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Weltwirtschaftskrise 2.0 oder der Zusammenbruch des neoliberalen Finanzkapitalismus

Joachim Hirsch

„ ... what is proposed is not the nationalization of private corporations but rather a corporate takeover of government. The marriage of highly concentrated corporate power with an authoritarian state that serves the politico-economic elite at the expense of the people is more accurately referred to as „financial fascism”.
Robert Scherr in THE NATION

Bekanntermaßen gehören Krisen zum Kapitalismus, und hin und wieder kommt es auch zu ziemlich großen, wie derzeit. Ihre Abfolge scheint sich indessen zu beschleunigen. Von der großen Depression in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zur ersten Weltwirtschaftskrise des zwanzigsten dauerte es über fünfzig Jahre. Der darauf folgende Fordismus währte bis Mitte der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, also nur noch knapp fünf Jahrzehnte. Auf seine Krise folgte die als Globalisierung bezeichnete Etablierung des neoliberalen Finanzkapitalismus, auch Postfordismus genannt. Der ist nun, etwas über dreißig Jahre später, ebenfalls am Ende und wieder verschieben sich damit die globalen ökonomischen und politischen Machtverhältnisse. Bei diesen raschen Veränderungen ist natürlich nicht ganz leicht zu erkennen, mit welchem Kapitalismus man es gerade zu tun hat. Das hat sich auch daran gezeigt, dass es keine Einigkeit darüber gab, wie seine eben zu Ende gehende Form genannt werden sollte und ob es sich dabei überhaupt um eine eigenständige Phase oder eher um ein sich Dahinschleppen der Fordismus-Krise gehandelt hat. Der Begriff „Postfordismus“ war jedenfalls eher eine Hilfsbezeichnung. Das ist nun deutlicher geworden. Beim neoliberalen Finanzkapitalismus handelt es sich durchaus um eine eigene historische Formation des Kapitalismus, die auch eine spezifische Krisendynamik aufweist. Die aktuelle Krise unterscheidet sich daher ganz wesentlich von der des Fordismus oder auch der der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts, auch wenn dazu jetzt häufig Parallelen gezogen werden. Während die Fordismus-Krise darauf beruhte, dass infolge abnehmender Rationalisierungsspielräume und auf der Basis eines für die Lohnabhängigen noch günstigeren Kräfteverhältnisses die Kapitalprofite zurück gingen, ist die derzeitige Krise eine Folge davon, dass explodierende Unternehmensgewinne angesichts einer strukturell beschränkten Konsumnachfrage ungenügende Investitionsgelegenheiten im produktive Sektor finden konnten und statt dessen in die Finanzspekulation wanderten. Es handelt sich also um einen spezifischen Fall der kapitalistischen Überakkumulationskrise. Nachdem diese Spekulationsblase geplatzt ist, gehört auch der Postfordismus der Vergangenheit an. Die Art und Weise, wie die Krise des Fordismus bewältigt wurde, hat also die Wurzeln dafür gelegt, dass der globale Kapitalismus heute knapp vor dem Zusammenbruch steht.

