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Zivilgesellschaftlicher Bürgerkrieg

Joachim Hirsch

Inzwischen haben sich die Wogen um den Freiherrn zu Guttenberg wieder etwas geglättet, und auch der Streit innerhalb und zwischen CDU und CSU wegen angeblich mangelhafter Unterstützung ist wieder abgeflaut. Es ist indessen schon erstaunlich, was die Betrügereien und schließlich der Rücktritt des politisch eher weniger erfolgreichen und schon immer mit der Wahrheit nicht so pingeligen Verteidigungsministers verursacht haben. Über Wochen hinweg war Guttenberg das Gesprächsthema, beherrschte die Medien, die Stamm- und sonstigen Tische, spaltete gewissermaßen die Nation. Das ist schon erstaunlich, gab es doch genügend wichtigere Probleme als die Abkupfereien bei einer Doktorarbeit. Es ging bei der Affäre Guttenberg indessen um sehr viel mehr als nur eine Person und ihr Verhalten. Zur Debatte stand vielmehr die herrschende politische Kultur, die Grundprinzipien liberaler Demokratie, das Verhältnis von Macht und Recht, die Rolle der Medien in der Politik und der Populismus im Allgemeinen. Es ging um nichts weniger als die reale Verfassung dieses Landes.

Klaus Bölling, der ehemalige Regierungssprecher, hat zu Guttenberg einen begabten Blender genannt. Damit verwies er auf einen Zusammenhang, der charakteristisch ist für das, was „Mediendemokratie“ genannt wird. Zwischenzeitlich war sogar von „Berlusconisierung“ der Politik die Rede. In der Tat geht es um den Zusammenhang von kriminellem Verhalten, Medienmacht und Politik, wenn auch nicht in so bizarrer Form wie in Italien. Das hängt auch damit zusammen, dass es hierzulande noch kein absolutes Pressemonopol gibt. Zu Guttenberg hat sich als Medienereignis inszeniert und dieser Strategie verdankt er seinen sachlich kaum gerechtfertigten politischen Erfolg. Die Bundeswehrreform, für die er so gepriesen wurde, hat sich jedenfalls als Scherbenhaufen herausgestellt. Seine Popularitätswerte waren erstaunlich. Selten wie bei ihm wurde mit medialen Inszenierungen Politik gemacht, man denke nur an die Verlagerung einer Talkshow ins afghanische Kundus, inklusive Gattin Stephanie in einem Outfit, als käme sie gerade mit ihrem SUV vom Biobauern. Mit Hilfe der Boulevardpresse wurde er zur Projektionsfigur des guten Politikers: nett aussehend, clever, irgendwie auch sexy, effizient, tatkräftig und vor allem ehrlich, dazu noch von Adel. Damit gelang es ihm, sich in der öffentlichen Darstellung von der grauen Masse der politischen Klasse abzuheben, zu der er gehörte wie kaum ein anderer. Macher und zugleich Profiteur dieser Inszenierung war neben der Regenbogenpresse vor allem die Bild-Zeitung. Guttenberg und die Springerpresse waren ein beachtlicher Machtfaktor.

