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Die GRÜNEN und das Grundeinkommen: Eine verpasste Chance

Joachim Hirsch

Auf dem letzten Parteitag von Bündnis 90/Die GRÜNEN haben die Delegierten ihren Vorstand noch einmal davon kommen lassen. Die Partei haben sie damit allerdings weiter in die politische Bedeutungslosigkeit geführt. Nachdem ein Parteitag einige Wochen zuvor die Forderung nach einem Truppenabzug aus Afghanistan beschlossen und dadurch die Führungsriege offen desavouiert hatte, stand nun als zentraler Streitpunkt das bedingungslos garantierte Grundeinkommen zur Debatte. Dieses wollte der Parteivorstand auf keinen Fall und eine Niederlage in diesem Punkt hätte er politisch wohl kaum überstanden. Immerhin wären damit gleich zwei ganz entscheidende Maßnahmen der von den GRÜNEN mitgetragenen Schröder-Regierungen programmatisch rückgängig gemacht worden: die militärische Interventionspolitik und der Sozialstaatsabbau mittels Hartz IV. Die Rücktrittsdrohung der Vorsitzenden war also verständlich und auch ernst zu nehmen. In dieser etwas zugespitzten Situation zogen es die Delegierten – mehrheitlich wahrscheinlich gegen die eigene Überzeugung – vor, einer Führungs- und damit Parteikrise aus dem Wege zu gehen und den das Grundeinkommen betreffenden Antrag schon gar nicht zu behandeln.

Angenommen wurde stattdessen die Beschlussvorlage des Vorstands, der einige minimale Verbesserungen beim Arbeitslosengeld II, also bei Hartz IV beinhaltet. Damit wurde nachexerziert, was Beck in der SPD mit der Verlängerung der Bezugsdauer beim Arbeitslosengeld I bereits in die Wege geleitet hatte und was auch in Teilen der CDU und CSU auf eine gewisse Resonanz stößt: das Anbringen eher kosmetischer Veränderungen an der ansonsten unverdrossen weiter verfolgten neoliberalen „Reform“-Politik. Diese ist dermaßen unpopulär, dass es im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlen als angebracht erscheint, sich wieder etwas sozialer zu geben – sofern es nichts oder nicht viel kostet. Was in der Presse als ein gewisser Linksruck der GRÜNEN diagnostiziert wurde, ist nichts mehr als ein Ausdruck des üblichen Parteimechanismus: vor Wahlen werden ein paar Versprechungen gemacht, die hinterher wieder kassiert werden.

Allerdings fällt es jetzt noch schwerer, die GRÜNEN von den anderen Parteien zu unterscheiden. Bei einer ökologisch angehauchten FDP mit etwas sozialem Zierrat ist ein klareres politisches Profil nur noch schwer auszumachen. Die Ökologie gehört mittlerweile zur jedenfalls rhetorischen Grundausstattung aller Parteien und die SPD versucht ebenso krampfhaft wie erfolglos, sich wieder ein wenig als Partei der „kleinen Leute“ zu geben. Auf diesem Feld ist allerdings schon die LINKE tätig und in Bezug auf den Wirtschaftsliberalismus kann die FDP ohnehin besser punkten. Das wirft die Frage auf, wozu die GRÜNEN denn überhaupt notwendig sind.

Vor einem Vierteljahrhundert, am Beginn ihres Parteidaseins, war das noch ganz anders. Die GRÜNEN hatten es in den achtziger Jahren erfolgreich geschafft, die Ökologiefrage gegen alle anderen Parteien und gegen die Mehrheit der Bevölkerung zum politischen Thema zu machen. Eine damals noch starke außerparlamentarische Bewegung im Rücken, haben sie damit zu einer insgesamt wichtigen Neuorientierung der Politik beigetragen. Dass ihnen dabei diverse Umweltkatastrophen zu Hilfe kamen, schmälert diese Leistung nicht. Sie hatten demonstriert, was man von Parteien, jedenfalls von progressiven erwarten kann: über den Tellerrand des herrschenden Bewusstseins und der herrschenden Politik hinauszublicken, sich um die Zukunft zu kümmern, zumindest ansatzweise auch die herrschende Form der kapitalistischen Vergesellschaftung in Frage zu stellen. Man denke nur an die – allerdings wegen öffentlicher Erregung schnell wieder aufgegebene – Forderung, den Benzinpreis pro Liter durch Besteuerung auf 5 DM zu erhöhen. Das war zumindest als Signal bedeutsam und wies in die richtige Richtung. Heute sind wir dieser Marke schon ganz schön nahe gerückt – allerdings zugunsten der Mineralölkonzerne und nicht der Staatskasse. In Bezug auf diese wird – wie eben wieder in der Haushaltsdebatte des Bundestags – forsch weiteres Sparen gefordert. Man weiß, zu wessen Lasten das geht.

