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Wie sauer Bier –

oder weshalb Deutschland unbedingt Krieg führen will

von Joachim Hirsch

Bundeskanzler Schröder hat den USA die Bundeswehr für den Afghanistankrieg tatsächlich "wie sauer Bier" aufgedrängt, wie der "Spiegel" kürzlich süffisant bemerkte. Mit einer in der Tat peinlichen Impertinenz wurden von Schröder und Scharping fortlaufend "Anforderungen" konstruiert und lanciert, die die US-Regierung nie gestellt hatte, bis dieser nichts anderes übrig blieb als nachzugeben nach dem Motto: dann macht halt mal mit, auch wenn wir euren Beitrag nicht wirklich brauchen. Die Frage ist, weshalb die deutsche Regierung sich ein derart blamables Schauspiel leistet. Nun könnte man dies als einen peinlichen Ausdruck der zumindest in rot-grünen Regierungskreisen seit einiger Zeit offenbar hemmungslos grassierenden Kriegsbegeisterung werten. Diese ist kein Zufall. Sie gehört zum ideologischen Syndrom der "Berliner-Republik", das den unverblümten Anspruch auf internationale Machtpolitik mit der systematischen Entsorgung der deutschen Vergangenheit verbindet. Schon seit dem Kosovokrieg gehört dazu, sich um das Grundgesetz und das Völkerrecht, die beide bekanntermaßen Angriffskriege verbieten, keinen Dreck mehr zu scheren.

Allerdings steht doch mehr dahinter als pure Großmannssucht und Machogehabe. Ganz so beschränkt und naiv wie sie sich geben sind die Berliner Regierenden doch wieder nicht. Es geht um durchaus "realpolitische" Machtkalküle (worin sich die Grünen ja perfekt auskennen), die allerdings nicht öffentlich ausgesprochen werden können. Jenseits der verbalen Eiertänze und Peinlichkeiten verfolgt die Kriegspolitik sowohl innen- wie außenpolitisch durchaus erkennbare Ziele.

Kriege sind immer schon ein probates Mittel zur Veränderung innergesellschaftlicher Verhältnisse gewesen. Was dies heißt, hat sich in den letzten Wochen gezeigt: am forcierten Ausbau des Überwachungsstaates, der weiter fortschreitenden autoritären Transformation des politischen Systems, den inneren Feinderklärungen (indem Kriegskritiker in die Nähe von Terroristen gerückt werden), an den wie in Kriegszeiten üblich gleichgeschaltete Medien und an der verstärkten Aufrüstung der Bundeswehr und der Sicherheitsapparate, pikanterweise von der Erhebung einer besonderen Kriegssteuer begleitet. Die Voraussetzungen für eine weitere Demontage des Sozialstaats werden dadurch sicherlich nicht schlechter. Für unsere Sicherheit müssen wir schließlich alle Opfer bringen. Der Versuch, mittels des Kriegs und die damit inszenierten Verschiebungen der sozialen und politischen Kräfteverhältnisse auf dem Weg in den autoritären Kapitalismus ein entscheidendes Stück weiterzukommen, ist unverkennbar. Dabei darf nicht vergessen werden, dass sich die globale Wirtschaft in einer neuen schweren Krise befindet und allgemein bewusst wird, dass die neoliberalen Versprechungen nichts anderes als propagandistische Seifenblasen waren. So eine Situation bedarf politischer Vorkehrungen.

