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Globalisierungskritik: Sytemstabilisierung oder Kampf um Hegemonie?

Joachim Hirsch

In der Redaktion des links-netz gab es in der letzten Zeit recht heftige Diskussionen über "Attac", diesem neuen Stern am politischen Himmel. Anlass dazu waren einige Beiträge, die dieser Organisation nicht nur eine mangelhafte Gesellschafts- und Kapitalismusanalyse sowie ein staatsreformistisches Politikverständnis, sondern – festgemacht an ihrer Kritik am "Finanzkapital" – heimlichen Antisemitismus vorwarfen. Das letztere Totschlagargument in der hiesigen politischen Debatte einmal beiseite lassend, geht es dabei tatsächlich um einige Grundfragen theoretischer Orientierung und politischen Handelns unter den Bedingungen des heutigen Kapitalismus. Dieser Beitrag setzt sich mit den geläufigen Kritiken und Gegenkritiken auseinander und vertritt die These, dass die abstrakte Konfrontation von Positionen nicht weiter hilft, sondern die komplexe und sicherlich widersprüchliche Dynamik einer sich entwickelnden Bewegung mit sehr unterschiedlichen Facetten die eigentliche Aufmerksamkeit verdient.

Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass der postfordistische Kapitalismus, der sich im Zuge der neoliberalen Globalisierungsstrategie seit den siebziger Jahren durchgesetzt hat, in eine Krise geraten ist. Die vergleichsweise starke ökonomische Rezession, die seit 2001 alle kapitalistischen Zentren zugleich erfasst hat, stellt ein deutliches Signal dar. Große Firmenpleiten und platzende Spekulationsblasen verweisen auf wachsende ökonomischen Risiken. Das bisher halbwegs funktionierende internationale Finanzmanagement steht jedenfalls vor erheblichen Problemen. Die Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September 2001, die sich auf militärische Aktionen im "Kampf gegen den Terrorismus" beschränkten, haben den brüchigen Charakter der bestehenden Weltordnung nachdrücklich bestätigt. Die so genannte "Welt-Innenpolitik" der dominierenden Staaten reduziert sich im wesentlichen auf militärische und geheimdienstliche Aktionen. Versuche zu einer Beseitigung der Ursachen brisanter politischer und sozialer Konflikte sind nicht zu erkennen. Die fatalen Konsequenzen sind jeden Tag deutlicher absehbar. Die demokratischen und menschenrechtlichen Floskeln, mit denen die militärische Interventionspolitik noch in den neunziger Jahren legitimiert wurde, haben sich als überflüssig erwiesen. Ganz offen geht es jetzt um "nationale Interessen", "Sicherheit" sowie um die Verteidigung der metropolitanen Wohlstandsfestungen und ihrer "Art zu Leben" - so Bundeskanzler Schröder bei der Rechtfertigung der "bedingungslosen Solidarität" mit den USA. Wer noch vor kurzer Zeit über das allmähliche Verschwinden der Nationalstaaten spekuliert hatte, sieht sich mit einer Perfektionierung des autoritären Etatismus und brutalsten Erscheinungsformen des staatlichen Gewaltmonopols sowohl im Inneren als auch auf internationaler Ebene konfrontiert.

