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Finanz-Rettungspakete: „Ermächtigungsgesetze“ für das Finanzkapital?

Frieder Hirsch

„Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Reichen, die Krieg führt und wir sind dabei zu gewinnen“

soll Warren Buffett, Multimilliardär und Berater von Barack Obama im Juni dieses Jahres gesagt haben. Jedenfalls wird er so von James S. Henry im Artikel in The Nation zitiert.1

Demokraten und Republikaner im US-Kongress feilschten um einen Plan zur Rettung des (Finanz-) Bankensystems. Dabei haben beide Parteien bzw. die von ihnen bestellten Regierungen während der letzten 30 Jahre die Grundlagen für diese Krise des kapitalistischen Systems in den USA bewusst vorbereitet. Jetzt muss alles ganz schnell gehen, obwohl diese Krise schon lange vorhergesagt wurde. Der Staat soll helfen, weil die einzelnen Banken die Wertverlust-Risiken der von ihnen selbst entwickelten Finanzprodukte angeblich nicht einschätzen können / konnten. Die Vermutung, dass die Banken diese unverantwortlichen und riskanten Finanz-Derivate im Vertrauen auf die Sozialhilfe des Staates produziert haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Diese Risiken soll jetzt „der Staat“ auf sich nehmen und damit das tun, was eigentlich die ideologische Rechtfertigung und Aufgabe privater Profite und des Kapitals ist – Risiken eingehen und dafür gerade stehen. Das Zitat von Warren Buffett (s.o.) und Paulsons Entwurf eines „Ermächtigungsgesetzes“ sind ein gutes Beispiel für die Freibeutermoral der Finanzkapital-Kaste.

Andreas Zielcke (Zielcke 2008) nennt den Plan von US-Finanzminister Paulson und US-Notenbankchef Bernanke zur Rettung der US-Banken (Bailout Plan) rücksichtsvoll einen Rückfall in „...unaufgeklärten, kameralistischen Absolutismus.“ Henry M. Paulson, der ehemalige Boss der Investmentbank Goldman Sachs wolle sich nämlich von Amts wegen über Recht und Gesetz stellen. In Kapitel 8 des Bailout Plans heißt es:

„Entscheidungen, die der Minister gemäß der ihm mit diesem Gesetz erteilten Vollmacht trifft, sind dem Ermessen des Amtsträgers anheimgestellt und nicht überprüfbar, sie unterliegen keiner gerichtlichen oder irgendeiner administrativen Kontrolle.“(Zielcke 2008)

Robert Scheer (Scheer 2008) nennt den Vorgang um den Bailout Plan dagegen schlicht Finanz-Faschismus:

„(...) was hier vorgeschlagen wird ist nicht die Verstaatlichung privater Unternehmen, sondern vielmehr eine Übernahme der Regierung durch Privatunternehmen. Die Verbindung hoch konzentrierter Unternehmensmacht mit einem autoritären Staat, der die politisch-ökonomische Elite auf Kosten des Volkes bedient, muss korrekterweise als ’Finanz-Faschismus’ bezeichnet werden.“ (Übers.v.Verf.)2

Die neoliberalen Deregulierer in den USA und hier zu Lande haben es geschafft, in den vergangenen 30 Jahren regulations- und (teilweise) rechtsfreie Räume für das Kapital herzustellen (Globalisierung des Finanzmarktes). Diese wurde begleitet von Kriegen (Golfkrieg, Irak, Afghanistan), Sturz von unbotmäßigen Regierungen (z.B. Chile und Nicaragua), der Schaffung von „Sonderwirtschaftszonen“ und militärisch-geheimdienstlich gestützter Förderung des Freihandels in Lateinamerika (aktuell Bolivien, Kolumbien) und anderen Ländern der Welt, verbunden mit der Durchsetzung und Ausweitung des kapitalistischen Eigentumsregimes in den betroffenen Ländern mit Hilfe der Welthandelsorganisation (WTO) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Dieser imperialistische Prozess verlief offensichtlich jedoch nicht schnell und erfolgreich genug. Der Widerstand (der Bevölkerung) einzelner Nationalstaaten, verbunden mit dem sehr verzögerten Return on Investment für die Kriege in Afghanistan und Irak, der Entwicklung von autoritär-kapitalistischen Staaten wie Russland und China zu eigenwilligen staatskapitalistischen Weltmarktkonkurrenten verringerten die Profitchancen der USA und Europas. Die Profitschöpfungsfantasie der Banken, Anlageberater und Makler erwies sich dabei als geeignetes Entlastungs-Ventil für den Überdruck enormer Mengen überschüssigen Kapitals und erlaubte damit die Realisierung enormer privater Profite.

