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Ein grüner Kapitalismus?

Auch das neue „Modell Deutschland“ ist eine expansive Wachstumsökonomie

Joachim Hirsch

Der Umbau des industriellen Kapitalismus hin zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaftsweise wird seit Jahren unter Schlagworten wie „Green New Deal“ diskutiert. Tatsächlich sind mittlerweile neue Geschäftsfelder im Umwelt- und Technologiebereich entstanden. Doch was ändert das an den Geschäftsgrundlagen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse?

Nach dem Reaktor-GAU in Fukushima hat sich in Deutschland eine bemerkenswerte politische Wende vollzogen, markiert vor allem durch den Aufstieg der grünen Partei in der Wählergunst. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung, angesichts schlechter Umfrageergebnisse und weiter drohender Wahldebakel hat die Merkel-Regierung bei der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke eine Rolle rückwärts gemacht. Hatte sie im Herbst 2010 offensichtlich noch dem Diktat der Stromkonzerne gehorcht, war das ein halbes Jahr später völlig anders.

Die Frage ist, wie es dazu kommen konnte. Sind die politisch Herrschenden tatsächlich relativ unabhängig vom Kapital und reagieren sie auf so etwas wie einen „Volkswillen”? Können sie eine Politik gegen die Interessen des Kapitals machen?

Das ist kaum der Fall. Der Merkelsche Schwenk war deshalb möglich, weil der kapitalistische Machtblock keineswegs einheitlich, sondern entlang durchaus unterschiedlicher Interessenslinien fraktioniert ist. Wenn man so will, repräsentieren die Strommonopole noch so etwas wie den alten fordistischen Kapitalismus. Mit erneuerbaren Energien hatten sie bislang praktisch nichts am Hut, sondern setzten auf Atom- und Fossilstrom und verteidigten ihre zentralisierten Strommonopole. Sie stehen damit in einem gewissen Gegensatz zu den Industrien, die auf modernere Technologien setzen und sich dabei vor allem auch bessere Chancen auf dem Weltmarkt ausrechnen. Mit der Förderung so genannter nachhaltiger Technologien scheint das „Exportmodell Deutschland” auf eine neue Basis gestellt und könnte eine neue Akkumulationsstrategie eingeleitet werden. Merkel hat also sozusagen die zu unterstützende Kapitalfraktion gewechselt.

Green New Deal

Diese Entwicklung steht durchaus im längerfristigen Interesse des Kapitals, denn angesichts des nahen Endes des Ölzeitalters und der enormen Risiken und Kosten der Atomenergie steht eine „Energiewende” ohnehin auf der Tagesordnung. Diese muss indessen gegen mächtige Kapitalinteressen durchgesetzt werden, und es bedurfte dazu der über den Wahlmechanismus vermittelten Parteienkonkurrenz. Allerdings ist diese Entwicklung noch nicht festgeschrieben, sondern heftig umkämpft, wie auch die andauernden Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungsparteien zeigen.

Die Möglichkeit, dass ein auf einem „Green New Deal“ beruhendes kapitalistisches Wachstumsmodell etabliert wird, besteht immerhin. „Green New Deal“ ist ein Ausdruck, der sich auf den von US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren durchgesetzten „New Deal“ bezieht. Die damit bezeichneten umfassenden Wirtschafts- und Sozialreformen waren ein wesentlicher Schritt hin zur Etablierung des fordistischen, industriellen Kapitalismus der Nachkriegszeit. Mit „Green New Deal“ werden Konzepte für eine neuerliche Wende des Kapitalismus bezeichnet, die auf einen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft hinauslaufen. Propagiert werden sie in Deutschland vor allem von den GRÜNEN und der ihnen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung. Etwas hoch gehängt wird dabei von einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ geredet, der ähnlich wie im Fordismus Kapitalinteressen mit denen breiterer Gesellschaftsschichten in Einklang bringen soll.

Weil dieses Wirtschaftsmodell kapitalistisch bleibt, wird das Prinzip der Profitmaximierung die gesellschaftliche, technische und ökonomische Entwicklung weiterhin entscheidend bestimmen. Wenn es zu einer Art „Green New Deal” kommt, so bedeutet dies nur, dass die kapitalistische Produktionsweise auf eine veränderte technologische Basis gestellt wird, gekennzeichnet durch Elektromobilität, „alternative“ Energiegewinnung, Ausbau der Recyclingindustrie oder Vergrößerung der Energieeffizienz einer immer noch weiter wachsenden Masse elektrischer Geräte.

Die vorhandene industrielle Struktur in Deutschland bietet für das hochtechnologische ‚Ergrünen’ des Kapitalismus keine schlechte Grundlage, wenngleich das mit erheblichen Gewichtsverschiebungen zwischen den verschiedenen Kapitalgruppen verbunden wäre. Man hätte es dann mit einer Form der konservativen Modernisierung zu tun, schrittweise und nach Möglichkeit in Abstimmung mit den ökonomisch Mächtigen. Dies folgt der Erkenntnis, dass sich angesichts der Folgen des Klimawandels, des absehbaren Endes des Ölzeitalters und nicht zuletzt weil sich die Atomenergieerzeugung als höchst riskante Sackgasse mit noch kaum absehbaren langfristigen Kosten und Belastungen erweist, einiges verändern muss, damit alles beim Alten – den bestehenden ökonomischen und politischen Herrschaftsverhältnissen – bleibt.