Zugleich verschieben sich aber auch die politisch-sozialen Kräfteverhältnisse. Öffentlich sichtbar an den großen Protestereignissen von Seattle 1999 bis Genua 2001 beginnt sich eine internationale globalisierungskritische Bewegung zu formieren, die sich von den sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre deutlich unterscheidet. Zu ihren Merkmalen gehört, dass sich unter einer zunächst sehr allgemeinen politischen Thematik – der Kritik am neoliberalen Globalisierungsprojekt und dessen institutionellen Vertretern – eine Vielzahl äußerst unterschiedlicher Gruppierungen, Interessen und Organisationen, von Gewerkschaften bis zu Naturschutzverbänden, von Frauen- bis zu Menschenrechtsprojekten, von Basisinitiativen bis zu etablierteren Nichtregierungsorganisationen, ein internationales Informations-, Kommunikations- und Aktionsnetzwerk herausgebildet hat. Damit werden die Grenzen überschritten, die früheren, im wesentlichen noch national und thematisch eher beschränkten Bewegungen eigen waren. Dass es sich dabei keineswegs um "Globalisierungsgegner" handelt, zeigt sich schon daran, dass sie nicht nur in einer bisher noch nicht gekannten Weise international agieren und damit flexibler als selbst das Kapital sind. Sie bedienen sich dabei auch erfolgreich der entwickelten Informations- und Kommunikationstechnologien des postfordistischen Zeitalters. Es handelt sich um eine Bewegung, die bereits in dieser Hinsicht auf der Höhe der Zeit ist. Entgegen der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung erschöpft sie sich auch keineswegs in der Mobilisierung zu einzelnen spektakulären Protesten und Kampagnen, sondern verfügt durchaus über eine dauerhaftere - allerdings sehr vielgestaltige, dezentrale und eher netzwerkartig verbundene - organisatorische Infrastruktur. Ein wichtiger Unterschied zu den "neuen sozialen Bewegungen" der siebziger und achtziger Jahre liegt darin, dass sie auf den harten Kernbereich der globalen kapitalistischen Ökonomie zielt. Die theoretischen Grundlagen der Ökonomiekritik sind sicherlich einigermaßen diffus und fluktuieren zwischen Versatzstücken aus der Marx´schen Kritik der politischen Ökonomie, keynesianischen und ordoliberalen Vorstellungen. Trotzdem stellt es ein gewisses Novum dar, dass sich eine Bewegung auf die zentralen ökonomischen Strukturen und Machtverhältnisse des existierenden Kapitalismus bezieht. Die damit verbundene Politisierung der Ökonomie impliziert eine Re-Politisierung der Politik, die das eindimensionale Denken ("pensée unique") des neoliberalen Sachzwangdiskurses durchbricht und Alternativen der Gesellschaftsgestaltung wieder zum Thema macht. Auch in dieser Hinsicht scheint die in den achtziger und neunziger Jahren unter dem Eindruck der neoliberalen Offensive und der sie begleitenden gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen einigermaßen desorientierte "Linke" allmählich wieder auf der Höhe der Zeit anzukommen. In gewissem Sinne ist die globalisierungskritische Bewegung damit nicht nur ein Ausdruck, sondern auch vorantreibendes Moment der sich abzeichnende Krise des neoliberalen Projekts.

