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Sozialpolitik als Infrastruktur Übersicht

 

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Das Grundeinkommen ist in der etablierten Öffentlichkeit angekommen

Joachim Hirsch

Es ist noch nicht lange her, da wurde der Vorschlag eines allgemeinen und bedingungslosen Grundeinkommens in das Reich der von einigen kleinen Gruppen verfolgten Spinnereien verwiesen. Nicht finanzierbar, von ordentlicher Lohnarbeit abhaltend und den Müßiggang fördernd, den Sozialstaat gefährdend und wie die Argumente so hießen. Demzufolge war es in den führenden Medien auch keiner Erwähnung wert. Das hat sich nun in erstaunlicher Weise geändert. Nicht nur wie schon seit längerem der Inhaber der dm-Drogeriemarktkette Götz Werner, sondern neuerdings auch eine ganze Reihe weiterer Unternehmer vor allem aus dem Silicon Valley haben sich mit dem Gedanken angefreundet: so etwa der Tesla-Chef Elon Musk, der Google-Entwickler Ray Kurzweil, der Investor Albert Wenger oder der Facebook-Mitbegründer Chris Hughes. Auch Siemens-Vorstand Joe Kaeser hat sich auf dem vor kurzem abgehaltenen „Wirtschaftsgipfel“ der Süddeutschen Zeitung positiv dazu geäußert und eben diese Zeitung beschäftigt sich jetzt gerade fortlaufend in ihrem Wirtschaftsteil mit diesem Thema.

Anderswo ist das schon etwas weiter gediehen. In der Schweiz gab es vor kurzem eine Volksabstimmung zur Einführung des Grundeinkommens. Diese wurde zwar abgelehnt, aber damit ist das Thema keinesfalls vom Tisch. Immerhin wird in Finnland oder auch in den Niederlanden damit experimentiert und der reiche Unternehmer Sam Altmann will in Oakland/USA eine entsprechende private Initiative starten.

Was ist also passiert, dass neuerdings allenthalben über das Grundeinkommen geredet wird? Und weshalb freundet sich gerade das Unternehmerlager damit an? Es ist kein Zufall, dass dabei die Leute aus dem Silicon Valley eine besondere Rolle spielen. Ist es doch das Zentrum der informationstechnischen Entwicklungen, die erhebliche Rationalisierungsschübe erzeugt haben. Diese werden verstärkt weiter gehen und immer mehr Wirtschaftsbereiche umfassen. Die Folgen sind bekannt und bereits heute manifest: massive Freisetzung von Arbeitskräften, Prekarisierung und die Ausdehnung des Niedriglohnsektors, wo die Einkommen kaum mehr zum Lebensunterhalt reichen. Das schafft gesellschaftliche Probleme, die mittlerweile auch die PolitikerInnen bewegen und sie von „Spaltung“ und „sozialem Zusammenhalt“ reden, allerdings kaum handeln lässt. Und auch den Unternehmern kann diese Entwicklung auf die Dauer nicht gleichgültig sein. Der Rechtspopulismus, der sich unter anderem daraus speist, ist auch ihnen nicht genehm und noch weniger wären es massive soziale Proteste oder gar Aufstände. Dem also gilt es entgegenzuwirken, und dies natürlich nicht durch ein Veränderung der ganzen Wirtschaftsweise, sondern durch Maßnahmen, die den ausgegrenzten Teil der Bevölkerung ruhig stellen sollen. Gelänge das, so könnte man so weiter machen wie bisher. Dass der Kapitalismus sich im Laufe seiner Entwicklung als überaus anpassungs- und lernfähig erwiesen hat, trifft auch auf seine neoliberale Variante zu.

Damit stellt sich die Frage, was unter dem Begriff „Grundeinkommen“ eigentlich zu verstehen ist. Dass es sich dabei kaum um private Wohltätigkeit ohne rechtliche Absicherung handeln kann wie im Falle Altmanns, dürfte klar sein. Ansonsten aber herrscht eher Diffusität. Joe Kaeser hatte zunächst von „einer Art Grundeinkommen“ gesprochen, später aber präzisiert, dass es nicht bedingungslos und auch nicht für alle sein sollte (SZ, 21.11.2016). Auf die Art kommt es allerdings an. Wie allgemein ist es? Ist es bedingungslos oder an Bedürftigkeitsprüfungen gebunden? Reicht die Höhe aus, um ein würdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen? Und wie soll es finanziert werden? Aus Steuermitteln natürlich. Götz Werner denkt dabei an eine drastische Erhöhung der Verbrauchssteuern, weil es nicht der Sinn von Unternehmen sei, Steuern zu zahlen, sondern Güter und Dienstleistungen zu produzieren. Schön gesagt! Eine Verbrauchssteuererhöhung würde bedeuten, dass die Grundeinkommensbezieher zum Teil ihre Bezüge selbst finanzieren – ein etwas unlogischer Zirkel. Zahlen müssten auf jeden Fall die breite Masse der Konsumenten und nicht die Großverdiener. Wenn es um eine Kontrolle der Ausgegrenzten geht, so darf natürlich auf Disziplinar- und Überwachungsmaßnahmen nicht verzichtet werden. Sie könnten sonst auf dumme Gedanken kommen. Die neoliberale Lernfähigkeit beschränkt sich also darauf, dass sich etwas ein klein wenig verändern muss, damit alles so bleibt, wie es ist.

