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Schwerpunktthema: Sozialpolitik als Infrastruktur

 

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Es rührt sich was!

Joachim Hirsch

Dass der Aufruf zur Demonstration gegen den Sozialstaatsabbau am 1.11. eine unerwartet große Resonanz gefunden hat, ist ermutigend. Die Resignation, die das herrschende Parteienkartell im Verein mit einem Großteil der Medien mit seiner neoliberalen Rhetorik erzeugt hat, scheint erst mal durchbrochen zu sein. Ärger und Frust lassen sich nicht mehr einfach ins Private abdrängen, auch wenn die Hegemonie neoliberaler Ideologie noch lange nicht gebrochen ist. Die Verwunderung der Kommentatoren darüber, dass die große Beteiligung zustande kam, obwohl weder Parteien, noch Gewerkschaften, noch Kirchen dazu aufgerufen hatten, speist sich aus einem Irrtum. Gerade weil den etablierten Institutionen und den politischen Repräsentanten niemand mehr traut, bedurfte es einer unabhängigen gesellschaftlichen Initiative. Politische Netzwerke wie das von Attac haben ihre Wichtigkeit bewiesen. Die gelungene Demonstration könnte sich als Zündfunke für weitere, vor allem auch dezentrale politische Initiativen und Protestaktionen erweisen. Das anstehende Europäische Sozialforum in Paris dürfte weitere Impuls beisteuern, denn dezentrale Aktionen und grenzüberschreitender Austausch bedingen einander. Letztlich ist der Protest in anderen europäischen Ländern ja schon deutlicher artikuliert als hierzulande.

Die Reaktion der PolitikerInnen war wie zu erwarten: etwas Sozialgesäusel, das überhaupt nichts an der Fortführung der herrschenden Politik ändert. Bezeichnend die Wirklichkeitsverfehlung der Grünen, die immer noch den Anschein erwecken wollen, sie seien der Ansprechpartner von derartigen Protesten auf der Straße. Als seien sie nicht schon längst die eigentlichen hard-core Neoliberalen. Bezeichnend auch, dass der Protest so wenig ins Weltbild einiger Zeitungen wie z.B. der FAZ passte, das sie über die Demonstration erst gar nicht berichteten. Bei anderen wie z.B. der Frankfurter Rundschau wurde dagegen der Eindruck erweckt, als ginge es vor allem um eine Stärkung der Abweichler aus der SPD. Hier wird offenkundig versucht, die herrschende Allparteienkoalition inklusive ihrer taktischen Spielchen – Wenn du meine Pendler nicht so stark schröpfst, lass ich auch deinen Alleinerziehenden ein paar Kröten mehr im Portemonnaie! – als das Maß aller Proteste zu verfestigen. Als würden solche Kuhhändel nicht dazu beitragen, dass die Logik des neoliberalen Umbaus im Ganzen gerade akzeptiert wird.

Es ist indessen kaum zu erwarten, dass diese Rettungsversuche noch größere Wirkung zeitigen werden. Besonders wichtig ist es nun, dass sich der Protest nicht darauf beschränkt, den Erhalt des einmal Erreichten zu fordern, was immer die Gefahr in sich trägt, dass divergierende Interessen gegeneinander ausgespielt werden können. Die Verteidigung des überkommenen sozialen Sicherungssystems, so wichtig sie als erster Mobilisierungsansatz ist, reicht nicht aus. Genauso wenig darf sich der Protest, einschließlich ihrer Organisationen, nun anheischig machen, die besseren „Spar-“ oder „Umbauprogramme“ aus dem Ärmel zu schütteln. Soll der Protest nicht letztlich doch an den vermeintlichen „Notwendigkeiten“ des „Reformstresses“ zerrieben werden, ist vielmehr ein grundsätzlicher Bruch mit den neoliberalen Dogmen des gesellschaftlichen Umbaus zu vollziehen. Die Grundlagen der überkommenen „Arbeitsgesellschaft“ sind längst erodiert, und gleichzeitig weisen die erreichten produktiven Möglichkeiten weit darüber hinaus. Auf der Tagesordnung steht eine neue Politik des Sozialen, wie wir es mit dem Konzept der „sozialen Infrastruktur“ zu formulieren versucht haben. Wenn es gelänge, diese Diskussion weiter voranzutreiben, könnte sich eine Dynamik entwickeln, die gesellschaftlich und politisch wirklich etwas verändert.

© links-netz November 2003