Dies gilt auch für den Fall, dass die neoliberale Regulationsweise durch einen verstärkten Staatsinterventionismus modifiziert würde, etwa durch eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte oder durch weiter gehende ökologische Steuerungsmaßnahmen. Diese werden durchaus „marktkonform” gehalten, wie etwa im Fall des Handels mit Emissionsrechten. Solche Regulierungen sind angesichts der fortwährenden Krise des Neoliberalismus und wachsender Umweltzerstörungen ohnehin unumgänglich, wenn die bestehenden ökonomischen Strukturen weiter Bestand haben sollen.

Systematisch unberücksichtigt

Es ist keine neue Einsicht, dass der Kapitalismus aufgrund der ihm eigenen Verwertungslogik dazu tendiert, seine eigenen natürlichen und gesellschaftlichen Grundlagen zu untergraben. Der allgemeine Grund dafür ist, dass nicht der Nutzwert des Produzierten, sein Gebrauchswert, sondern die abstrakte Profiterzielung Zweck der Kapitalverwertung ist und dies die ökonomische Entwicklung bestimmt. Konkreter heißt das, dass die kapitalistische Marktregulierung einen sehr beschränkten zeitlichen Horizont aufweist und die externen Effekte der Produktion, also die sozialen und ökologischen Folgen, die nicht in die einzelwirtschaftliche Kalkulation eingehen, systematisch unberücksichtigt lässt.

Der Kapitalismus beruht grundsätzlich darauf, die lebendige Arbeitskraft wie auch die natürlichen Ressourcen als „Gratisproduktivkraft“ auszunutzen. Wenn dies seine Existenz gefährdet und deshalb (staatliche) Regulierungen durchgesetzt werden müssen, ändert das nichts an diesem Grundtatbestand. So hat die seit dem 19. Jahrhundert erfolgte Verkürzung der Arbeitszeit in den metropolitanen Kernsektoren zu einer erheblichen Intensivierung der Arbeit mit ihren bekannten individuellen und sozialen Folgen geführt.

Der Kapitalismus kann zwar durchaus „ökologischer“ werden, etwa indem die Reparatur von Umweltbeschädigungen selbst zu einem profitablen Geschäftsfeld gemacht wird, doch verändern sich dadurch nur die Formen und Felder der Zerstörung. Insoweit ist die Annahme falsch, es gäbe so etwas wie eine natürliche Grenze der kapitalistischen Akkumulation, genau so wenig wie das Kapital unter den Bedingungen eines „Nullwachstums“ existieren könnte. Ebenso hat es sich als Irrtum erwiesen, staatliche Wirtschaftspolitik könne schwere ökonomische Krisen verhindern.

Man kann es als eine Ausdrucksform des Widerspruchs zwischen der Produktivkraftentwicklung und den Produktionsverhältnissen betrachten, dass mit wachsenden technischen Potentialen eine langfristige und umfassende gesellschaftliche Planung immer notwendiger wird und diese unter den bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen zugleich unmöglich ist. Der Kapitalismus ist ein Gesellschaftssystem, das sich durch eine enorme Flexibilität und Wandelbarkeit auszeichnet, und dieser Prozess vollzieht sich durch eine Abfolge von Krisen. Seine grundlegende Struktur, dass er nämlich ein Ausbeutungsverhältnis darstellt, verändert sich dadurch allerdings nicht. Das ist auch im Falle eines etwas grüner gewendeten nicht anders.

Das zeigt sich auch an der aktuellen Entwicklung. Dass neue Technologien eingeführt werden, heißt nicht, dass sich die Rohstoffabhängigkeit vermindert. Sie verlagert sich nur teilweise auf andere Felder und führt beispielsweise zu der oft gewaltförmigen Aneignung seltener Metalle. Die in Afrika geführten Auseinandersetzungen der dominierenden kapitalistischen Mächte einschließlich Chinas haben nicht zuletzt darin ihren Grund, und sie führen etwa in der DR Kongo bis hin zu Kriegen. Wird Erdöl durch Biosprit ersetzt, geht dies zu Lasten der Nahrungsmittelproduktion.

