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Neoliberalismus und Protest Übersicht

 

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BUKO 25

Joachim Hirsch und Eva-Maria Krampe

Vom 9.–12. Mai hielt der BUKO in Frankfurt/Main seinen 25. Kongress ab. Bereits mit dem Thema "Tatort Globalisierung" wurde auf die Veränderungen verwiesen, denen das kapitalistische Weltsystem seit dem Ende der siebziger Jahre, als der BUKO gegründet wurde, unterworfen war. Anfang des dritten Jahrtausends, nach dem Zusammenbruch der staatssozialistischen Systeme und angesichts des erfolgreich durchgesetzten neoliberalen Globalisierungsprojekts sind neue theoretische Überlegungen und politische Orientierungen gefragt. Letztere drücken sich in auch in der Namensgebung aus. Statt "Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen" bezeichnet BUKO heute die "Bundeskoordination Internationalismus". Dies reflektiert sowohl das Ende der traditionellen nationalen Befreiungsbewegungen und der darauf bezogenen Solidaritätsprojekte als auch die Tatsache, dass die Unterschiede zwischen "erster" und "dritter" Welt, zwischen "Zentrum" und Peripherie" unschärfer geworden sind, z.B. wenn man in Betracht zieht, dass in Zeiten eines generalisierten Wohlstandschauvinismus weniger die "Entwicklung" der Peripherie denn die Verhältnisse in den Zentren das Problem darstellen oder dass die Peripherie heute eher ein Experimentierfeld für kapitalistische Umstrukturierungprojekte darstellt, deren Anwendung in den Zentren erst noch bevorsteht. Das erfordert eine thematische Neuorientierung und Öffnung, die mit diesem Kongress erfolgreich fortgesetzt wurde. Dafür steht nicht zuletzt die große Vielfalt der gut besuchten Arbeitsgruppen, deren Fragestellung von der Internationalisierung des antirassistischen Widerstands über die Veränderung der Geschlechterverhältnisse bis zur Ökonomie von Bürgerkriegen reichte. Eher unterbelichtet – und das markiert wohl noch eine Traditionsspur des alten Internationalismus – war allerdings noch die Beschäftigung mit den eher unspektakulären Seiten von materieller Not und Armut, die im Zuge der neoliberalen Umstrukturierung des Weltkapitalismus und dem Abbau sozialer Sicherungssysteme, deren Konfliktpotential inzwischen selbst Institutionen wie den IWF und die Weltbank aufmerken lässt.

Bemerkenswert waren nicht nur die wohl auch für die Veranstalter überraschend große Zahl der TeilnehmerInnen, sondern auch die gegenüber früheren Zeiten veränderten Diskussionsstile und -inhalte. Statt Austausch bekannter politischer Positionen dominierte die Suche nach Orientierungen und Erklärungen, nach Möglichkeiten politischer Arbeit unter den Bedingungen einer veränderten Welt. Es wurde ebenso geduldig zugehört wie ernsthaft diskutiert. Die oft zum Ausdruck gebrachte, heftige Kritik an den Podiumsdiskussionen, mit der demokratischere Formen des Austausches eingefordert wurden, lief allerdings an den Bedürfnissen der Mehrheit der TeilnehmerInnen vorbei. Offensichtlich waren viele gekommen, um sich überhaupt erst einmal zu orientieren oder aber um häufig gelesene AkteurInnen der globalisierungskritischen Bewegung und Wissenschaft live zu hören. Was leider auch dazu führte, dass deren Workshops solche Mengen von TeilnehmerInnen anzog, dass andere mit ebenso spannenden Themen, z.B. zu Frauenpositionen im israelisch-palästinensischen Konflikt oder zur Kampagne "Nicht wählen!", entweder nur schwach besucht waren oder ganz ausfallen mussten. Deutliches Indiz für das Bedürfnis nach sachlichen Informationen stellte der Verlauf der Plenumsveranstaltung über den israelisch-palästinensischen Krieg dar, in dem man sich mit der Sache selbst und nicht mit hiesigen Befindlichkeiten beschäftigte und somit von den in diesem Zusammenhang üblichen Verdächtigungen und Projektionen weit gehend frei war.