Damit wird die globalisierte "Weltgesellschaft" zum Terrain für einen hegemonialen Kampf, dessen Ausgang allerdings sehr wesentlich von der Entwicklung der Bewegung selbst abhängt. Eine soziale Bewegung wird dadurch gekennzeichnet, dass sie zwar einige gemeinsame Situationsdeutungen und Zielvorstellungen sowie einen gewissen Grad von Kommunikation und Koordination aufweist, aber aus einer Vielzahl von eher locker verbundenen Organisationen, Initiativen und Ansätzen mit im einzelnen durchaus unterschiedlichen Orientierungen besteht. Dies macht ihre Entwicklung und Dynamik einigermaßen offen und bedeutet, dass sie durch eine ganze Reihe von Widersprüchen und Ambivalenzen gekennzeichnet ist. Angesichts der Verschiedenheit der Situationen und Interessen der Beteiligten – nicht nur der sehr unterschiedlichen Traditionen und Problemwahrnehmungen in Nord und Süd - ist es selbstverständlich, dass es zunächst einmal weder eine gemeinsame theoretische Basis noch eindeutige politische Zielvorstellungen gibt, die über die allgemeine Kritik an der herrschenden Form der Globalisierung hinausgehen. Es gibt, grob gesprochen, auf der einen Seite eher reformistisch orientierte Strömungen – repräsentiert vor allem durch die nach den Ereignissen von Genua im Jahre 2001 sich international rasch ausbreitenden Organisation "Attac" –, die vor allem auf eine Korrektur vermeintlicher kapitalistischer Fehlentwicklungen etwa in Gestalt entfesselter Finanzmärkte zielen und gegen den Abbau bzw. die Privatisierung sozialer Sicherungssysteme zu Felde ziehen. Auf der anderen Seite gibt es radikalere, denen es um eine Überwindung des Kapitalismus geht. Beide Positionen haben sich begründeter Kritik ausgesetzt: Der reformistischen wird vorgeworfen, mit der Korrektur an Symptomen die bestehenden ökonomischen und politischen Verhältnisse eher zu stabilisieren. Tatsächlich laufen ihre politischen Vorstellungen im wesentlichen darauf hinaus, Druck auf Regierungen und internationale Organisationen auszuüben, um diesen zu besseren Einsichten zu verhelfen. Dies beinhaltet nicht nur einen einigermaßen traditionellen Politikbegriff, sondern läuft auch Gefahr, einer Staatsorientierung Vorschub zu leisten, die weder theoretisch haltbar noch aus der historischen Erfahrung gerechtfertigt ist. In gewisser Hinsicht zielt sie auf eine Wiederherstellung der Verhältnisse des fordistischen Kapitalismus. Dies ist jedoch weder wünschenswert noch realistisch. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil des "reformistischen" Ansatzes besteht allerdings darin, unmittelbar plausible und praktische Forderungen formulieren zu können – etwa die sogenannte "Tobin-Steuer" auf internationale Finanztransaktionen – und damit breitere Resonanz und Unterstützung zu finden, bis in die etablierten Parteien und Gewerkschaften hinein. Die radikalere Position hat dagegen die Schwierigkeit, über Kritik und Protest hinaus praktische Schritte für politische Veränderungen zu formulieren und läuft Gefahr, mangels politischer Resonanz sich in einem theoretischen wie politischen Ghetto zu verlieren. Der Konflikt zeigt sich beispielhaft am Verhalten zu den dominierenden internationalen ökonomischen Organisationen, insbesondere dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und der Welthandelsorganisation. Während auf der einen Seite verlangt wird, sie zu demokratisieren und einer stärkeren öffentlichen politischen Kontrolle zu unterstellen, steht dagegen die Forderung nach ihrer ersatzlosen Abschaffung. Auch hier liegt die Kritik auf der Hand: Zu fragen wäre, wie eine Demokratisierung der internationalen ökonomischen Regulierungsinstanzen eigentlich zu bewerkstelligen sein sollte, wenn die grundlegenden, in Unternehmen und Staat institutionalisierten Eigentums- und Machtstrukturen nicht angetastet werden. Auf der anderen Seite würde eine einfache Beseitigung dieser Institutionen - unterstellt, dies wäre eine realistische Perspektive - zunächst einmal dazu führen, den Rest internationaler Rechtsnormen und institutioneller Verfahren zu beseitigen, die schwächeren Staaten und sozialen Gruppen immerhin noch gewisse Möglichkeit zur Einflussnahme bieten. Der Anarchie des Markts und dem Operieren multinationaler Konzerne würden damit noch unbegrenztere Spielräume eröffnet. In gewisser Weise wiederholen sich an diesem Punkt die kontroversen Diskussionen um die Einschätzung des Staates, die die Geschichte der Linken von Anfang an begleitet haben. Es geht darum, ob es möglich ist, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse mittels der Einflussnahme auf staatliche Apparate wesentlich zu verändern. Zwar ist diese Frage nicht nur theoretisch, sondern auch durch die historischen Erfahrungen mit dem Staatssozialismus und dem sozialdemokratischen Reformismus an sich einigermaßen geklärt. Offen bleibt allerdings, welche organisatorischen Formen und Praktiken eine Politik außerhalb und gegen den Staat erfordert. An dem genannten Beispiel wird jedenfalls deutlich, dass die Probleme zu komplex sind, um in einfachen Schablonen nach dem Schema "reformistisch" versus "revolutionär", "systemimmanent" versus "systemkritisch" aufgehen zu können. Politische Polarisierungen dieser Art bleiben zu abstrakt und berücksichtigen im übrigen kaum die reale Verschiedenheit und Komplexität der politischen und theoretischen Orientierungen innerhalb der Bewegung. Auch revolutionäre Kämpfe können nicht von einem Standpunkt außerhalb der bestehenden Gesellschaft aus geführt werden, sondern erfordern immer eine Politik sowohl "im" als auch "gegen" den kapitalistischen Staat. Festzuhalten bleibt jedoch , dass Differenzen und Widersprüche dieser Art zu den grundlegenden Merkmalen sozialer Bewegungen gehören. Diese gewinnen eben daraus ihre Stärke, wenn es gelingt, durch offene Auseinandersetzung, Kritik und Kontroversen hindurch theoretisch und praktisch weiterzukommen, d.h. Interessen und Einschätzungen zu klären sowie sich über mögliche Gemeinsamkeiten zu verständigen.

