiedlichen materiellen Lagen und sozialen Positionierungen folgen. Ziel ist die lokale Selbstversorgung, die Abschaffung des Geldes, die Einheit von Politik und Leben. Bevor dies möglich wird, muss allerdings erst einmal Geld beschafft werden, ohne für Lohn arbeiten zu müssen. Also durch Betrügen, Plündern (der Reichen) und Ausnutzung des Sozialstaats. (Dazu eine aktuelle Anmerkung: In Ägypten gehörte es zu der Strategie des Mubarak-Regimes, Plünderungen zu organisieren, damit Chaos zu bewirken und den Aufstand zu schwächen). Die Revolution vollendet sich durch die Vervielfältigung der Kommunen und ihre Vernetzung. Formelle demokratische Entscheidungsstrukturen sind repressiv, die Vollversammlung ein Übel. An deren Stelle tritt die allgemeine Kommunikation und das Palaver. Daraus wird das Richtige hervorgehen. Also ein recht anarchistisches Konzept, auch wenn sich die Autoren vom ”libertären Milieu” scharf abgrenzen, wie auch von allen anderen mehr oder weniger linken.

Mit seinem Wahrheitsanspruch haftet dem Text etwas Dogmatisches an, auch wenn sich die Sprache wohltuend von üblichen linksradikalen Politikmanifesten unterscheidet. Die Avantgarde begreift sich als intellektuell, erhebt keinen politischen Führungsanspruch und überlässt es den Massen, sich zu bewegen, wenn sie denn zur richtigen Einsicht kommen. Denen verleiht sie eine Sprache. Daher auch der Hinweis, dass die Verfasser nicht die Autoren des Textes seien. Gesellschaftliche und ökonomische Krisen, die Erkenntnis, dass das bestehende System nicht mehr tragbar ist, können die Menschen in Bewegung setzen.

In gewisser Weise reproduzieren die Autoren in ihrer Perspektive die gesellschaftliche Anomie, die sie in Bezug auf die herrschenden Zustände so anschaulich beschreiben. Die Gesellschaft zerfällt in Individuen, die nur noch die Negation gemeinsam haben. Daher sind sie eben „Wesen“. Als hätten sie von Margaret Thatcher gelernt, für die es ja auch keine Gesellschaft, sondern nur Individuen gab (und Familien natürlich). Man könnte sich also fragen, ob der Text nicht auch ein Ausdruck der in alle Winkel der Gesellschaft hinein gedrungenen ideologischen Hegemonie des Neoliberalismus ist. Gesellschaft in einem strikteren Sinne, d.h. Institutionen, Organisationen, Regelungen und Verfahren halten die Verfasser jedenfalls prinzipiell für schädlich. Im Unterschied zum Neoliberalismus bleibt als Verbindendes jedoch nicht der Markt, sondern die Negation, die in den Aufstand mündet.

Genauere Äußerungen dazu, wie das daraus hervorgehende System der Kommunen gestaltet sein und funktionieren sollte, fehlen. Das bleibt spontaner Selbsttätigkeit überlassen. Man kann indessen fragen, wie eine komplexere soziale Organisation auf der Grundlage des Palavers bestandsfähig sein könnte. Es sei denn, man hat eine Art primitiven Urkommunismus im Auge. Dann aber stellt sich das Problem, ob es wünschbar wäre, den erreichten Stand der Produktivkraftentwicklung einfach zurückzudrehen und ob es nicht eher darauf ankäme, dieser einen anderen Inhalt und eine andere Richtung zu geben.

In gewisser Weise steht der Text in einer Reihe mit den Veröffentlichungen von Hardt und Negri oder auch dem jüngsten Buch von John Holloway, die in eigentümlicher Weise das neoliberale Paradigma der radikalen Individualisierung fortschreiben. Er proklamiert die große Verweigerung, das Heraustreten, das konsequente nicht mehr Mitmachen. Wie Holloway, der allerdings theoretisch etwas stringenter argumentiert, gehen die Verfasser davon aus, dass eine Befreiung nicht möglich ist, solange man der institutionell festgeschriebenen Handlungslogik des Kapitalverhältnisses verhaftet bleibt, also seine Arbeitskraft ver- und Waren kauft, das kleinere Übel wählt und Forderungen an den Staat stellt. Das ist zwar richtig, aber es bleibt offen, was aus der radikalen Weigerung folgen würde, wie die konkreten Schritte zu einer anderen Gesellschaft hin aussehen könnten. Dass dazu nur sehr vage Hinweise gegeben werden, ist nach der Vorstellung der Verfasser indessen folgerichtig: erst wenn die Menschen den Bruch vollziehen und eine andere Lebensweise praktizieren, werden die Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Vergesellschaftungsformen vorhanden sein. Der Aufstand hat die Funktion, eben dies voranzutreiben, sozusagen den neuen Menschen zu schaffen. Dass dies nicht mehr zum Geschäft einer revolutionären Avantgarde gemacht, sondern der Selbsttätigkeit der Massen anheim gegeben wird, ist ein Fortschritt. Allerdings beginnt da auch das wirkliche Problem: warum sollte eigentlich mit all dem, was noch relativ sicher und gewohnt erscheint mit dem Blick auf eine ziemlich ungewisse Zukunft gebrochen werden? „Keine Experimente“ hat als Losung zum Machterhalt immer schon ganz gut gezogen. Ist es möglicherweise so, dass die Verfasser weniger das allgemeine Bewusstsein und eher das Gefühl einer Jugendgeneration ausdrücken, die Stimmungslage einer Lebensphase, die irgendwann, zumindest der Absicht nach, wieder in Normalität einmündet? Was erwartet einen, wenn alle vorhandenen gesellschaftlichen Einrichtungen zusammenbrechen? Entsteht aus Klauen, Betrügen und Militanz wirklich der neue Mensch? Bei aller Betonung von Selbstorganisation und Selbsttätigkeit ist an Überlegungen zu möglichen Formen des Übergangs wohl nicht ganz vorbeizukommen, wenn die Theorie die Massen ergreifen soll. Dies ist ein zentraler Knackpunkt radikaler Befreiungs- und Revolutionstheorien und den Verfassern ist vorzuwerfen, dass sie diesen nicht einmal benannt haben.