Insgesamt jedoch ließ sich bei den Diskussionen in Plenen, Workshops und in den Pausen und beim Essen und Trinken ein wirklich neuer Stil beobachten. Man hörte einander zu, ging aufeinander ein, jeder Beitrag wurde als gleichwertiger akzeptiert; Ungleichgewichte aufgrund von Generations- oder Geschlechtszugehörigkeit oder der Zugehörigkeit zur Promi-Gruppe traten kaum auf (was wohl eher SeniorInnen aufgefallen sein mag). Dazu gehörte auch die Tatsache, dass Frauen und Frauenthemen nicht als eine besonders apostrophierte Minderheit dabei waren, sondern einfach dabei waren. Das zeigte sich nicht allein in dem Anteil von Frauen an den TeilnehmerInnen (so um die 50 Prozent), sondern insbesondere an deren selbstbewusster Präsenz. Besonders augenfällig wurde das in der Besetzung des Podiums zur Organisationsfrage: Feministische Gruppen hatten die Teilnahme abgesagt, weil das für sie zur Zeit kein Thema war. Dennoch war das Podium paritätisch besetzt; für kanak-attac und die Berliner autonomen Gruppe sprachen je eine Frau. Und da, wo es dezidiert um das Einbringen einer geschlechterdifferenzierenden Perspektive ging, nämlich auf dem Abschlusspodium zur Frage der Gegenmacht, waren es die zwei Frauen, die aufgrund ihres geschlechterbezogenen theoretischen Ansatzes die substantiellste Kritik am Ansatz John Holloways vortrugen.

Die Frage, "wie die Welt verändern ohne die Macht zu erobern?" war ein zentrales Thema des Kongresses. Die traditionellen Konzepte einer revolutionären Machtergreifung oder des Staatsreformismus spielen kaum noch eine Rolle. Dafür sind die Erfahrungen mit verstaatlichten Befreiungsbewegungen ebenso maßgebend wie die mit dem rot-grünen "Projekt" hierzulande. Und alle haben von den mexikanischen Zapatistas gelernt. Gleichwohl zieht das entschlossen vorgetragene "Ya basta", die Erkenntnis, dass eine andere Welt nicht nur möglich ist, sondern dass dafür ein entschiedenes Nicht-mehr-Mitmachen bis in die kleinsten Alltagsroutinen hinein gehört, zunächst einmal einige Ratlosigkeit nach sich. Einen anderen Politikbegriff praktisch zu realisieren, die dafür wichtigen Ansatzpunkte und Formen zu finden, ist eine schwierige Frage. Klar wurde immerhin, dass hier das zentrale Problem liegt, wenn es um die Schaffung einer nicht nur anderen, sondern freieren und menschlicheren Gesellschaft geht.

Wie bei einem Kongress dieser Art nicht anders zu erwarten, wurden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet und vieles hätte genauer ausdiskutiert werden können. Dazu gehört der Umgang mit der Staatsmacht gerade angesichts der aktuellen Veränderungen von Staat und Staatensystem, eine Problematik, die sich eher schärfer stellt, wenn es nicht mehr darum geht, dieselbe ergreifen zu wollen. Auch wenn es vor allem darauf ankommt, praktisch andere Produktions-, Lebens- und Vergesellschaftungsformen und auf diese Weise "Anti-Macht" zu entwickeln, kann man aus den bestehenden und sich immer gewalttätiger ausprägenden Machtverhältnissen nicht austreten. In welcher Welt wir eigentlich leben – das Thema der Eröffnungsveranstaltung – blieb einigermaßen vage. Die Behandlung des Imperialismusbegriffs schwankte zwischen "immer noch" und "nicht mehr", wo es doch eigentlich darauf ankäme, die Verschränkung und Veränderung einzelgesellschaftlicher und internationaler Gewalt- und Abhängigkeitsverhältnisse im Zuge der Internationalisierung des Kapitals und des Staates zu begreifen. Klar wurde dabei immerhin, dass der aktuelle linke Theoriehype, das Empire-Buch von Negri und Hardt, dafür nicht sehr viel hergibt.

