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Schwerpunktthema: Sozialpolitik als Infrastruktur

 

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Soziale Infrastruktur und Politik:

Der Kampf um öffentliche Güter

Joachim Hirsch

Mittlerweile hat einiges von dem, was in den vom links-netz publizierten Überlegungen zur „sozialen Infrastruktur“ an möglichen Maßnahmen angedeutet wurde – Steuerfinanzierung der sozialen Sicherung, garantiertes Grundeinkommen z.B. – in die politische Debatte auf Partei- und Verbandsebene Einzug gehalten. Deshalb ist es an der Zeit, noch einmal genauer auf den politischen Stellenwert dieser Überlegungen einzugehen. Von der links-netz-Redaktion wurde immer wieder betont, dass es nicht darum gehe, fertige Modelle vorzustellen, sondern Anstöße dazu zu geben, einmal anders als in der herkömmlichen Bahnen und über den Tellerrand des Bestehenden hinaus zu denken. Dazu gab es viele kritische Einwände. Z.B. wurde gegen die Steuerfinanzierung und das Grundeinkommen vorgebracht, diese liefen letztlich darauf hinaus, den neoliberalen Um- bzw. Abbau der herkömmlichen Systems der sozialen Sicherung zu legitimieren. Es gälte viel mehr, dieses – insbesondere die paritätisch von Lohnabhängigen und Unternehmen finanzierten Sozialversicherungen – entschlossen zu verteidigen. Einwände dieser Art sind angesichts der aktuellen Entwicklung nicht von der Hand zu weisen. Steuerfinanzierung bei gleichzeitigem „Einfrieren“ der Arbeitgeberanteile bedeutet, dass die Unternehmer zu Lasten der unteren, die Masse des Steueraufkommens tragenden Einkommensschichten entlastet werden (siehe Mehrwertsteuererhöhung) und ein Grundeinkommen auf niedrigem und restriktiven Niveau, wie es im Grunde bereits durch Hartz IV verwirklicht worden ist, kann zu einer weiteren Ausgrenzung der „überflüssig“ Gemachten dienen. Ausgenommen von diesen „Umbauten“ bleibt im Übrigen bislang der Gesundheitsbereich, wo strikt an den alten Strukturen festgehalten wird, gekoppelt mit einer immer weiter fortschreitenden Privatisierung der materiellen Gesundheitsrisiken. Hier erweist sich die mächtige Lobby des medizinisch-sozialbürokratisch-industriellen Komplexes offensichtlich als besonders veränderungsresistent.

Angesichts der Tatsache, dass die ökonomischen und gesellschaftlichen Grundlagen des herkömmlichen Sozialstaats zusehends erodieren, werden sich die politischen Auseinandersetzungen wichtigen Bereichen in Zukunft nicht mehr so sehr auf das Ob, sondern eher auf das Wie grundlegenderer „Reformen“ beziehen. In Bezug auf das Grundeinkommen also auf die Frage der Höhe, der Allgemeinheit und der Bedingungslosigkeit. Das ist sicherlich wichtig, aber es wäre ein Fehler, sich auf diese Ebene zu beschränken. Unsere Intervention zielt darauf ab, über konkrete Umbau-Konzepte hinaus gehend eine grundsätzliche Umorientierung im Nachdenken über vernünftige und den ökonomisch-technischen Möglichkeiten gerecht werdende Formen der Vergesellschaftung anzuregen. Davon sind die aktuellen Debatten noch ziemlich weit entfernt.

Die zentralen Punkte dabei sind der Umgang mit der gesellschaftlichen Arbeit und die so genannten öffentlichen Güter. In den entsprechenden links-netz-Texten ist ausführlich darauf hingewiesen worden, dass Lohnarbeit als zentrale Achse der Vergesellschaftung nicht nur durch die ökonomisch-technische Entwicklung (Massenarbeitslosigkeit, Prekarisierung, Zwangsselbständigkeit) in Frage gestellt wird, sondern auch immer weniger die herrschenden gesellschaftlichen Möglichkeiten reflektiert. Die rasant ansteigende gesellschaftliche Produktivität bedeutet insgesamt gesehen eine starke Verminderung der zur Güterproduktion notwendigen Arbeit und damit die Möglichkeit einer Ausweitung selbst bestimmter Tätigkeiten. Dass dieser Prozess erhebliche Zerstörungswirkungen nach sich zieht, die eigentlich wachsende Reparaturarbeiten erfordern, fällt nicht ins herrschende ökonomische

Kalkül, genau so wenig wie es viele gesellschaftlich sinnvolle Arbeiten gibt, die mangels kapitalistischer Verwertbarkeit nicht getan werden können. Auf die Produktivitätssteigerung lässt sich entweder mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung oder mit einer Aufhebung des Arbeitszwangs reagieren, wie sie den Vorschlägen zu einem allgemeinen garantierten Grundeinkommen zugrunde liegt. Damit wäre dem viel beschworenen „bürgerschaftlichen Engagement“ – sei es im sozialen, kulturellen oder politischen Bereich – eine sicherere materielle Basis gegeben. Für ein allgemeines garantiertes Grundeinkommen spricht, dass damit die Lohnarbeitsfixierung insgesamt und der herrschende Zirkel von Leistung und Konsum deutlicher in Frage gestellt wird und Vorstellungen von alternativen Lebens- und Konsumweisen eher zur Debatte gestellt werden können und müssen.