Widersprüche und Ambivalenzen gibt es aber nicht nur in Bezug auf die politischen Inhalte, sondern auch in den Organisationsformen und politischen Praktiken der Bewegung. Dass die breitere politische Mobilisierung und die internationale Kooperation sich bisher vor allem an den großen Protestereignissen aus Anlass internationaler Konferenzen festgemacht hat, ist ein Problem. Zumindest dann, wenn es nicht gelingt, sie in dauerhaftere Strukturen und Arbeitsformen übergehen zu lassen. Dass eine Organisation wie Attac gesteigerte mediale Aufmerksamkeit und damit auch einen vergleichsweise starken Zulauf gefunden hat, während viele der schon länger existierenden und arbeitenden Gruppen, Projekte und Initiativen eher im Verborgenen blieben, hat komplexe Gründe. Attac ist zumindest in Deutschland zunächst einmal ein Geschöpf professionalisierterer Nichtregierungsorganisationen mit dem für sie typischen pragmatischen Habitus. Nach den spektakulären Protestereignissen bot sich diese Organisation als eine relativ seriös, gemäßigt und "rational" auftretende sowie dazu noch mit einigen prominenten Namen bestückte Instanz als Adressat und Ansprechpartner der Medien geradezu an. In der Öffentlichkeit konnte sie dadurch leicht mit der Bewegung überhaupt identifiziert werden. Gleichzeitig eröffnete die mediale Aufmerksamkeit vielen, die mit den herrschenden Verhältnissen unzufrieden sind, einen organisatorischen und politischen Orientierungspunkt, der mit der mit der Erosion oppositioneller Milieus, der Krise der Linken und dem Niedergang der früheren sozialen Bewegungen nicht mehr vorhanden war. Oft allerdings haben auch schon länger existierende Gruppen einfach ihren Namen geändert. Der programmatische Pluralismus und die organisatorische Offenheit von Attac haben dies sehr erleichtert. Attac ist aber zweifellos mehr als ein Medienereignis, sondern Ausdruck einer Dynamik, die durch die Proteste selber ausgelöst worden ist und sich fortentwickelt. Auch die Unterschiedlichkeit der organisatorischen Formen zählt zu den Merkmalen sozialer Bewegungen und ähnlich wie inhaltliche Differenzen kann sie produktiv sein, wenn sie Chancen für ein Operieren auf verschiedenen politischen Ebenen und Feldern eröffnet.

Durch diese Widersprüche und Ambivalenzen hindurch wird für die Entwicklung der globalisierungskritischen Bewegung entscheidend sein, ob es gelingt, die in ihr enthaltenen sozialrevolutionären Ansätze zu stärken und weiter zu entwickeln, d.h. der Aktivitäten, die auf eine praktische Veränderung von Arbeits-, Lebens- und Vergesellschaftungsformen, von Konsumweisen und Geschlechterverhältnissen zielen. Der Kampf um Hegemonie erfordert eine politische und soziale Bewegung neuer Art, die nicht um die Staatsmacht kämpft, sondern praktische Gesellschaftsveränderung anzielt, aber gestützt auf eigene Organisations- und Kommunikationsstrukturen zugleich auch politisch interveniert, sich mit den herrschenden politischen Institutionen, Staat, Parteien und internationalen Organisationen auseinandersetzt. Es kommt vor allem darauf an, die bestehende, von den kapitalistischen gesellschaftlichen Formen geprägte und von Macht- und Herrschaftsstrukturen durchzogene "Zivilgesellschaft" zu verändern, und zwar weltweit. Ernst zu nehmen ist die Erkenntnis Gramscis, dass Hegemonie in der zivilen Gesellschaft entsteht und dort ihre wesentliche Basis hat. Dort liegt auch das entscheidende Terrain hegemonialer Kämpfe. Eine neue Hegemonie, das heißt eine andere Konzeption von Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft lässt sich aber nur erkämpfen, wenn die bestehenden (zivil-) gesellschaftlichen Strukturen praktisch umgewälzt werden. Eine Kampagnenpolitik, die sich auf von den Mächtigen gesetzte Anlässe bezieht und deren Symbolik angreift, ist sicher notwendig, aber nicht ausreichend. Die mexikanischen Zapatistas oder die brasilianische Landlosenbewegung haben nicht zuletzt deshalb eine so große Aufmerksamkeit und Solidarität erlangt, weil es ihnen gelungen ist, einen derart veränderten Politikbegriff zumindest ansatzweise praktisch werden zu lassen.