Zu der Aufbruchstimmung, die der Kongress vermittelte, gehört natürlich auch ein Schuss Romantik. Dass mit den Volksaufständen in Argentinien eine ganz neue Gesellschaft aufscheine, mag man bezweifeln, wenn man die Verhältnisse dort etwas genauer ansieht. John Holloways Proklamation "go away, capital", die auf das ganz andere, das schöne und gute Leben jenseits von Abhängigkeit und Entfremdung zielte und mit der er sich auf eben die argentinischen Aufstände und deren Ruf "Que se vayan todos!" bezog, fand großen Anklang. Freilich wird dabei die grundlegende Widersprüchlichkeit des Kapitalverhältnisses unterschlagen, die eben diese Perspektive problematisch werden lässt und die erklärt, weshalb es so schwer zu beseitigen ist. Die Durchsetzung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist eben auch ein historischer Emanzipationsschritt, der nicht einfach rückgängig gemacht werden kann. Wenn Kritik sich auf diese Widersprüche einlässt, gerät sie ins Handgemenge, verschwinden viele Sicherheiten.

Einen Hinweis auf den Zustand der Öffentlichkeit hierzulande gab die Tatsache, dass der Kongress in den etablierten Medien ohne jede Resonanz blieb. Selbst die Frankfurter Rundschau, die über die Jubiläumsveranstaltung jedes Kleintierzüchtervereins berichtet, hielt nicht einmal eine Notiz für nötig. Dass politisch Wichtiges jenseits der Staatsaffären nicht wahrgenommen wird, hat mit der allenthalben im Niedergang befindlichen journalistischen Professionalität zu tun. Öffentlichkeit ist heute vor allem der selbstreferentielle Bezug der Medien aufeinander. Wahrscheinlich hätten die üblichen Berichterstatter zudem einige Schwierigkeiten gehabt, den Diskussionen zu folgen. Sie hatten stellenweise ein Niveau, das man in politologischen Seminaren selten findet. Dabei zeigt sich aber auch eine Differenz im Politikstil, etwa im Vergleich zu Attac. Der BUKO hat jedenfalls nicht das Problem, zum Gegenstand einer eigenen Mediendynamik zu werden. Tatsächlich operieren beide Organisierungsansätze auf völlig verschiedenen Ebenen. Dies war mit ein Grund, weshalb es eine Diskussion über Attac praktisch überhaupt nicht gab. Es handelt sich hier um ein anderes Feld, ungeachtet vieler personeller Überschneidungen und Kooperationszusammenhänge. Überhaupt spielte die "Organisationsfrage" – obwohl sozusagen pflichtgemäß Thema einer eigenen Plenumsveranstaltung – keine große Rolle, ganz im Gegensatz zum zwei Wochen später stattfindenden Ratschlag von Attac, der sich am selben Ort in der Frankfurter Uni für zwei lange Tage und Nächte zusammengefunden hatte, um eine angemessene Organisationsstruktur zu finden. Um so erstaunlicher war es, dass dazu auch mehr als 400 Leute aus der gesamten BRD angereist waren. Allerdings gab es auch bei Attac keine endgültige Lösung, sondern nur das zunächst auf ein weiteres Jahr begrenzte Festhalten am Konsensprinzip, statt der Wahl von Delegierten etc. Die Organisationsfrage kann und sollte auch nicht allgemein und abstrakt geführt werden, sondern sich aus konkreten Arbeitszusammenhängen und Konfliktlagen heraus bilden. Der BUKO-Kongress hat jedenfalls gezeigt, dass die Organisationsform, die der BUKO gefunden hat, nicht die schlechteste ist.

Was sich auf dem BUKO-Kongress getroffen hat, war ein Teil der sogenannten "globalisierungskritischen" Bewegungen. Seine Bedeutung für deren Entwicklung liegt darin, dass es gelungen ist, über abstrakte Gegnerschaften und Solidaritäten hinaus die Verständigung über die Weltzustände, über eigene Orientierungen, Interessen und Perspektiven hier und jetzt ein Stück weiterzutreiben. Es wäre schön, wenn dieser Prozess fortgesetzt werden könnte. Die Initiatoren sind mit einer nicht ganz leichten Aufgabe konfrontiert.

© links-netz Juni 2002