Die Überführung von phantastischen Hoffnungen auf Wertsteigerung in handelbare Buchwerte und Versenkung der damit verbundenen Risiken in Schwarzen Löchern des rechtsfreien Finanzraumes erzeugte die „Blase“, die nun geplatzt ist. Diese Blase soll jetzt aber nicht wirklich platzen, sondern soll erneut – und diesmal mit Billigung des politischen Systems – in den Kellern des Staates versenkt werden. Das wäre eigentlich nicht weiter problematisch, bliebe die Blase das was sie war – eine finanzielle Fiktion ohne Wert. Da sie aber mit Steuergeld den Finanz-Freibeutern abgekauft werden muss, bekommt die Fiktion teilweise einen realen Wert, der anderswo herbeigeschafft werden muss (Steuerzahler). Und dort entsteht ein Vakuum, das mit Lohnverzicht/Arbeitslosigkeit und Abbau von Sozialleistungen gefüllt werden wird.

Es ist schon erstaunlich, mit welcher Unverfrorenheit die Deregulierer und Privatisierer hier in der Bundesrepublik Deutschland sich entweder wie Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, als Musterknaben und Lehrmeister der USA aufspielen (SZ 25.09.2008) oder im Rentenalter zur Sozialdemokratie überlaufen wie Norbert Blüm (Blüm 2008) der daran erinnert, dass das Kapital sich gefälligst daran halten soll, Profit durch Ausbeutung der Arbeitskraft zu machen, statt Scheinprofite aus einarmigen Banditen im Finanz-Casino heraus zu hebeln. Als ob sich die bürgerlichen Parteien, insbesondere CDU/CSU und SPD sich selbst nicht fleißig an der Deregulierung beteiligt hätten und auch dafür verantwortlich sind, dass staatlich kontrollierte oder (teil-) privatisierte Banken in den Handel mit den obskuren Finanzderivaten eingestiegen sind.

Der Bailout Plan von Paulson ist nach einigen Flügelkämpfen in den Parteien und kleineren kosmetischen Änderungen vom US-Kongress abgesegnet worden. Jetzt werden Buffett, Paulson, McCain und Obama, zusammen mit den Think Tanks“ der Neo-Konservativen schon dafür sorgen, dass die Wall Street, die Finanzkaste und der Kapitalismus im Kern erhalten bleiben und vor der Wut der Main Street geschützt werden.

Die Bundesregierung hat soeben ein Rettungspaket für die deutschen Banken beschlossen, das fünfhundert Milliarden Euro (500.000.000.000,00 Euro) – oder mehr – teuer werden könnte, und vom Bundestag im Eilverfahren beschlossen werden soll, das „Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG)“. Dieses Gesetz ist ein Ermächtigungsgesetz für den Bundesfinanzminister. (Lieb 2008) Eine parlamentarische oder öffentliche Kontrolle der von ihm beschlossenen Maßnahmen ist kaum möglich. Anders als in den USA oder in England ist nicht geplant,

„...dass der deutsche Staat – anders als in England und den USA – nicht durch Anteilsübernahmen oder Verstaatlichung in die Unternehmen einsteigt und Verantwortung durch Stimmrecht übernimmt, sondern das Geschäft den Bankern und – nach einer möglichen Überwindung der Vertrauenskrise – schließlich wieder den „Selbstheilungskräften“ der Finanzwirtschaft überlässt.“ (Lieb 2008)

Bundesbankpräsident Axel Weber, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Commerzbank-Chef Martin Blessing und Bankenpräsident Klaus-Peter Müller haben wirklich erfolgreiche neoliberale Lobbyarbeit für ihre Klientel bei der Formulierung des Rettungspaketes geleistet.

