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Dumm gelaufen

Der Hamburger G 20-Gipfel und der Wahlkampf

Joachim Hirsch

Die Bürgerkriegsszenarien und Horrormeldungen, die die Medienberichterstattung zum G 20-Gipfel anfänglich geprägt haben, sind wieder etwas in den Hintergrund getreten. Stellenweise wird inzwischen sogar versucht, wieder etwas journalistische Sorgfalt walten zu lassen. Allerdings ist es immer noch gar nicht so einfach, herauszubekommen, was wirklich passiert ist und wer was verursacht hat.

Dass Angela Merkel auf die Idee kam, den G 20-Gipfel in ihrer Geburtsstadt Hamburg zu veranstalten, hängt wohl damit zusammen, dass sie sich angesichts der bevorstehenden Wahlen publikumswirksam als Staatenlenkerin in Szene setzen wollte. Dass die Zusammenkunft der Regierungschefs keine wesentlichen Ergebnisse haben würde, stand schon vorher fest (vgl. dazu den Beitrag von Stefan Schoppengerd in links-netz, Mai 2017). Olaf Scholz, der Hamburg regierende Bürgermeister nahm die Gelegenheit gerne wahr, bot sie ihm doch die Möglichkeit, ein internationales Großereignis in die Stadt zu holen, nachdem ihm die BürgerInnen die Olympiabewerbung verdorben hatten. Zumal die Veranstaltung keine größeren Probleme mit sich bringen würde als das alljährliche Hafenfest, wie er zunächst verlauten ließ. Blauäugiger geht es eigentlich nicht. Oder war es eine bewusste Verharmlosung, um die HamburgerInnen zu beruhigen?

Was folgte, war ein Krawallspektakel, das noch Wochen nachher für viel Medienstoff sorgte – ganz im Gegensatz zu den politischen Ergebnissen des Gipfels, deren wichtigstes allerdings darin bestand, dass es praktisch keines gab. Wie und warum es zu den gewaltsamen Auseinandersetzungen kam, wird sich möglicherweise nie ganz aufklären lassen – schon weil das polizeiliche und politische Interesse daran eher gering zu sein scheint. Zweifellos spielten die zum „schwarzen Block“ Hochstilisierten dabei eine wesentliche Rolle – jedenfalls als willkommenes Bedrohungsszenario, seien sie doch zu allem entschlossen, gut organisiert und international vernetzt. Der internationale Terrorismus lässt grüßen. Bei rechtsradikalen Zündlern und Schlägern wird anders verfahren. Sie werden regelmäßig als irregeleitete Einzeltäter hingestellt. Für die militanten Aktivisten, denen das Etikett „Schwarzer Block“ verpasst wird, bieten Großdemonstrationen natürlich ein hervorragendes und gerne genutztes Aktionsfeld. Offen bleibt dabei, ob es allen AkterurInnen des „Schwarzer Blocks“ wirklich um Politik geht und wenn ja, um welche! Ganz abgesehen von dem in ihrem Schatten sich tummelnden Partyvolk, einem eher kleinstbürgerlichen Pöbel für den gelegentlicher Vandalismus eine nette Abwechslung darstellt und interessante Bilder liefert, die über die „sozialen Netzwerke“ verbreitet werden können.

Was immer die „Linksautonomen“ angerichtet haben, provoziert wurden die DemonstrantInnen zu Genüge. Das begann bereits damit, dass sich die Polizei bei den Auseinandersetzungen in Bezug auf die Protestcamps um Gerichtsurteile nicht scheren zu müssen glaubte – ein Hinweis darauf, wie es hierzulande um die Gewaltenteilung bestellt ist, deren Fehlen anderswo gerne beklagt wird. Dazu kamen vielfältige ungerechtfertigte Übergriffe und Gewaltaktionen, ganz zu schweigen von den Angriffen auf die Pressefreiheit, indem „verdächtigen“ Journalisten die Akkreditierung entzogen wurde. Wohl unter Mitwirkung der Geheimdienste. Inwieweit diese bei Allem mitgemischt haben, bleibt bis heute verborgen.

Sollte es in Hamburg eine Polizeistrategie gegeben haben, so ist sie auf jeden Fall gründlich danebengegangen. Statt Deeskalation war Eskalation angesagt. Es galt einmal wieder, das staatliche „Gewaltmonopol“ zu demonstrieren. Polizeiliche Drohungen und martialische Auftritte sollten Gewalt verhindern, obwohl sie bekanntermaßen in der Regel das Gegenteil bewirken. Olaf Scholz bleibt indessen bis heute bei seiner Behauptung, die Polizei habe keine Fehler gemacht und kündigt entschlossene Härte gegen Straftäter an. Angesichts des offensichtlichen Führungsversagens eigentlich genügend Grund für einen Rücktritt. Die Aufforderung dazu kam aus den regierenden Parteien indessen nur vereinzelt. Diesbezüglich funktioniert die Große Koalition noch recht gut.

