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Fake

Joachim Hirsch

„Die oder das Fake (englisch „die Fälschung“, „der Schwindel“) ist der US-amerikanische Jargon-Begriff für eine Fälschung oder einen listigen kleinen Betrug“.
(Wikipedia)

Ein Kabarettist hat kürzlich die Vermutung geäußert, bei den Berliner PolitikerInnen, Merkel, Müntefering, Beck & Co. handele es sich in Wirklichkeit um eingeschmuggelte Billigkopien mit den Eigenschaften, die man von chinesischen Markenwaren-Imitationen kennt: schlechte Qualität und begrenzte Leistungskapazität. Der Gag ist nicht uninteressant. Wenn es stimmte, würde das jedenfalls einiges von dem erklären, was in der Politik gegenwärtig so abläuft.

Das betrifft indessen nicht nur das Personal. In einer zunehmend virtualisierten Welt scheint das Fake allgegenwärtig zu sein und gewissermaßen selbst Realität zu werden. Natürlich haben die Herrschenden immer schon mit Lüge und Täuschung gearbeitet, aber die technischen Möglichkeiten dazu haben enorm zugenommen. Es ist ein Unterschied, ob Goebbels im Radio verkündet, dass seit fünf Uhr früh gegen Polen „zurück geschossen“ werde oder die Bush-Gang mit Satellitenaufnahmen und Expertenanalysen die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak „beweist“. Im sich daran anschließenden Krieg liefern „eingebettete“ Journalisten Bilder, die denen einschlägiger Computerspiele gleichen. Kein Wunder, dass für einige Jugendliche da einiges verschwimmt. Irgendwie ist alles ein Spiel und die Toten, so es sie wirklich gibt, werden unter der Rubrik Kollateralschäden abgebucht.

Schon längst hat man sich daran gewöhnt, dass das von George Orwell in seiner Totalitarismus-Vision so genannte „Zwiesprech“ die öffentliche Sprache beherrscht. Militärische Angriffe heißen Friedensmissionen, das Einsetzen von Marionettenregierungen läuft unter Demokratisierung, der Abbruch des Sozialstaats kommt als dessen Stärkung daher, Rentenkürzung heißt Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Reform ist, wenn am Ende von dem zu Reformierenden nichts mehr übrig bleibt. Krieg ist Frieden. Oder auch umgekehrt: Seit nun allgemein realisiert wird, dass es eine Klimakatastrophe gibt, erscheint das Wort nicht mehr. Es heißt jetzt „Klimawandel“. Also alles nicht so schlimm. Nimmt man die einschlägigen Statistiken über Kostenexplosionen, Bevölkerungsvergreisungen oder Arbeitslosigkeit wahr, so fällt einem Churchills Bemerkung ein, man solle keiner Statistik glauben, die man nicht selbst gefälscht hat.

Inzwischen hat man sich daran gewöhnt, dass Politik vorrangig darin besteht, fortlaufend „Reformvorhaben“ in die Welt zu setzen, die das Gegenteil dessen bewirken, was sie versprechen. Parteien verkünden zur Beruhigung irritierter Wähler mit schöner Regelmäßigkeit Programme, die in krassem Gegensatz zu dem stehen, was tatsächlich gemacht wird. Und dass diese niemals realisiert werden, darf ohnehin als selbstverständlich gelten. Politik ist im Wesentlichen zum Diskursmanagement geworden. Es gibt Heere von Beratern, die im Wesentlichen von Fiktionen leben. Die Wirtschaftswissenschaft arbeitet mit Modellen, die mit ökonomischen Vorgängen recht wenig zu tun haben, scheint bisweilen aber selbst dran zu glauben. Jedenfalls entfalten die darauf gestützten Aussagen erhebliche propagandistische Wirkungen. Journalisten, denen der Begriff Recherche längst abhanden gekommen ist, beschäftigen sich ebenso wie die einschlägigen Talkrunden im Wesentlichen damit, Fakes zu reproduzieren. Geliefert werden sie gegebenenfalls von „Forschungsinstituten“, die von den Unternehmern bezahlt werden. Dabei geht es nicht nur um Worte und Begriffe. Auch die um den Globus wandernden Geldströme sind irgendwie virtuell, haben sich von materiellen Prozessen abgelöst, bestimmen sie aber mit immer desaströseren Folgen. Regierung und Parlament halten sich hierzulande sogar ein personifiziertes Fake in Gestalt eines Datenschutzbeauftragten, während sie gleichzeitig fleißig den informationstechnologischen Überwachungsstaat ausbauen.

Das Fake beherrscht nicht nur die Politik, sondern das Leben allgemein. Sich selbst unternehmende Menschen müssen permanent vorspielen, was sie nicht sind. Man übt sich in computergestützten Präsentationen, die allein sich selbst zum Inhalt haben. Chatrooms und Blogs, bei denen verborgen bleibt, wer warum und mit welchem Interesse etwas sagt, imaginieren funktionierende Diskussionszusammenhänge. Menschen stilisieren sich massenhaft als Klone der synthetisch konstruierten Figuren von Stars und Models. Ohne größere Probleme veröffentlichen Unternehmen, die schon längst pleite sind, beeindruckende Erfolgszahlen. Wenn darauf hin die Aktienkurse steigen, lässt sich daraus erheblicher Profit schlagen. Angesichts dessen, dass „Prekarisierung“ im Sinne unsicherer und gebrochener Lebensläufe zum Massenschicksal geworden ist und verlässlichere soziale Zusammenhänge zerbröseln, wächst das Bedürfnis nach der Konstruktion von Identitäten, wobei sozusagen Fakes neue Fakes produzieren.

Die Fakisierung hat gesellschaftliche Ursachen. Dazu gehört, dass die Politik sich selbst in so genannte Sachzwänge begeben hat, die sie dazu veranlassen, permanent gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit zu handeln. Wo der behauptete Sachzwang herrscht, wird notwendigerweise Politik selbst zum Fake. Und dies umso mehr, als individuelle Geld- und Karriereinteressen das Handeln des Personals bestimmen und dessen Folgen ansonsten keine Rolle spielen. Entscheidend ist die kulturindustrielle Medialisierung, die die Parteien längst zu abgehobenen Propagandaapparaten hat werden lassen. In den Medien werden angesichts der Konkurrenz um Marktanteile immer neue Geschichten und Ereignisse erfunden, möglichst lebensnah natürlich. Den immer weiter perfektionierten Bearbeitungsprogrammen ist es zu verdanken, dass man Bildern schon gar nicht mehr trauen kann. Die „Informationsgesellschaft“ produziert Informationslawinen, deren Ursprung bzw. Kontext ebenso im Dunkeln bleibt wie die damit verbundenen Absichten. Das erzeugt Geschichtslosigkeit und Vergessen: Dass die neue Botschaft das Gegenteil von dem sagt, was gestern verkündet wurde, fällt kaum mehr auf.

Man könnte sich fragen, wo bei all dieser Virtualisierung der Welt die Wirklichkeit bleibt, was Illusion und was Realität ist. Wenn Fake Fälschung bedeutet, was wird denn nun eigentlich gefälscht? Und was heißt eigentlich Wirklichkeit? Das Fake ist längst Realität geworden und bestimmt die Wahrnehmung und das Leben. Könnte es vielleicht sein, dass es von den politischen Figuren in Berlin gar keine Originale gibt? Bisweilen wird allerdings dann doch deutlich, dass es so etwas wie eine Wirklichkeit jenseits der Inszenierungen gibt. Diese Erfahrung ist jedoch meistens eher schmerzlich und es ist vielleicht besser, sie zu vermeiden.

© links-netz Januar 2007