Wieviel Bürgschaften und Kredite schließlich wirklich fällig werden wird und welche Werte den Blasen-Derivaten zugeschrieben werden ist nicht sicher, ebenso unsicher wie der Erfolg der Bankenrettung selbst. Das Problem, aus virtuellen Werten bilanzierbare Beträge abzuleiten, ist immer noch ungelöst. Dies sollen nun neue Bilanzierungsregeln leisten. Man darf gespannt sein, wie aus Nichts, Nicht-Nichts erzeugt wird. Immerhin gibt es dafür aber einen Hoffnungsschimmer. In den Medien ist das Finanzsystem mittlerweile zur Finanzindustrie mutiert, so, als würden in Banken Brötchen gebacken.

Weniger lustig ist die vorsorgliche Begleitmusik zur Finanzkrise, zur Krise des Kapitalismus. In den USA wird der Einsatz regulärer Truppen zur Aufstandsbekämpfung geübt (Wolf 2008) und in der Bundesrepublik wird – wie in den USA – der permanent und überall überwachende Sicherheitsstaat exzessiv ausgebaut, nach dem Motto:

„Friede den Palästen, verwanzt die Hütten“ (Faber 2008).

Aktuell wird der Einsatz der Bundeswehr im Inneren gegen Terroristen vorbereitet. Als terroristisch wird bestimmt nicht die Kaste der Reichen (Banker, Finanzjongleure, Industriebosse und ihre politischen Lakaien) gesehen werden. Diese Maßnahme dient vielmehr genau deren Schutz und Absicherung (Chomsky 2008) vor wilden Haufen und dem Pöbel.

Quellen:

(Berger 2008) Jens Berger, Die drei kleinen Schweinchen, in: Der Spiegelfechter, 30.09.2008

(Blüm 2008) Norbert Blüm, Unsichere Altersvorsorge – Die Rente war sicher, in: Süddeutsche Zeitung, 25.09.2008

(Chomsky 2008) Noam Chomsky, Spiegel Gespräch: „Konsum lenkt die Menschen ab“, in: Der Spiegel, 06.10.2008

(Faber 2008) Hal Faber, Was war. Was wird, in: Heise Online, 12.10.2008

(Gould 2008) Brian Gould, Dazzled by their good fortune – The global economic crisis was 30 years in the making, not the aberration bankers would have us believe, in: The Guardian, 20.09.2008

(Henry 2008) James S. Henry, Socialism for Bankers, Savage Capitalism for Everyone Else? in: The Nation, 22.09.2008

(Koch 2008) Hannes Koch, Die Bürgschaft, in: Die Tageszeitung, 01.10.2008

(Lieb 2008) Wolfgang Lieb, Maßnahmepaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte oder nur zur Rettung der Finanzinstitute, die sich verzockt haben, in: Nachdenkseiten, 14.10.2008

(Scheer 2008) Robert Scheer, Financial Fascism, in: The Nation, 24.09.2008

(SZ 25.09.2008) Süddeutsche Zeitung, Die Finanzkrise und ihre Folgen – Steinbrück attestiert den USA Versagen, in: Süddeutsche Zeitung, 25.09.2008

(Wolf 2008) Naomi Wolf, Thousands of Troops Are Deployed on U.S. Streets Ready to Carry Out „Crowd Control“, in: Alternet, 08.10.2008

(TAZ 25.09.08) taz.de, Acht Rezepte für die Zukunft – Tschüß, Finanzkrise!, Die Tageszeitung, 25.09.2008

(Zielcke 2008) Andreas Zielcke, US-Finanzminister Paulson – Alleinherrscher im schwarzen Loch, in: Süddeutsche Zeitung, 25.09.2008

Anmerkungen

  1. „There's class warfare, all right, but it's my class, the rich class, that's making war, and we're winning. Warren Buffett, June 2008“ (Henry 2008)Zurück zur Textstelle
  2. „(...) for what is proposed is not the nationalization of private corporations but rather a corporate takeover of government. The marriage of highly concentrated corporate power with an authoritarian state that services the politico-economic elite at the expense of the people is more accurately referred to as 'financial fascism'.“ (Scheer 2008)Zurück zur Textstelle
© links-netz Oktober 2008