Zentral muss es aber um eine „Entkommodifizierung“ der gesellschaftlichen Beziehungen gehen, d.h. um die Durchsetzung von Formen der Vergesellschaftung, die anders als durch Ware und Geld vermittelt werden. Ein allgemeines Grundeinkommen allein würde dazu nicht viel beitragen, eher im Gegenteil. Deshalb haben wir im links-netz darauf beharrt, dass sich ein gesellschaftlicher Umbau schwerpunktmäßig auf den Ausbau der so genannten öffentlichen Güter beziehen muss, also die Verfügbarkeit von für ein vernünftiges Leben relevanten Gütern und Diensten für alle und ohne Bezahlung. Das bezieht sich, wie bereits dargelegt, nicht zuletzt auf die Bereiche der Gesundheit, der Bildung, des Verkehrs und des Wohnens. Eine Ausweitung der Bereitstellung öffentlicher Güter müsste mit neuen, demokratischen Formen ihrer Entwicklung und Verwaltung einhergehen.

Während Grundsicherungselemente für sich genommen sehr wohl als Bestandteil eines neoliberalen Umbaus der Gesellschaft verwenden lassen und möglicherweise sogar zu einem seiner relevantesten Bestandteile werden könnten, hat sich eine zentrale Achse des gesellschaftlichen Konflikts längst auf die Frage der öffentlichen Güter verlagert. Der immer mehr Bereiche betreffende und offensichtlich noch kaum zu bremsende Privatisierungsschub legt davon Zeugnis ab. Das betrifft nicht nur Wohnen, Verkehr oder Bildung (Studiengebühren als nur ein Beispiel), sondern auch sehr stark den Gesundheitsbereich. Hier und nicht nur bei Computerprogrammen oder Musikdownloads spielt insbesondere der Schutz des privaten Eigentums an „intellektuellen“ Produkten eine immer zentralere Rolle, deutlich z.B. an der Tatsache, dass die Patentmonopole der Pharmaindustrie wichtige Medikamente immer teurer machen und dass diese für große Teile der Weltbevölkerung mangels ausreichender Kaufkraft nicht zur Verfügung stehen oder für Massenkrankheiten wegen mangelnder privatwirtschaftlicher Rentabilität überhaupt nicht entwickelt werden. Die politischen Auseinandersetzungen drüber sind deshalb schwieriger geworden, weil wichtige Entscheidungen und Regelungen dabei zunehmend auf internationaler Ebene, vor allem im Rahmen des TRIPS-Abkommens der WTO getroffen und durchgesetzt werden. Darin reflektiert sich der „Internationalisierung des Staates“, die einen wesentlichen Bestandteil der neoliberalen Offensive darstellt. Allerdings wird gerade dieser Punkt nun auch immer stärker politisch thematisiert. Beispiele dafür sind die Kampagne gegen Privatisierungen von Attac oder die von medico international zusammen mit anderen Organisationen ins Leben gerufenen Gesundheitskampagne.

Es ist also wichtig, sich nicht auf einzelne Maßnahmen und partielle Reformschritte zu beschränken. Es geht viel mehr darum, systematisch die weiter gehenden Fragen grundsätzlich anderer Vergesellschaftungsformen zu thematisieren, so wie das in den Überlegungen zur sozialen Infrastruktur von links-netz angedeutet worden ist. Die Aufgabe kritischer Initiativen ist es nicht, konkrete administrative Modelle und Konzepte zu entwickeln. Wichtig ist viel mehr, Debatten und Auseinandersetzungen zu führen und durch diese hindurch das Bewusstsein davon zu stärken, dass eine andere, d.h. freiere und humanere Gesellschaft möglich und notwendig ist. Die neoliberale ideologische Offensive zielt genau darauf ab, dies zu verhindern, und sie kann dabei sehr gut an im allgemeinen Bewusstsein verankerte Arbeits- und Leistungsorientierungen anknüpfen. Konkreter gesprochen: nicht die Rettung oder Verbesserung des herkömmlichen Sozialstaats muss zur Debatte stehen, sondern die Möglichkeiten und Dimensionen einer neuen und emanzipativeren Vergesellschaftungsweise. Das ist ein ebenso schwieriges wie langwieriges Projekt und es kommt darauf an, sich in diesem Sinne immer wieder neu kritisch in die laufenden „Reform“-Debatten einzumischen.

© links-netz November 2006