Betrachtet man die gegenwärtige Diskussion über alternative Gesellschaftsentwürfe, so ist eine deutliche Kluft zwischen denen festzustellen, die die große Verweigerung, den absoluten Bruch mit allem Bestehenden propagieren und denen, die in irgendeiner Weise „radikal reformistisch“ auf schrittweise Veränderungen der herrschenden Vergesellschaftungsweise abzielen. Zu letzteren gehört auch das links-netz. Hier wird mit einem schrittweisen quantitativen und qualitativen Ausbau der „Sozialen Infrastruktur“ das Ziel verfolgt, die Warenform der sozialen Beziehungen und den Zwang zur Lohnarbeit allmählich zurückzudrängen und damit neue, solidarischere und demokratische soziale Strukturen hervorzubringen. Das richtet sich auf den Kern der kapitalistischen Vergesellschaftungsweise, ist also in diesem Sinne „radikal reformistisch“. Ansätze dieser Art sind allerdings mit dem Problem konfrontiert, wie derartige Schritte gegen die herrschende ökonomische Dynamik und die bestehenden politischen Machtverhältnisse durchgesetzt werden sollten, wie also verhindert werden kann, dass es sich um bloße Reparaturmaßnahmen handelt, die der Kapitalismus zu seinem Erhalt braucht und die die bestehenden Verhältnisse im Endeffekt nur stabilisieren. Allerdings erscheint im historischen Rückblick eine solche Perspektive zunächst einmal plausibel. So war die bürgerliche politische Revolution deshalb erfolgreich, weil sich die kapitalistische Vergesellschaftungsweise bereits in wesentlichem Umfang innerhalb der alten Gesellschaft durchgesetzt hatte. Dabei bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass der Kapitalismus auf Grund seiner strukturellen Dynamiken die Eigenschaft hat, solche Ansätze unmöglich zu machen oder zu zerstören. Neue Vergesellschaftungsformen müssten also gegen dessen ökonomische Dynamik und gegen dessen politische Herrschaftsstruktur durchgesetzt werden, sie entwickeln sich nicht quasi naturwüchsig. Dieses Dilemma betrifft auch die Überlegungen von links-netz. Diese setzen den bürgerlichen Staat (als allgemeine Instanz und Steuerstaat) voraus, obwohl dieser ein integraler Bestandteil des Kapitalverhältnisses und seiner politischen Herrschaftsform, mit Marx gesprochen nur die illusorische Form des gesellschaftlich Allgemeinen darstellt. Und sie bauen auf dem kapitalistischen Verwertungsprozess auf, ohne den die erforderlichen materiellen Mittel nicht mobilisiert werden könnten. Es geht dabei nicht um ein unmittelbares „Aufbrechen“ oder „Abschaffen“ des Kapitalismus mittels radikaler Verweigerung, sondern um die Perspektive eines Kampfs in und gegen Staat und Kapital. Die Frage ist, wie mit den damit verbundenen Widersprüchen umgegangen werden kann.

Im Grunde genommen setzen beide Konzeptionen, die des radialen Bruchs und die des radikalen Reformismus auf einen Prozess, in dem sich die Widersprüche auflösen sollen. Beim Aufstand besteht die Erwartung, dass der Akt des Aufstandes die Dynamik entfaltet, die einen neuen Menschen und eine neue Vergesellschaftungsweise hervorbringt. Die Konzeption von links-netz setzt auf die Möglichkeit, dass die Auseinandersetzungen und Kämpfe, die mit dem Ausbau der sozialen Infrastruktur verbunden sind und die Erfahrungen, die dabei gemacht werden, sowohl zu Bewusstseinsveränderungen als auch zur konkreteren Modellen für eine andere gesellschaftliche Organisation führen. Anvisiert wird also ein hegemonialer Kampf, nämlich darum, dass sich konkretere Vorstellungen von einer anderen, vernünftigeren und humaneren Gesellschaft herausbilden und durchsetzen. Dieser Hegemonieaspekt ist wichtig, wenn es um gesellschaftliche Veränderungen geht. Beim „Kommenden Aufstand“ fehlt er völlig.