Charakteristisch ist, dass das Thema der Energieverschwendung in der öffentlichen Debatte und bei den ökonomisch-technischen Strategien kaum eine Rolle spielt. Vergrößerte Energieeffizienz – dies ist sozusagen die ökologische Leitlinie der Bundesregierung – bedeutet, dass der Energieverbrauch weiter ausgedehnt und nicht eingeschränkt wird. Die exzessive Warenproduktion muss schließlich gestützt werden. Statt zu einer Produktions- und Lebensweise überzugehen, die dem exponentiell anwachsenden Energieverbrauch ein Ende setzt, wird die Welt mit Windrädern und Solarplantagen überzogen. Ein wesentlicher Zug des neuen Kapitalismus besteht eben darin, dass die Reparatur von Umweltzerstörungen selbst zu einer profitablen Anlagesphäre gemacht wird. Statt den Aberwitz des Verpackungswesens zu beenden, erblüht die Recyclingindustrie. Die Grundbedingungen der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie sich beispielsweise in der fortwährenden Verdichtung der Arbeit zeigen, gelten auch für „grüne“ Technologien. Der Kapitalismus wird dadurch nicht etwa „sanfter“, sondern äußert seine Gewaltförmigkeit auf veränderte Weise.

Global abgesicherte Interessen...

Sollte also ein neues „Modell Deutschland” entstehen, so trägt es durchaus die Züge des alten. Eine kapitalistische Ökonomie bedarf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, auch wenn dies andere sind als früher. Deren Absicherung und die Kontrolle von Investitions- und Absatzgebieten bleibt ein zentrales politisches Ziel, das nicht nur mit wirtschaftlichen, sondern zunehmend auch mit militärischen Mitteln verfolgt wird. So ist es durchaus kein Zufall, dass der Übergang zu einer militärischen Interventionspolitik maßgeblich von der rot-grünen Koalition durchgesetzt wurde, unbeschadet ihrer humanitären und menschenrechtlichen Bemäntelung.

Ein weiterer Schritt auf diesem Wege ist die fast allseits begrüßte Abschaffung der Wehrpflicht. Angesichts der Tatsache, dass der klassische „Verteidigungsfall” wenig wahrscheinlich geworden ist, markiert er die Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer global einsatzfähigen, professionellen Interventionstruppe. Auch das neue und etwas grünere „Modell Deutschland” ist eine militärische Interventionsmacht, die zusammen mit den anderen dominierenden Staaten des kapitalistischen Nordwestens ihre ökonomischen Interessen global absichert. Verteidigungsminister Thomas de Maiziere sagte dies im Mai 2011 ganz offen: ”Unsere Interessen und unser Platz in der Welt werden wesentlich von unserer Rolle als Exportnation und Hochtechnologieland in der Mitte Europas bestimmt. Daraus folgt, wir haben ein nationales Interesse am Zugang zu Lande, zu Wasser und in der Luft.”

Der Tendenz des Kapitalismus, seine eigenen gesellschaftlichen und natürlichen Grundlagen zu untergraben, wurde historisch durch politisch-soziale Bewegungen entgegengewirkt, die staatliche Regulierungen und damit Modifikationen des Verwertungsprozesses erzwungen haben. So wurden im 19. Jahrhundert auf Druck der Arbeiterbewegung gewisse Schutzmaßnahmen durchgesetzt, die das Kapital gehindert haben, die lebendige Quelle seines Mehrwerts zu zerstören. Das war eine wesentliche Ursache für die auf Rationalisierung gerichteten technischen Revolutionen, die die Geschichte des Kapitalismus bis heute begleiten.

Wenn man davon ausgeht, dass es für das Kapital auf längere Sicht unabwendbar sein dürfte, einen anderen Umgang mit natürlichen Ressourcen zu praktizieren, etwa vom versiegenden Öl loszukommen, so kommt der Ökologiebewegung eine ähnliche Rolle zu. Sie hätte das Kapital wieder einmal vor der Zerstörung seiner gesellschaftlichen und natürlichen Grundlagen bewahrt, also gewissermaßen in dessen langfristigem Interesse gewirkt und eben damit auch zur Stabilisierung des Kapitalverhältnisses beigetragen. Dies heißt allerdings auch, dass die destruktiven Tendenzen des Kapitals erneut, wenn auch in veränderten Formen, zur Wirksamkeit kommen.

...in einer zementierten Weltordnung

Praktisch ist es so, dass die mit dem „Green New Deal“ bezeichneten Maßnahmen dazu beitragen, die bestehende Lebensweise zu erhalten. Eine neue Leitbranche wie Elektromobilität verändert nicht die bestehenden räumlichen Wohn- und Produktionsformen, sondern ermöglicht ihren weiteren Bestand. Sie vermindert nicht die Energieabhängigkeit, sondern lässt sie weiter wachsen. Der Zwang zur Betonierung der Landschaft durch immer neue und breitere Straßen wird dadurch nicht unterbrochen.

Eine wirkliche Veränderung der gesellschaftlichen Zustände hätte zur Voraussetzung, dass sich die Art und Weise des Produzierens und des gesellschaftlichen Zusammenlebens – eine Lebensweise, die nach wie vor zu Lasten der kapitalistischen Peripherie innerhalb und außerhalb der Metropolen geht – grundlegend verändert. Irgendein Ansatz dazu ist allerdings überhaupt nicht in Sicht. Ein „Green New Deal”, so wie er zur Debatte steht, zielt darauf, eben diese Weltordnung zu erhalten.

Dieser Text erscheint in der Nummer 237 (November/Dezember 2011) der Blätter des IZ3W

© links-netz November 2011