Der Kampf um Hegemonie erfordert internationale Kooperation, ohne die Tatsache zu vernachlässigen, dass wichtige politische und soziale Auseinandersetzungen immer noch auf der Ebene der einzelnen Staaten geführt werden müssen. Er bedarf einer theoretischen und praktischen Radikalität, der grundsätzlichen Kritik an den herrschenden gesellschaftlichen und politischen Formen, ohne darauf zu verzichten, im und mit dem - internationalisierten – Staat Politik zu machen. Es bedarf des Umgangs mit den bestehenden politischen Formen und Institutionen, ohne auf Widerstand und Militanz zu verzichten. Dass am Anfang der zapatistischen Bewegung ein bewaffneter Aufstand stand, wird heute oft vergessen. Diese Spannung nicht nur auszuhalten, sondern weiter zu treiben und produktiv zu machen, ist zweifellos schwierig, und das unter anderem meint die zapatistische Formel "preguntando caminamos" – fragend gehen wir voran. Gerade die Vielgestaltigkeit der Bewegung ist eine wichtige Voraussetzung für einen derartigen Prozess, wenn die unterschiedlichen Aktionsformen nicht auseinanderfallen oder sich gegeneinander richten. Fatal wäre allerdings ein Rückfall in traditionelle staatsreformistische Politikformen, die sich in einer Strategie der Massenmobilisierung erschöpfen, um Druck auf Staaten, Regierungen und internationale Organisationen auszuüben ohne zugleich eine eigenständige gesellschaftsverändernde Praxis zu entwickeln. Eine derartige Etatisierung der Politik, die in der aktuellen Dynamik der Bewegung durchaus angelegt ist, wäre das Gegenteil eines Kampfs um Hegemonie. Sie könnte darauf hinauslaufen, die herrschenden Verhältnisse erneut zu legitimieren und die notwendige Anpassung der bestehenden politischen Institutionen voranzutreiben. Eine bessere Regulierung der internationalen Finanzmärkte, um nur ein Beispiel zu nennen, steht ohnehin auf der Tagesordnung, wenn der postfordistische Kapitalismus Bestand haben soll. Der Druck aus der Bewegung und die Konkretisierung entsprechender Forderungen können dazu beitragen, sie gegen den anhaltenden Widerstand einzelner kapitalistischer Interessengruppen und der sie vor allem vertretenden Staaten überhaupt erst durchsetzbar zu machen. Die globalisierungskritische Bewegung könnte sich so am Ende durchaus als Treibsatz für eine erneute Strukturveränderung des globalen Kapitalismus erweisen, die ihm aus der sich abzeichnende Krise heraus hilft. Damit würde sie eine Rolle spielen, die schon die "neuen sozialen Bewegungen" bei der neoliberalen Restrukturierung und bei der Herausbildung des Postfordismus gespielt haben: als Akteur einer passiven Transformation. Hegemonie ist kein kohärentes und geschlossenes, der Gesellschaft quasi von oben her überstülptes Konstrukt, sondern festigt sich eben dadurch, dass politische Kämpfe auf dem Terrain der bestehenden Verhältnisse, der herrschenden sozialen Praxen, politischen Handlungsformen und institutionellen Strukturen zugelassen werden. Diese Beschränkung zu durchbrechen und das politische Terrain anders zu definieren, ist Voraussetzung jeder emanzipativen Politik.

© links-netz März 2002