Beide Ansätze haben also ihre spezifischen Probleme und es wäre gewiss ein Fortschritt wenn es gelänge, die Diskussion einen Schritt darüber hinaus zu treiben. In der linken Öffentlichkeit hierzulande wurde der „Kommende Aufstand“ in der Regel eher skeptisch aufgenommen. Zum Teil wurden ihm, wohl wegen seines antimodernistischen Habitus, sogar rechtsradikale Tendenzen unterstellt. Das ist allerdings mehr als übertrieben und wohl linkem Traditionalismus geschuldet. Möglicherweise beruht die Skepsis auch darauf, dass die Diskussion eigentlich schon etwas weiter ist, was eine emanzipative gesellschaftliche Transformation betrifft.

Eine interessante Frage ist auch, wie man die erstaunliche Resonanz erklären kann, die der „Kommende Aufstand“ in den Mainstream-Medien erhalten hat. Diese haben auf breiter Front auf das Erscheinen der deutschen Übersetzung des Textes reagiert, von FAZ, Zeit, Frankfurter Rundschau und Spiegel bis hin zur Süddeutschen Zeitung, dazu mehrere Rundfunksender und Regionalblätter. Für die Redaktionen ist der Text wohl zunächst einmal deshalb interessant, weil hier nach dem Niedergang der Neuen Linken“ und der dadurch verursachten zeitgeistigen Langeweile immerhin mal wieder ein ernst zu nehmender und sich radikal gebender Widerpart zu finden ist. Konservativen, z.B. der FAZ, dürfte es gefallen, dass der Text überhaupt alles und ohne Ausnahme einer vernichtenden Kritik unterzieht, was sich irgendwie als links versteht. Dazu kommt, dass der radikale Individualismus und die Staats- und Organisations-, nicht zuletzt Gewerkschaftsfeindlichkeit recht gut in das neoliberale Weltbild passt. Eine Rolle spielt wohl auch, dass er eine zumindest untergründig vorhandene allgemeine Stimmung reflektiert, seine Behandlung also eine gewisse marktgängige Aufmerksamkeit erzeugen könnte, zumal über seinen genaueren Inhalt kaum berichtet wird. Dies könnte auch die Beachtung erklären, die die Schrift von Stéphane Hessel fast gleichzeitig gefunden hat. Diese fordert allerdings nicht den Aufstand, sondern nur Empörung, ist sehr moralisch und appelliert an die Ideale der Résistance. Hier handelt es sich sozusagen um klassischen Reformismus. Beim ”Kommenden Aufstand” kommt die sprachliche Brillanz dazu, die in Redaktionsstuben sicher eine größere Aufmerksamkeit erregt als dröge Polittexte. Wunderbar ist auch die Klarheit, mit der Tatsachen festgestellt und Wahrheiten ausgesprochen werden. Hier erscheint die Welt eher unkompliziert und ihre Beschreibung ist eingängig, also genau das, was Kommentatoren brauchen. Möglicherweise erfasst auch Zeitungsredakteure bisweilen die Wut über das, was sie in ihren Nachrichten bringen, eine Wut, die sie aus Opportunitätsgründen in ihren Blättern nicht äußern dürfen. Der ”Kommende Aufstand” ist ein Text von Intellektuellen für Intellektuelle und das ”Wir”, mit dem die Verfasser das schreibende Subjekt bezeichnen, bezieht sich auch auf diese Szene. Man ist sozusagen unter sich. In Frankreich hat die Veröffentlichung des Textes immerhin die repressiven Staatsapparate in Bewegung gesetzt. Im Feuilleton hierzulande auf den Text aufmerksam zu machen ist so lange risikolos, als die Äußerungen darüber, wie der ”Aufstand” zustande kommen und wohin er führen soll, so verschwommen sind, dass unmittelbare Handlungsanleitungen mit breiterer Wirkung daraus kaum zu entnehmen sind. So genommen, handelt es sich um das Spiel mit einem Feuer, das sich mit einiger Sicherheit nicht zu einem Brand ausweiten wird – ideal fürs Feuilleton also.

Möglicherweise gilt für den ”Kommenden Aufstand” genau das, was die Autoren selbst für kritische Literatur insgesamt festgestellt haben:

”Die Literatur ist in Frankreich der Raum, den man selbstherrlich zur Unterhaltung der Kastrierten zugelassen hat. Sie ist die formelle Freiheit, die denen gewährt wird, die sich nicht an die Nichtigkeit der realen Freiheit gewöhnen” (56).

Unsichtbares Komitee: Der kommende Aufstand. Aus dem Französischen übersetzt von Elmar Schmeda. Nautilus-Flugschrift 2010

Eine etwas bessere Übersetzung findet sich unter inksunten.indymedia.org

Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Internetausgabe.

© links-netz April 2011