Die gängigen Erklärungen für das ökonomische Desaster laufen darauf hinaus, verantwortungslose und geldgierige Spekulanten dafür verantwortlich zu machen, die sich nicht nur bei den großen Finanzkonzernen, sondern überall im System des so genannten Turbokapitalismus breit gemacht haben. Konzernchefs wie etwa Ackermann von der Deutschen Bank haben geglaubt, 25% Kapitalrendite ließen sich auf Dauer erzielen, ohne dass irgendwann etwas schief geht. In der öffentlichen Diskussion wird allerdings verschwiegen, dass die Schuldenblase, die diese Finanzjongleure für ihre Zwecke ausgenutzt haben, ein systematischer Bestandteil des neoliberalen Kapitalismus war. Das Spekulieren über die Folgen der Finanzkrise für die so genannte „Realwirtschaft“ (übrigens eine recht verräterische Bezeichnung) ist scheinheilig. Steinbrück, Glos, Weber und ihr professoraler Begleitchor müssten wissen, dass die Finanzblase nicht eine vermeidbare Fehlentwicklung, sondern die Grundlage der „Realwirtschaft“ war. Die Ende der achtziger Jahre durchgesetzte Deregulierung der Kapital- und Finanzmärkte hat mit dem Wegfall aller politischen Kontrollen die jetzt plötzlich als „rechtsfrei“ bezeichneten Räume geschaffen, die Spekulanten für ihre kriminellen Aktionen nutzen konnten. Was als Globalisierung bezeichnet wird, war nichts anderes als eine Strategie, die auf eine grundlegende Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten des Kapitals zielte und die zu einer drastischen Veränderung der Einkommensverteilung, zur Verarmung großer Bevölkerungsteile und zu einer enormen sozialen Polarisierung geführt hat. Sie wurde von den Regierungen der dominierenden Staaten in Kooperation mit dem internationalisierten Kapital im Gefolge der Fordismus-Krise bewusst durchgesetzt. Dass die Manager nun als Sündenböcke und die Politiker als Retter dastehen, verwischt daher die Verantwortlichkeiten. Infolge dieser spezifischen Sorte von „Globalisierung“ explodierten die Unternehmensprofite geradezu. Bei zunehmend ungleicher Einkommensverteilung war ihre Realisierung aber nur möglich, weil eine Art von globalem Keynesianismus etabliert wurde: die wachsende private und staatliche Verschuldung – vor allem in den USA – sorgte für die notwendige Nachfrage und wurde so zur Grundlage eines ökonomischen „Aufschwungs“, der allerdings von Anfang an auf Sand gebaut war. Dass dieses System irgendwann zusammenbrechen musste, war jedem klar, der mit einem gewissen ökonomischen Sachverstand ausgestattet ist – was man allerdings von den üblichen „Wirtschaftsweisen“ offenbar nicht behaupten kann. Unklar war nur der Zeitpunkt, an dem der Kollaps eintreten würde. Bis dahin wurde der Zirkel der Verschuldung einfach immer weiter getrieben. Das nannte man Turbokapitalismus. Jetzt ist dieser am Ende und die Situation da, wie der Altkanzler Adenauer gesagt hätte.

Interessant ist dabei der Zusammenhang von Krise und Krieg. Die Überwindung der großen Depression (im 19. Jahrhundert) hatte einiges mit dem Wettrüsten zu tun, das zum ersten Weltkrieg führte. Die Ergebnisse des zweiten Weltkriegs, nämlich der Aufstieg der beiden Supermächte USA und Sowjetunion führten zu der machtpolitischen Konstellation, die den Fordismus erst möglich machte. Und schließlich hat die Niederlage der USA im Vietnamkrieg wesentlich zum Zusammenbruch des fordistischen Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse und Kapitalverkehrskontrollen und damit zu dessen Krise beigetragen. Das Debakel, das sie sich im Irak und Afghanistan eingebrockt haben, verweist auf einen ähnlichen Zusammenhang. Jedenfalls wurde die internationale Schuldenökonomie dadurch kräftig genährt. Immerhin müssen wöchentlich drei Milliarden Dollar direkte Kriegskosten irgendwie finanziert werden. Im Verlauf der Geschichte waren kapitalistische Formationen mit der Vorherrschaft eines Staates verbunden, der – natürlich zum eigenen Nutzen – internationale Regeln und Institutionen durchgesetzt und garantiert hat. Das waren Großbritannien im 19. und die USA im 20. Jahrhundert. Dadurch wurde der internationalen Wirtschaft für einige Zeit eine gewisse Stabilität verliehen. Die Krise des Fordismus stellte die ökonomische Vormachtstellung der USA in Frage. Reagiert wurde darauf mit der durch die „Reaganomics“ eingeleiteten Globalisierungsstrategie und der Etablierung des neoliberalen Finanzkapitalismus. Dies diente auch dem Zweck, die ökonomische, politische und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch militärische Vorherrschaft der USA wieder herzustellen. Damit ist es nun wohl aus. Die derzeitige Krise könnte den Schusspunkt unter ein „amerikanisches“ Jahrhundert setzen, das mit Roosevelts New Deal in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts begann. Die gesamte Welt ordnet sich neu.