Das Ganze verweist auf einen erstaunlichen Strukturwandel der Öffentlichkeit und das, was Medialisierung der Politik heißt. Ohne die medialen Inszenierungen wäre zu Guttenberg nicht zur Erfolgsfigur geworden. Aber zugleich hätte ohne das Internet und die dadurch ermöglichte Öffentlichkeit – mit den Tausenden, die sich mittels einschlägiger Suchfunktionen mit der Aufdeckung seines Plagiats beschäftigten – die Affäre kaum diese Dynamik erhalten. Jedenfalls erwiesen sich die Erklärungs- und Verharmlosungsversuche zu Guttenbergs als immer schon durch neue Funde überholt. Das ansonsten von einer virtuellen Einheitspartei beherrschte und mit einem politischen Einheitsbrei zugedeckte Land zerfiel plötzlich in sich offen bekämpfende Lager, und zwar ziemlich quer zu den üblichen Fronten. Bei den Medien operierten die Springer-Presse und die „Zeit“ auf der einen, die Süddeutsche, FAZ, Rundschau und Spiegel auf der anderen Seite. Die selten wie je interessierte Bevölkerung war zwischen bedingungslosen Anhängern und erbitterten Gegnern gespalten. Von einer Hetzkampagne gegen einen anständigen Politiker war die Rede und wie immer wurden Linke als Urheber bemüht (wozu man die FAZ eigentlich nicht rechnen kann). Aufregung allenthalben, selbst bei denen, die mit Politik ansonsten nicht so viel am Hut haben. Die Kluft lief selbst durch die Regierungsparteien. Das hat auch damit zu tun, dass zu Guttenberg auch bei einigen Konservativen nicht so gut ankam. Jedenfalls bei denen, für die ehrenwertes Verhalten noch einen Wert darstellt und nicht zuletzt auch bei denen, denen die Abschaffung der Wehrpflicht ohnehin ein Dorn im Auge war, gar nicht zu sprechen von der ziemlich schnöden Behandlung, die er einigen Generalen und Offizieren angedeihen ließ, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Man fragt sich, was die Anhänger zu Guttenbergs dazu treibt, sich so vehement für ihn einzusetzen. Die Motive sind unterschiedlich. Da ist einmal das wahltaktische: Für die Unionsparteien zählte er vornehmlich als Wahl- und Stimmungslokomotive, auch wenn Kanzlerin Merkel in ihm eine zunehmend gefährlichere Konkurrenz erwuchs. Diese ist sie jetzt erst mal los, wie schon bei einigen anderen Fällen vorher. Dasselbe gilt für die CSU und Seehofer. So ganz ehrlich waren die Empörung und das Bedauern der beiden Parteivorsitzenden wohl nicht. Allerdings verlieren CDU und CSU mit Guttenberg ein vielleicht wahlentscheidendes Zugpferd. Dies und die Rücksicht auf die von Bild befeuerte Stimmungslage des eigenen Wahlklientels waren für das Festhalten an dem strahlenden Verteidigungsminister wohl wichtiger als irgendwelche Partei- und sonstige Solidaritäten. Für die gemeinen Bildzeitungsleser mag dagegen neben der mit feudaler Aura umgebener Idealisierung ein antiintellektueller Habitus eine Rolle gespielt haben, ihm trotz oder gar wegen seiner Betrügereien die Stange zu halten: hat er es doch den großkopfeten Intellektuellen aller Couleur mal so richtig gezeigt und nun rächen sie sich auf kleinliche Weise. Und: abgeschrieben haben wir doch alle schon mal, warum also auch nicht auch bei einer Doktorarbeit? Schließlich: heißt Fußnote nicht einfach, dass jetzt auch noch Füße benotet werden?