Was sich an den Hamburger „Ereignissen“ gut studieren lässt, ist der Mechanismus, der darin besteht, dass alle Medien dazu neigen, auflage- oder quotensteigernd möglichst aufregende Szenarien zu präsentieren. Da werden dann schnell mal bürgerkriegsähnliche Zustände ausgerufen, sofern es nicht, wie etwa bei BILD und FAZ, von vornherein darum geht, Linkenbashing zu betreiben. Da war zunächst von über 600 verletzten PolizistInnen die Rede, kurz sogar von 700 – eine Zahl, die im Laufe der Tage immer mehr dahin schmolz. Anfänglich wurden auch die BeamtInnen dazu gezählt, die infolge Erschöpfung ihren Dienst nicht mehr tun konnten. Aber 600 klingt halt dramatischer als schließlich 23. Und noch dramatischer: eine angeblich der Polizei gestellte Falle, wo von Dächern im Schanzenviertel Steinplatten auf sie geworfen worden sein sollen. Der „Beweis“, ein von einem Hubschrauber aufgenommenes, höchst unscharfes und kaum verwertbares Video, lief über alle Kanäle. Bei den auf den Dächern Festgenommenen fanden sich schließlich außer Filmkameras nichts als bestenfalls Feuerwerkskörper. So werden alternative Fakten konstruiert. Am Ende der ganzen Affäre konnte die riesige polizeiliche Sonderkommission gerade mal 35 Leute identifizieren, die mit teilweise absurden Beschuldigungen festgenommen wurden.

Das Bürgerkriegsszenario hat indessen seinen Zweck erfüllt. Sicherheitsfanatiker wie de Maiziere konnten weitere Verschärfungen der Überwachungs-, Straf- und Versammlungsgesetze fordern. „Sicherheit“ spielt im Wahlkampf eben eine zentrale Rolle. Und wie immer wurden linke Organisationen dazu gezwungen, sich von Dingen zu distanzieren, mit denen sie nichts zu tun hatten. Der Sicherheitsstaat hatte in Hamburg eine Sternstunde.

Wie gesagt ist es eher unwahrscheinlich, dass es je zu einer Aufklärung dessen kommen wird, was sich während des G 20-Gipfels in Hamburg tatsächlich ereignet hat, wer dahinter stand und welche Ziele dabei verfolgt wurden. Viele und recht unterschiedliche politische, polizeiliche und Medieninteressen spielen dabei eine Rolle. Möglich ist, dass es einfach eine Mischung von falschen Einschätzungen, fehlerhaften Strategien und schlicht auch Zufällen war, deren Ergebnisse von interessierter Seite – von den Medien bis zur Politik – ausgenutzt wurden. So richtig profitiert hat eigentlich niemand davon. Polizei und Justiz geraten immer mehr in die Kritik, weil es doch noch so etwas wie eine unabhängige Öffentlichkeit gibt. Die Ersatzhoffnungsfigur der SPD, Olaf Scholz, ist ziemlich beschädigt und die Konstrukteure des Sicherheitsstaats können deshalb auch nur beschränkten Nutzen daraus ziehen.

Die Ausschreitungen werden dazu benutzt, von allen möglichen politischen AkteurInnen zu verlangen, staatstragende Distanzierungen und Empörungsäußerungen in die Mikrofone zu sprechen. Selbst die harmlose „Linke“ wurde als parlamentarischer Arm der Autonomen dargestellt

Es bleibt, dass die politischen Ziele der Zehntausende, die gegen den Gipfel und seine Repräsentanten auf die Straße gingen, völlig in den Hintergrund getreten sind. Das muss aber nicht so bleiben. Es waren schließlich die ähnlich gelagerten Protestaktionen in Seattle im Jahre 1999, die sehr wesentlich zu einer Veränderung des öffentlichen Diskurses über den Sinn, den Zweck und die Auswirkungen dessen geführt haben, was als „Globalisierung“ bezeichnet wird. Und wenn künftig solche Gipfeltreffen nur noch in Autokratien, abgelegenen Orten oder gar Schiffen abgehalten werden können, so sagt das immerhin einiges darüber aus, wie es um das Verhältnis der Regierenden zum „Volk“ inzwischen bestellt ist.

© links-netz August 2017