Dabei spielt allerdings eine Rolle, dass sich die Mitglieder- und Wählerbasis der GRÜNEN inzwischen erheblich gewandelt hat. Sie sind in die viel beschworene Mitte gerückt und fungieren im Wesentlichen als Partei einer – wie auch immer alternativ angehauchten – Mittelschicht. Da punktet man eher mit ökologischer Gesundheitskost und die VerliererInnen der selbst mit durchgesetzten neoliberalen Sozialstaatsumbauten erscheinen da eher fern. Dabei spielt die neoliberale Transformation des Parteiensystems eine wichtige Rolle. Protestbewegungen werden einfach nicht mehr beachtet, solange es gelingt, das herrschende Parteienkartell stabil und an der Macht zu halten.

Wieder einmal hat sich gezeigt, dass Parteien nur in Ausnahmesituationen und nur unter dem Druck starker außerparlamentarischer Bewegungen bereit und in der Lage sind, weiterreichende gesellschaftliche Veränderungen anzuvisieren, geschweige denn durchzusetzen. Regierungsfähigkeit, und um diese geht es zuallererst, setzt eben Anpassung an die herrschenden Machtverhältnisse voraus. Mit der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen hätte man diese auf kurze Sicht wahrscheinlich in Frage gestellt. Die GRÜNEN hätten damit allerdings einen Schritt in Richtung auf eine Gesellschaft machen können, die wirklich human, sozial und solidarisch ist, das heißt den tatsächlich vorhandenen materiellen Möglichkeiten entsprechend allen ihren Mitgliedern ein menschenwürdiges Leben frei von Arbeitszwang und bürokratischer Bevormundung garantiert. Um die notwendige Höhe eines solchen Grundeinkommens kann man sich streiten, die Bedingungslosigkeit jedoch stellt den eigentlichen politischen Knackpunkt dar. Sie würde nicht nur der „Ware Arbeitskraft“ zu einer anderen Marktposition verhelfen, sondern das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft auf eine ganz neue Basis stellen. Die Chance, den überkommenen und schon sehr weitgehend zugrunde reformierten Sozialstaat durch ein ganz neues System einer alle umfassenden, garantierten und weniger ausgrenzenden sozialen Sicherung zu ersetzen und damit politisch im Sinne einer früher gerne vorgenommenen Selbstpositionierung wieder „vorne“ zu sein, wurde vertan.

Ob damit tatsächlich auf längere Sicht größere Wahlerfolge zu erreichen sind, darf indessen bezweifelt werden. Allerdings verfügen die GRÜNEN im Milieu der sich alternativ gebenden Besserverdienenden nach wie vor über einen bemerkenswert stabilen WählerInnenanhang, der sich von solchen Dingen offenbar wenig irritieren lässt. Sie sind in der Tat eine echte Partei der Mitte, deren Programmatik so diffus ist, dass die Schnittmengen mit den anderen parlamentarischen Parteien beachtliche Ausmaße erreicht haben: vielleicht ein bisschen mehr ökologisch, auch ein wenig sozial, aber durchaus auch wirtschaftsliberal. Warum also nicht gleich die FDP wählen, die immerhin das Gaststätten-Rauchverbot wieder kippen möchte? Der als Haushaltsexperte der GRÜNEN bezeichnete Metzger hat bereits die Konsequenz gezogen und bewirbt sich unter anderem auch dort.

Die GRÜNEN werden, wie die anderen Parteien auch, das Thema „Grundeinkommen“ freilich nicht wirklich loswerden. Die Diskussionen um alternative gesellschaftliche Strukturen werden aber anderswo geführt.

© links-netz Dezember 2007