Was den Anschein einer politischen Vorabendsoap hat, besitzt allerdings einen sehr ernsthaften Hintergrund. Bundestagspräsident Lammert hat gesagt, die Affäre Guttenberg stelle einen „Sargnagel für das Vertrauen in unsere Demokratie“ dar. Dafür hat er massive Kritik aus den eigenen Reihen eingesteckt. Er und Wissenschaftsministerin Schavan waren übrigens die einzigen Prominenteren aus den Regierungsparteien, die sich zu einer kritischen Äußerung hinreißen ließen – Schavan wohl deshalb, weil sonst der Ruf bei ihrem wissenschaftlichen Klientel ruiniert gewesen wäre. Der Bundespräsident sagte wie üblich nichts. Lammert hat zumindest angedeutet, um was es ging. Eben nicht nur um „Vertrauen“, sondern darum, ob ein Filz von Macht, Geld und Kriminalität über dem Recht steht. Insoweit ist der Verweis auf Berlusconi nicht falsch. Die Wurzeln liegen allerdings tiefer. Es war schon immer eine konservative Grundhaltung, Verfassung und Recht im Zweifelsfall zur Disposition der Macht zu stellen. Man nennt das Staatsräson. Unter dieser Perspektive hat sogar der bizarre Versuch, die Kritik an Guttenberg zum Dolchstoß in den Rücken „unserer“ in Afghanistan für Freiheit, Frieden und Menschenrechte kämpfenden Soldaten zu erklären, eine gewisse Konsequenz. Auf der gleichen Linie liegen die Äußerungen Merkels, die den etwas schizophren anmutenden Anspruch erhob, man müsse bei der Person zu Guttenberg zwischen dem Verteidigungsminister und den Doktoranden trennen. Das heißt, der Verteidigungsminister als Vertreter der Macht steht außerhalb der Kritik, egal, was er sonst tut. Der Fall Guttenberg beleuchtet im Übrigen noch eine andere Seite der hierzulande real existierenden Demokratie: populistische Mobilisierungen zur Legitimierung einer Politik, die gegen die Interessen der Mehrheit geht, gehören sozusagen strukturell dazu. Die medialen Inszenierungen von zu Guttenberg hatten ja auch den Zweck, den recht unpopulären Afghanistankrieg zu rechtfertigen. Damit hat er im Übrigen bis zum Ende durchgehalten, zuletzt mit der nur noch peinlichen Bemerkung, er hätte vor seinem Rücktritt erst die dort wieder einmal umgekommenen Soldaten zu Grabe tragen müssen.

Die Guttenberg-Affäre zeigt gewissermaßen exemplarisch die Verbindung von Populismus und Autoritarismus, der die politischen Verhältnisse kennzeichnet. Der jüngste Fall ist der Umgang der Regierung mit der Atomkraft. Nach dem GAU in Japan musste angesichts der bevorstehenden Wahlen und mit Rücksicht auf die Stimmungslage in der Bevölkerung etwas getan werden. Also wurde bezüglich der Laufzeitverlängerung für AKWs ein Moratorium verkündet. Faktisch heißt dies, dass die Regierung ein parlamentarisch verabschiedetes Gesetz einfach außer Kraft setzt. Die Begründung dafür, dass nämlich eine veränderte Sicherheitslage eingetreten sei, ist nach den eigenen Erklärungen der Regierung und der Kanzlerin offensichtlich nicht haltbar. Auf verfassungskonformem Weg hätte man das Gesetz auch durch Parlamentsbeschluss kassieren können. Das wäre allerdings auf Probleme in den Regierungsfraktionen gestoßen und vor allem hatte es den Weg dafür verbaut, nach den Wahlen den Energiekonzernen wieder zu Diensten zu sein. Also wird die Verfassung halt mal umgangen.

Mit dem Rücktritt zu Guttenbergs haben die, die für demokratische Prinzipien, Verfassung und Recht einstehen, vorläufig gewonnen. Die Strukturen, die die Affäre in ihren Dimensionen möglich gemacht haben, bleiben allerdings bestehen. Die Auseinandersetzungen waren ein Paradebeispiel für das, was Kampf um Hegemonie auf dem Terrain der „Zivilgesellschaft“ heißt. Interessant ist, dass die durch das Internet ermöglichten neuen Formen von Öffentlichkeit dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Diese sind allerdings vielseitig verwendbar. Inzwischen versuchen auch die Anhänger zu Guttenbergs sich via Internet zu organisieren und eine breitere Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Bei Facebook und anderen Internetplattformen gibt es eine erkleckliche Anhängergemeinde. Ihre Demonstrationsaufrufe blieben allerdings recht erfolglos. Das soziale Milieu, aus dem sie stammen, ist der Straße eher abgeneigt. Daran zeigt sich, dass die Wirksamkeit von Facebook und anderen „sozialen Netzwerken“ nicht aus sich selbst entsteht, sondern von sehr vielen Faktoren abhängig ist. Um im militärischen Jargon zu bleiben: eine Schlacht ist gewonnen, aber der Ausgang bleibt offen.

© links-netz März 2011