Staatskapitalistische Länder wie vor allem China scheinen von der Krise zunächst einmal weniger getroffen zu werden, wenn auch sie sich zumindest auf längere Sicht dem Sog der drohenden globalen Rezession nicht entziehen werden können. Sie haben nie darauf verzichtet, ihre Kapital- und Finanzmärkte politisch zu kontrollieren. „Staatsfonds“, bisher als gefährliches Übel gebrandmarkt, sind plötzlich als Retter willkommen. Es ist sicher überzogen, wenn Scherr von einem „Finanzfaschismus“ spricht. Etwas Richtiges ist allerdings schon daran. Noch ist nicht ganz klar, was die Folgen der Finanzkrise sein werden. Ziemlich sicher ist allerdings, dass der Zusammenbruch des schuldengestützten neoliberalen Kapitalismus in eine lang anhaltende wirtschaftlichen Depression globalen Ausmaßes führen wird, solange die bestehenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sich nicht ändern. Dafür gibt es keine Anzeichen. Die gegenwärtigen Rettungsaktionen zielen darauf ab, diese zu erhalten und Alternativen sind nicht in Sicht. Vielmehr zeichnet sich die Etablierung eines staatskapitalistischen Systems auch in den bisher dominierenden kapitalistischen Ländern ab, das durch eine noch engere Verschmelzung zwischen dem im Gefolge der Krise sich weiter monopolisierenden Kapital und dem Staat gekennzeichnet ist. Man kann darüber spekulieren, ob die jetzt anlaufende (Teil-) Verstaatlichung der Banken nun die Übernahme derselben durch den Staat oder das Umgekehrte bedeutet. Eher handelt es sich um eine Art Fusion von Großkapital und Staat. Daraus die Hoffnung auf eine stärkere politische Kontrolle der Wirtschaft zu ziehen, ist verfehlt wenn man beachtet, dass die Politik seit längerem in praktisch allen dominierenden Staaten praktisch darauf hinausläuft, dem Kapital unter Inkaufnahme immenser sozialer und ökologischer Kosten seine Profite zu garantieren. Sollten die Rettungsaktion gelingen und die Banken wieder saniert werden, wird die Reprivatisierung mit Sicherheit wieder anstehen. Dass die Rettung pleite gegangener Unternehmen und die Sanierung der Finanzspekulanten den Steuerzahlern aufgehalst wird, macht deutlich, wohin die Reise geht. Zugleich wird damit die Kreditblase weiter vergrößert, Kapitalvernichtung durch staatliches Schuldenmachen kompensiert. Die grundlegende ökonomische Instabilität bleibt also erhalten, selbst wenn es vorübergehend wieder zu einer Beruhigung kommen sollte.

Um die Krise zu bewältigen, steht jetzt die „Re-Regulierung“ der Wirtschaft auf der politischen Tagesordnung. Sie wird darin bestehen, dass der staatsmonopolistische Kapitalismus, die enge Verbindung von Staat und Kapital zwecks Sicherung des Profits weiter ausgebaut wird und festere institutionelle Strukturen bekommt. Der deutsche Faschismus, mit dem hierzulande auf die Krise der dreißiger Jahre reagiert wurde, könnte dafür eine Art Modell abgeben, nur dass dieser Prozess nun nicht mehr die Beseitigung demokratischer Verhältnisse erfordert, sondern im Rahmen der längst zur Formalität verkommenden liberaldemokratischen Strukturen vorangetrieben werden kann. Das ist es wohl, was Scherr mit „Finanzfaschismus“ meint.

Der Kapitalismus steht tatsächlich vor einem Gau. Dessen Folgen könnten, was die politischen Verhältnisse angeht, mehr als desaströs sein. Auch das erinnert an die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre. Schon jetzt wird die Krise dazu benutzt, den Leuten einzureden, dass sie den Gürtel künftig noch enger zu schnallen haben. Darauf sollte man nicht hereinfallen, sondern darüber nachdenken, dass das bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftssystem abgeschafft statt wieder einmal nur notdürftig repariert werden sollte. Die Alternative zum Neoliberalismus ist nicht, wie es jetzt allenthalben herbeigeredet wird, ein „moralischer“ und „verantwortlicher“ Kapitalismus. Das ist nämlich ein Widerspruch in sich.

© links-netz Oktober 2008