Will man die außenpolitischen Ziele verstehen, so gilt es zunächst einmal zu realisieren, dass die Reaktionen auf den 11.September nun auch die NATO faktisch ausgehebelt haben. Sie ist von einer Bündnisorganisation zu einem Vasallenverhältnis mutiert, in dem die Führungsmacht diktiert und "bedingungslose Solidarität" ebenso fordert wie erhält. So bedingungslos, wie in der Öffentlichkeit dargestellt, ist die Solidarität dann nun aber doch nicht ganz. Inzwischen ist einigermaßen klar geworden, dass es in Afghanistan weniger um die Bekämpfung des "Terrors" und auch nicht nur um Rache geht, weil die USA beweisen wollen, dass die mindestens ebenso viele Menschen umbringen können wie "El Quaida" oder wer auch immer die Anschläge ausgeheckt haben mag. Dieses Beweises hätte es angesichts der Geschichte zumindest seit Hiroshima auch nicht bedurft. Es geht vor allem um die Verfolgung geostrategischer Ziele, d.h. um die Frage wer künftig die entscheidende Rolle in Mittelasien spielt, einer Region, die im Konfliktszenario des 21. Jahrhundert eine ökonomisch wie militärisch immer bedeutsamere Rolle spielt. Die Bundesregierung möchte dabei nicht abseits stehen. Daher die immer wieder aufgewärmten Erinnerungen an die traditionell "guten Beziehungen" zwischen Deutschland und Afghanistan – übrigens insbesondere während der Nazizeit – sowie die Verweise auf die positive Rolle, die die Bundesrepublik beim Wiederaufbau dieses nun tatsächlich in die Steinzeit zurückgebombten Landes spielen möchte. Daher die permanenten Ankündigungen "humanitärer" Hilfen, während gleichzeitig die Bombardements unterstützt und gerechtfertigt werden und die Menschen erfrieren oder verhungern.

Das Bestreben, im Afghanistankrieg mitzumachen, richtet sich darauf, auch militärisch präsent und damit irgendwie mitspracheberechtigt zu sein, wenn der Westen dort ein neues Protektorat errichtet. Darauf zielt das unsägliche Gerede von der "Verantwortung", das immer dann Konjunktur hat, wenn es ums Zuschlagen und zwischenstaatliche Machtkonflikte geht. Diese Politik hat durchaus Vorläufer, wenn man sich zum Beispiel an die Militärintervention in China während des Boxeraufstands zu Beginn des letzten Jahrhunderts erinnert, wo schon einmal "the Germans to the front" marschieren wollten und durften. Auch damals ging es im Übrigen offiziell um die Bekämpfung von "Terroristen", in Wirklichkeit um die Aufteilung dieses Landes zwischen den europäischen Kolonialmächten. Es geht also um schlichte nationalstaatliche Machtkalküle und die damit verbundenen ökonomischen Interessen. Hinter der "bedingungslosen Solidarität" verbirgt sich in Wirklichkeit eine – wenn auch sozusagen auf inoffizieller Ebene bleibende – Auseinandersetzung mit den USA und im übrigen auch innerhalb der Staaten der Europäischen Union, die den Bestrebungen zur Formulierung und Durchsetzung einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik endgültig den Garaus machen könnte.

Die Normalisierung der Vergangenheit ist ein entscheidendes Konstitutionsmerkmal der "Berliner Republik". Ein Bestandteil davon ist die Rückkehr zu einer nationalstaatlichen Machtpolitik, die immerhin zu zwei Weltkriegen geführt und in Bezug auf die innergesellschaftlichen Zustände bekanntermaßen verheerende Folgen hatte. Weltkriege wird Deutschland mangels militärischer Kapazitäten nicht mehr anzetteln können. Was aber die Regierung in schöner Zusammenarbeit mit ihren Verbündeten betreibt, ist ein Rückfall in Politikmuster, die noch vor Kurzem der Vergangenheit anzugehören schienen. Von einer "neuen Weltordnung" wird in der letzten Zeit nicht mehr so häufig gesprochen, ist man doch dabei, die Welt systematisch zu desorganisieren und alle nur denkbaren Konflikte zu verschärfen. Das Gerede von der "Weltzivilgesellschaft", von der "demokratischen Staatengemeinschaft", von Menschenrechten, von friedlicher Kooperation und der Stärkung internationaler Organisationen – alles Schnee von gestern. Deutschland macht eine Politik, deren Konsequenzen schon auf mittlere Sicht nur als desaströs bezeichnet werden können. Statt tatsächlich auf politische Lösungen der internationalen Konflikte zu drängen, wie es in Sonntagsreden ebenso scheinheilig wie konsequenzlos hin und wieder beschworen wird, wird Krieg gespielt. Das ist ziemlich genau das Gegenteil einer verantwortlichen Politik. In den letzten Wochen und insbesondere im Zusammenhang mit der kläglichen Bundestagsdebatte um den Kriegseinsatz wurde viel von einem "historischen Scheideweg" geredet. Vor einem solchen steht dieses Land in der Tat. Die entscheidende Frage ist, ob es gelingt, der herrschenden Politik einen wirkungsvollen Widerstand entgegenzusetzen.

© links-netz November 2001