Die Gewerkschaften standen dem Grundeinkommen immer schon ablehnend gegenüber. Immerhin nagt es irgendwie an den Grundfesten der Arbeitsgesellschaft, an die sie ihre Existenz knüpfen. Und das Argument ist nicht beiseite zu wischen, dass ein Grundeinkommen es den Unternehmen auf jeden Fall leichter machen würde, Entlassungen vorzunehmen. Der bayerische IG-Metall-Bezirksleiter Jürgen Wechsler, der auch im Aufsichtsrat von Siemens sitzt, hat deshalb auch postwendend auf Kaesers Äußerungen reagiert (SZ, 28.11.2016). Er redet davon, das Grundeinkommen bedeute, dass die unternehmerische „Verantwortungskultur“ dadurch von einer staatlichen „Fürsorgekultur“ abgelöst werde und es für die Unternehmen keinen Anreiz mehr gebe, sich um das Gemeinwohl zu kümmern, dass nicht mehr sie, sondern der Staat sich um das Elend kümmern müsse. Wie er angesichts des herrschenden Shareholderkapitalismus zu der Ansicht kommen kann, die Unternehmen kümmerten sich um das Gemeinwohl, bleibt einigermaßen im Dunkeln. Wahrscheinlich spielt dabei der Traum von vergangenen korporatistischen Zeiten eine Rolle, die von der neoliberalen Offensive längst überrollt worden sind.

Ganz anderer Ansicht ist ein Kollege aus den USA, Andy Stern (SZ, 25.11.2016). Stern kommt allerdings aus einer Dienstleistungsgewerkschaft und damit aus einem Bereich, der anders als die Metallindustrie immer weiter expandiert. Er glaubt, dass angesichts der Tatsache, dass 80% der neu geschaffenen Jobs im Niedriglohnsektor angesiedelt seien, es keinen Sinn mehr mache, für Arbeitsplatzsicherheit zu kämpfen. Als Zukunftsmodell schwebt ihm ein bedingungsloses Grundeinkommen vor, das die ArbeitnehmerInnen durch eine relative materielle Sicherung in die Lage versetze, mit einem gewissen Erfolg „individuelle Tarifverhandlungen“ zu führen. Das Grundeinkommen verschaffe ihnen „ein Standbein“ und ermögliche es ihnen, das „Spielbein selbständig weiter zu entwickeln“. Das würde allerdings das Ende von Gewerkschaftsarbeit im herkömmlichen Sinne überhaupt bedeuten. Sein Hintergrund ist allerdings die US-amerikanische Gewerkschaftslandschaft, in der die Organisationen jenseits der „alten Industrien“ im „rust belt“ immer schon schwach waren und korporatistische Traditionen deutschen Musters überhaupt keine Rolle spielen. Man könnte hier auch eine etwas abgemilderte Kapitulation vor neoliberalen Individualisierungs- und Selbstoptimierungsdiskursen vermuten. Die Skepsis deutscher Gewerkschafter ist somit nicht ganz unverständlich. Und in der Tat würden von einem Grundeinkommen vor allem die flexiblen, kreativen und mit wenig Verpflichtungen belasteten jungen Menschen profitieren, die auf Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung Wert legen.

Jürgen Wechsler hält das Grundeinkommen für eine „marktradikale Antwort“ auf die aktuellen gesellschaftlichen Probleme und hat damit nicht ganz unrecht. Das Grundeinkommen ist, wie sich jetzt zeigt, nicht unbedingt ein linkes Projekt. Es wurde schon von Milton Friedmann, dem Vordenker des Neoliberalismus in die Diskussion gebracht. In der Tat würde es zunächst einmal nichts an der bestehenden, wesentlich auf Markt- und Privateigentumsverhältnissen beruhenden Gesellschaftsform ändern. Wir vom links-netz haben daher immer darauf hingewiesen, dass ein Grundeinkommen nur als Bestandteil einer weiter ausgreifenden sozialen Infrastruktur Sinn macht, in der wichtige Grundbedürfnisse für alle frei zugänglich und kostenlos oder zumindest zu tragbaren Kosten zur Verfügung gestellt werden, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Verkehr, Wohnen, Bildung und Kultur. Es ginge dabei um eine grundlegendere Veränderung der Vergesellschaftungsweise weg von der marktförmigen hin zu öffentlichen Gütern und kollektivem Konsum. Also etwas, was den neoliberal-kapitalistischen Grundsätzen diametral entgegengesetzt wäre. Ein Grundeinkommen, selbst wenn es wirklich bedingungslos, allgemein und ausreichend wäre, würde das auf keinen Fall leisten. Mit einem Ausbau der sozialen Infrastruktur sieht es demgegenüber eher schlecht aus. An dem fehlgesteuerten und von Korruption durchzogenen Gesundheitssystem wird nichts geändert, die Preise im öffentlichen Nahverkehr steigen in astronomische Höhen und das Bildungssystem ist sozial selektiver denn je. Finanzminister Schäuble hat kürzlich sogar den Plan ins Spiel gebracht, die Bundesautobahnen zu privatisieren. Damit würden vor allem für die privaten Versicherungskonzernen profitable Anlagemöglichkeiten zu Lasten der Autofahrer und Steuerzahler geschaffen.

In der aktuellen Diskussion haben sich die Fronten stark verschoben. Beim Grundeinkommen geht es nicht mehr so sehr um das „ob“, sondern jetzt vor allem um das „wie“. Auch auf diesem Feld gibt es eine neoliberale Offensive, die bekämpft werden muss. Dabei wird es nicht ausreichen, sich für eine tragbare Ausgestaltung des Grundeinkommens einzusetzen. Es muss darum gehen, für viel weiter reichende gesellschaftliche Veränderungen zu kämpfen. Eine Beschränkung auf das Grundeinkommen läuft auf jeden Fall Gefahr, dem Neoliberalismus in die Hände zu spielen.

© links-netz Januar 2017